Vom gescheiterten Versuch, einen Arzttermin zu machen
Deutschland immer absurder.
Ich wollte einen Arzttermin machen.
Geht nicht. Nicht in Berlin.
Es ging um eine Art von Arzt, bei der ich noch nie war. Überall hört man allerdings, dass sie keine Neupatienten annehmen. Schaut man auf doctolib, findet man zwar jede Menge dieser Ärzte, aber überall steht nur, dass gerade gar keine Termine da sind und sie nur gelegentlich welche einstellen.
Beim Patientenservice 116117 bekommt man zwar eine Liste von über 100 Ärzten – aber kaum das, was man sucht, und es nutzt auch nichts, weil man doch wieder die Praxen einzeln abtelefonieren muss.
Nein, heißt es, keine Neupatienten und das geht bei anderen wohl auch nicht.
Ja, aber, frage ich, wie kommt man denn dann erstmals zu so einem Arzt? Jeder ist ja schließlich irgendwann zum ersten Mal da und „Neupatient“ (und manchmal muss man ja auch umziehen). Wissen sie nicht. Mit einem „Dringlichkeitscode“ wäre es schon schwer, aber ohne geht gar nichts.
Aha. Wenn es also nicht „dringlich“ ist, kommt man gar nicht mehr zum Arzt?
Die E-Mail
Ich habe eine Praxis gefunden, bei der man auf der Webseite dann, wenn man gerade telefonisch niemanden erreicht, per Webformular antworten kann.
Und bekam am nächsten Tag eine Antwort.
Aber, ach.
Ich kann sie nicht lesen.
Sie ist verschlüsselt.
Sie kam von dem Unternehmen, dem wohl auch diese Praxis gehört:
[…] hat Ihnen eine verschlüsselte E-Mail gesendet. Über die unten stehende Schaltfläche können Sie die Nachricht aufrufen. Sie werden aufgefordert, sich mit einem Konto anzumelden (Microsoft, Google oder Yahoo) oder alternativ einen Einmalcode zur Authentifizierung zu nutzen.
Wir testen aktuell eine neue verbesserte Art der E-Mail-Verschlüsselung. Dafür brauchen wir Ihr Feedback! Nehmen Sie sich bitte nach dem Öffnen der Mail zwei Minuten Zeit und beantworten Sie ein paar kurze Fragen unter diesem Umfragelink: https://forms.office.com/[…] Vielen Dank für Ihre Unterstützung! Bei Problemen wenden Sie sich bitte an securemail@[…].
Als Anhang eine Datei vom Typ .rpmsg. Sagte mir nichts, musste ich erst einmal nachlesen. Fileformat sagt dazu:
Eine RPMSG-Datei ist eine verschlüsselte E-Mail-Nachricht, die mit E-Mail-Client-Anwendungen Microsoft Outlook, der E-Mail- und Kalenderanwendung von Microsoft, erstellt wurde. Es wird als separater Anhang zu Standard-E-Mail-Nachrichten gesendet und kann nur von bestimmten Benutzern geöffnet werden. Dadurch wird der Zugriff auf diese Dateien auf andere Benutzer beschränkt, die nicht dazu bestimmt sind, die Informationen in diesen Dateien zu erhalten. Im Allgemeinen werden diese Dateien mit dem Dateinamen message.rpmsg gesendet und können auch per E-Mail heruntergeladen werden, funktionieren in diesem Fall jedoch nicht.
Na, toll. Anderenortes ist zu lesen, dass Microsoft damit verhindern möchte, dass man solche Mails an andere weiterleiten oder abspeichern kann.
Aha. Wieder mal die Microsoft-Diktatur, die mir vorschreiben will, was ich mit meinen Daten tun kann und muss. Wahrscheinlich hören sie die Rechner jetzt in so einem Umfang aus, dass sie solche Maßnahmen brauchen, damit manche Nachrichten dann doch nicht von ihnen abgehört werden.
Und woher die dann wissen wollen, dass ein gewisser Hadmut bei Microsoft, Google oder Yahoo mit mir identisch ist? Na gut, Hadmuts gibt’s nicht so viele, aber was, wenn man Thomas heißt? Oder Kevin?
Also dachte ich mir, nehmen wir doch die Variante mit dem Einmalcode.
Es ist zwar sicherheitstechnisch ein Witz, wenn man eine verschlüsselte Nachricht in eine Mailbox schickt, und dann, wenn man sie lesen will, den Schlüssel an dieselbe Mailbox schickt, denn wenn Chiffrat und Schlüssel zusammen aufbewahrt werden, ist der Witz weg. Aber gut.
Beim Anklicken das Links, um die Mail zu lesen bzw. erst einmal den Code anzufordern lande ich bei outlook.office365.com, also bei Microsoft. Was Microsoft mit meinen Arztterminen zu tun hat, würde ich ja gerne mal wissen. Und welcher Datenschutzbeauftragte so etwas freigibt.
Angeklickt, dass ich gerne den Einmalcode hätte.
Kam erst einmal nichts.
Kam schon, aber kam nicht nur verspätet, sondern von einer ganz anderen E-Mail-Adresse, nämlich direkt von Microsoft, und so, dass man mit der Suchfunktion keinen Zusammenhang kann, das Ding vom Spamfilter außerdem als übel Spam eingestuft wurde, und man erst erkennt, dass das die E-Mail mit dem Einmalcode ist, wenn man a) die Mail anzeigt und dann die Graphik des Medizinunternehmens als Graphik angezeigt wird (was die Suchfunktion natürlich nicht findet, auch nicht im Spam-Ordner) und b) die 15 Minuten schon abgelaufen sind.
Nachdem ich das einmal gründlich durchsucht habe, und mir dann nochmal einen Einmalcode angefordert habe, konnte ich die so hoch verschlüsselte E-Mail dann auch lesen:
Guten Tag,
aktuell haben wir leider keine freien Termine.
Termine können für Neupatienten nur 180 Tage im Voraus reserviert werden. Das ist online sowie telefonisch der Fall.
Wenn online keine Termine angezeigt werden, stehen keine Termine zur Verfügung.
Da abgesagte Termine wieder online buchbar sind, gucken Sie gerne immer mal sporadisch auf Doctolib nach.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Team des
180 Tage im Voraus. Schon mal besser als bei den anderen, die gar keine Neukunden annehmen.
Und gleichzeitig steigen die Krankenkassenbeiträge rapide.
Aber wofür zahle ich eigentlich noch Krankenkassenbeiträge?
Ich war beim Zahnarzt. Ausnahmsweise mal akut, hatte mir das Zahnfleisch irgendwie verletzt und die Befürchtung, mir einen Fremdkörper reingebissen zu haben. Da hat das tatsächlich noch funktioniert, von heute auf morgen einen Termin per doctolib zu buchen. Bin ja Bestandskunde.
Aber, ach.
Sie wussten nichts von dem Termin. Heute ist leider das Internet bei ihnen ausgefallen. Sie haben gebeten, dass die Patienten ihnen die Handys mit den Nachrichten von doctolib zeigen, damit sie nachvollziehen können, was doctolib da für sie gebucht hat. Drangekommen bin ich trotzdem.
Sie meinten aber, dass ich die Anamnese neu ausfüllen müsste, weil sie da umgestellt haben. Man füllt kein Blatt Papier mehr aus. Auch nicht, wie das in vielen anderen Praxen längst üblich ist, das Formular mit Folienschreiber in laminierter Form, das dann eingescannt und wieder ausgewischt wird. Sie habe da nur noch einen QR-Code. Man soll mit dem Handy die Seite aufrufen und im Wartezimmer die Anamnese mit dem Handy auf den Webseiten irgendeines Unternehmens ausfüllen.
Aber was, wenn man kein Handy dabei hat? Immerhin hängt im Wartezimmer ein Schild mit einem Handysymbol und einem Verbotsbalken darüber.
Vor 40 oder 50 Jahren ist man einfach zum Arzt gegangen und fertig.
Manchmal frage ich mich, ob die „Digitalisierung“ nicht kontraproduktiv ist, und was die eigentlich alle machen würden, wenn man einfach vergessen hätte, Computer, das Internet, Webseiten zu erfinden.
Ginge es uns allgemein besser, wenn es keine Digitalisierung gäbe und die an diesem riesigen Bürokratiewust einfach gehindert wären? Wenn die so arbeiten müssten wie vor 50 Jahren, nämlich einfach morgens die Praxis aufsperren und schauen, was der Tag so bringt?
Ist ja nicht nur bei Ärzten so. Ich bin schon daran gescheitert, mich in ein Restaurant zu setzen. Ohne Online-Reservierung geht gar nichts mehr. Früher gab es das nicht. Früher war entweder noch ein Tisch frei oder voll. Ende.
War das Leben vor 100 Jahren einfacher?