Vom Siechtum der Fotografie durch Zeitgeist und Hilflosigkeit
Ach. Es ist ein Elend. Ein entsetzliches Elend. Es ist der European Month of Photography (EMOP) in Berlin.
Schrecklich.
Ich habe schon viel zu lange nicht mehr fotografiert. Ich fühle mich, als hätte ich es verlernt. Als hätte ich den Blick verloren. Mir fehlt die Zeit. Was vielleicht gar nicht mal mein persönliches Problem ist, denn die Kamerahersteller meldeten vor Jahren, dass das Geschäft schlecht läuft, vor allem im unteren Bereich praktisch gar nichts mehr geht, weil die Handys alles verdrängt haben. Doch inzwischen melden sie, dass der Verkauf von Kompaktkameras urplötzlich wieder anzieht, und die Anbieter von „Retro-Kameras“, Nikon und Fuji, melden gute Umsätze, obwohl Retrokameras ergonomisch eigentlich schrecklich und völlig veraltet sind – aber viele Leute mögen den modernen elektronischen Kram nicht, und wollen sich auch nicht mit tausend Funktionen moderner Kameras herumschlagen (Hand aufs Herz: Wer hat alle Optionen und Einstellungen von etwa Nikon wirklich durchverstanden und weiß von jeder, wie sie sich auf das Bild auswirkt und wozu man sie braucht?), und wieder so ganz klassisch Blende, Belichtungszeit, Empfindlichkeit einstellen, mit Drehrad. Ich hatte noch keine digitale Leica in der Hand, aber neulich stand irgendwo in irgendeiner Zeitung, dass der Erfolg der doch recht teuren Leica-Kameras und ihrer legendär guten Objektive nicht so sehr in der hohen Bildqualität liege, sondern darin, dass sie so einfach zu bedienen seien und alles auf das Wesentliche reduzierten.
Ich hatte oft geschrieben, dass die Fotografie weitgehend tot sei, durch Video und die damit verbundenen Sehgewohnheiten. Wir schauen uns Bilder nicht mehr an der Wand oder im Fotoband an, sondern auf dem Handy-Display oder bestenfalls noch auf dem Computerbildschirm. Und die wenigsten ertragen noch das statische Bild. Mindestens 10 Sekunden Gezappel und viel Ton müssen es schon sein, und mit der Onlinegehung praktisch aller Zeitungen haben Artikelvideos längst die Artikelfotos verdrängt. Heutige Onlinezeitungen zappeln mehr als der Daily Prophet in Harry Potter, wo es noch als Magie galt, wenn Zeitungen bewegte Bilder zeigen.
Vor vielen Jahren, ich weiß es nicht mehr so genau, so vor vielleicht 14 oder 16 Jahren, als ich noch nicht in Berlin wohnte, war ich beim „Europäischen Monat der Fotografie“, dem „European Month of Photography“. Und war begeistert. Viele große, viele gute Ausstellungen. Darum geht es: Galerien, Museen, jeder, der was zu zeigen hat, zeigt Fotografien in Ausstellungen, alle zusammengefasst zu einer Veranstaltung, die alle zwei Jahre stattfindet. Da waren noch richtig gute Sachen dabei. Und was mir dabei besonders gut gefiel: Damals haben auch viele Botschaften mitgemacht und ihre Foyers und Veranstaltungshallen geöffnet, um Bilder von Fotografen aus ihrem Land zu zeigen. Richtig gut, richtig toll. Ich war damals für eine Woche in Berlin und habe eine Woche lang durchgehend von morgens bis abends Fotoausstellungen besucht.
Nun ist der Besuch zwar deutlich leichter, wenn man in Berlin wohnt – aber ich fand die Ausstellungen immer schlechter. Ein Abstieg analog zur Berlinale. Die Fotos und die Themen immer politischer, immer politisch korrekter, der ganze Trans- und Gendermist, und die fotografische Qualität und die der Ausstellungen und ihrer Präsentation immer schlechter.
Im Prinzip derselbe Abstieg wie allgemein im intellektuellen Bereich und an den Universitäten: Man wurde nicht mehr ausgestellt, weil man besser als die anderen ist oder was zu sagen hatte, sondern weil man Frau, Schwarz, Lesbe, behindert, Migrant, Queer, weiß der Kuckuck was war. Egal, wie lausig die Werke waren. Und der Zuschauer hat gefälligst Gefallen zu äußern, um nicht sexistisch, rassistisch oder sonst was zu sein.
Weil es überhaupt nicht mehr darauf ankommt, wie das Bild beim Zuschauer wirkt, sondern dass jeder Versager mit irgendeinem Minderheitenmerkmal „gleichgestellt“, „sichtbar gemacht“ und so was wird. Man hat die Fotografie zur Farce gemacht wie Abitur, Master, Doktor. Inzwischen hat sich das mit den Frauenquoten und dem Queerscheiß wieder gelegt, aber die dafür vorgenommene Absenkung des Niveaus auf Null – das feministische Credo „Quality is a myth“, ohne das und dessen völlige Absage an jedes Qualitätsmerkmal Feministinnen mit Männern nicht mithalten können – ist geblieben. Der Feminismus geht – der Totalschaden bleibt.
Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, den ganze März über mal ein paar Gänge runterzuschalten, mal nichts anderes zu tun, als Fotoausstellungen zu besuchen, egal wie schlecht sie sein mögen, und sie gehörig zu verspotten. Ich hatte mir den März freigeräumt und mir eine Monatskarte für die U-Bahn gekauft. Mal ein bisschen raus aus der Bude, Bewegung, Luft, Leute. Nicht den ganzen Tag am Rechner sitzen.
Hat nicht so funktioniert, wie ich mir das vorgestellt habe. Ich war bisher den ganzen März doch wieder fast nur im Arbeitszimmer, jede Menge Rechts- und Bürokratiekram. Demnächst mehr dazu. Deutschland ist längst zum Horrorland geworden, indem man gar nicht mehr normal leben kann. Ich habe es deshalb nur zur Eröffnungsausstellung vor dem eigentlichen Monat und zu einer Handvoll von Ausstellungen geschaft, war neulich mal kurz, gestern und heute jeweils einige Stunden unterwegs, weil ich einfach auch mal raus aus der Bude musste.
Ich habe deshalb bisher nur einen Teil des EMOP gesehen, und vor allem die vielen Eröffnungsveranstaltungen verpasst.
Es ist schrecklich.
Es ist in den meisten Fällen eine Zumutung.
Und das sehe offenbar nicht nur ich so, sondern ich war in vielen der Ausstellungen allein, der einzige Besucher, und merkte auch, dass da einfach nichts los ist. Das guckt sich kaum jemand an.
Es ist nicht selten einfach Schrott, was die da aufhängen und zeigen. Den seriöse Fotografen nicht rausgeben würden. Ich hatte das vor Jahren schon beschrieben, dass der gute, der Profifotograf gar nicht mal unbedingt so viel besser fotografiert. Aber mehr und dann stärker aussiebt. Viele Top-Fotografen verwenden nur zwischen 1 und 3 Prozent ihrer Bilder.
Gut, es gibt auch andere, Perfektionisten, die einen ganzen Tag lang vorbereiten und machen und basteln, um dann ein einziges Foto zu machen. Und das ist dann der Brüller. Es wurde mal in einer Fotozeitschrift ein Bild von einer Brücke gezeigt, wirklich supertoll, hat alle Wettbewerbe abgeräumt. Der hat da ein Jahr lang auf die richtige Jahreszeit gewartet und dann mit Campingkram eine Woche (oder war es ein Monat? Weiß nicht mehr) an dieser Brücke gehaust, bis er dieses eine, sagenhafte Foto machen konnte, an dem einfach alles stimmte. Ich stand mal in Neuseeland in einer Buchhandlung und habe einen großen, sündhaft teuren Fotobildband von Neuseeland durchgesehen, und mich gefragt, warum zum Teufel fotografiert der soviel besser als ich? Glücklicherweise kam ich darüber mit der Inhaberin der Buchhandlung ins Gespräch, weil die mit eben diesem Fotografen eng befreundet war und mir direkt erzählen konnte, wie der das macht. Dessen Hauptzutat ist: Vieeel Zeit. Der hat viel Geld, muss nicht arbeiten, und der hat sich jahrelang damit beschäftigt, die richtigen Orte und Perspektiven zu finden, und der habe unfassbare Mengen von Fotos gemacht, Hunderttausende, Millionen von Bildern, und aus den allerbesten diesen Bildband gemacht.
Auch wenn man sich das nicht leisten kann: Das wichtigste Mittel, um bei anderen als guter Fotograf anzukommen, ist schlicht und einfach: Rigorose, selbstkasteiende Auswahl. Man kann mit seinen 5 besten Fotos weit besser aussehen als mit seinen 50 besten.
Es tut mir leid, wenn ich das sagen muss, aber: Die allermeisten Leute, deren Bilder ich in den Ausstellungen gesehen habe, können einfach nicht fotografieren, wissen nicht einmal, was das ist.
Es gibt überhaupt keine Beherrschung der Kamera mehr, keine Bildgestaltung, keine Wahl von Brennweite und Blende, keine Schärfentiefe, keine Farbzusammenstellung.
Es sind eigentlich nur noch Handy-Fotos.
Normalobjektiv, Kamera einfach irgendwohin halten, draufdrücken, Rest macht die Automatik.
Und das merkt man auch an den Themen. Vor 10 oder 20 Jahren war das noch fast selbstverständlich, weithin üblich, dass an einem Foto in der Beschreibung stand, Brennweite, Blende, Belichtungszeit. Schon lange nicht mehr.
Es geht überhaupt nicht mehr um die Anfertigung des Fotos, das Foto selbst. Es geht nur noch um das, was sie zeigen wollen, natürlich irgendwelcher Queer-, Gerechtigkeits-, Gender-, Weltschmerzscheiß. Es geht überhaupt nicht mehr darum, was das Foto beim Betrachter auslöst, sondern nur noch völlig egozentrisch darum, was man in der Situation selbst gerade fühlte, und das haben sich andere gefälligst anzuschauen. Die machen irgendwelche Performances oder laufen in der Stadt rum und drücken völlig willkürlich auf den Auslöser, halten die Kamera einfach irgendwo hin, machen irgendeinen schiefes Bild vom Hinterhof, und man fragt sich, was die da eigentlich fotografiert haben wollen.
Das ist zu 95% belangloser Scheiß. Kaum ein Foto, an das man sich beim Verlassen der Ausstellung noch erinnern würde.
Kein Inhalt, keine Bildgestaltung, kein Kontext, kein erkennbarer Zusammenhang. Aber viel Gelaber in Vorträgen und Erklärungen. Ich weiß nicht mehr, wer es war, aber irgendwer sagte mal, ein Foto, das man erst noch erklären muss, sei kein Foto. Ein Bild muss mehr als tausend Worte sagen.
Die Leute sind überhaupt nicht mehr in der Lage, ein Produkt herzustellen, eine Ware, eine Leistung anzubieten, etwas zu tun, was andere sehen wollen. Es geht nicht mehr darum, dass andere es sehen wollen, sondern dass „Fotografen“ es loswerden wollen. Im Prinzip wie überall in unserer Gesellschaft. Es geht nicht mehr darum, ob wir Leute sehen wollen, sondern nur noch darum, dass selbst – und besonders – der letzte Honk den Anspruch darauf hat, „sichtbar gemacht zu werden“, um diese eben saublöde wie alles Unheil erklärende Geisteswissenschaftler- und Marxistenphrase zu verwenden.
Schon am ersten Tag stand ich in einer großen Ausstellung, und es war gruselig, so erbärmlich belang- und inhaltslose Bilder zu sehen. Einfach irgendwo in der Stadt irgendwohin abgedrückt, und man steht davor und fragt sich: Was will er uns da zeigen? Was ist Inhalt, was Thema des Fotos? Worum geht es überhaupt? Warum wurde der Auslöser gedrückt? Als ob man einem Hund eine Kamera umbindet, die alle 60 Sekunden auslöst.
Es gibt eine alte, aber sehr bewährte, ganz einfache, sehr wirksame Fotografenregel: Vordergrund macht Bild gesund. Bilder sind einfach viel bildiger, wenn auf ihnen auch irgendwas drauf ist, was man fotografiert hat, und sie nicht einfach leer sind und man nur das sieht, was hinten zufällig gerade rumstand, weil die Erde nicht durchsichtig ist.
Man merkt sehr deutlich, dass die Leute nur noch fotografieren wie mit dem Handy: Keine Bildgestaltung mehr, sondern was sie gerade erleben und sie emotional erfasst, wird abgeschossen und wie auf social media rausgehauen.
Und dann natürlich so ein Zeitgeistkrampf wie „Ungerechtigkeit“, „Ungleichzeit zeigen“, „sichtbar machen“. Einfach nur gequirlter Blödsinn.
Man ersetzt Leistung und Qualität komplett durch irgendeine undurchsichtige Moral, Gerechtigkeitsstreben, den Anspruch gegen den Betrachter, gesehen zu werden.
Und nicht wenige haben erbärmlich wenig zu bieten. Da fährt man irgendwohin, noch ein Fußweg, und dann haben die da gerade mal ein halbes oder ein Dutzend Bilder, und die grausam schlecht, und im günstigsten Fall noch jemand, der dort sitzt und wie ein begossener Pudel guckt oder Handy liest. Oft ist auch keiner da.
Heute war ich in einer Ausstellung, die wirklich ganz grottenschlecht und richtig lausig war, aber das über drei Etagen, und dafür habe ich auch noch 16 Euro Eintritt gezahlt, obwohl wirklich nur der letzte Mist zu sehen war. Rausgeworfenes Geld. Wenigstens waren die Toiletten sehr sauber. Und unten haben sie dann auch noch einen Ausstellungsshop, der wohl auch nicht gut läuft, denn sie hatten da nicht nur ihre Ausstellungsbände im Angebot, sondern auch Taschen, Handtücher und Dildos. Ein Glasdildo mit einer im Glas innen eingeschweißten Vogelfeder drin, für 360 Euro. Wie die Fotos: Man steht davor und fragt sich: Wer macht sowas? Wozu soll das gut sein? Das relativiert die rausgeworfenen 16 Euro für den Eintritt dann doch etwas. Der ganze Laden eine einzige Verarsche.
An einer Tür hatten sie den Spruch
There are no rules in photography, it’s art.
Frank Ockenfels.
Ich stehe vor der Tür und denke mir „Was für ein Idiot“. Natürlich unterliegt Fotografie Regeln. Nämlich denen, nach denen das Gehirn des Betrachters evolutionär gebaut ist, die Art und Weise, wie wir neural sehen und denken.
Und Art, zu deutsch „Kunst“ kommt von „Können“ und nicht von „Versagen“, sonst hieße es ja „Kunnichts“. Das ist so Zeitgeistfühlen, wenn man meint, dass man einfach gar nichts können und jeden Mist abliefern kann, und es Aufgabe und Verantwortung des Publikums ist, das pflichtgemäß für gut zu halten. Wie Geisteswissenschaften.
Fotografie ist heute, wenn Du ein Rassist gegen den Fotografen bist, wenn Du nicht jedes Bild von ihm gut findest.
Außerdem finde ich die EMOP-Webseite nicht gut, die ist recht unübersichtlich und umständlich.
Kunst
Es gibt allerdings auch Bilder, die zwar nicht herausragend im fotografischen Sinne sind, weil von an der Wand montierten Kameras automatisch gemacht, die aber trotzdem eine Witz haben, den man erst entdecken (oder erklärt bekommen) muss, und sich dann, wenn man es verstanden hat, die Bilder nochmal neu ansieht:
Galerie Kuckei + Kuckei, Barbara Probst Exposures
Die hat Leute in einer Ausstellung mit mehreren Kameras aus verschiedenen Blickwinkeln exakt gleichzeitig fotografiert, von oben, von der Seite und so weiter, in einem Raum mit verschiedenen Fototapeten an den Wänden und auf dem Boden, womit dieselbe Person in derselben Haltung, nur aus verschiedenen Blickwinkeln, an ganz unterschiedlichen Orten zu stehen scheint.
Der fotografische Brüller ist es nicht, wenn man mit einer fest montierten Kamera Leute vor einer Fototapete fotografiert. Die Idee hat aber etwas, und wenn man es erst einmal bemerkt hat, schaut man sich die Bilder dann plötzlich doch nochmal alle an und merkt sie sich.
Sind aber nur zwei Serien, und wegen sieben Bildern mal in eine Galerie zu fahren …
Alte Meister
Ich will aber nicht nur draufhauen, sondern auch welche lobend erwähnen.
Nicht etwa des Ausgleichs und der Mäßigung wegen, sondern des Kontrasts wegen, weil die, die können, den Schrott nur umso deutlicher als Schrott erscheinen lassen. Den Beweis, dass mir nicht die Maßstäbe in die Phantasie entglitten sind, sondern dass es Fotografie noch gibt, dass es noch Fotos gibt, bei denen man (oder zumindest ich) sofort denkt: Na, also, geht doch.
Wer mir heute sofort aufgefallen ist: Galerie JAEGER ART, Evelyn Bencicova. Asymptote
Ich komme rein, und denke sofort „Aaah, wunderbar, endlich jemand, der fotografieren kann.“
Zwar sind, und das will ich einräumen, die Fotos überhaupt nicht mein Geschmack, und ich würde sie mir nicht an die Wand hängen.
Aber: Man sieht sofort, dass da jemand bewusst und gelernt fotografiert, das Bild gestaltet, Bildgestaltung kennt, wiederkehrende Muster nutzt, Diagonalen und so weiter, Bildaussage hinbekommt, die Farben stimmen, passen zueinander, bilden ein Thema, da hat jemand vorher überlebt, wie das Bild aussehen soll, wo man dann davor steht und denkt, na, also, es geht doch. Hurra, es ist ein Foto und kein Auslöserunfall.
Da hat jemand fotografieren gelernt, und man sieht es sofort, in der ersten Sekunde, beim Betreten der Galerie.
Ich kam nicht umhin, Lob und Wohlgefallen zu äußern, gerade im Kontrast zu anderen, und erfuhr, dass das daran liege, dass die Künstlerin ja auch schon „älter“ sei, und deshalb eben auch noch das Fotografieren erlernt habe. Ich hatte das so interpretiert, dass die Fotografin wohl schon 60 oder älter sein müsse. Laut der Webseite ist sie 1992 geboren. Da gilt man schon als alter Knacker, weil man noch gelernt hat, was man tut.
Von alledem, was ich gesehen habe, möchte ich insgesamt nur ein einziges Foto als wirklich gut herausheben, das einem (mir) wirklich in Erinnerung bleibt, das gelungen erscheint:
Das hier. (Das erste in der Reihe, blonde Frau vor schwarzem Hintergrund im schwarzen Kleid) Fotograf Thomas Todd. Model Lily D. Moore.
f3 – freiraum für fotografie Radical Beauty
Radical Beauty stellt unsere Vorstellungen von Schönheit, Attraktivität und Ästhetik radikal in Frage. In dem weltweit einzigartigen Fotoprojekt porträtierten über 60 international renommierte Mode- und Kunstfotograf*innen, darunter Brian Griffin, Gottfried Helnwein, Eva Losada, Erwin Olaf und Elizaveta Porodina, ausschließlich Models mit Down-Syndrom.
Es ging darum, Leute mit Trisomie 21, Down-Syndrom (früher sagte man Mongoloismus) zu fotografieren, wofür man internationale Spitzenfotografen geholt hat. Wenn ich die Schrifttafel richtig zugeordnet habe, war Thomas Todd schon im Ruhestand und hat nicht mehr fotografiert, und sie haben ihn überredet, die Kamera doch nochmal rauszuholen.
Ehrlicherweise muss man sagen, dass nicht alle Bilder dort so toll sind. Das Down-Syndrom hinterlässt nun einmal deutliche Spuren, die nicht unbedingt schöner machen.
Lily D. Moore ist Down-Aktivistin, Model, Produzentin, Youtuberin und so weiter, und auch ihr sieht man das Down-Syndrom deutlich an. Aber sie hat eben (im Gegensatz zu manchen anderen der dort abgebildeten) Model-Erfahrung und weiß, wie sie sich darstellen muss und worum es geht. Und Todd weiß offenkundig, wie man Portraits macht. Und beide haben da zusammen ein Portrait gemacht, das, wenn man da davor steht, sehr beeindruckend wirkt, und das ein Hingucker ist, bei dem man stehen bleibt und es betrachtet. Wie Fotografie sein soll.
Und das man sich nicht deshalb aufhängen würde, weil man tolerant sein will, gerecht und gleichstellend, inklusiv und barmherzig, nicht aus Mitleid und Gönnerhaftigkeit gegenüber Behinderten, sondern weil das Bild gut ist. Das wirkt enorm, wenn man davor steht, wie in der Ahnengalerie eines Schlosses.
Zwischenfazit
Ich weiß nicht, ob ich noch dazu komme, mir mehr anzusehen, und ob ich das überhaupt will und mir die (knappe) Zeit wert ist.
Aber:
Es fällt mir auf, wie wenig Leute noch ordentliche Fotos abliefern, und wieviele Leute das gar nicht mehr merken, wie wenig sie können, weil nicht nur die Fähigkeit weg ist, sondern das ganze Bewusstsein dafür.
Da wächst eine Generation von Leuten heran, die gar nicht mehr wissen, was eine Kamera ist, wie man sie bedient, wie man ein Bild gestaltet, und die eigentlich nur noch fotografieren, wie man mit dem Handy für die Social Media knipst. Die Leute machen keine Bilder mehr, die gestalten nicht mehr, sondern die kommen nur noch irgendwo vorbei oder erleben subjektiv irgendwas, drücken drauf, hauen das raus. Ohne irgendwie darüber nachzudenken, wie das auf den Betrachter wirkt, was der Betrachter damit anfangen soll.
Das ist gefährlich, das geht schief.
Mir ist das damals bei der Aktfotografie aufgefallen, dass man dem neurologischen Fehler unterliegt, beim Fotografieren den Eindrücken der Situation zu unterliegen. Da steht man im Studio, der Sabbel läuft einem, man hält sich für den Aktfotografen des Jahrhunderts, Helmut Newton kann einpacken, weil man gerade das Geilste macht, was überhaupt je gemacht wurde.
Und wenn dann die Filme aus dem Labor kommen, und man sich die Bilder dann ansieht, denkt man sich „Was habe ich denn da für einen Scheiß zusammenfotografiert?“
Weil das Gehirn beim Fotografieren immer das Erlebnis, den subjektiven Eindruck, das Dreidimensionale, das Dynamische, Ton, Geruch, Hintergrund, was um einen herum passiert, mit reinnimmt und ins Gedächtnis pflanzt.
Sieht man aber später das Bild, dann ist das alles weg. Dann hat man ein totes, rechtechtikeges, stummes, zweidimensionales flaches Bild ohne Kontext, ohne drumherum, ohne vorher und nachher, ohne Situation, das für sich alleine wirken muss. Und das tut es eben meist nicht.
Und das merken die nicht mehr.
Und es scheint, als merken es auch die Galeristen nicht mehr. Oder als hängten sie das nur deshalb auf, weil nichts besseres mehr kommt.
Es zeigt, wie siech die Fotografie im Zeitalter der Handys und Social Media geworden ist. Und wie hilflos die Leute heute vor dem Thema stehen, obwohl sie sich ja alle so überlegen vorkommen.
Wie gesagt, die Kamerahersteller melden, dass die Verkaufszahlen in den Einsteigerbereichen überraschend wieder ansteigen und ein totgeglaubtes Segment doch wieder lebt.
Die Frage ist aber, ob das der Fotografie noch helfen kann.
Denn früher, bis vor etwa sechs, sieben, acht Jahren, waren Kameras Fotokameras, von denen manche auch – mehr oder weniger gut – Filme aufnehmen konnten.
Heute sind Kameras Filmkameras, die – mehr oder weniger gut – auch noch Fotos aufnehmen können.
Technisches Detail am Rande: Einige moderne Kameras können Fotos nicht nur RAW (gut aber riesig) und JPEG (klein und direkt verwendbar aber schlecht) sondern inzwischen auch als HEIF abspeichern, ein vom HEVC Videoformat abgeleitetes Fotoformat. Technisch gesehen sind dann Fotos nur noch Videos, die aus nur einem einzigen Bild bestehen. Fotografie also nur noch ein Spezialfall der Videographie.
„Promptographie“
Deutlichstes Merkmal des Niedergangs war eine Ausstellung, die nicht mehr Fotos, sondern KI-Bilder präsentierte, gruselig, und das dann „promptography“ nannte, weil die KI-erzeugten Bilder mit dem bloßen Auge nicht mehr von Fotografien zu unterscheiden, aber viel besser seien. („Prompt“ ist die Bezeichnung für die Textbeschreibung, mit der man ein Foto bei der KI anfordert. Und billiger und schneller sei es auch noch.
Es geht nicht mehr ums Machen, ums Herstellen, sondern nur noch darum, Wünsche zu äußern. Man sagt nur noch, was man ungefähr will, und wird mit dem Ergebnis versorgt.
KI-Fotos sind aber nur Mischungen, Rekombination des schon Bestehenden, des Alten, auf die die KI trainiert wurde.
Es erinnert mich an den linken Umgang mit Geld und Arbeit: Man arbeitet nicht mehr, sondern man verheizt die bestehende Substanz. Und so machen sie es mit Fotos. Sie schaffen keine mehr, sondern beuten die bestehende Substanz aus.
Der Vorteil ist freilich, dass die KI – im Gegensatz zur heutigen Generation – in der Lage ist, Bildaufbau, Farben, Bildgestaltung, Umgang mit Brennweite, Blende und so weiter zu erlernen.
Die KI kann besser mit einer Kamera umgehen, obwohl sie keine hat, als heutige „Fotografen“.