Ansichten eines Informatikers

Leichenbesichtigungen

Hadmut
26.4.2025 12:49

Also … ich will es ja niemandem madig machen, aber ich kann mich partout nicht dafür erwärmen,

Tote aufzubahren und zu besichtigen.

Ja, mir ist klar, dass das in vielen Ländern üblich ist. In den USA haben sie ja eigens diese Särge mit Klappdeckel, aber auch in Deutschland ist das nicht unüblich, auf der Beerdigung den Deckel nochmal aufzumachen, um „ihn ein letztes Mal zu sehen“.

Ich kann damit nichts anfangen. Das ist mir in jeder Hinsicht wesensfremd.

Ich finde das gruselig, Tote zu besichtigen, weil Tote oft unnatürliche, mehr oder weniger entstellte Gesichtszüge haben, entweder aschfahle oder – je nach Todesart – in die entgegengesetzte Alternativgruseligkeit verschobene Farbtöne annehmen können, oder auch Leichenflecke im Gesicht und so weiter und so fort.

Ich kann mir zwar vorstellen, dass manche Leute das brauchen, damit das im Kopf ankommt, dass er auch wirklicht tot ist, und das nicht nur ein Gerücht, dass die den Toten so sehen müssen, dass man auch sieht und glaubt, dass der tot ist. Das kennt man übrigens nicht nur von Menschen, auch manche Tierarten und vor allem Menschenaffen und Elefanten machen so etwas, selbst Hunde. Es gibt Aufnahmen aus Zoos, auf denen Tierpfleger etwa auf der Schubkarre den verstorbenen Clanchef von Schimpansen oder Gorillas abholen und das zur regelrechten Trauerprozession wird, weil die sich dann tatsächlich in einer Reihe aufstellen, Spalier bilden, jeder einzeln Abschied nimmt, die Pfleger dann bedächtigen, feierlichen Schrittes den Toten an den Untertanen vorbeifahren – Stille.

Es läuft gern unter dem Schlagwort „Abschied nehmen“. Auch Gräber und Trauerfeiern macht man ja nicht für den Toten, sondern für die Lebenden.

Trotzdem:

Ich kann mich mit der Besichtigung von Leichen überhaupt nicht anfreunden. Ich finde das unwürdig, unangemessen, abstoßend.

Im Fernsehen sagen sie gerade, dass Leute vor dem offenen Sarg von Franziskus Selfies gemacht haben.

Nun überlege ich, ob das etwas mit Hirnstrukturen zu tun hat. Ob das wieder ein Teil der Rudelmechanik ist. Dass das Hirn vielleicht so auf einen Chef, Leithammel, Patriarchen geprägt ist, die Amygdala so programmiert ist, dass sie von dem erst wieder loskommen, wenn die Leichenerkennung angeschlagen hat.

Normalerweise finden wir Leichen eklig, gruselig, abstoßend, furchteinflösend. Das ist auch richtig so, denn nicht selten sind in der Geschichte der Evolution Individuen an Krankheiten oder Vergiftungen gestorben. Das ist ein Überlebenstrieb, sich von Leichen fernzuhalten. Ekel ist ja der evolutionär erworbene Trieb, sich von allem fern zu halten, was tödlich, gefährlich, giftig sein könnte. Deshalb und dazu haben wir auch eine Mustererkennung, um Tote als tot, nicht mehr lebend zu erkennen (was ja nun auch nicht schwer ist, sobald die mal ein paar Stunden tot sind). Möglicherweise braucht es dieses Signal, um den Verblichenen aus seiner Hierarchieposition zu löschen und den Platz wieder freizumachen, die Sedisvakanz im Hirn zu eröffnen.

Das kann durchaus neuronale Gründe haben, dass Leute einen Toten besichtigen, sehen, müssen (und sollen), um die Leithammelprägung wieder zu öffnen.

Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb, weil ich nicht leithammelaffin bin – fehlt mir dafür das Verständnis.

Ich hatte mal beschrieben, dass ich in Windhuk eine Besichtigungstour in eines der Townships gemacht habe und wir auf dem Weg dahin Zwischenstop am Friedhof gemacht haben. Normalerweise finde ich Friedhöfe, Grabsteine, Kreuze zwar nicht angenehm als Aufenthaltsort, aber sehr fotogen. Ich hatte gefragt, warum die Gräber so schmucklos, ungepflegt, kaum als solche erkennbar sind, als habe man die Leute verscharrt und vergessen. Man sagte mir, dass es in Afrika keinen Leichenkult gibt. Die Leute trauern – gerade weil sie abergläubisch sind und an Zauberei und so weiter glauben – in der Erinnerung an den Toten und den Glauben an seine Seele, aber die Leiche interessiert sie überhaupt nicht, die wird quasi als Abfall betrachtet, der einfach weg kann. Es gibt keinen Grund, Gräber zu besuchen oder zu schmücken und pflegen, weg ist weg.