Malediven: Der Müll-Schock
Ihr müsst jetzt tapfer sein. Ich komme zwar viel zu spät, will Euch aber trotzdem eine Vorstellung vom Traumüberlaub zertrümmern.
Ja, ich weiß. Es ist schlimm. Nun ist das schon wieder einen Monat her, dass ich auf den Malediven war, und ich habe die geplanten Blog-Artikel immer noch nicht raus. War zu viel zu tun. Eigentlich wollte ich die Bilder schon auf dem Rückflug zusammenstellen, hatte da aber den einzigen Flug ohne freien Nachbarplatz und nicht genug Platz für den Rechner. Dann noch Sharjah, Abu Dhabi, Reiseklamotten waschen, Wohnung aufräumen, Weihnachten, Neujahr, noch ein paar andere Sachen, Bloggen, dann hat sich sogar noch ein Model gemeldet, die unbedingt noch ein Aktshooting haben wollte, dann noch ein paar Softwareprobleme, Terminsachen, Freunde, Verwandte, Bekannte rufen an, Einkaufen auch noch, und … naja. Hat halt gedauert. Kommt jetzt also.
Eigentlich wollte ich diesen Blog-Artikel als den letzten bringen. Ich hatte aber vor einem Monat schon geschrieben, dass mir auf der Insel Gulhi erst mal der Kiefer runtergeklappt ist. Ich dachte, ich seh nicht recht. Und nun haben schon so viele Leute bei mir angefragt, ob ich den Artikel vergessen oder sie ihn übersehen hätten. Und weil’s ein ganzer Monat Verspätung ist, fange ich – entgegen meiner geplanten Dramaturgie als Abschluss-Hammer nach den schönen und berichtenden Bildern – doch mit diesem Artikel an. Es kommen dann auch noch ein paar schöne – oder wenigstens seltsame – Artikel.
Gulhi ist, wie schon beschrieben, eine kleine, aber keine der ganz kleinen Inseln, keine der Touristen-Inseln, sondern eine einheimische Insel. Bis vor ein paar Jahren war das noch strikt getrennt, Touristen durften nicht auf Einheimischen-Inseln übernachten, und Einheimische durften nur auf die Resort-Inseln, wenn sie dort arbeiteten. Wusste ich vorher alles nicht, ich habe mir einfach aus der Hotel-Webseite ein günstiges Hotel ausgesucht, bei dem die Bilder vom Hotel und der Insel toll aussahen. Und war günstig. Ich habe für eine ganze Woche dort US$ 500 gezahlt (inklusive Frühstück, Mittag- und Abendessen sowie Ausflüge separat zu zahlen), dafür bekommt man in den Resorts gerade mal ein oder höchstens zwei Nächte, und das auch nur in den günstigsten. Es gibt auch Inseln, bei denen man zigtausend Dollar pro Nacht zahlen kann. Ein schönes Hotel auf den Malediven zu einem Preis, den man anderswo manchmal für Jugendherbergen zahlt, war mir den Versuch wert. (Und um auf die anderen Artikel vorzugreifen, wegen der nunmehr falschen Reihenfolge der Artikel: Der Urlaub ist zwar ins Wasser gefallen, aber das lag nur am Wetter, ich hatte nämlich nur einen richtig guten Tag, und an allen anderen Tagen fast nur Sturm und Starkregen. Das in einem anderen Artikel. Was ich hier beschreibe, war zwar Bäh, aber hat mich in meinem Urlaub nicht so wirklich beeinträchtigt. Allerdings in meiner Bereitschaft und Entschlossenheit, diesen Urlaub weiterzuempfehlen.)
Zwar hatte ich das schon gelesen, dass Gulhi eine Einheimischen-Insel ist, und deshalb einfach mit weniger Luxus, aber authentischerer Lebensweise gerechnet. Und eigentlich sogar den schöneren Plätzen.
Wie man eben an obigem Link sieht, ist Gulhi eine kleine Insel, die man bequem schlendernd und ohne Eile in ungefähr 20 Minuten zu Fuß umrunden kann. Es gibt da sowieso nichts anderes als zu Fuß zu gehen, an Fahrzeugen habe ich nur ein Kinderfahrrad, zwei Schubkarren und einen Slipwagen für Boote entdeckt. (Die Nachbarinsel Maafushi ist auch nicht viel größer, aber auf der fahren sie mit Autos, Motorrädern und sogar ein paar LKW herum.)
Ich kam da also im Hafen an und bin direkt zum Tropic Tree Hotel, das ja nur ein paar Meter weg ist. Habe eingecheckt, bin herzlich begrüßt worden mit Snack und Fruchtcocktail, habe mein schönes Hotelzimmer bezogen und wollte schnurstracks auf Erkundungstour um die Insel, die ich vorher auf Google Maps studiert hatte. Einmal den Strand außenrum. Und dann das.
Da liegt jede Menge Müll herum, man kommt sich an manchen Stellen vor wie auf der Müllkippe.
Sogar auf dem Inselfriedhof liegt der Müll:
Man sieht auf der Landkarte oben links so eine kleine dreieckige Mini-Insel, die früher mal getrennt war und durch Aufschüttung erreichbar wurde. Ich dachte vorher, das wär ein hübsches Urlaubsfleckchen. Da haben sie nochmal ihre gesonderte Müllhalde, wo sie einfach alles hinwerfen, noch einen Bagger zum Umrühren stehen haben und das Zeug hin und wieder einfach anzünden und verbrennen.
Besser sah es dann allerdings im Inneren der Insel aus, die Wege bestehen zwar nur aus Sand, sind aber deutlich sauberer, und auch der »Touristenstrand« (ca. 20 Meter breit) waren deutlich sauberer.
aber auch da in verlassenen Häusern der Müll:
Anfangs dachte ich, das wäre nur angeschwemmtes Treibgut, weil es doch auffällig war, dass innerhalb der Ortschaft wenig, außenrum aber viel Müll herumliegt. Nur: Das Wasser war völlig sauber. An den Schnorchelplätzen, an denen wir waren, lag gar nichts, was nicht Natur war, auf der Wasseroberfläche habe ich auch überhaupt nichts an Müll entdeckt, blitzeblank sauber, und selbst in der Umgebung von Gulhi im Wasser beim Schnorcheln vielleicht insgesamt drei alte Konservendosen gefunden. Das Meer selbst ist sauber, da kommt der Müll nicht her. Außerdem liegt er an Stellen, an denen das Wasser nie hinkommt. Und auf unbewohnten Inseln gibt’s auch keinen Dreck (außer dem, der von Picknick-Besuchen übrig bleibt), also wird er nicht angeschwemmt.
Und das war keine Besonderheit von Gulhi. Auch auf der Nachbarinsel Maafushi lag einiges an Müll herum, wenngleich auch deutlich weniger. Ich habe mir sogar von anderen Touristen sagen lassen, dass es selbst auf manchen Resort-Inseln solche Müllhaufen gibt, wenn man die – dort sauberen – Touristenbereiche etwas verlässt. Bei einem Tagesausflug zum Schnorcheln und auf eine Sandbank habe ich in der Ferne (etwa 20 km entfernt, in der Nähe von Male) eine riesige Rauchwolke entdeckt und den, der uns mit dem Boot dahingefahren hatte, schon besorgt gefragt, ob da vielleicht ein Terroranschlag oder irgendein Unglück passiert wäre. Nöh, meinte der, die brennen da auf der Müllinsel den Müll ab, machen die öfters. Einfach den Haufen Müll so wie er ist anzünden. Wie auf Gulhi im Kleinen.
Das hat mich echt aus den Socken gehauen. Damit habe ich übehraupt nicht gerechnet, weil ich immer so die Traumfotos von den Malediven gesehen habe, und dann deren Naturverbundenheit und Sorge ums Meer. Ich dachte immer, die hätten es so ganz besonders mit Sauberkeit und so, und hatte mir extra vorgenommen, nur ja keinen Plastikmüll oder sowas zu hinterlassen und alles wieder einzupacken und mitzunehmen, und dann das.
Wobei man allerdings auch sagen muss, dass es kein komplizierter Müll war. Kein verseuchter Boden, Öl, Biorückstände, keine Fäkalien oder sowas. Im Prinzip eigentlich harmloser Müll, weil man ihn einfach aufheben und einsammeln könnte, eben viel Plastikmüll, von den Badelatschen bis zu Unmengen an Plastikflaschen. Ich habe mir oft gedacht, dass man die Insel ohne weiteres an einem einzigen Wochenende aufräumen und sauber machen könnte, wenn alle Bewohner anpacken. Einmal Schulter an Schulter in einer Reihe außenrum und jeder hebt alles auf, worauf er stößt, ruckzuck wäre die Insel sauber. Zumal sie ziemliche Langeweile haben und – Erwachsene wie Kinder – dort stunden- und tagelang herumsitzen. Auf der ganzen Insel gibt es die landestypischen Liegesessel aus Rohr und Fischnetz. Die sitzen da und gucken Löcher in die Luft, die Kinder spielen. Zeit hätten sie genug. Mir war auch nicht klar, warum sie den Müll lokal ansammeln. Denn alles, was es an Material auf der Insel gibt, kommt über die tägliche Fähre, die auch alle Versorgungsgüter bringt. Kommt voll zu den Inseln, fährt leer zurück. Dann könnten die die Flaschen, die sie anliefern, ja auch wieder mit zurücknehmen.
Plastikflaschen wie blöde. Keine Ahnung, wie die das früher gemacht haben, als es die noch nicht gab. Im Hotel waren sie der Meinung, dass das zum Luxus und Service dazugehört, mir ständig und bei jeder Gelegenheit eine Flasche Wasser zu geben. Am Ende der Woche hatte ich im Zimmer ca. 10 volle, ungeöffnete Plastikflaschen Wasser mehr als ich in der Woche getrunken hatte (gut, das Wetter war schlecht und es deshalb nicht so warm.) Keine Gnade, man bekommt zu jeder Gelegenheit eine überreicht, ob man sie braucht oder nicht. Und dann haben sie eben jede Menge Plastikflaschen da herumliegen. Ich habe nur einen einzigen auf der Insel entdeckt, der damit noch was sinnvolles machte:
Anfangs habe ich dazu nichts gesagt und so getan, als wäre das alles völlig normal.
Als ich mich nach ein paar Tagen mit den Leuten dort angefreundet und einen persönlicheren, kumpelhafteren Tonfall gefunden hatte, und als sie mir dann auch erzählten, welche Probleme sie haben und dass sie mehr Touristen bräuchten (mehr dazu im Artikel zum Islam, den ich noch schreibe), und mich baten, ihr Hotel zu loben (es ist ja auch sehr lobenswert), hab ich sie mal wohlwollend und freundlich angesprochen, so unter Freunden, und ihnen gesagt, dass das auf der Insel halt nicht so wahnsinnig einladend auf Touristen wirkt, und die anderen Besucher im Hotel sich auch mehr oder weniger entsetzt gezeigt hatten.
Sie haben mir dann ein bisschen was dazu erzählt.
Sie haben so eine Art Inselrat oder Inselversammlung (ich weiß nicht mehr, wie das auf englisch hieß, council oder sowas in der Art), und betreiben eine Art Selbstverwaltung, sind also relativ eigenständig und unabhängig, was die Verwaltung ihrer Insel angeht. Da sei’s schon oft hoch her gegangen, weil ein Teil der Bevölkerung den Müll loswerden will und sich gestört fühlt. Ein anderer Teil sieht das aber nicht ein, dass man Müll nicht einfach fallen lässt, und hält das auch gar nicht für Müll, weigert sich also, Müll zu sammeln oder wenigstens nicht hinzuwerfen.
Pervers: Sie sagten mir, es gäbe auf der Insel sogar Leute, die zweimal täglich den Weg vor dem Haus fegten, um den Schmutz zu entfernen. Dabei würden sie Blätter von den Bäumen aufheben und entfernen, weil sie sie als Müll empfinden. Die Plastikflaschen und andere Abfälle lassen sie dagegen liegen, weil sie sie nicht als Müll empfinden (wollen). Und tatsächlich sieht man die Leute die Straße fegen.
Sie fragten mich auch, wie wir das in Deutschland so machen. Naja, sagte ich, wir sammeln die ein und recyclen die (hoffentlich stimmt das auch…). Dazu haben wir ein Pfandsystem, das dafür sorgt, dass die Leute die Flaschen zurücktragen. Selbst wenn jemand seine Flasche wegwirft, würde sie jemand anderes aufheben, um das Pfand zu bekommen. Dann würden die Flaschen geshreddert und wiederverwendet.
Oh ja, meinte der zu mir, das wäre ja so schön, wenn sie auch ein Recycling-System für den Plastikmüll hätten. Nur gäbe es sowas leider nicht, die Malediven wären einfach nicht groß genug dafür, kein Platz mehr. (Paradox: Für Müll haben sie auch keinen Platz mehr.)
Als ich dann bei der Abreise wieder an den Flughafen kam, dachte ich, mich tritt ein Pferd: Dort am Flughafen steht neben den normalen Mülltonnen jeweils eine zweite Mülltonne, mit der sie Plastikflaschen zum Recycling sammeln: