Ansichten eines Informatikers

Wo ist die Leiche? Keiner hat sie, keiner findet sie…

Hadmut
27.1.2016 20:50

Pffff.

Da ging heute eine Meldung herum, die gleich schon wieder enorme Empörung auslöste, sofort kamen all die Blumen-Kerzen-Beileids-Bekunder herbei, Helfer klagen an, er sei erfroren, hieß es.

Ich habe so über den Tag, beim Mittagessen ab und zu mal in die Meldungen geguckt, und da ging das immer so darum, dass der Mann, ein 24-jähriger Syrer, tagelang in der Kälte vor dem Lageso ausgeharrt habe, sei vorher schon krank gewesen, sei wegen der Kälte und Nässe immer kränker geworden, habe auch kein Geld gehabt, habe deshalb hungern müssen, haben Lungenentzündung bekommen, keine Krankenversicherungskarte, konnte sich trotz schwerster Krankheit nicht behandeln lassen, sei dort unter Zuckungen kollabiert, man habe ihn dann in schon nicht mehr ansprechbarem Zustand vom Rettungswagen abholen lassen, und im Krankenhaus sei er dann leider verstorben. So oder so ähnlich ging das durch die Berliner Presse.

Gute Güte, wie traurig. Dachte schon, warum bekommen die das da immer noch nicht organisiert? Warum muss man da tagelang rumstehen um dranzukommen, warum machen die nicht einfach Terminals und Büros an die Unterkünfte oder fahren mit dem LKW im Kreis herum von Ort zu Ort?

Ärger auch über die Frage, mit der mich Schwerdtfegr zitierte, warum Berlin da Leute tagelang in der Kälte rumstehen hat, gleichzeitig aber 800.000 Euro rausschmeißt, um das Studentenwerk generistisch in „Studierendenwerk” umzubennen, was selbst aus Gendersicht nichts bringt, weil sie dann immer noch von dem Studierenden und der Studierenden reden. Zumal sie ja bei Professor an Professor und Professorin und bei Doktor an Doktorin festhalten und nicht von Professende und Doktorierende reden. Für so’n Scheiß werden 800.000 rausgehauen, aber eine ordentliche Anmeldung bekommen sie da nicht hin.

Dann wurde das seltsam. Irgendwann hieß es, die Feuerwehr (der Rettungsdienst wird in Berlin von der Feuerwehr betrieben) wisse nichts von diesem Notfall. Irgendwo hieß es in der Presse, Skandal, warum weiß denn die Polizei nichts von dem Fall? Denn die Polizei wusste auch nichts von dem Fall, meinte aber, sie wüssten schon ganz gerne, was da eigentlich los ist, und würden seit frühmorgens sämtliche Krankenhäuser usw. abtelefonieren. Keiner wüsste was von diesem Fall.

Irgendwann hieß es, sie finden ihn nicht. Keine Leiche. Da habe ich mir schon überlegt, woher sie eigentlich wissen wollen, woran der gestorben ist, wenn sie keine Leiche haben und nicht wissen, wer der behandelnde Arzt gewesen sein soll.

Irgendwo habe ich dann gelesen, dass eine Helferin, aus deren Ecke die Information gekommen war, sich weigerte, den Namen des Toten mitzuteilen und auch, wo der abgeblieben wäre. Aus Datenschutzgründen und um dessen Privatsphäre zu wahren. Privatsphäre eines Toten? Da dachte ich dann noch, na, wer weiß, woran der wohl gestorben ist und als was sie das jetzt verkaufen. Unterkühlung und Lungenentzündung durch Messer im Rücken oder sowas.

Inzwischen scheint sich jedoch herauszukristallisieren, dass es den nie gab.

Die Story scheint frei erfunden zu sein.

Ärgert mich gerade, dass ich das nicht gleich ernst genommen und mir die Links und die Seiten gesichert habe, denn viele sind inzwischen verändert worden. Jetzt heißt es „soll gestorben sein” statt „gestorben”, durch „angeblich” ergänzt und so.) Schöner Zitatschnipsel, den man noch in irgendeinem Kommentar als Zitat findet:

Eine Sprecherin von “Moabit hilft” schildert die Ereignisse in der Nacht so: “Wir kannten den jungen Mann seit Wochen. Er hatte kein Geld für Essen, stand immer an vor dem Lageso, hat dort übernachtet.” Sie hätten ihm Kleidung gebracht. In den vergangenen Tagen habe er “ausgezehrt” ausgesehen, “er wurde krank”, berichtet die Sprecherin dem Tagesspiegel am Morgen.

Möglicherweise war der Ursprung dieser Legende dieses Facebook-Posting (inzwischen durch einen weiteren Text ergänzt, mal nach unten scrollen).

Jetzt wollte die Presse mal ganz schnell sein (ging ja mal in die andere Richtung), und wieder war’s nichts.

Ich frage mich allerdings, wie sowas entsteht.

Es könnte natürlich sein, dass da ursprünglich einfach nur ein Fehler, eine Verwechslung, ein Missverständnis stand, kann ja passieren, und das auf Leute getroffen ist, die ungeprüft alles glauben und rausposaunen, was ihnen ins Bild passt. Und sich das so hochschaukelt und verstärkt, weil gleich jeder das Ding sofort weiterreicht und noch zwei Pfund drauflegt. Keine einzelne, lokalisierbare Ursache, sondern so eine Tratschweiberkette.

Oder jemand hat das im Rahmen der heute marktüblichen Desinformation ganz bewusst in die Welt gesetzt.

Was die nächste Frage aufwürfe:

Kann man so dämlich sein, zu glauben, dass man so eine Story von armen Verstorbenen bringen kann, ohne eine Leiche dazu zu haben? Keinen Namen zu haben, ist plausibel, wenn der sich noch nicht anmelden konnte. Aber ne Leiche bräucht man halt schon. Und nen Arzt. Und nen Rettungswagen. Und ein Krankenhaus.

Oder war das von vornherein als Stunden-Hoax gedacht, um einfach noch mehr Verwirrung und Verunsicherung zu stiften, bis keiner niemandem gar nix mehr glaubt?

Irgendwann wird es wieder irgendwo einen Toten geben. Wird man es dann glauben oder es wieder für einen Phantomleiche halten?

Ich bin mal gespannt, was da noch rauskommt.

Was aber auch wieder mal heißt: Von wegen, das Internet vergisst nichts. Viele heikle Informationen sind oft schon nach wenigen Stunden weg oder verändert, zurückgezogen, ausgesperrt, geblockt oder zensiert. Im Prinzip müsste man das alles immer sofort in Echtzeit archivieren.

Ein Kommentar (RSS-Feed)

[…] Oh, gibt es da etwa nicht einmal eine leiche? Huch! Da wird sich die scheißpresse doch nicht etwa einen bären aufbinden lassen haben, denn das […]