Ansichten eines Informatikers

Reemtsmas Kritik an der Sozialforschung

Hadmut
6.3.2016 11:00

Sollte man sich mal anschauen.

Eins meiner wiederkehrenden Themen im Blog ist ja, dass die Soziologie keine Wissenschaft, sondern hirnloses, fehlerhafts, politisiertes, ideologiesiertes, willkürliches Gefasel ist, ein Auffangbecken und Futtertrog für all jene, die an Universitäten wollen, aber einfach zu doof dazu sind. Die Institutionalisierung des willkürlichen Behauptens.

Jan Philipp Reemtsma, einer von denen, die einfach reich auf die Welt gekommen sind, Dreiviertelmilliardär, aber in deren Kategorie einer in der Unterkategorie, die diese Freiheit nutzt, das Hirn zu gebrauchen, und der auch als Mäzen auftritt und sein Geld spendet. Oh, versteht mich nicht falsch, das ist keine Sympathiebekundung und kein sonderliches Intelligenzlob. Denn er hat Alice Schwarzer viele Millionen rübergeschoben, und sowas ist weder akzeptabel noch intelligent. Denn immerhin ist Reemtsma ja seit 30 Jahren Chef eines (selbstfinanzierten, wenn man Geld hat, geht sowas) Instituts für Sozialforschung, und da fragt man sich da schon, wofür die eigentlich das Hirn und Geld vergeudet haben, wenn sie nicht gemerkt haben, was für ein Schwindel und Betrug hinter Feminismus steht. Im Prinzip muss man ihn damit sogar als Finanzier von Kriminellen ansehen, und damit mindestens als Beihelfer. Eine seltsame Verbindung zwischen einem, der nicht arbeiten muss, weil er soviel Geld hat, und diesem Feminismus, dessen Ziel es ist, auf Kosten anderer zu leben.

Auf 30-jährige Vergeudung geistiger und finanzieller Ressourcen deutet allerdings seine eigene Kritik in seiner Abschiedsrede hin, über die die WELT berichtet: „Gewalt als attraktive Lebensform betrachtet”

“Gewalt als attraktive Lebensform betrachtet” hat Reemtsma seinen Abschiedsvortrag überschrieben. Die Gewaltforschung ist seit Langem ein Arbeitsschwerpunkt des Instituts – so gesehen also nichts Neues. Doch der angehende Emeritus setzt einen ungewöhnlichen Akzent, indem er Gewalt nicht in herkömmlicher Soziologenart als Folge irgendwelcher sozialen Umstände, sondern als selbstgewählte, selbstbestimmte, als in sich ruhende ins Auge nimmt: eben als attraktive Lebensform, die ohne Begründung gut auskommt.

Warum brennen in französischen Vorstädten Autos? Warum gründen junge Leute ein Gebilde namens RAF und ermorden Menschen? Warum zieht ein Kölner Rapper in den Irak und tötet als Dschihadist vor laufender Webcam Menschen? Das fragen wir uns immer wieder, wie wir uns auch immer wieder fragen, warum ansonsten ganz normale Männer bereit waren, im Holocaust Juden industriell zu ermorden.

Schon seit geraumer Zeit dreht Reemtsma diesen Fragespieß herum: “Ich möchte hingegen fragen, warum wir so fragen. Warum meinen wir, die Soziologie, die Psychologie und in gewissem Sinn die Historiografie könnten uns etwas ‘erklären’, soll heißen: uns sagen, was dahintersteckt?” Und dann: “Lassen Sie uns banal miteinander werden. Wenn einer irgendetwas tut, nehmen wir an, dass er das tut, weil er das tun will.”

Das ist ja ein zentraler Punkt, eng verwandt mit diesem Poststrukturalismus, der eine solche Formung durch Sprache usw. sieht.

Generell halten uns ja Soziologen, Feministen, Genderisten alle für blöd. Nämlich für eine beliebig formbare Knetmasse, weder biologisch bestimmt, noch mit eigenen Entscheidungen ausgestattet, die alleine durch ein soziales Umfeld unfreiwillig geformt und in ein Schema gezwungen wird. Darauf basiert ja deren Ansicht, dass die Frau nur eine gesellschaftliche Erfindung ist und nach der Geburt aus frei und neutral geborenen »Rohlingen« gepresst wird, der Vorwurf des „Sexismus” und „Rassismus” (die mal als eben dieses Pressen in eine Form auffasst), die Bedeutung von Sprache und Gesprochenem (daher diese ständigen Sprachvorschriften, -verbote, -veränderungen, die political correctness).

Um davon weicht Reemtsma jetzt ab, indem er sagt, dahinter ist nichts, die machen das einfach, weil sie wollen, weil es sich lohnt, weil es Spaß macht.

Das ist, erst recht an diesem Ort, eine ziemliche Provokation. Dem allgemeinen Komment zufolge will ja Sozialforschung gesellschaftliche Phänomene erklären, und das soll heißen: ihre Vorgeschichte ausleuchten, die in ihnen wirksamen Motive ausfindig machen, ihre tieferen Gründe entschlüsseln. Sozialforschung legitimiert sich durch das Angebot, dem Laien etwas verständlich zu machen, was er mit seinem gesunden Laienverstand nicht zu begreifen vermag.

Das hat noch nie gestimmt, denn einem Laien etwas verständlich zu machen, was der Laie nicht begreifen kann, kann eben auch daran liegen, dass es nicht stimmt. Daher müsste vorher eine Verifikation stattfinden. Und die gibt es in der Sozilogie nicht nur nicht, sondern der geistes- und sozialwissenschaftliche Komplex bestreitet schlechthin, dass es sowas gibt. Ich erinnere daran, dass das Verwaltungsgericht Berlin gerade meine Frage, wie man feministische Behauptungen verifiziert hat, als unzulässige Polemik abtat, in Geisteswissenschaften dürfe man erst gar nicht nach Verifikation fragen.

Der Sozialforscher, meint Reemtsma, ist dem Laien gegenüber nicht im Vorteil, und das Erklären hat keinen höheren Rang als das Beschreiben

Das ist genau der Ansatzpunkt.

Reemtsma bestreitet nun im Grunde, dass dieses sozialforscherische Bemühen überhaupt sinnvoll ist. Der Sozialforscher ist dem Laien gegenüber nicht im Vorteil, und das Erklären hat keinen höheren Rang als das Beschreiben, die analytische Prosa ist der literarischen Prosa nicht überlegen.

Ausdrücklich wirbt Reemtsma dafür, die Grenze zwischen Erklären und Beschreiben wenn nicht einzureißen, so doch zu verwischen. Für die Sozialforschung und für sein mehr als 30 Jahre altes Institut heißt das eigentlich: alles wieder auf Anfang zu setzen. Man kann das als freundliche, bescheidene und generöse Geste gegenüber seinem Nachfolger und den Mitarbeitern deuten – fangt einfach, unbelastet vom Erbe, neu an. Doch Reemtsma meint es auch grundsätzlich.

Sollte man in der Sozialforschung generell machen: Alles wegschmeißen und bei Null anfangen. Taugt nämlich nichts.

Lange lief die Sozialforschung mit dem Bewusstsein durch die Welt, eine Art Königsdisziplin (oder soll man sagen: Gottesdisziplin?) der Erkenntnis zu sein. Reemtsma macht in seinem Vortrag unmissverständlich deutlich, dass er davon nichts hält. Die Sozialforschung, die im Kleide der Geschichtsphilosophie daherkommt, will die Stelle besetzen, die Religion und Theologie haben räumen müssen – ein durchaus vormodernes Manöver, eine Usurpation. Sie liefert trügerische Verstehenssicherheit.

Das sage ich ja schon lange, dass die Soziologie und vieles aus dem Bereich der Geistes- und Sozialwissenschaften keine Wissenschaften sind, sondern im Hirn die Stelle der Religion belegen. Verstehen kommt eben nicht ohne Verifikation aus.

Attraktiv ist die “Versuchung durch Grenzenlosigkeit”, weil sie mit einem Schlag und großer Geste von der täglichen Last der Selbstkontrolle, der Rücksichtnahme, des Sichzurücknehmens befreit. Gewalt als attraktive Lebensform besitzt eine Grandiosität, die dem bürgerlichen Leben grundsätzlich abgeht.

Stimmt. Genau das läuft ja gerade in Berlin ab, wo die „Linksautonomen”, ebenso wie die arabischen Großfamilien, immer krimineller werden und sich immer hemmungsloser über Recht und die Rechte anderer hinwegsetzen und in immer hemmungsloserer Gewalt versinken. Insofern sind die Vorgänge um den linken Block, gerade so dieser Bereich Rigaer Straße, prinzipiell nichts anderes als die Enthauptungsvideos des Islamischen Staates. Es geht einfach nur darum, sich an gar keine Regeln und Erkenntnis mehr zu halten und einfach grenzenlos Gewalt rauszulassen. Also alles fallen zu lassen, was die letzten 10.000 Jahre Zivilisation erbracht haben.

Hier ist alles vermittelt, eingekastelt, jeder Mensch ist vereinzelt, abhängig, weithin ohnmächtig; nie kann er das Gefühl haben, Teil eines großen Ganzen oder gar das große Ganze selbst zu sein. Sein Leben ist ein ständiger Kompromiss, und es fällt ihm nicht leicht, diese Kompromisse als segensreich zu erleben.

Immer wäre das Eigentliche: mehr und viel größer. Das Allergrößte aber ist die Selbstermächtigung, den Körper eines anderen zerstören zu dürfen. Reemtsma: “Bürgerliche Gesellschaft hat die direkte Macht, die in der Zerstörung des anderen Körpers ihren extremen Ausdruck findet, abgeschafft. Da gibt es Machtfragmentierung, da gibt es Prozeduren, Verrechtlichungen, Verzögerungen – der direkte Zugriff bleibt auf der Strecke.” Gewalt kann dagegen als Lebensform attraktiv werden, weil sie sich diesen Zugriff zurückholt.

Zutreffend beobachtet, aber nicht verstanden und deshalb falsch erklärt. (Was halt zeigt, dass es mit dem Beschreiben alleine eben doch auch nicht getan ist.)

Denn warum hat der Mensch sich so ausgebreitet, wird so alt, hat die Zivilisation geschaffen?

Durch Kooperation.

Weil eben nicht jeder für sich alleine gewalttätig herumstreift. Würden wir das nämlich weiter tun, würden wir immer noch in Höhlen leben, mit der Holzkeule herumstreifen, und eine Lebenserwartung von 20 Jahren haben.

Und Kooperation funktioniert eben nur mit Regeln. Die Frage ist natürlich – Stichwort Rigaer Straße – inwieweit man sich aus dieser Kooperation einerseits verabschieden kann, andererseits aber deren Produkte und Leistungen (Städtische Infrastruktur, Läden, Dienstleistungen, Hartz IV, Schutz vor Angriffen usw.) in Anspruch nehmen kann und darf. Denn wie könnte man frei von Zivilisation und Zwängen sein, wenn man dabei Häuser besetzt, die andere gebaut haben, die angebliche Freiheit von Zwängen bei Licht betrachtet nur schnöder Raub ist? Und damit effektiv auf dem Ansinnen beruht, sich selbst von Zwängen zu befreien, die andere aber bitteschön einhalten mögen um die eigene Versorgung zu gewährleisten? Ein konsequenter Autonomer würde niemals eine U-Bahn benutzen. Die real existierenden Autonomen sind Schwarzfahrer.

Nichts ist überwunden: Vor Jahren ist Jan Philipp Reemtsma in seinem Buch “Vertrauen und Gewalt” dem Paradox nachgegangen, dass die Moderne des 20. Jahrhunderts ein bisher nicht bekanntes Maß extremer Gewalt hervorgebracht hat – ohne dass wir das Vertrauen in eben diese Moderne verloren hätten. Holocaust wie Gulag haben ein für allemal vorgeführt, dass es keinen Grund gibt, Regeln, Übereinkünften oder so etwas wie Humanität zu vertrauen.

Und doch können wir ohne dieses Vertrauen keinen Tag leben, in Beziehungen nicht, im Arbeitsleben nicht, selbst im Straßenverkehr nicht. Dieses Paradox ist nicht aufzulösen – auch dadurch nicht, dass wir die extreme Gewalt zu einem Rätsel erklären, das zu lösen wäre. Tun wir das, tragen wir nicht zur Erkenntnis bei, sondern ziehen nur – durchaus selbstbezogen – die Enttäuschung darüber in die Länge, dass der im 18. Jahrhundert aufgekommene Geschichtsoptimismus ganz und gar trügerisch war.

Tja. Wieder falsch verstanden. Kommt halt davon, wenn man sich mit Geisteswissenschaften begnügt.

Denn dieses „Vertrauen” ist nichts anderes als die Bereitschaft, sich auf eben diese Kooperation, auch „Zivilisation” genannt, einzulassen. Und spieltheoretisch, meinetwegen auch individualbetriebswirtschaftlich, ist das eben eine lohnende Strategie. Nur so werden wir 80, und nicht nur 40 oder 20. Nur so ist Straßenverkehr möglich.

Und was sich spieltheoretisch bewährt, setzt sich langfristig evolutionär durch. Denn Evolution ist nichts anderes als spieltheoretisches Ausprobieren, Ausloten. Survival of the fittest. (Wobei fittest nicht, wie viele glauben, heißt, dass der »Fitteste« überlebt, sonder der, der am besten passt.)

Deshalb ist es nicht so, wie Reemtsma behauptet, dass das Paradox nicht aufzulösen wäre. Denn es ist kein Paradox, und braucht auch keine Auflösung. Ist halt nur so, dass einem das passende Werkzeug fehlt, wenn man sein Leben in der Soziologie verbracht hat. Da mag einem manches dann unerklärlich erscheinen.

Im Ergebnis muss man Reemtsma als so eine Art Halbintellektuellen, als Professor von eigenen Kontostandes Gnaden, einstufen. Einerseits ja, richtige Erkenntnisse, andererseits aber nicht genug Werkzeug in der Kiste, um damit richtig umzugehen.

Vorhalten muss man ihm aber, sich selbst zu widersprechen. Denn genau das, was er hier kritisiert, hat er mit den Millionen an Alice Schwarzer selbst finanziert. Wäre er konsequent (und rechtzeitig) auf den Trichter gekommen, hätte er Schwarzer keine müde Mark gegeben – und vieles wäre uns erspart geblieben. Vieles von dem, was er nun selbst als falsch hinstellt.

Und letztlich muss man ihm sogar vorhalten, dass er ja selbst 30 Jahre lang auf der Geistlosigkeit der Soziologen geritten ist. Denn nur deren Geistlosigkeit ermöglicht es ja, sich durch Geld darin hochzukaufen.