Ansichten eines Informatikers

Anmerkungen zu Böhmermanns “Gedicht” über Erdogan

Hadmut
12.4.2016 18:43

Eigentlich wollte ich das Thema übergehen. Aber jetzt sind mir doch zuviele Aspekte aufgefallen.

Zweierlei Maß

Ist Euch mal aufgefallen, wie eigentlich die gesamte Presse, das Fernsehen, die Politik zweierlei Maß anwenden?

Wir haben doch die ganze Zeit diese Diskussion um Hate Speech. Facebook, Twitter, Google, Zeitungskommentare, alles wird zensiert, bestraft. In Berlin durchsuchte die Polizei gerade in einer Großrazzia 60 Polizisten zehn Wohnungen von „Facebook-Hetzern” (zum Vergleich: Bei einem arabischen Clan mit Raub, Waffenbesitz, Auftragsmord und so waren es gerade 200 Polizisten in 14 Wohnungen.)

Was würde einem Facebook-Nutzer blühen, der öffentlich skandierte, Türken seien schwule Ziegenficker mit leeren Klöten, schlügen Frauen, guckten Kinderpornos?

Würde man sofort blockieren, denjenigen wegen Volksverhetzung und so anzeigen, verfolgen. Und findet es normal, dass die Bundesregierung auf Facebook einwirkt.

Macht das gleiche aber einer statt auf Facebook auf dem SPD-Propagandasender ZDF und mit dem Obertürken, ja, das ist Satire, Kunst- und Meinungsfreiheit und so, bloß weg mit dem Schah-Paragraphen! Und was geht das überhaupt die Regierung an?

Vergleicht einfach mal, was Medien und Politik zu Facebook-Hetze und was sie zu Böhmermann sagen. Da seht Ihr, was zweierlei Maß (Ups, fast hätte ich mich „zweierlei Maas” vertippt…) ist.

Wir sind hier in Deutschland längst bei einem Standes- und Kastenrecht angekommen. Ob und welches Recht angewendet wird, hängt längst davon ab, wo jemand politisch steht – oder auch nur vermutet wird.

Oder anders gefragt: Warum darf eigentlich das Propaganda-Staatsfernsehen, was der kleine Facebook-Nutzer nicht darf?

Satire

Ich kann diesen Begriff nicht mehr hören.

Ich habe das ja schon öfters thematisiert, dass es mir fürchterlich auf den Wecker geht, dass man lügt, beleidigt, desinformiert, täuscht, und wenn es rauskommt, einfach „Satire!” ruft. Die dürfe alles. So als müsse man nur dieses magische Wort rufen und alles sei exkulpiert.

Erinnert mich an das seltsame Verhalten von Kindern, die fest überzeugt sind, dass man straflos und moralisch unproblematisch lügen dürfte, wenn man dabei hinter dem Rücken die Finger kreuzt. Dann zählt’s irgendwie nicht.

Und wer es kritisiert, wird damit verächtlich gemacht, dass er „Satire” nicht verstanden hätte. Als wäre Satire irgendwie immun gegen jede Kritik. Alles austeilen, selbst nichts einstecken müssen. Komischerweise funktioniert das Argument „War aber auch Satire” nicht.

Die meisten Dinge, die heute mit „Satire!” bezeichnet werden, sind nach meinem Empfinden nicht mal Satire. Denn Satire muss gewisse qualitativen Anforderungen genügen, einen Sachverhalt überzeichnen. Was erstens voraussetzt, dass es überhaupt um einen Sachverhalt geht, und zweitens erkennbar ist (womit Desinformation als Satire ausscheidet), denn sonst kommt’s ja nicht beim Empfänger an. Da muss irgendwo ein Witz, ein Kitzeln irgendeiner Stelle im Hirn sein.

Böhmermanns Gedicht hatte das nicht. Keinerlei Sachbezug, kein Witz, einfach nur eine Anhäufung von wüsten Unterstellungen und Beleidigungen. Wer in sowas eine Satire, eine geistige Leistung sieht, der weiß nicht, was Satire ist. (Und ist wohl zu sehr an das Niveau unserer Medien und Politik gewöhnt.)

Meinungsfreiheit

Es gibt keinen Rechtsbegriff oder Tatbestand der Satire. Satire muss unter Meinungsfreiheit fallen.

Die sogenannte Schmähkritik ist aber von der Meinungsfreiheit ausgenommen, weil jemanden einfach nur zu beleidigen und zu verleumden keinen Meinungsinhalt hat. Tatsachenbehauptungen werden von der Meinungsfreiheit übrigens nicht erfasst, soweit sie isoliert stehen.

Zwar darf man in der Meinungsfreiheit allerhand sagen und ordentlich auf den Putz hauen, sogar in gewissem Maße ausfällig und ordinär werden. Aber es muss sich immer um eine erkennbare Kritik an irgendeiner konkreten Sache drehen. Und das war hier nicht der Fall. Das hat überhaupt keinen Sachbezug.

Und das wollte Böhmermann auch gar nicht, denn wer die Minuten vor dem Gedicht gesehen hat, weiß, dass er das vorher sogar noch ausführlich erklärt, dass gerade sowas nicht erlaubt ist, weil es reine Schmähung ist. Das war als verboten konstruiert.

Ehring und Hallervorden

Interessant ist der Vergleich mit den Erdogan-Spottliedern von Ehring (NDR3 extra 3) und Hallervorden.

Zunächst: Von den dreien kann ich nur Hallervorden leiden, nur der ist witzig und intelligent. Und vertritt seine eigene Meinung.

Ehring und Böhmermann sind in meinen Augen beide grottenschlecht, unsympathisch und können nichts, haben ihren (gut bezahlten) Platz im Fernsehen damit erlangt, bereitwillig für die political correctness loszuschlagen (bei Ehring vor allen in der heute show). Bei beiden tue ich mir sehr schwer, die Sendung anzusehen, und finde die überhaupt nicht witzig, sterbenslangweilig, schmierig, schlecht.

Das ändert aber nichts daran, dass ich hier nur den Song von Ehring gut fand. Denn der war der erste, hatte schon etwas Witz, und das eben mit genau dem, was Meinungsfreiheit ausmacht, nämlich mit einer Sachkritik verbunden. Außerdem war es der einzige, der sich für mich angenehm anhörte, was ich gerne nochmal gehört habe (was allerdings auch nicht an Ehring lag, sondern in erster Linie ein Verdienst von Nena ist, weil sie deren „Irgendwie, Irgendwo, Irgendwann” verwurstet haben.)

Böhmermann ist mir da ganz widerlich aufgefallen, da hatte ich den Eindruck, dass es da nur um Neid auf Ehring ging. So eine typische Nachahmer-Me Too-Nummer. Keine Qualität, sondern nur so ein Überholversuch nach dem Motto „Das können wir noch viel ausfälliger”.

Bei Hallervorden war auch ein Abklatsch-Me Too-Effekt drin, und ich fand Hallervordens Song grottenschlecht und überflüssig. Ihm muss man allerdings zugute halten, dass es ihm wohl gar nicht um Witz oder Satire ging, sondern darum, dem Kollegen zu Hilfe zu eilen und sich mit seinem doch einigem Gewicht zu ihm zu stellen. Schlecht gemacht, aber offenbar in höchster Eile zusammengestoppelt. Ich neige dazu, es Hallervorden in der Kategorie Kollegenhilfe trotzdem hoch anzurechnen. Ärgerlich allerdings, dass dann wieder anderes Recht für den gilt, der den Promi auf seiner Seite hat. Das gibt bei mir dann Abzüge für Hallervorden in der Kategorie Demokratie und Recht.

Nach meinem Rechtsempfinden sind dann allerdings auch nur die Songs von Ehring und Hallervorden von der Meinungsfreiheit gedeckt, weil eben mir nachvollziehbarer Sachkritik verbunden. Profis sind sie offenbar alle drei und wissen da genau Bescheid. Aber Ehring und Hallervorden haben sich genau dran gehalten, während Böhmermann – wie so oft – anscheinend nichts brauchbares einfiel und er sich stattdessen entschied, einfach dagegen zu verstoßen.

Fazit

Ich finde Böhmermann einfach nur dumm und grottenschlecht. Der hat keinen Witz, kein Geschick, todlangweilig, einfach nur ordinär.

Es ärgert mich sehr, wenn solche Nichtskönner und Propaganda-Verkünder von Zwangsgebühren bezahlt werden.

Noch mehr ärgert mich, wenn daraus noch eine Leistung gemacht wird.

Richtig ist zwar, dass aus der Sache doch noch eine interessante Konstellation wird, weil Merkel mit ihrem Aussitzen mal nicht weiterkommt und man mal sieht, wie tief sie dem Despoten Erdogan (und vielen anderen) in den Arsch gekrochen ist, das eigene Land aber anlügt.

Böhermann war der Anlass, aber das ist nicht sein Verdienst. Wenn ungezogene Kinder die Eltern blamieren und die sich dabei noch viel mehr, dann ist das oft erhellend, manchmal erheiternd, aber kein Verdienst der Kinder, schon gar keine Satire.

Es ist eher die Unfähigkeit Merkels.

Und die Unfähigkeit oder der Unwillen der Politik und der Presse, deren Unfähigkeit aufzuzeigen.

Wenn selbst ein Idiot wie Böhmermann sowas herbeiführen kann, was sagt das dann über Politik, Parteien und Presse, die es nicht konnten oder nicht taten?

Und in wessen Arsch ist Merkel sonst noch so gekrochen?