Stell Dir vor, es ist SPD und keiner geht hin…
Ich war vorhin mal wieder auf einer SPD-Veranstaltung. Aber einer ganz winzigen.
Heute hatte ich zum ersten Mal das Gefühl, dass es schon pietätlos ist, als Außenstehender noch zu deren Veranstaltungen zu gehen, denen beim Sterben zuzusehen und noch darüber zu schreiben. Ist dann auch eher pathologisch als diagnostisch.
Ein Journalist hatte mich auf diese Veranstaltung aufmerksam gemacht: DL-Dialog: Besorgte Bürger, rechte Hetzer vom Forum demokratische Linke / Die Linke in der SPD.
Podiumsdiskussion zwischen Hilde Mattheis (MdB SPD), Patrick Gensing (Blogger, Journalist und Autor des Buches „Rechte Hetze im Netz“) und Ulf Bünermann (Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin)
Was zum Geier ist denn „Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin” für ein Beruf? (Beide waren zweifellos sehr SPD-nah, Mattheis wies aber darauf hin, dass sie nicht Mitglieder der SPD seien.
Naja, fand im Veranstaltungsraum einer Berliner Kneipe von 19 bis 21 Uhr statt. Ich hatte mich leider verspätet und kam erst um 19.15 dort an.
Ach Gott, ach Gott, war das traurig. Gerade mal 15 Leute im Publikum, später waren es 16, mit mir 17. Grob geschätzt nicht mal ein Drittel der Sitzplätze besetzt. Und davon waren noch einige „Interne” oder gehörten da irgendwie zur Veranstaltung.
Die wettern da gegen Rechts, und es kommt fast keiner mehr. Ist das bitter.
Erstaunt hat mich auch der Tonfall. Natürlich haben sie erwartungsgemäß gegen Rechts gegiftet, war ja immerhin Thema des Abends. Aber anders als ich das gedacht hatte. Das hatte fast schon was von Neid, Verzweiflung, fast Anerkennung, wie die da sagten, dass die AfD verschiedene Bevölkerungsgruppen einsammelt und da plötzlich die Leute wieder politisch aktiv werden, rausgehen, sich versammeln, sagen, dass sie bei irgendetwas nicht mehr mitmachen. Der Tonfall war komischerweise gar nicht so sehr „die bösen Rechten”, sondern eher „Das hätten wir auch so gern, wie kriegen wir die Wähler denn wieder zurück?”
Das war’s dann aber auch schon mit der Einsicht.
Generell herrschte der Vorwurf, dass die AfD in ihrer Wählerschaft „wildere”. Die haben nicht gemerkt, dass sie Wähler verloren haben, sondern kommen sich vor, als hätte die AfD ihnen ihre Wähler gestohlen. Dazu kam etwas, was sie offenbar als Schock wahrgenommen hatten: Sie waren wohl fest davon überzeugt, dass alle Nicht-Wähler überzeugt SPD wählen würden, wenn sie denn überhaupt wählen würden, und so dachte man, dass die SPD viele Stimmen bekommt, wenn man die Nichtwähler nur irgendwie mobilisieren könnte. Nun sieht man mit Entsetzen, dass die Nichtwähler gekommen sind, aber AfD gewählt haben.
Und da stehen sie nun rat- und fassungslos da.
Eine Situation, die es in ihrem Weltbild nicht geben dürfte: Leute wählen etwas anderes als die SPD. Sie hielten sich für die große Volkspartei, und verstehen nicht, warum sie es nicht (mehr) sind.
Dabei musste man ihnen da nur mal zuhören: Die betrieben da glatte Wählerbeschimpfung. Der Bürger suche jetzt einfache populistische Phrasen ohne Gegenposition, und das bediene die AfD.
Wenn der Bürger ernstgenommen werden wolle – das muss man sich mal vorstellen, die fragen nicht, ob der Bürger die SPD noch ernst nimmt und wählt, sondern ob die SPD den Bürger noch ernst nehmen und sich von ihm wählen lassen könne – dann müsse er wieder lernen zu diskutieren, statt andere Meinungen von vornherein auszuschließen.
Ich hab gedacht, ich steh im Wald.
Jahrelang habe ich das nun beobachtet, wie die SPD – Feminismus, Gender, Migration – alles niederbrüllt und angreift, was anderer Meinung ist, und jegliche Diskussion oder Fragen sabotiert und unterdrückt, und jetzt kommt die daher und meint, der Bürger müsse lernen, mit der SPD zu diskutieren.
[aus mitgekritzelten Stichworten] „Zur politischen Kultur gehört auch die Debatte. Nur über polarisierenden Richtungsstreit kommt man zum Ergebnis”
Ich fass es nicht. Jahrelang haben die jegliche Debatte und Diskussion brutal unterdrückt, jede Polarisation ausgeschlossen, schon jede kritische Frage abgewürgt, und jetzt kommen die plötzlich daher und betteln um Debatten und polarisierende Standpunkte?
Denen muss es noch schlechter gehen, als ich schon vermutet hätte.
Und sie beklagten, dass Leute die Außendarstellungen instrumentierten. Sie erzählte von Vereinen, in die rechtsradikale einträten, erst mal ihre rechtsradikalen Thesen auf die Webseiten schrieben, das als Instrument nutzten. Und die Vereinsmitglieder würden tatsächlich noch darüber diskutieren als diejenigen rauszuwerfen, wie grotesk das sei (gleichzeitig aber fordert sie polarisierende Richtungsdebaten…).
Ach, dachte ich mir da, entsprichte das nicht exakt der Vorgehensweise, mit der irgndwelche Linken die Piratenpartei unterwandert und zerstört haben?
Und dann forderten die auch noch Vielfalt. Meinungsvielfalt.
Man kommt sich vor, als würden die von ihresgleichen bedroht und müssten sich nun gegen ihre eigenen Mittel wehren. Und genau das scheint der Fall zu sein.
Und dann kamen die sogar ins Schwärmen. Die AfD hätte einfach Klasse Ergebnisse erziehlt.
Könnten „wir” das erklären? Sie konnten nicht. Auch dem mobilen Berater ist nichts eingefallen.
Immerhin merkten sie, dass eine Politik-Müdigkeit, ein Politikverdruss zu beobachten sei.
Bei mir kam das alles aber so an, als wären sie extrem von sich überzeugt, und würden alles pathologisieren oder kriminalisieren, was nicht SPD wählt. Irgendwie hatte ich die ganze Zeit das Gefühl, dass die eine Wahrnehmungsstörung haben, dass sie alles, was sie selbst falsch machen, der AfD als Böswilligkeit anhängen wollen. Und sie hielten sich selbst für eine „demokratische Partei”.
Die haben echt einen Knall: Seit Jahren beschimpfen und beschuldigen sie ganze Bevölkerungsgruppen, etwa Männer, und nennen es dann „Wildern”, wenn die woanders wählen gehen. Die sind so von sich überzeugt, dass sie glauben, sie könnten Männer für alles und jedes verantwortlich machen und bestrafen, und trotzdem müssten die Männer weiter SPD wählen. So als Masochisten.
Und wenn sie das dann nicht tun, dann ist die AfD dran schuld. Nie ist die SPD selbst an etwas schuld, die sind unfehlbar.
Und dann kam die Fragestunde.
Ich habe mal gefragt, ob die von ihnen beschriebenen Wählergruppen, die die AfD doch angeblich so erfolgreich einsammle, nicht in Wirklichkeit die Gruppen sind, die die SPD in den letzten Jahren verprellt, beschuldigt, davongejagt hat.
Aber die AfD wildere nunmal in frenden…
Ich unterbreche und sage, sie sollen mal nicht über die AfD, sondern über Fehler der SPD reden.
Nun, die demographischen Umfragen ergäben doch eindeutig, dass andere Parteien viel mehr an die AfD verloren hätten, gerade CDU-Wähler würden…
He, ich habe auch nicht nach der CDU, sondern der SPD gefragt, ist doch schließlich eine SPD-Veranstaltung.
Auch DIE LINKE habe viele Wähler…
Ich hatte aber nach der SPD gefragt!
Das sei ein europaweiter Trend, alle linken Parteien hätten verloren…
Verflixt noch eins.
Die sind nicht in der Lage, über sich selbst zu sprechen und mal zu überlegen, was sie falsch gemacht haben. Die halten sich für völlig immun, unfehlbar, unkritisierbar. Unsinkbar wie die Titanic. Haben jeden Realitätsbezug verloren.
Und ausgerechnet die fordern jetzt plötzlich Debatten und polarisierende Standpunkte? Und wundern sich, dass kaum noch jemand hingeht?