…mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Terroranschlag…
Ein Flugzeug ist abgestürzt.
Ist Euch mal aufgefallen, was für einen Mist die Presse erzählt?
Heute ist leider wieder ein Flugzeug abgestürzt, eines einer ägyptischen Fluglinie auf dem Weg von Frankreich nach Ägypten.
Über den Tag hinweg, auch in den Fernsehnachrichten, kam immer wieder die Aussage, dass „mit hoher Wahrscheinlichkeit” ein Terroranschlag vorliege, oder noch schräger, „man mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Terroranschlag ausgehe”.
Letzters ist sowieso Unfug, denn man kann nicht davon ausgehen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Terroranschlag war. Man geht davon aus, dass es ein Terroranschlag war oder eben nicht. Aber zu sagen, dass man davon ausgehen, dass es mit hoher Wahrscheinlichkeit so war, ist ein Widerspruch in sich, denn wenn man nur mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgeht, hält man es nicht für sicher, sondern zieht auch andere Möglichkeiten in Betracht, geht also gerade nicht davon aus. Auch grammatikalisch ist das falsch, denn so eine Aussage heißt, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass einer von einem Terroranschlag ausgeht, und nicht, dass er davon ausgeht, dass der Terroranschlag wahrscheinlich ist.
Überhaupt: Was heißt denn „wahrscheinlich”?
So rein sprachlich? Etwas scheint als wahr? Dafür wäre das sprachlich richtige Wort aber „anscheinend”.
Das wären ordentliche Aussagen gewesen:
- Anscheinend war es ein Terroranschlag.
- Man vermutet einen Terroranschlag.
- Ein Terroranschlag wäre die naheliegendste Erklärung.
Aber das übliche einschlägige notorische unerträgliche Presseeinheitsfloskelgequassel redet in üblichem Dramaschwätz von „mit hoher Wahrscheinlichkeit”.
Wisst Ihr, was das heißt?
Es heißt, dass man einfach gar nichts weiß.
Es gibt nämlich für singuläre Vorgänge keine Wahrscheinlichkeiten. Das geht gar nicht. Man kann für einen einzelnen Vorgang keine Wahrscheinlichkeit angeben. Das Ereignis tritt ein. Oder tritt nicht ein. Wenn ich einmal Lotto spiele, und ich habe 6 Richtige, ist die Wahrscheinlichkeit dafür nicht 100%. Und wenn ich sie nicht habe, ist die Wahrscheinlichkeit deshalb nicht 0%.
Lotto macht es dabei noch etwas einfacher, weil man hier durch Kombinatorik errechnen kann, wieviele Kombinationen es gibt und unter der Annahme einer Gleichverteilung Aussagen über eine Wahrscheinlichkeit machen kann. Die aber vom Laien häufig als Wahrscheinlichkeit eines Einzelfalles angesehen werden. Selbst wenn man aber weiß, dass die Wahrscheinlichkeit beim Lotto für 6 Richtige irgendwo bei 1 zu x Millionen liegt, erlaubt dies trotzdem keine Vorhersage darüber, was bei der nächsten Ziehung passiert.
Schaut man sich die Sache mit der Wahrscheinlichkeit etwas präziser an, findet man, dass man in der Mathematik dafür eine sehr erstaunliche, präzise und nützliche, aber auch schwierig zu handhabende Definition entwickelt hat:
Eine Wahrscheinlichkeit ist ein Grenzwert.
Geht die Zahl der Vorgänge gegen unendlich, und konvergiert der Anteil der Fälle, in denen das Ereignis eintrat, gegen einen Wert, dann ist das dessen Wahrscheinlichkeit.
Von Wahrscheinlichkeiten kann man also eigentlich immer erst reden, wenn man – theoretisch – unendlich oder unbegrenzt viele Vorgänge hat, in der Praxis zumindest sehr viele.
Erst aus der Vielzahl der Fälle lassen sich Wahrscheinlichkeiten ableiten und daraus Verhaltensweisen. Einen Sechser im Lotto mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu x Millionen zu haben, bedeutet nur, dass man in x Millionen Ziehungen im Mittel einen Treffer erzielen wird (oder genauer: wenn man deutlich mehr als x Millionen Ziehungen hat, wird sich die Erfolgsquote gegen 1 zu x Millionen konvergieren).
Und daraus kann man dann die „erfolgreiche” Verhaltensweise ableiten und auch auf den Einzelfall anwenden, indem man die Strategie anwendet, mit der man bei vielen Fällen zum besten Ergebnis käme.
Wenn man also weiß, dass man bei Lotto dann verliert, wenn man unendlich oft spielt, weil man mehr zahlt, als man rausbekommt, kann man folgern, dass es unsinnig ist, zu spielen, und daraus auch eine Handlungsweise für den Einzelfall ableiten, und das Lotto spielen bleiben lassen, obwohl man überhaupt nicht wissen kann, ob man beim nächsten Spiel gewinnt oder nicht. Es basiert einfach auf der impliziten Annahme, dass die langfristig erfolgreiche Strategie, die sich bei Lotto-Spiel über Milliarden Jahre bewährt, nämlich es bleiben zu lassen, auch Aussagen über jedes einzelne Spiel enthält (nämlich es bleiben zu lassen), und es dadurch auch auf den Einzelfall anwendbar wäre. Ist es auch. Trotzdem gewinnen immer wieder Leute mit 6 Richtigen.
Zurück zum Flugzeug.
Man kann natürlich sagen, dass bei allen bisher vorgekommenen und aufgeklärten Flugzeugabstürzen dieses Musters, nämlich plötzlichen Absturzes aus großer Höhe, in sehr vielen Fällen Terror zugrunde lag. Und das auch aus Plausibiltätsgründen nahe liegt.
Das sagt aber überhaupt nichts darüber, dass es so war.
Das sagt nur, dass es eine für die Ermittler effektive, gewinnbringende und sparsame Methode ist, da zuerst zu suchen, um dadurch im Mittel ihren Ermittlungsaufwand zu minimieren. Zu sagen, dass in solchen Fällen ein Terroranschlag am wahrscheinlichsten ist, heißt eigentlich nur, dass man im Mittel bezogen auf viele Fälle die höchste Erfolgsquote bei Vorhersagen erzielt oder am schnellsten und billigsten zur richtigen Lösung kommt, wenn man da zuerst sucht.
Oder anders, präsiser gesagt:
Basierend auf unserem Wissen über Flugzeuge und den Erfahrungswerten aus früheren Abstürzen erscheint es als die effektivste und schnellste, und damit günstigste und erfolgversprechendeste Aufklärungsstrategie, zuerst Terroranschläge zu untersuchen.
Das muss man sich klarmachen, was das heißt:
Es heißt nicht, dass es so war.
Es heißt, dass mein seinen Ermittlungserfolg maximinieren bzw. seine Ermittlungskosten minimieren will, und deshalb die Strategie wählt, die zuerst die Hypothese und mögliche Ursache „Terroranschlag” untersucht. Weil das am wahrscheinlichsten ist, sprich: Weil man bein einer angenommenen Vielzahl von Fällen damit zum im Mittel, asymptotisch geringsten Ermittlungsaufwand gelangt. Das ist das Prinzip der Erfahrungswerte.
Die Presse macht daraus aber gleich „es wahr höchstwahrscheinlich ein Terroranschlag” – also im Klartext: Wir wissen noch gar nichts, aber wir schreien schon mal, damit wir Schlagzeilen haben.
Zynisch könnte man natürlich sagen, dass es damit auch für die Presse optimale Strategie ist, das, was als wahrscheinlich passiert, einfach mal rauszubrüllen, weil man damit bei einer Vielzahl von Fällen im Mittel die höchste Trefferquote erzielt, nach dem Motto Ich hab’s ja gleich gesagt.
Faktisch sind das aber nur Spekulationen. Der Ermittler spekuliert – seriös – darauf, seinen Aufwand zu minimieren.
Die Presse spekuliert – unseriös – darauf, etwas schon gemeldet zu haben, bevor man es weiß.