Ansichten eines Informatikers

Let him swing

Hadmut
11.6.2016 0:00

Unter dem Schottenrock ist gar nichts. Da ist nichts und da war nichts. Wissen wir seit Nico Haak. Zu meinem Blog-Artikel über die Verfehltheit unserer Businesskleidung, in der ich das männliche Araberkleid als die bessere Sommeralternative zu Anzug und Krawatte pries, kam jedoch die Rückfrage eines Lesers, ob mir bekannt sei, wie es der wackere Wüstensohn denn so mit der südlich orientierten Herrenunterbekleidung hielte.

Selbstverständlich ist mir das bekannt.

Schließlich reise ich, um Land und Leute kennenzulernen.

Es wäre nicht vollständig, ohne auch in die Tiefen der Seele vorzudringen.

Also, das kam so.

Ich kam vor einigen Jahren von Neuseeland zurück und hatte noch einen kurzen Stopover in Dubai (ich habe schon oft von meinen Erkenntnissen aus Moscheen und mit Imamen berichtet). Und mir da ersten wissenschaftlichen Kontakt mit männlicher Herrenoberbekleidung verschafft, und etwa beobachtet, dass sie – vom einfachsten Bettler bis zum obersten König – dieses lange weiße Hemd in einem Stück tragen (anders etwa die Gegenden Richtung Pakistan und so, wo sie einen Schlafanzug-ähnlichen Zweiteiler tragen).

Dabei fiel mir auch auf, dass die alle so einen ulkigen Zipfel vorne am Halsausschnitt raushängen haben, und dass es davon eigentlich nur zwei Modelle gab, eins mit einem langen asymmetrischen Dreieck, und das andere irgendwie so eine geknotetes Gebimsel. Als ob es nur zwei Hersteller gäbe, die sich nur durch diesen Zipfel unterscheiden, der oben raushängt. (Bei den Damen ist das auch nicht besser, da gibt es riesige traditionelle Fachgeschäfte, die in Unmengen den immer gleichen und gleich geschnittenen schwarzen Kittel verkaufen. Kurioserweise haben die sogar gerne 20 oder auch mal 40 Schaufensterpuppen im Fenster, die alle den gleichen Kittel anhaben, alle gleich aussehen. Ich habe mal gefragt, was das soll. Nun, sie unterscheiden sich geringfügig in den Knöpfen, die man angenäht hat. Und weil sie ein besonderss gutes Fachgeschäft mit 30 verschiedenen Knöpfen sind, haben sie auch 30 Schaufensterpuppen im Fenster. Variationen an den Kitteln gäbe es natürlich gar nicht, die seien streng einheitlich.)

Nun wollte ich mir also mal so eine arabische Männerkluft kaufen, wusste aber überhaupt nicht, wie ich das anfange, was dazugehört und wo man das eigentlich kauft. Für Damenbekleidung gibt es unzählige Läden (auch mit westlichen oder asiatischen knallbunten Sachen). Izwischen weiß ich, dass man das auch ziemlich billig einzeln in den Ecken kleiner Souks kaufen kann, damals wusste ich das aber nicht.

Irgendwann kam in in so einer dieser riesigen, modernen und mit westlichen Luxus-Marken vollgepackten Shoppingmalls an einem vornehmen Herrenausstatter vorbei, alles edelst und bestens sortiert und in vornehmen Setzkästen, in dem sich gerade zwei Verkäufer entsetzlich langweilten, weil in arabischen Shoppingmalls zu manchen Tageszeiten einfach gar nichts los ist und nur wie ich ein paar vereinzelte Touristen, die dämlich (oder knapp in der Zeit) genug sind, in der Hitze rumzulaufen und in den klimatisierten Malls mal etwas Abkühlung suchen. Wie ich da also so vorbeischlendere und mir auffällt, dass die da alles haben, was der vornehme Wüstensohn stilecht so trägt, bleibe ich mal stehen und gucke so hin und her und rein. Die zwei begrüßen mich freundlich, ich solle doch gerne näher treten, ob sie mir helfen könnten.

Ja, also, ich hätte da mal eine Touristenfrage… Kein Problem, immer frisch heraus damit, meinten sie. Was es mit diesem Zipfel auf sich habe, wollte ich wissen.

Und wurde erleuchtet.

Mit diesem Zipfel habe es nicht viel auf sich. Habe sich eingebürgert, findet man schön, findet man selbstverständlich, ohne sähe es blöd und langweilig aus, und das sei’s auch schon. Keine tiefere Bedeutung. Und dass es zwei Zipfelmodelle gäbe, läge schlicht daran, dass niemand die Notwendigkeit einer dritten Variante gesehen habe. Man möge da nichts reininterpretieren, sondern das einfach für die arabische Form der Krawatte halten und fertig. Der Mann geht mit Zipfel und nicht ohne. Das ist eben so.

Aber, so meinten sie, würde ich tiefer in das Verständnis arabischer Betuchung einsteigen wollen, böte es sich vielleicht an, einen Satz käuflich zu erwerben (sie waren schließlich Verkäufer. Vornehme Herrenausstatter zwar, aber eben Verkäufer). Oh, sagte ich, das widerspräche meinem Streben nach Höflichkeit gegenüber meinem Gastland, ich wolle auf keinen Fall, dass sich da irgendwer verhöhnt oder religiös beleidigt fühle. (War natürlich geheuchelt, eigentlich ging’s mir mehr darum, da nicht in irgendwelche Gefängnis- oder Auspeitschstrafen zu geraten, weil ich irgendwas getan habe, was Landes- oder Religionssitten verletzt.) Nöh, das sei gar kein Problem, das Ding hätte mit Religion überhaupt nichts zu tun, es stünde jedem beliebig frei, das Ding zu tragen. Ich soll’s doch mal anprobieren.

Ich habe nach dem Preis gefragt. Ich weiß es nicht mehr und müsste die Kreditkartenrechnung raussuchen, ich glaube, der ganze Kram zusammen in gehobener Qualität lag so bei 50 Euro, das war mir der Spaß wert. Außerdem war ich so verschwitzt, versifft und voller Sonnencreme, dass es mir sehr unangenehm gewesen wäre, etwas anzuprobieren und nass oder klebrig wieder zurückzugeben. Ich habe ihnen vorgeschlagen, dass ich mich auf den Deal einließe, wenn sie mir denn erklärten, wie ich was richtig anzuziehen hätte.

Hahaha, das fanden sie lustig, da hatten sie Spaß dran, Hand drauf, Deal geschlossen,

Wir haben uns dann alle drei sehr amüsiert, wie ich mich dann Stück für Stück vor dem großen Wandspiegel in einen Araber verwandelt habe. Erst diesen langen weißen Kittel (mit Zipfel!). Dann haben sie mir diese kleine runde Häkel-Käppi aufgesetzt. Dann das Kopftuch. Und zum Schluß die schwarze dicke Doppelkordel, mit der das Ding am Kopf befestigt wird.

Sie haben mir das alles wunderbar erklärt. Aber ich habe die arabischen Namen sofort wieder vergessen.

Sie haben mir auch gezeigt, wie ich man das Kopftuch (ich glaube, das heißt Kufiya oder so ähnlich) fesch aufsetzt, habe ich aber auch schon abends im Hotel nicht wieder so gut hinbekommen. Das ist ein großes, rein weißes, quadratisches Tuch, das zum Aufsetzen einmal diagonal zum Dreieck gefaltet ist, und zum Zusammenlegen im Schrank nochmal in der anderen Diagonale gefaltet wird. Wenn man es aus dem Schrank holt und einmal auffaltet (so dass es nur noch einmal gefaltet ist) ist da im Stoff noch ein Knick. Ganz wichtig. Denn gerade der Knick sitzt dann mittig und charakteristisch über der Stirn. Die beiden Stoffenden lässt man erst links und rechts herunterhängen, einen (rechts) legt man sich glatt über die Brust, den anderen wickelt man sich keck hintenrum und legt es sich irgendwie rum um die Schulter. Oder man faltet die so über den Kopf und lässt einen hinten runterhängen und wickelt den anderen so hinten um den Kopf herum, dass die Spitze dann vorne dekorativ über die Schulter runterhängt.

Ich habe aber auch das schon abends nicht mehr so hingekriegt, wie die mir das gemacht hatten und wie es gut aussah. (Ich hab’s dort wieder ausgezogen und mir einpacken lassen.) Allerdings ist gerade das mit dem Kopftuch von Region zu Region anders. Überall trägt man das anders, und auch die Tücher unterscheiden sich (vgl. das typisch gemusterte Palästinensertuch.) Ich muss aber sagen, das ist sehr bequem und wüstentauglich, weil es gegen Sonne und Sand schützt. Trägt sich sehr angenehm.

Nicht so angenehm war die schwarze dicke Kordel oben um den Kopf, die hatten sie wohl nicht in meiner Größe. Schädel Größe 60 ist da wohl nicht so üblich.

Egal, als die mir das angezogen haben, sah ich so richtig gut und arabisch aus. Sehr kleidsam und angenehm.

Hab’s aber (auch weil von der Hitze schweißtriefend) gleich wieder ausgezogen und einpacken lassen. Gekauft. Vier Teile. Hemd, Käppi, Kopftuch, Kordel.

Jetzt wollte ich aber noch wissen und vielleicht auch kaufen: Was trägt der Wüstensohn da drunter?

Nun, sie breiteten mir ein weißes T-Shirt und weiße Boxershorts in bester Qualität auf dem Tisch aus. Das wollte ich dann doch nicht kaufen. T-Shirts und amerikanische Unterhosen habe ich genug. Außerdem fragte ich nach, wie das sein könnte, das sei doch eindeutig amerikanischen Stils aus der Mitte oder Frühzeit des 20. Jahrhunderts. Das könnte ja nun wirklich nicht traditionell arabisch sein. Doch, doch, das trüge man jetzt so, das würden die jungen Leute alle so kaufen.

Ich will aber wissen, was die kaufen und tragen, die es traditionell haben wollen.

Sie guckten sich so an wie „Na gut, wenn er’s nun unbedingt wissen will, dann zeigen wir’s ihm eben.”.

Und sie zeigten mir im edlen teuren Karton einen kurzen Faltenrock.

Schnörkellos, einfach aber sehr hochwertig in Material und Verarbeitung, weiß, mit knallhart flach gebügelten Falten. Das und ein dem T-Shirt gleiches Hemd (weshalb sie nur T-Shirts verkaufen) trage man traditionell.

Ha!

Die Frage ist beantwortet.

Der traditionell orientierte Wüstensohn lässt frei baumeln, der eher der Moderne verbundene trägt Boxershorts.

Ich hab’s dann abends im Hotel nach einer Dusche gleich nochmal probiert, anzuziehen und damit auf die Straße zu gehen. Ist mir wohl nicht so gelungen, ich habe da wohl auch keine allzugute Figur abgegeben. Ich habe das mit dem Kopftuch nicht mehr richtig gut hingekriegt. Auf dem Weg nach unten hat ein Zimmermädchen vor mir reißaus genommen. Und der sonst stocksteife und ernste Portier an der Rezeption schlug sich spontan die Hand prustend vor den Mund und drehte sich ab, um erfolglos ein Lachen zu unterdrücken, was ihm hinterher peinlich war. Irgendwie habe ich da so richtig den Mann aus Allemannia abgegeben. Ich habe dann beschlossen, es dabei zu belassen und wieder zurückzugehen.

Das mit dem traditionellen freien Baumeln hat natürlich noch andere Implikationen. Denn ebenso traditionell verwendet man dort kein Klopapier. Nein, nein, nicht die linke Hand, wie manche in geographisch-kultureller Verwirrung vielleicht glauben mögen. Oder jedenfalls nicht mehr. Jede Toilette hat dort eine kleine Handbrause, mit der man sich nach getaner Verrichtung die Furche frisch ausspült. Was ich übrigens für gar nicht dumm halte und mich dafür einsetzen würde, dies als kulturelle Bereicherung zu übernehmen. Allerdings aufgrund anderer Temperaturlage in hiesigen Breiten vielleicht nicht nur ans kalte Wasser anschließen, das könnte hier im Winter übel werden.

In Verbindung mit dem nach unten offenen Faltenrock ergibt sich damit ein luftig-frisch-gespültes Reinheitserlebnis mit anschließender Lufttrockung.

Gut, tropft ein bisschen. Aber man kann nicht alles haben.