Ansichten eines Informatikers

Ich hab’s nicht übers Herz gebracht…

Hadmut
17.9.2006 23:32

Ich hab gerade den Computerschrott ausgemistet, der sich in den letzten Jahren angesammelt hatte. Alte Gehäuse, alte Platten, Pentium, Pentium II und so’n Kram. Vier große Kisten voll Zeugs für die (gesetzeskonforme) Schrottentsorgung. Nur eins hab ich nicht übers Herz gebracht:Ein altes, original VT220 Terminal, so wie DEC sie damals schuf. 80×25 grauer (oder gelber) Text, nix Graphik, nix Farbe oder so. Noch diskret aufgebaut. Kein Laufwerk, keine Platte. Schnittstelle seriell bis 19200, wunderbar geeignet und dafür gedacht, ein Modem
anzuschließen und damit ‘online’ im ursprünglichen Sinne des Begriffs zu gehen, sich per Telefonleitung in einen Mehrbenutzer-Rechner einzuwählen.

Das waren noch Zeiten, als man lokal keine Platte hatte und die AT-Befehle noch jedesmal direkt von Hand eingegeben hat. Die ganzen jungen Computer-Schnösel von heute glauben alle, sie würden sich super auskennen. Warum aber ein Modem Telefonnummern speichern kann, damit man nur ‘ATD’  und nicht jedesmal die ganze Telefonnummer eingeben muß, warum es die drei +-Zeichen gibt, was es überhaupt mit AT und AT&v usw. auf sich hat, warum es Programme wie ‘screens’ gibt, wie curses und der VT100-Standard entstanden sind und warum Emacs so ist wie er ist, das weiß im Zeitalter von DSL, PPP und WWW keiner mehr.  Daß es da noch Sequenzen zur Umschaltung auf 132 Zeichen und sowas gab.

Oder daß man damals so mit ungefähr 300 Bit/sek auskommen mußte. Normale Schreibgeschwindigkeit. Da hat ein Bildschirmaufbau noch echt Zeit gekostet, und die curses-Library hat noch ausgerechnet, welche Bildschirmzeichen sich tatsächlich verändert hatten und neu ausgegeben werden mußte, damit’s schneller ging. Oder warum es damals Zeileneditoren gab.

Oder warum Computer in den Filmen so bis etwa Anfang der Neunziger Text immer langsam-zeichenweise ausgeben und dabei komisch dudeln. Etwa so wie in “War Games”. Das war wirklich mal so. Da war BTX mit 1200down/75up ein echter Fortschritt. Heute wird gerade 16.000.000 für 19,99 angepriesen. Ein altes Modem (schon 56.000) hab ich beim Aufräumen auch noch gefunden. Zitat aus der Anleitung: “Ein Computer ohne Modem ist heutzutage undenkbar geworden.” Schön, gell?
Hach, waren das schöne Zeiten, als noch kein Politiker und kein Marketingstratege das Internet kannte, als die Kommunikation noch aus FTP, E-Mail (vielleicht sogar per uucp) und Usenet bestand, als wirklich alles noch in 80×25 gepasst hat, und die Welt einfach noch in Ordnung war.

Übrigens: Ich hab vor Jahren mal herumgespielt, was mit so einem Terminal wirklich geht. Für irgendeinen Linux-DVD-Player, der verschiedene Frontends hat, gab es eine Library, die Bilder in ASCII-Zeichen darstellt (Wer erinnert sich noch an die alten Wandkalender auf 3-6 Blättern breitem, grünem Endlospapier mit ASCII-Zeichen aus dem Kettendrucker?  Von denen einen PinUp-Girls aus Klammern, Punkten und Ziffern anlachten? So herrlich primitiv/naiv/schön? Dafür ist die Library eigentlich gemacht…).

Wenn man den Film mit dieser Library, 19200 Bit/s und mit etwas Abstand anguckt, kommt das Ding tatsächlich noch mit einem kleinen Schwarz-Weiß-Fernseher mit (vom Ton mal abgesehen). Bei einer Auflösung von geschätzt etwa 3×3 pro Zeichen kommt man so auf ungefähr 240×75.

Und wenn man das Ding ausschaltet, dann isses aus. Keine kompromittierenden Daten auf der Platte und so.

Das waren noch Zeiten.

Was mach ich nun mit meinem VT220? Doch nochmal ein Modem an den Linux-Rechner anschließen und ne Flatrate bestellen? Wieder so wie damals? Linux kann’s noch.

Oder kennt jemand ein Computermuseum das so was sucht und dem Ding eine angemessene Ruhestätte bietet?