Digitale Wahlsysteme – Theorie und Realität
Über digitale Wahlsysteme – vor allem Bingo Voting – habe ich hier ja schon einiges geschrieben. Ein neues Thema findet, wer heute mal Nachrichten schaut.
Da wurde Bingo Voting doch so konstruiert, daß nicht unter Druck gesetzt werden kann, eine bestimmte Partei (nicht) zu wählen. Das Ziel von Bingo Voting ist, daß man hinterher gegenüber einem Erpresser behaupten kann, A gewählt zu haben obwohl man B gewählt hat, und der Erpresser nicht feststellen kann, ob man lügt. Für unsere Zivilisation vielleicht nicht so ganz realistisch.
Für die barbarisch orientierten Gesellschaften paßt’s aber auch nicht, auch wenn es dort gerade solche abstrusen Szenarien gibt.
In Afghanistan sind demnächst Wahlen. Den Taliban paßt es nun nicht in den Kram, daß die Leute selber wählen wollen, von wem sie regiert werden. Deshalb drohen die Taliban unter anderem, daß sie jeden angreifen, der sich am Wahltag auf die Straße traut. Gewalt gegen jeden, der überhaupt zur Wahl geht.
Kam gerade im ZDF Heute Journal:
In Afghanistan gibt es kein reguläres Wählerverzeichnis, in dem Leute abgehakt werden, damit sie nicht doppelt wählen. Es läuft so nach der dritte-Welt-Methode, daß jeder, der gewählt hat, einen Farbfleck auf den Daumen bekommt, damit er nicht nochmal wählen kann. Die Taliban drohen nun, daß sie jedem die Finger abhacken, auf denen sie Farbflecken finden. Also gar nicht mal deswegen, was derjenige gewählt hat, sondern weil er überhaupt gewählt hat. (Würde mich mal interessieren, welche Rechtfertigung es dafür geben soll.)
Man kann darüber denken, was man will. Es ist Realität und nicht willkürliche Laborhypothese, und damit eine reale Aufgabenstellung.
Wie baut man ein kryptographisches Wahlsystem so auf, daß man einerseits die Richtigkeit prüfen und ggf. Fehler beweisen kann, und man andererseits und gleichzeitig unwiderlegbar abstreiten kann, daß man überhaupt zur Wahl gegangen ist?
Ist der Unterschied zwischen einem schlechten und einem guten Kryptologen, daß der gute auch in Afghanistan seinen Daumen behält?
In diese Richtung habe ich auch gedacht, als ich von der Drohung hörte.
Allerdings würde eine derartige Taliban v.a. bluffen müssen, daß sie ein solches System knacken können. Dann hacken sie einigen die Daumen ab (oder was immer ihr Gott in seiner grenzenlosen Weisheit für angemessen hält) und der betroffene kann nicht beweisen, daß er gar nicht gewählt hat.
Oder der Taliban in der Moderne fotografiert einfach alle, die aus dem Wahllokal herauskommen (da kann man das Gesicht fotografieren – beim reingehen nur den Rücken). Wenn jemand behauptet im Wahllokal gewesen, aber nicht gewählt zu haben, ist das egal – schon der Versuch ist strafbar, oder es ist die Vortäuschung einer Straftat, so zu tun, als ginge man wählen, oder Beihilfe, wenn man eine Pizza ins Wahlbüro liefert.
Wie Du siehst gäbe ich einen guten Taliban ab. 🙂
So nach 20 Sekunden überlegen hilft da nur Briefwahl, die aber leider besonders anfällig für Stimmenkauf ist.