Die Regulierung der persönlichen Meinung
Eine Leserin weist mich auf überaus Bedenkliches hin. Es gibt immer stärkere Angriffe gegen die Meinungsfreiheit.
Sie wies mich auf diesen Artikel bei medianet.at hin. Darin geht es darum, dass ein ominöses Diplomatic Council (DC) mit Beraterstatus bei der UNO einen „DC Kodex Öffentliche Kommunikation”, empfhehle, wonach man künftig auch an jede Privatmeinung dieselben Nachprüfungs- und Sorgfaltspflichten wie an gewerbliche Presse stellen müsse.
Das ist genau das Gegenteil dessen, was man im deutschen Recht als „Laienprivileg“ bezeichnet, nämlich die Erkenntnis, dass eine Privatperson gar nicht die zeitlichen, finanziellen und insbesondere rechtlichen Mittel hat, eine solche Recherche durchzuführen, denn der Privatmensch hat ja gerade keine Presserechte. Er kann das gar nicht recherchieren.
Und selbst, wenn er es könnte: Es würde ihn zuviel Zeit kosten und damit dazu führen, dass die Meinungsäußerung zu spät und damit womöglich verspätet (z. B. erst nach der Wahl) erfolgt. Deshalb dürfen an den Laien nicht die Sorgfalts- und Recherchepflichten wie an die Berufspresse gestellt werden.
Da dachte ich mir, mmh, seltsam, zumal kein Quellenlink angegeben ist. Man findet daber dann doch eine dazu passende Webseite bei diesem ominösen Council, nämlich hier.
Im ganzen liest sich der Text aber wie übler Lobbyismus:
(2) Das Vertrauen in öffentliche Institutionen und Organisationen, Unternehmen, Eliten und Parteien ist massiv eingebrochen, ihre Fähigkeit, öffentliche Meinung nachhaltig zu prägen, verlorengegangen. Kommunikation im öffentlichen Raum ist regel- und wertfrei geworden. Ihr fehlen Maßstäbe und Korrektive, wenn Vermutungen, Meinungen, Falschbehauptungen und Verschwörungstheorien plötzlich dieselbe Wertigkeit bekommen wie Fakten, Tatsachen und nachvollziehbare Zusammenhänge. Diese sogenannte „postfaktische“ Welt führt zu hoher Polarisierung und einem Auseinanderdriften der Gesellschaft.
Schon ein Widerspruch in sich. Denn wenn die Medien Fakten, Tatsachen und nachvollziehbare Zusammenhänge brächten, müsste man ihnen ja nicht „vertrauen“. Es wird aber einfach unterstellt, dass die Presse Fakten, Tatsachen und Zusammenhänge bringt, während Privaterspnen nur vermuten, meinen und lügen.
Öffentliche Meinungsbildung findet in immer stärkerem Maße nicht durch Medien, Parteien oder Organisationen statt, sondern – vor allem über die sozialen Medien – durch Privatpersonen und informelle Gruppen. Für diese gelten die gleichen Maßstäbe von Verantwortung, Wahrheit, Ausgewogenheit und Augenmaß wie für offizielle Organe. Jeder, der sich öffentlich äußert, trägt eine besondere gesellschaftliche Verantwortung für die Wirkung all jener Informationen und Meinungen, die er verbreitet, weiterleitet oder in jedweder anderen Form unterstützt.
Ist das böse.
Man soll nicht mehr seine Meinung sagen dürfen, sondern sich in einer besonderen gesellschaftlichen Verantwortung für die Wirkung bewegen. Es geht also gar nicht um wahr und unwahr, sondern darum, ob das zu unerwünschten Wirkungen führen könne.
Denn was das konkret bedeutet, „Verantwortung“, sagen sie nicht, nur dass es eben auf „Maul halten“ hinausläuft.
Eine nachhaltige, wertorientierte, vertrauensbildende und transparente öffentliche Meinungsbildung der Vielen ist, wenn sie den oben genannten Ansprüchen genügt, nicht nur ein wichtiger Legitimationsfaktor einer Gesellschaft. Sie wird zur Fünften Gewalt im Staate und stellt ein schützenswertes Gut dar, sofern nicht strafrechtlich relevante volksverhetzende, verleumderische, verherrlichende oder rassistische Äußerungen betroffen sind.
Da steht nichts von „wahr“. Da steht was von „wertorientiert“ – und die Werte gibt natürlich das Meinungskartell vor.
Alle, die an der öffentlichen Meinungsbildung mitwirken, tragen Verantwortung für ein offenes Meinungsklima, in dem auch abweichende Meinungen geäußert werden können, ohne jemanden gesellschaftlich zu ächten, zu demütigen, zu verfolgen oder in sonst einer Form zu benachteiligen.
Den Satz kann man auf zwei gegensätzliche Weisen verstehen. Entweder, dass man seine Meinung äußern kann, ohne dafür verfolgt und benachteiligt zu werden. Oder dass man abweichende Meinungen nur noch äußern darf, wenn sie niemanden benachteiligen.
Grammatikalisch ist der Satz ohnehin Murks, denn Meinungen sind keine passiv-tauglichen Subjekte. Es ist keine Fähigkeit einer Meinung, geäußert zu werden. Noch weniger aber sind sie aktiv-tauglich, und der Satz geht aktivisch weiter. Dieses sprachwidrige und unlogische Passivieren ist deutliches Merkmal dafür, dass jemand um die Aussage herumdruckst. Weil die passivische Meinung dann in einem aktivischen Halbsatz weitergeht, will derjenige wohl sagen, dass die Meinung niemanden benachteiligen darf.
Neulich las ich irgendwo, es würde neuerdings als rassistisch angesehen, wenn man Grammatik-Fehler rügt, weil das Menschen anderer Hautfarbe benachteilige. Man dürfte Grammatikfehler deshalb nicht rügen, zumal Grammatik ohnehin nur eine Schikane zur Ausgrenzung sei. Sei doch alles verständlich. Nein, ist es eben nicht. Ein vermurkste Grammatik beeinträchtigt die Verständlichkeit, denn Grammatik dient keinem anderen Zweck als den Satz zu ordnen und verständlich zu machen.
Im öffentlichen Raum anonym aufzutreten, widerspricht dem Kodex. Zur verantwortlichen Kommunikation gehört die Preisgabe der eigenen Identität.
Tja, da muss er sich mit vielen Linken streiten.
Und so weiter.
Größtes Problem daran ist, dass das inhaltlich kein Kodex ist, sondern da jemand seine Weltsicht niederschreibt und sich per Kodex erhofft, dass diese von anderen akzeptiert würde.
Was heute halt so alles als „Think Tank” unterwegs ist. Oft mehr Tank als Think.