Bilder, die lügen
Auch ein Thema, das ich immer wieder gerne aufgreife: Nicht nur Texte, auch Bilder – und vor allem deren Auswahl – können lügen.
Ein wesentlicher Punkt daran ist, dass die etablierten Medien immer noch die Lufthoheit haben, was Bilder angeht, weil sie einfach personell, technisch und finanziell viel besser besetzt sind, was deren Herstellung, Bearbeitung, Einkauf und Verbreitung angeht. Dafür haben Bilder und Videos weit größere Wirkung als Texte. Deshalb sollte man die Desinformation durch Bilder keinesfalls unterschätzen oder übergehen.
Bei „Jetzt.de“ (wer denkt sich solche Titel aus?) gibt es ein Interview mit Pamela Grossman, einer „Visual Trend Forecaster(in)“ bei Getty Images, einer der weltweit größten Bildagenturen. Ihre Aufgabe ist, herauszufinden, welche Bilder besonders gefragt sind, und solche Bilder dann bei den Fotografen in Auftrag zu geben, damit genug davon da ist. Die (er)kennt also nicht nur solche Trends, es ist ihr Beruf. das genau zu erfassen.
Und wenn man weiß, dass sehr vieles von dem, was wir zu sehen bekommen, ob nun in Zeitungen, Nachrichten, bei Parteien und so weiter, oder was die zu sehen bekommen, die über uns bestimmen und entscheiden, aus solchen Agenturen kommt, dann weiß man auch, dass sich deren Aufträge sehr deutlich auf unsere Gesellschaft, Meinung und Politik auswirken.
Es ist wichtig, dass wir Trends in den sozialen Medien beobachten: Welches Bild wird auf Instagram und Facebook am meisten geteilt?
Macht Euch klar, was das bedeutet: Der in letzter Zeit so oft benutzte Begriff der „echo chamber“ beschreibt genau das. Das, was die Leute in den Social Media (oder PR-Agenturen und Bots) herumpumpen, wirkt auf die Bildagenturen, die wieder auf Politik und Nachrichten, und die wieder auf die öffentliche Meinung. Ein selbstverstärkender Kreislauf.
Seit sieben oder acht Jahren nutzen wir kaum noch Model-Agenturen, sondern machen viele Shootings, bei denen wir uns an den Fotos und Motiven orientieren, die wir aus den sozialen Medien kennen, und ermutigen unsere Fotografen, in einem ähnlichen Stil zu fotografieren, wie sie es privat auch machen würden. Außerdem kooperieren wir mit Unternehmen für mobile Fotografie und haben mittlerweile auch eine eigene Sammlung mit „User Generated Content“.
Und da spielen die dann Meinungs-Ping-Pong.
Und im Ergebnis wird uns damit nicht mehr das präsentiert, was irgendwie einer Realität entspricht oder als Nachrichten durchgehen kann, sondern was eine in den Social Media aktive (und damit nicht mal repräsentative, ober überhaupt lebende) Personengruppe sehen will:
Für dieses Jahr haben wir unter anderem den „Gritty Woman“-Trend (dt. etwa „draufgängerische Frau“, Anm. d. Red.) prognostiziert. Das ist eine Entwicklung aus Gender-Trends, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten. Feminismus und Geschichten rund um weibliche Protagonisten wurden schon vor vier, fünf Jahren populärer. Damals hatten wir in einer unserer Vorschauen einen Trend namens „Female Rising“. In einer anderen dann „Gender Blend“, ein Trend, der zeigte, dass unser Konzept von Geschlecht fließender werden würde. Der „Gritty Woman“-Trend ist unter anderem daraus entstanden, dass die Suchanfrage nach „woman + grungy“ (dt. etwa „Frau + dreckig“, Anm. d. Red.) im letzten Jahr weltweit um 105 Prozent angestiegen sind. In Deutschland sogar um 605 Prozent.
Und wie sieht ein Gritty-Woman-Bild aus?
Es zeigt eine starke Frau. Manchmal hat sie tatsächlich Blut oder Schlamm oder Dreck an sich.
Das heißt, dass uns systematisch eine politisch gesteuerte Scheinwelt vorgespielt wird.
Wir haben mittlerweile viele tolle Bilder von Frauen in Führungspositionen, Frauen, die Meetings leiten, Wissenschaftlerinnen und so weiter. 2014 haben wir die „Lean In“-Sammlung veröffentlicht (eine Stockfoto-Datenbank, die sich auf Bilder von selbstbewussten Frauen und Mädchen konzentriert, Anm. d. Red.), das war in diesem Bereich richtungsweisend. Aber wir achten auch darauf, dass wir Männer in Pflegeberufen zeigen, Männer als Mitarbeiter, Männer, die Frauen zuhören, oder auch kleine Jungs, die mit Puppen spielen. Denn Geschlechterrollen sind zum großen Teil soziale Konstrukte und diese Konstrukte werden immer und immer wieder durch Bilder bestätigt.
Die Bildsprache wird durchgegendert. Ob der Gender-Quatsch stimmt, wird nicht gefragt.
Auf der anderen Seite haben wir auch Kunden, die die weiße Arbeiterklasse der USA zeigen wollen, die Menschen, die sich isoliert fühlen und sich oft nicht in der visuellen Kultur wiedererkennen.
Die will man dann als die Versager und die Abgehängten zeigen, als gescheiterte Unterschicht.
Gibt es noch andere Gruppen, die sich nicht wiedererkennen?
Muslime. Die Suchanfrage „Muslimin“ und die Nachfrage nach Bildern, die muslimische Kultur zeigen, ist im letzten Jahr durch die Decke gegangen! Wir wollen diese Entwicklung widerspiegeln und moderne Bilder von Muslimen zeigen, respektvoll und zeitgemäß. Es ist sehr spannend, dass wir jetzt zum Beispiel mit muslimgirl.com kooperieren, eine großartige Webseite, die sich an junge, muslimische Frauen wendet. Sie machen Shootings für uns.
Wird gezeigt, was ist, oder was sein soll?
Macht Euch das klar: Viele dieser Fotos sind nicht echt, sondern gestellt, weil bei Fotografen bestellt, und die liefern, was bezahlt wird (wes Brot ich ess…). Und diese Bilder werden uns dann von Medien immer und immer wieder gezeigt, aber Fake News sind immer die anderen.
Das ist das Bild, das uns präsentiert werden soll: Frauen sind stark und Führungspersönlichkeiten, Muslime sind nett und modern, Weiße sind gescheiterte Unterschichten.
Und die ganze Diskussion um Fake News und Desinformation dreht sich immer nur um Texte.