Der blaue Bote: Die offizielle Entfaktung der Presse
Wir haben wieder mal den seltsamen Effekt, dass an Amateure und Privatleute höhere Anforderungen gestellt werden als an Profis.
Irgendwie muss ich gerade daran denken, wie Juristen mit sich selbst umgehen. In einem Buch über die fehlgeschlagene Entnazifizierung nach dem zweiten Weltkrieg las ich mal, dass man eine arme dumme (ich glaube analphabetische) Bauersfrau, die einen bei den Nazis angezeigt hatte, deshalb nach dem Krieg zu Knast verurteilte, weil ihr klar gewesen sein müsste, dass das Unrecht war, nahezu alle Richter aber freisprachen, weil man sagte, dass Richter das Unrecht nicht hätten erkennen können.
Ich habe einen Fall selbst mitbekommen, in dem einer, der mit 18 kurz nach dem Geburtstag von einer Bank übel reingelegt wurde, gegen die Bank klagte. Das Landgericht hatte die Sache gar nicht kapiert. Das Oberlandesgericht hat die Sache geprüft und kam zu dem Ergebnis, dass die Bank den 18-Jährigen übel geprellt hatte und kein Vertrag zustandegekommen war, gab ihm also recht. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil des OLG aber auf und setzte das erste Urteil wieder in Kraft, mit der Begründung, dass der 18-jährige ad hoc und ohne jegliche Akten die Vertragskonstruktion hätte durchblicken müssen, er sei ja immerhin volljährig. Das Urteil des Oberlandesgerichts – drei erfahrene Berufsrichter, ein Jahr Zeit, alle Akten – sei jedoch falsch, die Richter seien nicht in der Lage gewesen, den Fall richtig zu erfassen und zu verstehen.
Ich habe das an der Uni Karlsruhe erlebt: Ich hatte einen Professor angezeigt, weil der für die Annahme einer Diplomarbeit DM 3.000 erpressen wollte. Die Generalstaatsanwaltschaft meinte, ja, an sich sei das schon strafbar, aber das hätten ja alle gemacht, und der Professor habe das Unrecht seines Handelns ja nicht erkennen können. Parkt aber mal falsch vor der Uni und sagt, die anderen hätten ja auch so geparkt, dann seid Ihr dran.
Es wabert gerade so ein Fall herum, in dem es ähnlich geht, der aber noch schwer zu erfassen ist, weil das Urteil, um das es geht, noch nicht veröffentlicht ist.
Es geht um das Landgericht und Oberlandesgericht Hamburg.
Das Magazin Der Stern hatte einen Blogger verklagt, weil der ihnen vorgeworfen hatte, Fake News zu verbreiten (woran erinnert mich das jetzt?).
Es ging da wohl ein 7-jähriges syrisches Mädchen, das angeblich aus dem umkämpften Aleppo in bestem Englisch politische Thesen twittere, mittem im Krieg einen Computer bedient und im Gegensatz zu allen anderen eine gute Internet-Anbindung gehabt haben soll. Sie kündigte ihren Tod für den nächsten Angriff an, war dann auch tot, wurde wiedererweckt, und twitterte weiter, obwohl sie, wie sich angeblich irgendwann mal herausstellte, kein Wort englisch verstehe. Angeblich habe sich irgendwann auch herausgestellt, dass aus England und nicht aus Aleppo gewittert werde, aber die Sache, dass da ein kleines Mädchen twittere, ging wohl rum. Ich kann mich so dumpf entsinnen, sowas auch mal irgendwo gelesen zu haben, auch mal irgendwo von einer Neunjährigen, die youtube-Videos dreht. Ich habe mich da schon immer gewundert, denn ich merke ja selbst, wie schwer und arbeitsaufwändig es ist, so ein Blog zu betreiben. Und wenn dann irgendwelche 7- oder 9-Jährigen Mädchen vorbeikommen, die das soviel besser und erfolgreicher als ich könnten, dann kommt mir das so komisch vor. (Wie Künstler oder Politiker, die 10 Jahre älter sind als ich, und trotzdem so viel mehr Haare auf dem Kopf haben.)
Anscheinend hat wohl dieser Blogger dabei irgendwie Kritik geäußert, und wurde postwendend verklagt.
Die Quellenlage ist – noch ist das Urteil angeblich nicht veröffentlicht – bisher dünn. Zu lesen gibt es beim blauen Boten selbst (wichtig: mit Verweisen auf das Blog des Anwaltes), Rubikon, nochmal Rubikon, und Russia Today. (Oh, da bekomme ich wieder Zuschriften, wie man so unseriöse Seiten verlinken kann – dann nennt mir Seiten unserer „Qualitätspresse“, auf denen davon berichtet wird. Und wenn Ihr die nicht liefern könnt, sortiert mal Eure Seriösitätsrangliste neu.)
In Hamburg ist es wohl eher unüblich, in Fällen einstweiligen Rechtsschutzes den Gegner anzuhören, und so kam es wohl, dass der Blogger in erster Instanz – ohne davon zu wissen und angehört zu werden – anscheinend obsiegte, selbst das Landgericht Hamburg (und das will was heißen) sah eine zulässige Meinungsäußerung. Das OLG Hamburg habe das aber wohl anders gesehen (damit hat man ohne beteiligt zu werden schon die Berufung und doppelte Kosten am Hals, den Streitwert haben sie gleich auf 100.000 Euro gesetzt) und einige Anträge angenommen.
Der Vorwurf der Fake News enthalte (muss man dann nochmal genau und sorgfältig lesen, sobald es ein Urteil gibt, weil man da schon den Original-Urteilstext braucht) die Tatsachenbehauptung, dass die Redakteure bewusst gelogen hätten. Und weil der Blogger das nicht beweisen könne, sei es eben eine unzulässige Tatsachenbehauptung. Er könne halt nicht in deren Kopf reinschauen.
Dazu sollte man noch das Blog des Anwaltes lesen, der da ziemlich deutlich ausbreitet, wie da prozessual Schindluder getrieben wird und es faktisch kein rechtliches Gehör mehr gibt.
Ein wesentlicher Punkt ist aber wohl, dass da irgendwo entschieden wurde, dass Journalisten keine Sorgfaltspflichten hätten und das, was sie verbreiten nicht prüfen müssten. Dem Blogger hingegen erlegt man Prüfungspflichten auf, stellt an ihn also wesentlich höhere qualitative Anforderungen als an die Berufspresse. Wieder das alte Prinzip, an Privatleute und Amateure viel höhere Anforderungen zu stellen als an Profis.
Das würde nicht nur bedeuten, dass man Berufsjournalisten spätestens jetzt nicht mehr ernst nehmen kann, weil sie damit quasi einen Freibrief haben, zu schreiben was sie wollen, solange man nicht nachweisen kann, dass sie bewusst lügen. Bei Bloggern dagegen kann man erwarten, dass sie vorher alles prüfen. (Das war bisher umgekehrt, für Amateure galt das Laienprivileg.)
Außerdem würde das heißen, dass man praktisch gar niemand Reichem mehr Fake News vorhalten kann, weil die Beweisanforderungen so hoch sind, dass sie nicht mehr erfüllbar sind, und vor Gericht immer der gewinnt, der es sich dann leisten kann.
Es hieße vor allem, dass man hier einem flächendeckenden Krieg gegen unabhängige Blogger führt und versucht, die Konkurrenz zu etablierten Mainstream-Medien totzuschlagen, sich selbst aber das Recht einräumt, beliebig unwahre Informationen zu verbreiten ohne dafür kritisiert zu werden.
Aber jetzt warten wir erst mal ab, was tatsächlich in diesen Urteilen steht.
- Dieser fliegende Gerichtstand dürfte wohl vor allem im SPD-Interesse liegen, die ja sehr meinungsunterdrückend ist, in Hamburg das Sagen hat und weit mit der Presse verstrickt ist. Sollte, wie es ausschaut, die SPD bei der Bundestagswahl aus der Regierung fliegen und es zu eine CDU-FDP- oder CDU-FDP-Grüne-Koalition kommen, sollte man die daran messen, ob sie diesem Spuk ein Ende bereiten und das Prozessrecht korrigieren. Eine CDU-FDP-Regierung, die der SPD die Lufthoheit über das Veröffentlichungsrecht belässt, wäre ein Witz.
- Jeder STERN-Käufer oder -Abonnent wird sich überlegen müssen, ob er denen weiterhin noch Geld gibt.
Muss man sich mal klarmachen: Das wäre dann eine Redaktion, die selbst vor Gericht erstreitet, dass ihre Berichte wertlos sind.
Meldungen, deren Herkunft anscheinend/angeblich irgendwo im terroristischen Bereich liegen, dürfen unbehelligt verbreitet werden, aber wer was dagegen sagt, der wird ruiniert. Kurioserweise heißt es ja immer, die Russen wollten durch Fake News die Bundestagswahl manipulieren. Wenn aber Kriegspropaganda weiterverbreitet wird, dann wird das als zulässig angesehen.
Wer kauft sowas?