Ansichten eines Informatikers

Berliner Prioritäten

Hadmut
3.8.2017 22:14

Wieder mal lernen wir etwas darüber, was in Berlin wichtig ist.

Und das beste: Endlich lernen wir, was genau eigentlich unter „Gleichstellung“ zu verstehen ist. Nicht das, was Ihr denkt. (Oder: Penisneid neu denken!) [Nachtrag: Warum es völlig beknackt ist und nicht funktionieren kann.]

War die Rede nicht immer von Gleichstellung, wie wichtig sie ist?

Schaute man aber mal ganz genau hin, dann merkte man, dass das ja gar nicht stimmt. Gleichstellung hat man nie betrieben. Bis jetzt. Bisher ging es immer nur um Gleichsetzung.

Und es gibt einen Riesenunterschied zwischen Gleichsetzung und Gleichstellung. In Berlin zumindest.

Gleichsetzung:
Weil Frauen sich zum Pinkeln setzen müssen, müssen das auch Männer tun. Beide müssen gleich sitzen. Weil es ja nicht fair wäre, wenn einer was kann, was die andere nicht kann. Hat sich aber nicht durchgesetzt.
Gleichstellung:
Wenn Männer beim Pinkeln stehen dürfen, müssen Frauen auch stehen dürfen. Damit sie „gleichgestellt“ sind.

Deshalb geht man in Berlin jetzt offiziell neue Wege und verlangt, dass öffentliche Toiletten künftig mit Damen-Steh-Urinalen ausgestattet sind. (Das Thema Drittes Transsexuellen-Klo scheint irgendwie wieder vom Tisch zu sein, vielleicht wussten sie nicht, wie man da die Urinale bauen solle.)

Also fordert der Senat ganz offiziell, dass künftig jede Toilette geschlechtsneutral aus einer separaten Kabine besteht, in der eine Kloschüssel, ein Herrenpissour und ein Damenurinal installiert sind.

Siehe BZ: Senat fordert Urinal für Frauen, weil das Pissoir ungerecht ist

Da hat man ein Toilettenkonzept geschrieben, 97 Seiten, und – man hat ja nichts wichtigeres zu tun – natürlich auch Toiletten gegendert:

Auf Seite 30 steht das Kapitel „Geschlechtergerechtigkeit“. Hier wird nachgewiesen, dass es ungerecht sei, wenn nur Männer im Stehen urinieren dürften, Frauen aber nicht. Wörtlich heißt es: „Aus Sicht der Gleichstellung sind Pissoirs nicht akzeptabel.“

Wenn aus Sicht der Gleichstellung Pissoirs nicht akzeptabel sind, dann wissen wir endlich, was „Gleichstellung“ ist, jedenfalls in Berlin: Beim Pinkeln gleich zu stehen.

Und sie erklären auch, warum sich das mit dem Sitzpinkeln nicht durchgesetzt hat:

Die Fachleute des Senats stellen fest, dass es zwar wichtig sei, Männern Urinale anzubieten, da sie „eher zum Wildpinkeln tendieren“ würden als Frauen.

Männer lassen sich nicht zum Sitzpinkeln zwingen, dann nimmt man halt eine Hauswand.

(Was ich jetzt auch nicht fair finde. Ich habe zwar einen Single-Haushalt und kann pinkeln, wie ich gerade will – ich muss mein Bad ja auch selbst putzen – aber gerade deshalb war ich lange Jahre begeisterter Sitzpinkler: Ich habe mich bevorzugt auf den Rand der Badewanne gesetzt und von da aus im Bogen ins Klo gezielt. Zu meinem Leidwesen werde ich aber älter, und da ist der Druck halt nicht mehr so hoch. Deshalb habe ich mich die letzten Jahre immer auf die Waschmaschine gesetzt, die ist näher dran. Aber die Kletterei ist auch nichts, inzwischen bin ich wieder Stehpinkler.)

Dennoch müsse aber eben auch Frauen die Möglichkeit geboten werden, sich im Stehen zu erleichtern.

Schrecklich.

Stellt Euch die Seelenqualen und Nöte unterdrückter und versklavter Frauen vor. Die sitzen da mutterseelenallein in ihrer Kabine, pinkeln so vor sich hin, und müssen ständig daran denken, dass irgendwo da draußen Männer im Stehen pinkeln. Und sie nicht. Wie soll eine Frau das nur aushalten?

Wobei ich mir ja ziemlich sicher bin, dass das zu modischen Veränderungen führt. Ich habe ja schon erwähnt, dass die jungen (und auch viele alte) Berlinerinnern keinen Minirock tragen, weil es den nicht kurz genug gibt, und stattdessen Arschbackenhosen, bei denen die unteren Arschbacken und die Falte zum Schenkel rausgucken. Das dürfte aber zu feuchten Flecken führen. Vermutlich werden sie dann wieder auf Minirock umsteigen, da läuft’s dann halt nur die Beine runter. Ich muss da immer an eine Bekannte denken, die immer dann, wenn ihr irgendwas zukünftiges nicht passte, sarkastisch meinte „Die Vorfreude läuft mir die Beine runter“.

Was allerdings so progressiv daherkommt, ist ein alter Hut.

Schon als ich noch in Karlsruhe war, ist mir mal in einem Sanitärfachgeschäft ein Damenurinal aufgefallen. Man räumte auf Nachfrage ein, dass es sich nicht verkaufe. Und das, obwohl eine ausgemusterte Ex-Tagesschausprecherin dafür warb: Lady P. – gesprochen Lady pee.

Als ich danach in Dresden wohnte, gab es dort ein Cafe Europa, das für ein Damen-Steh-Urinal in seiner Damentoilette warb. Tatsächlich konnten sie kurzzeitig ihre Besucherinnenzahlen anheben, weil die das alle mal sehen wollten. Man räumte auf Nachfrage ein, dass es wohl noch nie benutzt worden sei. Naturgemäß habe ich das Ding selbst nicht in Augenschein genommen, und Fotohandys waren damals noch nicht so verbreitet.

Generell bin ich der Sache nicht abgeneigt. Und würde anregen, einen Youtube-Channel einzurichten, auf dem man erfolgreiche und erfolglose Versuche dokumentieren kann. Vielleicht sollte man noch eine Handy-Halterung an der Wand anbringen, damit man sein Pinkel-Selfie gleich hochladen kann.

Wenn sie aber schon darauf bestehen, keinen Pissoir-Bereich wie bei Männern mehr zu haben, sondern das alles in Toilettenkabinen zusammenzufassen, würde ich doch anregen, einen Wischmop reinzustellen, damit man’s dann auch aufwischen kann.

(Wollte man das Problem ernstlicher angehen, dann hätte man sich ja mal kultureller Bereicherungen immigrierender Art bedienen können und das zwar nicht sehr schöne, aber funktional gut erprobte asiatische Loch im Boden installieren können.)

Immerhin: Jetzt wissen wir, was „Gleichstellung“ ist.

Bleibt die Frage: Wer pinkelt in sowas?

Nachtrag: Ich bin ja schon auf die Anleitungen gespannt, mit denen sie den „Gästen“ aus aller Welt, die sowas nicht gewohnt sind, erläutern wollen, warum es da drei Schüsseln gibt, und wofür man sie verwendet und wofür nicht.

Erinnert mich gerade an „die drei Muscheln“: Er weiß nicht, wie man die drei Muscheln bedient – ich glaub, ich steh’ im Wald! 😀

Nachtrag: Ein Leser weist mich gerade noch auf einen anderen Aspekt hin: Die Warteschlange. Dazu fällt mir auch noch was ein.

Normalerweise geht es bei Männerklos immer zügig durch, weil die Pissoir-Reihen nicht nur effektiv sind, sondern auf demselben raum einfach mehr passen als normale Toiletten, und damit auch der bestehende Raum besser ausgenutzt wird.

Das hat außerdem den großen Vorteil, dass die Pinkler Priorität haben, weil die mit dem „großen Geschäft“ die Pissoirs ja nicht blockieren. Die meisten Leute, die ja meist eben nur pinkeln gehen, können da trotzdem weiter durchlaufen.

Hat man aber alles in Kabinen, hängen zwar in jeder Kabine gleich drei Schüsseln, es gibt aber gleich mehrere Probleme:

  • Die Kabinen brauchen damit viel mehr Platz, weil die Kabine sehr groß sein muss, es also pro Grundfläche nur noch sehr wenige Kabinen gibt, gleichzeitig also einfach weniger Toilettenplätze gibt.
  • Damit wird ein niedriger Durchsatz erzwungen, weil damit sichergestellt ist, dass von drei Schüsseln immer nur eine in Gebrauch ist und zwei unbenutzt bleiben.
  • Die Stehpinkler können nicht mehr wie bisher die Sitzer überholen. Wer sitzt, blockiert da einfach alles. Und wenn damit das Männerklo für Frauen zugänglich wird – was vermutlich die eigentliche Absicht war, um die Schlangen vor dem Frauenklo abzubauen – ist einfach alles blockiert.

    Darin dürfte ein katastrophaler Denkfehler zu liegen: Nämlich dass auf dem Männerklo weniger los wäre und Frauen einen Vorteil hätten, wenn sie auf das Männerklo dürfen. Das liegt aber nur daran, dass es im Männerklo Kloschüsseln und Pissoirs gibt, es also erstens mehr Verrichtungsstationen gibt, und zweitens die schnellen Pinkler durchlaufen, ohne von den Sitzern gebremst zu werden. Tatsächlich aber gehen Männer öfter pinkeln als Frauen.

    Mischt man also die Herren- und Damenklos und reduziert alles auf Kabinen (also so, wie bisher die Damenklos waren), hat man zwar die Zahl der Leute nicht reduziert, die insgesamt auf’s Klo müssen, aber die Anzahl der Verrichtungsstationen drastisch reduziert und dafür gesorgt, dass jetzt alle anstehen und warten müssen.

    Das Ergebnis wird also sein, dass Frauen dann noch länger warten müssen, weil es dann weniger als doppelt soviel Toilettenkapazität wie vorher auf dem Damenklo gibt, sie die aber mit Männern teilen müssen, die öfter pinkeln gehen müssen – und dazu dann auch länger brauchen.

  • Und Männer werden nicht Schlange stehen. Die werden wildpinkeln.

Es ist also nicht nur eine völlig bescheuerte und kontraproduktive Idee.

Es ist auch die Idee von jemandem, der sich ganz offensichtlich nicht mit den effizienten Abläufen auf Männerklos auskennt.

Es ist eine Frauenidee.

Und sie kann nicht funktionieren.