Ansichten eines Informatikers

Raucher

Hadmut
17.9.2017 18:17

Über den Zerfall der Mittelschicht. [Nachtrag 2]

Eben habe ich gerade mal die Stimmung auf einer Fete abgekühlt.

Auf der Rückseite des Hauses, wo es zum nächsten Haus geht, in ein Grünstreifen, etwas Wiese. Da hat jemand vom Nachbarhaus eine Art Sommerfest, Bierbänke, Salate, Kinder die spielen und den vielleicht letzten warmen Tag nutzen. Nichts, was einen stören würde. Ich habe ein paarmal aus dem Wohnzimmerfenster gesehen, Gesichter, die ich nicht kenne, hat mich aber ansonsten nicht interessiert. Störten ja auch nicht. Laut waren sie auch nicht.

Während ich gerade in meinem Büro sitze, stinkt es auf einmal. Nach Zigaretten. Irgendwer hat da geraucht, und der Gestank zieht zu mir in die Wohnung. Angewidert gehe ich ins Wohnzimmer, um das Fenster zuzumachen. Mehr an Aktion hatte ich eigentlich nicht vor. Da sehe ich, wie draußen einer in der Nähe meines Fensters steht, so vom Aussehen her linke pseudointellektuelle Mittelschicht, so Ende 30, vielleicht 40, Zeitgeist-Brille, in der einen die Bierflasche, in der anderen die Zigarette. Habe ich hier noch nie gesehen. Ich dachte noch, der nimmt weder auf Anwohner noch auf die Kinder Rücksicht, denn so 3,4,5-jährige, wie da spielten, können sich gegen sowas ja nicht wehren. Eigentlich war der Gedankengang damit für mich zu Ende und ich wollte wieder ins Büro, um etwas zu schreiben, da sehe ich, wie der Kerl auf der Wiese zu den Luftschächten der Tiefgarage geht, um seine Kippe da reinzuwerfen.

Das war mir dann doch zuviel.

Mir nämlich geht das auch auf den Wecker (und Geldbeutel), dass die Hausverwaltung zweimal im Jahr die Tiefgarage komplett reinigen lässt, und man dazu immer frühmorgens bis Abends das Auto rausholen und woanders unterbringen muss, was in Berlin schwierig, teuer, gefährlich für’s Auto und meist alles drei ist. Ich frage mich dann immer, woher eigentlich der Dreck kommt. Davon abgesehen lauert in Tiefgaragen immer eine Brandgefahr, da gehört Feuer einfach gar nicht hin. Und wenn da jeder seinen Müll reinschmeißt, sammelt sich genug Material für ein Feuerchen.

Also bin ich raus und habe den mal angesprochen. Der guckte schon komisch, weil ich geraden Schritttes und offenbar nicht gerade diplomatischer Miene direkt auf ihn zusteuerte. Konnte sich aber nicht denken, warum. Guten Tag, sagte ich, ob ich mal fragen dürfte, wer er sei und was er hier mache.

Etwas verunsichert gibt er mir eine Antwort und sagt, dass er hier bei der Feier sei. Ja, ob er hier wohne, frage ich. Nein, er gehöre hier nicht hin, er sei nur zu Besuch. Worum es denn ginge.

Ich eröffne ihm, dass er mir aufgefallen sei, weil er die Ursache für Gestank in meiner Wohnung sei, und er offenbar überhaupt keine Rücksicht nimmt, wenn er vor der Wohnung fremder Leute raucht. Glotzt mich an wie eine Kuh, wenn’s donnert. Er leugnet es nicht, sondern ist anscheinend noch nie auf den Gedanken gekommen, dass er andere Leute einstänkert.

Dann habe ich ihm vorgehalten, dass ich eben gesehen habe, wie er seine Zigarette da durch das Gitter in den Lüftungsschacht geworfen hat.

Eigentlich habe ich damit gerechnet, dass er leugnet oder sich aufregt.

Er bestätigte aber, dass er das getan hat, und schaute mich irritiert fragend an, und fragte dann auch, weil ihm offenbar nicht klar war, was der Grund meines Vorhaltes war, ihm war offenbar kein Fehlverhalten ersichtlich.

Ich habe ihm dann – durchaus laut, die anderen guckten, und das habe ich auch bezweckt – dass das unsere Tiefgarage sei und ich das für eine Unverschämtheit halte, fremden Leuten den Müll in die Tiefgarage zu werfen. Ich würde meinen Müll ja auch nicht bei ihm abladen.

Ziemlich verblüfft guckt er mich an. Nicht mal die übliche Abwehr von Rauchern, sondern Überraschung. Ja, ihm sei nicht klar gewesen, dass das eine Tiefgarage sei.

Na wurde ich dann nochmal lauter. Für was er es denn gehalten hätte. Ob er glaubt, dass wir da mitten in die Wiese öffentliche Müllschächte einbauen. Sieht irgendwo ein Gitter im Boden und glaubt, man könne da einfach seinen Müll reinfallen lassen.

Völlig verdutzt.

Hat ihm noch nie einer gesagt.

Als Kind offenbar nicht erzogen worden.

Der Veranstalter, ein Nachbar aus dem Nebenhaus, und irgendeine Frau versicherten mir, dass sie das nachher wieder holen würden.

Und jeder würde ja mal einen Fehler machen.

Es war aber doch kein „Fehler“ im Sinne von falsch entschieden, Versehen, Verwechslung.

Das war Sozialunfähigkeit, Parasitentum, Leben auf Kosten anderer: Dreck einfach fallenlassen, sollen sich andere drum kümmern. Der fand das völlig normal, seinen Dreck einfach irgendwohin zu stecken, wo er ihn dann nicht mehr sieht, und hat sich noch nie darum gekümmert, was anderer Leute Wohnung oder Tiefgarage ist. Anscheinend war ich der erste, der ihm das gesagt hat.

Nimmt anscheinend generell zu. Ich habe in den letzten Tagen an den U-Bahnhöfen, wo Rauchen eigentlich verboten ist, mehr Raucher als solche gesehen, die nicht rauchen. Und um wieder mal auf den Supermarkt vor meinem Küchenfenster zu kommen: Da fahren ja immer die Möchtegernrennfahrer aus dem Kreuzberg-Milieu ihre Angeberrunden. Als ich heute aus dem Fenster guckte, war da so eine massive Trennstange zwischen den Parkplatzen aus dem Boden gerissen, dazu noch ein Haufen Pflastersteine herausgerissen. Muss wohl in der Nacht jemand bei den Rallyefahrten dagegen gefahren sein.

Wir sind mitten in einem rapiden gesellschaftlichen Zerfall. Das ist hier bald keine Gesellschaft mehr sondern jeder gegen jeden.

Nachtrag: Ich krieg mich da nicht mehr ein.

Es ist ja nicht so, dass der seine Kippe einfach hat fallen lassen und zufällig das Gitter unter ihm war. Der ist ja extra zum Gitter hingegangen.

Der steht auf einer Wiese, sieht ein Gitter im Boden, denkt überhaupt nicht nach, was das sein könnte, sondern denkt sich einfach, das ist prima, da kann man Zigaretten reinschmeißen. Als ob es da irgendwie so öffentliche, mehrere Quadratmeter große Aschenbecher gäbe, die man unterirdisch in Wiesen einbaut, und in denen die Zigaretten dann einfach bleiben könnten.

Was geht denn im Kopf solcher Leute vor?

Wie ich es drehe und wende, ich vermag keine erträglichen Gedankengang darin zu finden.

Nachtrag 2: Wenn ich so drüber nachdenke, habe ich das, was in dessen Kopf vorging, in früheren Blog-Artikel schon beantwortet: Die Droge Zigarette wirkt auf das Belohnungszentrum im Gehirn und löst (quasi chemischer Hack) eine Belohnung für soziales Wohlverhalten aus, obwohl solches gar nicht stattgefunden hat.

Der verhielt sich explizit assozial, aber vermutlich gaukelte ihm sein chemisch betäubtes und manipuliertes Gehirn vor, sich gerade sozial zu verhalten. Deshalb war der wohl auch so verblüfft, als da einer stinksauer ankommt und ihn fragt, ob er noch alle Latten am Zaun hat. Da hat einfach das Gehirn nicht mehr funktioniert und deshalb die Schutzfunktion gegen soziales Fehlverhalten nicht mehr ausgelöst. Der befand sich in der Sozial-Lob-Phase und konnte mit der Kritik deshalb erst mal nichts anfangen.

Über Malware und Sicherheitslöcher in Wahlcomputern regen sich alle auf.

Wenn die Leute sich aber chemische Malware ins Hirn pfeifen und damit ihr Sozialverhalten verheizen, stört das fast niemanden.