Das türkische Geburtsdatum
Ein türkischstämmiger Leser klärt mich auf – oder: Andere Länder, andere Sitten.
Ich hatte doch neulich geschrieben, dass ein Unterschied zwischen Türken und Syrern wäre, dass die Syrer sich jünger machen, um als minderjährig zu gelten, und die Türken sich älter machen, um früher Rente zu bekommen.
Ein Leser meiner Altersgruppe erklärt mir das nun. Das sei gar nicht so abwegig. Denn tatsächlich seien viele Türken wirklich älter als im Pass angegeben und hätten einfach keine Lust, hier in Deutschland länger als bis zum Rentenalter zu arbeiten.
Der Grund sei nämlich, dass in der Türkei bis in die 70er Jahre einfach andere Sitten herrschten und die Standesämter nicht wie bei uns betrieben wurden. Man hat Kinder nicht sofort nach der Geburt angemeldet, sondern wenn man „das nächste Mal” in der großen Stadt auf dem Amt vorbeikam. Und sowas konnte auch mal ziemlich dauern. Durchaus länger. Das eingetragene Geburtsdatum liefe darauf eher auf eine Art Anmeldedatum hinaus. Dazu kommt, dass Türken – zumindest früher – mit 18 zum Wehrdienst mussten und Eltern das gerne hatten, wenn das Kind bis dahin etwas reifer und erwachsener (stabiler?) war, weshalb die Differenz nicht selten 2 bis 3 Jahre oder mehr betragen kann. Weil man es dann bei der Anmeldung auch nicht mehr so genau sagen konnte oder eben wollte, wann das Kind denn nun geboren sei, hätten verblüffend viele Türken meiner Altersgruppe ein Geburtsdatum am 1.1., weil man das immer eintrug, wenn’s nicht mehr so klar war. Stimmen könne es nicht, denn, so versicherte mir der Leser nachdrücklich, Türken schnackselten das Jahr über gleichmäßig und nicht nur im März. Schon daher seien an den angegebenen Geburtsdaten gewisse Zeifel angebracht, und deshalb das Ansinnen vieler Türken, ihr Alter raufsetzen zu lassen, nur fair.
Wieder was gelernt.
Wirft aber wieder mal die Frage auf, wie die von den Juristen unterstellten Altersgrenzen – Minderjährigkeit, Rente usw. – eigentlich überprüft werden.
Denn bei allem Verständnis dafür, dass die Leute nicht länger als andere arbeiten wollen, dürfte das auch zu einigem Missbrauch und vorzeitiger Rente führen.
Und im Strafrecht habe ich auch noch nie davon gehört, dass man das Alter türkischer Straftäter, die noch unter Jugendstrafrecht fallen, mit Hinblick darauf angezweifelt hätte. Da gilt immer das aus dem Melderegister.
Gut, wenn das nur bis in die 70er Jahre so war, dürfte das inzwischen nicht mehr für Jugendstrafrecht relevant sein. Sogar deutsche Richter dürften es merken, wenn sich ein mittlerweile mindestens 38-jähriger als 15 ausgibt (obwohl ich mir da jetzt auch nicht sicher wäre). Aber es gibt ja auch noch andere Grenzen, etwa die Altersgrenze für die Einstellung von Beamten. Führerscheinüberprüfungen. Tarife in der Krankenversicherung.