Ansichten eines Informatikers

Nachtrag 1 zu „Das verbotene Buch”

Hadmut
28.2.2018 0:30

Ich möchte dazu einen einzelnen Aspekt aufgreifen und auf eine Frage reagieren.

Ich habe sehr, sehr viele Zuschriften bekommen, und es wird einiges dauern, das durchzuarbeiten. Zwei, drei, vier davon waren höflich/konstruktiv kritisch, eine substanz- und begründungslose Beschimpfung, der Rest in den Kategorien positiv, zustimmend, bestätigend, weiterführend.

Einen Aspekt möchte ich dabei herausgreifen, weil er mir besonders wichtig erscheint: Mehrere Leser fragten, worin denn diese enge Verbindung zwischen Juden und Marxismus bestehe, das sei da nicht ersichtlich.

Das ist aber genau der Punkt: Es ist nicht ersichtlich.

Ich weiß es auch nicht, worin der Zusammenhang bestehen soll. Für mich ist – bisher – keinerlei objektiv greifbarer und nachvollziehbarer Kausalzusammenhang zwischen Juden und Marxismus erkennbar. Da ich mich bisher nur in geringem Umfang mit der historischen Vergangenheit beschäftigt habe, kann ich da keine erschöpfende Auskunft geben, und auch nicht ausschließen, dass es eine gibt, aber mir ist bisher keine bekannt.

Ich habe ja schon angemerkt, dass der da keine Quellen oder greifbare Tatsachen beschreibt, sondern ausschließlich seine Sicht der Welt, und dass ich das Buch ja auch nicht vollständig gelesen, sondern mich nur an einigen Begriffen per Suchfunktion entlanggehangelt habe. Dem Buch ist zweifelsfrei und in aller Deutlichkeit zu entnehmen, dass der diese Verbindung für sicher hielt und als 1:1-Verbindung ansah, aber nicht, warum und wieso. Es gibt – auch aus anderen Quellen – Hinweise darauf, dass auch das nur plagiiert war, weil er wohl in jüngeren Jahren einem Antisemiten zugehört hat, und ein anderer Leser weist auf den Umstand (und dazu auf diesen aufschlussreichen Wikipedia-Artikel hin), wonach das in den 1920er Jahren weltweit viele bis hoch in die Regierungen glaubten, auch in England und den USA. Es könnte sich also um etwas in der Art einer Urban Legend handeln, die sich ausbreiten, weil jeder nur vom anderen übernimmt ohne nachzuprüfen.

Ein Steckenpferd dieses Blogs ist das Thema Denkfehler. Und deshalb drängt sich auch da auf, dass da die einschlägig bekannten Denkfehler dahinterstecken könnten.

Koinzidenz-/Korrelationsfehler:
Richtig ist wohl, dass es unter den führenden Ideologen im Kommunismus eine auffällige Häufung von Juden gab, etwa Karl Marx oder die Frankfurter Schule. Aber selbst wenn ich alle zusammenkratze, von denen ich bisher gelesen habe, sind das vielleicht zwei, kaum drei Dutzend Leute. Für keine der beiden Bezugsgrößen – Juden und Kommunisten – sind das hinreichende Stichproben, weil es da um Millionen Leute gibt. Vor allem ist es keine unabhängige Stichprobe, weshalb sie nicht taugt. Die Frage müsste sein, ob unter Juden überproportional viele Marxisten/Kommunisten oder unter Marxisten überproportional viele Juden wären. Würde man zufällig je 20 Leute ziehen und die wären alle Marxisten bzw. Juden, dann wäre das signifikant. Dafür sehe ich aber keinen Beleg.

Betrachtet man diese führenden Ideologen, dann ist das eine vor der Stichprobe schon zusammenhängende Gruppe, und damit eben keine unabhängige und zufällige Stichprobe mehr. Das ist zwar sehr auffällig und Grund für nähere Betrachtung, aber es trägt die Aussage noch nicht.

Denkbar wäre beispielweise, dass Juden generell politisch sehr aktiv sind, und damit in vielen politischen Richtungen stärker aktiv sind, ohne irgendeine Richtung zu bevorzugen. Vielleicht kannten die sich auch vorher (z. B. Frankfurter Schule), das naheliegend ist, wenn sie Gemeinsamkeiten haben, und dann verbreitet sich eine Überzeugung schneller. Man wird bei jeder beliebigen Überzeugung immer eine Klumpenbildung aus Leute mit anderen gleichen Nachrichten gibt.

Man müsste also alle Personengruppen und alle politischen Richtungen betrachten, um die einschlägigen statistischen Tests darauf anzuwenden.

Eine Korrelation ist keine Kausalität:
Selbst wenn sich bei näherer Untersuchung doch eine überproportionale Beteiligung, eine Überrepräsentanz ergäbe: Eine Korrelation ist noch keine Kausalität. Das könnte auch umgekehrt verlaufen sein oder einen unabhängigen dritten Grund haben. Man müsste das konkreter betrachten und auch qualitativ erklären.
Umgekehrte Kausalität / Ursache und Wirkung vertauscht:
Damit verwandt ist immer die Frage, ob auch bei einer direkten Korrelation die Kausalität nicht andersherum liegen könnte, als gedacht. Ob Ursache und Wirkung nicht andersherum verlaufen als es aussieht. Wenn es tatsächlich einen verbreiteten Antisemitismus gab und der starken Druck ausgeübt hat, kann es möglich sein, dass gerade Juden sich eine politische Position suchen, die auf Gleichheit aller rausläuft. Dass also Juden und Marxismus nicht von vornherein affin wären, sondern durch äußere Einflüsse zusammengezwungen werden, ohne eine innere Kausalität aufzuweisen.

Confirmation Bias
Wenn man etwas hört, was einem in den Kram passt, wird man es leichter glauben und weniger prüfen. Auch das kann hier eine große Rolle gespielt haben.

Wie schon im vorangegangenen Artikel angesprochen: Es kommt hier auf die subjektive Seite an, darauf, was der geglaubt hat, und weniger darauf, ob es überhaupt stimmt, weil es um die Frage der Motivation geht. Motivlagen sind subjektiv, und es kommt nicht so wirklich darauf an, ob ein Motiv wahr und nachprüfbar ist, sondern nur darauf, ob der Täter es glaubte.

Außerdem glaube ich hier wieder so ein evolutionäres Verhaltensmuster zu erkennen. Es ist bekannt, dass der Mensch dazu neigt, hinter Unbill böse Absichten zu vermuten und hinter allem Animismen zu sehen: Alles sei irgendwie von bösen Mächten und Lebewesen beseelt. Wenn irgendetwas schief geht, dann waren es Kobolde und Klaubautermänner, und Algorithmen sind böse und fies und trachten uns mindestens nach unserem Wohlergehen. Alles trägt eine böse Absicht.

Ich las mal irgendwo, dass das ein Abwehrreflex ist, weil es sich evolutionär bewährt hat, hinter einer ungewöhnlichen Bewegung im Gras lieber mal ein böses Raubtier zu vermuten und sofort die Flucht anzutreten. Der Mensch neigt deshalb sehr stark dazu, hinter allem, was ihm schlechtes passiert, böse Absichten eines bösen Wesens zu unterstellen.

Womöglich hat ein ähnlicher Mechanismus hier zugeschlagen und eben keine Kobolde, sondern Juden für die Art der Absicht gehalten.

Letztlich könnte da(nn) wieder das verantwortlich sein, was ich schon zum Thema der Amygdala beschrieben habe: Man gerät in einen Tribalismus und neigt dazu, hinter allem einen Bösen vom feindlichen Stamm zu sehen – und ihn zu bekämpfen.

All das sind eigentlich genau die Gründe, warum ich die heutige Soziologie für so schlecht und gefährlich halte. Die zählen irgendwo in winziger, oft miserabel gewählter Stichprobe etwas, und behaupten dann einfach irgendeine Kausalität. Im Ergebnis sehen wir dasselbe Funktionsprinzip auch hier. Nach der Arbeitsweise und Methodik der Soziologen würde man aus solchen Beobachtungen folgern, dass Juden Marxisten sind und umgekehrt, weil man da irgendwo mal ein paar gezählt hat. Wie ich aber oben gezeigt habe, ist das falsch. Es zeigt sehr gut, wie gefährlich solche fehlerhaften Methoden sind.

Um die Frage nochmal zu beantworten: Nach meinem derzeitigen – unvollständigen – Wissensstand gibt es keinen kausalen Zusammenhang zwischen Juden und Marxismus, aber zur Beurteilung der Motivation kommt es nur auf die subjektive Seite an.