Flussgeister
Energieschutzschilde braucht man.
Die Kronenzeitung berichtet genüsslich über die neuesten Erkenntnisse aus Wien, die Stadträtin Sandra Frauenberger und die Spitzenbeamtin Susanne L und deren Esoterik-Spinnereien. Auch den früheren Bericht sollte man lesen.
Die haben da so eine Baustelle und bekommen ihr Krankenhaus nicht fertig (wie bei uns der BER). Deshalb haben sie für 95.000 Euro einen „Bewusstseinsforscher” dafür bezahlt, das Gebäude richtig einzuschwingen und in Harmonie zu Mutter Erde zu setzen.
Für diese Analyse sowie für die „energetische Reinigung des Grundstücks“ und sein Bemühen, „äußere Einflüsse am Höchstmöglichen auszurichten“ (Zitat), erhielt der Unternehmensberater im Jänner immerhin 95.000 Euro Steuergeld. Dafür wissen jetzt die Spitalschefs alles über die „Transformation der Intention des Grundstücks und seine neue Definition: ,Die Liebe möge wachsen und gedeihen.’“
Dass 95.000 Euro etwas viel Geld für lediglich zwei je sechs Seiten dicke Leistungsprotokolle sein könnte, verneint eine Sprecherin der KH-Nord-Bauleitung: „Es gab ja auch Coachings für das Führungspersonal.“ Wie viele Stunden das waren, könne aber nicht mehr erhoben werden.
Dafür haben sie jetzt einen „Energie-Schutzschild”, der die Liebe wachsen lässt.
Und jetzt noch eine Flussgeister-Beschwörung.
Der „Energie-Schutzschild“ rund um das KH Nord, der Wiens Steuerzahler 95.000 Euro kostet, hat vielleicht auch etwas Gutes: Die teure Esoterik-Verrücktheit (wir berichteten) zeigt, wie eine Magistrats-Abteilungsleiterin trotz Pannen, Kostenüberschreitungen und Polizeiermittlungen immer weiter im Wiener Rathaus aufsteigt – bis zur Projektleiterin einer Milliarden-Baustelle. Und: Wiens Spitäler-Chef sprach jetzt mit krone.at auch noch über eine „Flussgeister-Beschwörung“ an seinem früheren Arbeitsplatz. Für die Opposition ist SPÖ-Gesundheitsstadträtin Sandra Frauenberger endgültig rücktrittsreif.
Keinesfalls freiwillig hatte die Gesundheitsstadträtin auf den Esoterik-Skandal im KH Nord reagiert: Erst nach dem ersten Bericht in der „Krone“ über den Ex-Autohändler Christoph F., der als „Bewusstseins-Forscher“ die Spitals-Baustelle für viel Geld mit einem „Energie-Schutzring“ umgeben wollte und am Grundstück angeblich auch die „Schwingungen erhöht“ habe, zog die SPÖ-Politikerin ihre Projektleiterin ab, die den Esoterik-Coach angeheuert hat. […]
Trotz dieser Verdachtsmomente und trotz einer ersten Suspendierung war die Karriere von L. im Rathaus nicht beendet – im Gegenteil: Sie wurde 2009 zur Chefin der Gruppe Tiefbau hochgelobt. Und weil das Ermittlungsverfahren gegen sie eingestellt wurde, durfte sie nun das größte Prestigeprojekt der Stadtregierung leiten, den Bau des Krankenhauses Nord …
Dass Susanne L. ganz allein von sich aus beschlossen haben soll, den „Bewusstseins-Forscher“ zu engagieren, halten Rathaus-Insider für „ziemlich unwahrscheinlich“. Die Esoterik-Posse könnte von „weiter oben“ abgesegnet gewesen sei, dafür sprechen mehrere Indizien: So bestätigte der Direktor der Wiener Spitäler, Herwig Wetzlinger, dass an seinem früheren Arbeitsplatz im Klinikum Klagenfurt eine „Beschwörung der Flussgeister“ der Glan im Jahr 2004 stattgefunden habe – Mitarbeiter streuten Rosenblätter in das Wasser. Im Gespräch mit der „Krone“ ist sofort klar, dass er davon gewusst hat. Wetzlinger: „Dafür gab es aber keinen Auftrag.“ Offiziell stellt die KAV-Presseabteilung dazu klar, dass Direktor Wetzlinger zum Zeitpunkt der Geisterbeschwörung „möglicherweise auch auf dem Spitals-Areal war“.
Man kann jetzt natürlich darüber spekulieren, woran sowas liegt. Mir fällt auf, dass das verblüffend viele Frauen an den Entscheiderstellen sitzen und die frauenfördernd die Karriereleitern hochgefallen sind. Die Opposition meint eher, es läge an rot-grün. Vermutlich beides.
Vielleicht ist ja das der Grund, warum der BER in Berlin nicht fertig wird: Die sind mit den Geisterbeschwörungen, Bodenbeschwichtigungen und Schwingungsverbesserungen noch nicht fertig.
Aber sagen wir es so: Österreich ist – mehr oder weniger – demokratisch, die können da machen und wählen, was sie wollen.
Amygdala
Ich überlege gerade, ob wir damit wieder beim Thema Amygdala landen.
Kann das sein, dass die da in allem irgendwas Lebendes sehen, zu dem sie eine Sozialbeziehung aufbauen müssen? Auch als Erwachsene, die ein Haus bauen sollen?
Es erinnert mich an ein Foto (leider unklar ob echt oder fake), das mal auf Twitter rumging, das ein amerikanischer Vater gemacht hat, der mal seiner Tochter alle Puppen weggenommen und ihr Spielzeugautos hingestellt hat. Sie hat das Auto (aufs Dach, Reifen nach oben) ins Puppenbett gelegt und zugedeckt. Selbst bei Affenkindern stellt man fest, dass die Jungs mit Technik und die Mädchen mit Puppen spielen, sogar in der Natur verwenden sie Stöckchen wie Puppen und nehmen sie, anders als Werkzeuge, mit in ihr Schlafnest.
Auch über das Phänomen des Animismus habe ich schon geschrieben, nämlich zur Zuschreibung böser Absichten an Algorithmen: hier, hier und hier.
Kann das vielleicht sein, dass vor allem Frauen deshalb so abergläubisch sind (nicht nur, ich kenne auch Männer, die zwanghaft abergläubisch sind, an Geister glauben und in einer Esoterik-Welt leben, die jegliche Rationalität ausschaltet, aber in der Mehrzahl sind es eben Frauen), weil genau das eintritt, was ich in den letzten Blog-Artikeln schon geschrieben oder zitiert habe, nämlich die Amygdala die Oberhand über den Hippocampus erlangt und deshalb alles unter Sozialverhaltensaspekten, also als anderes Wesen, gesehen wird? Ist das der Grund, warum kleine Mädchen lieber mit Puppen spielen, weil das auf der Sozialebene stattfindet? Und warum dann große Mädchen Häuser, die sie bauen, quasi ins Puppenbett legen und zudecken, indem sie Geisterbeschwörer kommen und für gute Beziehungen und Liebe sorgen lassen?
Kann das sein, dass manche Frauen aus diesem Sozialverhaltensprogramm nicht herauskommen und deshalb jedes Thema, jede Diskussion, jedes Argument zwanghaft nur unter Sozialverhaltesaspekten sehen und begreifen können?