Vom April überfordert
Ich mache mir Sorgen um das Niveau.
Diverse Leute schreiben mir, dass das ein Aprilscherz war.
Natürlich war das ein April-Scherz.
Zwar nicht meiner, aber ich fand ihn gut, weil mal wieder was mit Fotografie. Und ich dachte, dass ganze 5 Hinweise in nur drei Zeilen Text ausreichen müssten, um das Ding als Aprilscherz erkennbar zu machen. Zeit, Zeitgeist, so fotografiert man heute. Noch dicker kann man wohl kaum auftragen.
Es gibt aber jede Menge Leute, die sofort meinen (auch offen auf twitter nach 3 Minuten) wie ein Streber „Hier” schreien zu müssen und zu rufen, dass das ein April-Scherz war, und sich für den Aprilscherzerkenner halten. Nee, Leute, wenn Ihr es auch bei 5 Hinweisen nicht merkt, seid Ihr keine Aprilscherzerkenner.
Das ist irgendwie kaputt heute. Ich habe mir auch schon länger abgewöhnt, Ironie zu verwenden, weil viele Leute das nicht mehr erkennen und verstehen. Neulich hatte ich dann wieder mal was ironisch drin, und sofort sind jede Menge Leute drauf reingefallen, haben Widerspruch erhoben und später geschrieben, sie hätten die Ironie nicht bemerkt. Bei Ironie muss man es inzwischen auch dranschreiben.
Viele Leute loben mein Blog, weil ich meist klar und geradeaus schreibe. Ich habe aber manchmal das Gefühl, dass man nur noch klar und geradeaus schreiben kann und auf Ironie, Aprilscherze und so weiter verzichten muss, weil das Auditorium damit heute überfordert ist.
Einen Aprilscherz nicht zu bemerken, ist eines. Aber „Aprilscherz” zu rufen und ihn trotz 5 Hinweisen nicht als solchen zu bemerken, ist ein anderes. Ich habe mir vorher noch überlegt, dass es gefährlich sein könnte, auf einen fremden Scherz zu verlinken, und dachte, 3 Zeit-Hinweise müssten reichen. Vorsichtshalber habe ich 5 draus gemacht, und fürchtete, dann wär’s so offensichtlich, dass der Witz weg ist. Sie reichen nicht. Nächstes Mal schreib ich direkt „April-Scherz” dran.
Muss man immer so brachial geradeaus und deutlich schreiben, damit es jeder versteht?
Manchmal habe ich das Gefühl, dass Kommunikation heute jeder gegen jeden läuft. Und April-Scherze gehen auch nicht mehr, weil immer irgendeiner sofort „April, April” schreien muss.
Es gibt Leser, die mir kritisch schreiben, dass ich zu düster schreibe und früher mal lockerer, leichter, ulkiger, spaßiger geschrieben habe. Ja, war mal so. Geht aber nicht mehr.
Manchmal habe ich den Eindruck, dass sich die Leute inzwischen so an Massenfernsehen und das politisch platte Gegorkse der Mainstreammedien gewöhnt und vom Lesen entwöhnt haben, dass solche Textformen, wie sie vor 30 Jahren selbstverständlich waren, nicht mehr erkannt werden. Lesen die Leute zu wenig? Oder sind die Zeitungen heute so schlecht, dass man von deren Lesen nichts mehr lernt? Oder liegt es an dieser Political Correctness, bei der immer alles klar und frontal formuliert sein muss und Pippis Papa kein Negerkönig mehr sein darf? Ist das eine Form des intellektuellen Abbaus, mit Texten nur noch auf Frontalebene umgehen zu können? Hat sich das, was noch übrig ist, vom sprachlichen in den visuellen Bereich für Fotos und Videos verschoben?
Sind wir durch Video, Politik, Political Correctness, ständiges Angreifen, Dummjournalismus, Leseentwöhnung so im Textverständnis gestört, dass sowas hier nicht mehr geht?
Führen dieser ganze Twitter- und Politmist und diese Medienverblödung zu einer Verkümmerung von Sprachwissenschaften? Sind wir auf dem Weg in so eine Rudimentärsprache, in der man nur noch platt geradeaus reden kann? Dass der Wortschatz vieler Menschen verkümmert (oder nie gewachsen ist) und auch deren Grammatikfähigkeiten immer schlechter, immer lausiger werden, der Satzbau immer rustikaler auf das Nötigste beschränkt, ist mir schon öfters aufgefallen.
Das ist vor allem bedenklich, weil nach heutigem Schul- und Lernverständnis Textverständnis als quasi einzige wesentliche „Kompetenz” vermittelt werden soll. Es ist ja mittlerweile üblich, dass sogar in Abiturs-Matheaufgaben die Lösung schon drinsteht, man nur noch zeigen soll, dass man die Aufgabe lesen kann. Wenn nicht mal das noch funktioniert?