Über die Pressefreiheit, die Doppelzüngigkeit von Heiko Maas und einen vielleicht abgeschnittenen Kopf
Zwei Beobachtungen vom Tage über Gemeinsamkeiten zwischen Ägypten und Hamburg und die unterschiedliche Bewertung.
Etliche Leser wiesen mich heute auf diesen Artikel bei der Achse des Guten hin. Vor einigen Tagen war durch die Online-Presse gegangen, dass ein aus dem Niger stammender Mann in einem Hamburger S-Bahnhof seine Ex-Frau und deren gemeinsame 1-Jährige Tochter erstochen habe, nachdem man ihm das Sorgerecht entzogen hatte. In manchen Berichten hieß es, er sei zunächst geflohen, habe dann aber selbst die Polizei gerufen, weil er auf der Flucht von drei Männern verfolgt worden war und nun Angst hatte, dass die ihn nun angreifen würden.
Ich hatte mich damals gewundert, weil es in manchen Berichten seltsame Andeutungen gegeben hatte, dass das wohl irgendwie außergewöhnlich gewalttätig und sehr blutig gewesen sein solle, und dass man die Rettungskräfte durch Notfallseelsorger habe betreuen müssen, aber nichts konkretes. Ich hatte abends den Fernseher für eine Nachrichtensendung eingeschaltet, aber zu meiner Verblüffung keine Erwähnung gefunden. Das war vor allem deshalb beachtlich, weil gerade der gestiegene Einsatz von Messern Thema verschiedener Diskussionen war. Neulich wurde ja schon gerüchteweise behauptet, dass ein Mädchen, das von ihrem Ex-Freund erstochen worden war, nicht einfach nur umgebracht worden, sondern ihr regelrecht das Gesicht zerfleischt worden wäre. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber es erinnert an die vielen Säureanschläge auf Frauen von verschmähten Männern, bei denen es immer darum geht, das Gesicht zu entfernen, die Personen körperlich und symbolisch ihrer Identität zu berauben, sie für jeden anderen zu entwerten.
In diesem Artikel werden nun zwei wesentliche Behauptungen aufgestellt:
- Das Kind sei enthauptet worden. Auf einem S-Bahnhof in aller Öffentlichkeit. Der Umstand sei aber breit verschwiegen worden.
- Ein Gospel-Sänger aus Ghana, der zufällig an diesem Bahnhof war, hatte da irgendwas auf Video aufgenommen, das auf Facebook veröffentlicht, worauf ein Blogger das Video in seinen Youtube-Channel übernommen habe.
Bei beiden habe man am Freitag Wohnungsdurchsuchungen durchgeführt und Gegenstände beschlagnahmt. Geleitet habe das ein für „Hass und Hetze” zuständiger Staatsanwalt.
In dem Video sei zwar nicht viel zu sehen, aber zu hören, wie jemand außer Fassung sagt, dass dem Kind der Kopf abgeschnitten worden sei. Das offenbar habe der Staatsanwaltschaft für Durchsuchungen nach Beweismitteln gereicht, obwohl fraglich sei, was noch zu beweisen sein solle, weil beide ja ihre Namen offen angegeben hätten.
Nun stellte sich für mich die Frage, ob das so überhaupt stimmt. Deshalb habe ich heute bei der Staatsanwaltschaft Hamburg verschiedene Pressefragen gestellt. Und bekam schon nach kurzer Zeit Antwort von eben jener Oberstaatsanwältin Frombach, die auch in dem Achse-Artikel mehrfach erwähnt wird und die eben Pressesprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaften ist.
Ich hatte zuerst schlicht gefragt, ob der Achse-Artikel sachlich zutreffen ist. Sie antwortete, dass der Artikel in weiten Teilen unsachlich und tendenziös sei, sie ihn deshalb nicht kommentiere. Dementiert hat sie ihn auch nicht. (Nach der Auffassung, die die Presserechtskammer des Verwaltungsgerichts Berlin in einem anderen Streitfall mir gegenüber äußerte, hätte ich damit meinen Recherchepflichten Genüge getan.)
Ich hatte gefragt, ob der Kopf abgetrennt worden sei. Sie bestätigte, dass das Kind an erheblichen Schnittverletzungen am Hals verstorben sei. Mit Rücksicht auf laufende Ermittlungen und den postmortalen Schutz der Persönlichkeitsrechte des Kleinkindes wolle sie keine weiteren Details geben.
Da es dabei offenbar (und laut Achse-Artikel) um den „Paparazzi-Paragraphen” § 201a StGB geht, fragte ich ob die Staatsanwaltschaft § 201a StGB auch auf Tote anwendet. Der Bundesrat strebt gerade eine Gesetzeserweiterung an, weil § 201a für Tote gerade nicht gilt: https://rsw.beck.de/aktuell/meldung/beschluss-bundesrat-will-gaffervideos-haerter-bestrafen Die Antwort war, dass die Staatsanwaltschaft § 201a nicht auf Tote anwende, sondern es hier um die Mutter ginge, die später im Krankenhaus gestorben sei.
(Anmerkung: Man liest sehr häufig, dass Leute nach einer Messerstecherei oder anderen Vorgängen im Krankenhaus verstorben seien. Ein Rettungssanitäter erklärte mir dazu mal, dass das oft nicht stimme und nur ein juristischer Kniff sei. Erstens könne und wolle man sowas am Tatort oder im Rettungswagen in der Hektik nicht letztendlich feststellen, wenn es nicht schon offensichtlich ist. Zweitens will keiner das Risiko eingehen, was falsch zu machen oder sich vorwerfen zu lassen, nicht alles versucht zu haben. Drittens dürften Tote nicht in Rettungswägen transportiert werden und das verursache immer Probleme und Wartezeiten, sie müssten beispielsweise anhalten und ausladen. Das will keiner. Viertens wolle auch keiner Leichen in der Öffentlichkeit rumliegen lassen, weil das dauern kann, bis ein Leichenwagen da ist, die haben ja auch kein Blaulicht. Deshalb würde bei frischen Fällen die formale Prüfung, ob jemand tot ist, immer erst im Krankenhaus durchgeführt, und man deshalb aus rechtlichen Gründen oft erst im Krankenhaus sterben kann, weil dort erst der Tod rechtswirksam festgestellt wird. Wenn es also heißt, dass jemand nach der Einlieferung ins Krankenhaus verstorben ist, sei das nicht so glaubwürdig.)
Meine vierte Frage war, wie man Meinungs- und Pressefreiheit aus Art. 5 GG berücksichtigte. Dazu hieß es:
Die grundgesetzlich geschützte Meinungs- und Pressefreiheit ist bei der Prüfung der Anwendbarkeit des § 201a StGB gemäß § 201a Abs. 4 StGB im Rahmen einer Interessenabwägung im Einzelfall zu berücksichtigen. Diese Prüfung hat im vorliegenden Fall bei vorläufiger Bewertung nicht zur Annahme eines überwiegenden Berichterstattungsinteresses gegenüber den Interessen der schwerstverletzten und hilflosen Geschädigten geführt. Die Ermittlungen dauern jedoch noch an.
Mit schwerstverletzten und hilflosen Geschädigten bezieht sie sich ohne Frage auf die Formulierung des § 201a StGB.
Das halte ich für rechtsfehlerhaft, denn es gibt BGH-Rechtsprechung, wonach in der Abwägung von Persönlichkeitsrechten gegenüber Meinungs- und Pressefreiheit generell die Meinungs- und Pressefreiheit gewinne. (Dazu wird es demnächst mehr von mir hier geben, kann aber noch was dauern.) Außerdem wirkt es auf mich, dass sie sich selbst widerspreche, weil sie sich oben auf die Persönlichkeitsrechte des Kindes bezieht. Ich bin medizinischer Laie und kann das nicht beurteilen, aber aus meinem unzureichenden Wissensstand heraus würde ich vermuten, dass das Abtrennen des Kopfes sofort zum Tod führt.
Sagen wir es so: Ich habe Verständnis dafür, dass die Staatsanwaltschaft, zumal in Ermittlungen, und auch aus Pietät, nichts dazu sagen will. Ich bin ja auch der Meinung, dass man Staatsanwaltschaften in Ruhe ihre Arbeit machen lassen und sie dabei nicht stören soll. Man muss auch nicht immer alles sofort wissen. Und in diesem Falle ist ein Strafverfahren zu erwarten, das wohl öffentlich geführt werden wird.
Ich habe aber – vorbehaltlich des Wissensstandes, noch weiß ich ja fast nichts und vor allem nichts Belegtes – kein Verständnis dafür, dass man da frühmorgens Wohnungen durchsucht und Türen demoliert, denn wir haben in diesem Land nicht nur nebulös formulierte Persönlichkeitsrechte (und Tote haben eben keine Grundrechte mehr, auch wenn das noch so bitter und makaber sein mag), sondern auch eine konkret formulierte Unverletzlichkeit der Wohnung und Pressefreiheit. Das ist ja schon Staatsterror.
Auf mich wirkt das wie ein massiver Einschüchterungsschlag, bei dem man es mit dem Recht nicht so genau nimmt. Die Darstellung der Achse, wonach die Richterin, die das genehmigt hat, die Sache gar nicht geprüft haben kann, deckt sich zumindest voll mit einem Telefonat, dass ich vor 9 Jahren mal mit einem Ermittlungsrichter geführt habe, als ich in der Vorratsdatenspeicherung tätig war, der mir mal seinen Arbeitsalltag erläuterte und mir erklärte, warum er gar nicht wissen und schon gar nicht später erklären kann, was er da genehmigt, dass letztlich der einzige, der weiß, worum es geht, der ermittelnde Polizist ist (es ging damals um Unklarheiten, und zunächst haben sich Richter und Staatsanwaltschaft gegenseitig den schwarzen Peter zugeschoben, bis ich sauer wurde und mal direkt nachgefragt habe. Normalerweise gilt da ein 4-Augen-Prinzip, bei dem der Staatsanwalt beantragen und der Richter genehmigen und beide das vorher prüfen müssen, in der Praxis wissen sie aber beide nicht, worum es geht, und machen 0-Augen-Prinzip.)
Ich will aber auf etwas anderes hinaus.
Dieser § 201a StGB wurde nämlich unlängst erst verschärft, und diese Aktion der Hamburger Justiz beruht auf dieser Verschärfung. Und diese Verschärfung beruhte auf der Sexualstrafrechtsänderung von Heiko Maas von 2014. Siehe dazu diesen und diesen Artikel, und dazu gab es viel Kritik, weil Meinungs- und Pressefreiheit gefährdet würden.
Es ist also so, dass diese Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit samt Wohnungsdurchsuchung mit Aufbrechen der Tür auf Heiko Maas zurückgeht.
Ausgerechnet heute, also am selben Tag meiner Anfrage, twitterte Heiko Maas (und sein Außenministerium retweetete):
Wichtiges Signal, das einmal mehr bewusst macht, wie wichtig der internationale Einsatz für Pressefreiheit ist. Weltweit sitzen unzählige Journalisten in Haft, weil sie nichts anderes tun als ihren Job. Das kann nicht sein! Wir müssen für die Freiheit der Presse kämpfen. Überall. https://t.co/AUzagBxOHV
— Heiko Maas (@HeikoMaas) April 23, 2018
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Nochmal weil’s so schön ist:
Wichtiges Signal, das einmal mehr bewusst macht, wie wichtig der internationale Einsatz für Pressefreiheit ist. Weltweit sitzen unzählige Journalisten in Haft, weil sie nichts anderes tun als ihren Job. Das kann nicht sein! Wir müssen für die Freiheit der Presse kämpfen. Überall.
Derselbe Heiko Maas, der durch seine Gesetzesänderung verursacht hat, dass hier Bloggern die Tür aufgebrochen und die Wohnung durchsucht wird, meint, es sei ganz schlimm, wenn Journalisten dafür in Haft säßen, nur weil sie ihren Job täten. Wir müssten für Pressefreiheit kämpfen. Überall.
Gehört Hamburg eigentlich auch zu „Überall”?
Folgt man dem von Maas angegebenen Link, kommt man auf eine Seite mit einer Kampagne für Pressefreiheit in Ägypten.
Die Verhaftung und andauernde Inhaftierung des ägyptischen Fotojournalisten Mahmoud Abu Zeid zeigen, wie schnell der einfache Akt des Fotografierens, zumindest aus Sicht der ägyptischen Behörden, zu einem Verbrechen werden kann. An seinem Fall zeigt sich auch, welches Berufsrisiko JournalistInnen in manchen Teilen der Welt tragen.
„…wie schnell der einfache Akt des Fotografierens zu einem Verbrechen werden kann.”
Der Heiko Maas, der selbst das Gesetz gemacht hat, wonach hier Leute von der Staatsanwaltschaft für das Fotografieren verfolgt werden, heuchelt hier, man müsse sich dagegen einsetzen, dass Fotografieren strafbar ist.
Manchmal frage ich mich, ob der das überhaupt gelesen hat, was er da vorgelegt hat, oder ob der als Strohmann nur blind durchgereicht hat, was andere ihm befohlen haben.
Epilog
Die Wikipedia sagt zu Doppelmoral:
Als Doppelmoral wird ein Normensystem bezeichnet, das gleiches Verhalten ethisch unterschiedlich bewertet, je nachdem, welcher Personengruppe die ausführende Person oder die betroffenen Personen angehören, oder je nachdem, ob diese sich in einer öffentlichen oder privaten Situation innerhalb oder außerhalb einer Sozialgemeinschaft befinden, ohne dass dafür ein sachlicher Grund vorhanden wäre. Die Doppelmoral kann sich dabei explizit in einem moralischen Code niederschlagen, der eine unterschiedliche Wertordnung abbildet, oder implizit im moralischen Empfinden, im Verhalten und in den Werturteilen Einzelner. Entscheidendes Merkmal ist, dass „mit zweierlei Maß“ gemessen wird.
Es wäre zwar ein blöder Sprachwitz, aber selten hat es so gut getroffen zu sagen, dass hier mit zweierlei Maas gemessen wird.
Wer wählt sowas?