Sein oder Nichtsein; das war hier die Frage
Und es ging um Facebookaccounts. Zwei gegenläufige Informationen vom Tage – eine Meldung und eine Gerichtsentscheidung.
Oder: Maas und das Bundesjustizministerium lagen mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz falsch. Ich hab’s ja gleich gesagt.
Es heißt doch immer, dass Facebook der große Platzhirsch sei, weil ein großer Teil der lebenden Menschheit – hieß es nicht schon, mehr als die Hälfte? – einen Facebook-Account habe.
Heise berichtet, dass sie bei Facebook mal feucht durchgewischt hätten:
Bei insgesamt rund 2,2 Milliarden aktiven Nutzern hat Facebook allein in den zwei vergangenen Quartalen fast 1,3 Milliarden gefälschte Profile gelöscht.
Was jetzt eine bescheuerte Formulierung ist, weil nicht klar hervorgeht, ob die 1,3 Milliarden gelöschter Profile Teil der 2,2 Milliarden sind, oder noch dazu kommen. Ob also die 2,2 vor oder nach dem Durchwischen gezählt sind. Schaut man sich diese Darstellung an, könnte man den Eindruck gewinnen, dass sie insgesamt 2,2 Milliarden haben, in denen sich überhaupt jemand einloggt, und dann dürften die 1,3 Milliarden gefälschter davon abgehen.
Wie auch immer. Komischerweise prüft das nämlich eigentlich meines Wissens nie jemand nach. Wir wissen ja, dass im Internet ganz viel gefälscht ist, etwa meist zwischen 80 und 98 Prozent der Mail Spam und Malware ist, viele Agenturen ihr Unwesen treiben, Aktionen wie #Aufschrei und #MeToo inszeniert und weitgehend gefälscht sind. Und viele der Blogger-Könige und Youtube-Stars fälschen ihre Fan-Zahlen auch massiv, das kann man einkaufen. Ich bekomme immer wieder Spam mit Angeboten, dass ich mir Likes und Followers und Fans und weiß der Kuckuck was kaufen könnte (würde nichts helfen, ich habe hier nämlich keine Likes und keine Followers). Was wäre, wenn Facebook der größte Hoax aller Zeiten wäre und die ihre Nutzerzahlen einfach faken, um die dicke Werbe-Kohle abzugreifen?
1,3 Milliarden gefälschte Accounts ist schon ein Wort. Wieviele Leute und Agenturen da wohl dahinterstecken? 10? Oder doch 20?
Oder sind das eben die Fake-Accounts genau der Firmen, die mir Likes und Followers verkaufen wollen, und dazu Fake-Accounts bauen, die sie mir dann als Follower produzieren können?
Nun schreibt mir heute ebenfalls eine Anwaltskanzlei. Nee, nicht wieder eine Abmahnung, die große Mehrheit der Anwälte, die mir schreiben, sind tatsächlich Leser und schicken mir Hinweise und ähnliches. Die Kanzlei REPGOW schickt mir nun eine Presseerklärung, wonach sie das genaue Gegenteil gemacht haben, nämlich eine Einstweilige Verfügung gegen Facebook erwirkt, um gegen eine Accountsperre vorzugehen.
Anscheinend hatte sich jemand auf Facebook gegen die TAZ geäußert, und Linkes gilt für Facebook als sakrosankt, man hatte dann den Account wohl wegen Blasphemie gesperrt, auf Abmahnung des Anwaltes wohl wieder aktiv geschaltet, aber keine Unterlassungserklärung abgegeben. Nun hat man also einen einstweilige Verfügung gegen Facebook erwirkt. Hier findet man die Informationen dazu.
Nun heißt das im Allgemeinen wenig, weil viele Gerichte für einstweilige Verfügungen nichts prüfen und dabei oft arg schlampen. Ich werde demnächst über so einen Fall berichten.
Hier nun aber hat sich das Landgericht Frankfurt am Main, jedenfalls nach der Entscheidungskopie, die mir der Anwalt schickt, auf der – mir unverständlich – nicht nur die Namen, sondern auch das Aktenzeichen entfernt wurde, ich nehme mal an, dass das Ding kein Fake und echt ist, ziemliche Mühe gegeben, das zu begründen und Facebook eine Klatsche zu erteilen.
2. Der Antragsteller kann von der Antragsgegnerin gestützt auf die §§ 241 Abs. 2, 1004 BGB die Unterlassung der Sperre und der Löschung aufgrund der streitgegenständlichen Äußerung verlangen.
a. Die Parteien haben nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des Antragstellers einen Vertrag über die Nutzung des sozialen Netzwerks der Antragsgegnerin geschlossen, bei dem es sich um einen schuldrechtlichen Vertrag mit miet-, werk- und dienstvertraglichen Elementen handelt (vgl. KG Berlin DNotZ 2018, 286 Rn. 56 m.w.N.). Gegenstand dieses Vertrages sind auch die von der Antragsgegnerin gestellten Verhaltensregeln als AGB.
Schön. Das bestätigt meinen neulich schon geäußerten Standpunkt, dass man als Facebook-Kunde einen Vertrag mit denen hat und die gewisse Leistungen zu erfüllen haben.
b. Grundsätzlich kann der Betreiber eines sozialen Netzwerks seine Verhaltensregeln auch durch Entfernung eines rechtswidrigen Inhalts oder durch Sperrung eines Nutzeraccounts durchsetzen (Schwartmann/Ohr in Schwartmann, Praxishanduch IT-, Urheber- und Medienrecht, 4. Aufl. 2018, Kap. 11 Rn. 40; vgl. zu einer Facebook-Seite auch VG München, Urt. v. 27.10.2017 – M 26 K
16.5928).Eine solche Sperre ist jedoch nicht voraussetzungslos möglich, z.B. lediglich aufgrund einer ungeprüften Beschwerde eines anderen Nutzers. Der zwischen dem Nutzer und dem Plattformbetreiber geschlossene Vertrag beinhaltet Schutzpflichten des Plattformbetreibers gemäß § 241 Abs. 2 BGB. Im Rahmen dieser Schutzpflichten sind – im Wege der mittelbaren Drittwirkung – die Grundrechte
der Betroffenen zu berücksichtigen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09, BeckRS 2018, 6483), was insbesondere dazu führt, dass der Nutzer grundsätzlich ohne Furcht vor Sperren zulässige Meinungsäußerungen auf der Plattform kundtun darf.
Und damit ist die Ansicht von Heiko Maas und seinem damaligen Bundesjustizministerium, insbesondere die des Staatssekretärs Gerd Billen (u.a. als ich den letztes Jahr auf der Netzwerk-Recherche-Konferenz vor versammelten schweigenden Journalisten festgenagelt habe) falsch, dass die nämlich einfach aufgrund ihrer AGB beliebig, auch über den Strafbarkeitsrahmen hinaus, löschen könnten. Und deshalb auch gar nicht so genau prüfen müssten, das alles hoppla-hopp gehen könne.
Voraussetzung einer solchen Sperre ist daher zunächst, dass der Ausschluss sachlich gerechtfertigt und nicht willkürlich ist […] Danach kann eine Sperre auch unter Berücksichtigung der dem Äußernden zu Gebote stehenden Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG gerechtfertigt sein, wenn der Äußernde mehrfach den Tatbestand der Beleidigung erfüllt und damit sowohl die Rechte anderer Nutzer verletzt als auch den Diskussionsverlauf nachhaltig gestört hat (VG München, Urt. v. 27.10.2017 – M 26 K 16.5928 Rn. 19
– juris). Hierbei kann auch Berücksichtigung finden, ob das Verhalten des Äußernden geeignet ist, eine weitere sachliche Diskussion zu verhindern bzw. andere Nutzer fernzuhalten (vgl. VG München, Urt. v. 27.10.2017 – M 26 K 16.5928 Rn. 27 – juris). Bei nachhaltigem, beleidigenden Verhalten soll der Betreiber nicht verpflichtet sein, den Nutzer weiterhin zu dulden (vgl. VG München, Urt. v. 27.10.2017 – M 26 K 16.5928 Rn. 30 – juris).
Gut, das ist naheliegend, Gerichte entscheiden häufig in diese Richtung, dass irgendwelche Sperren und Ausschlüsse möglich sind, wenn sich jemand so danebenbenimmt, dass der Geschäftsbetrieb leidet und andere in der Nutzung eingeschränkt oder davon abgehalten werden.
Diesen Einschränkungen der Möglichkeit des Plattformbetreibers, den Nutzer zu sperren, stehen grundsätzlich auch nicht die Nutzungsbedingungen der Antragsgegnerin (Anlagen KTB1, KTB2) entgegen. Diese können zwar als Auslegungshilfe dienen, aufgrund der Drittwirkung der Grundrechte können zulässige Meinungsäußerungen jedoch grundsätzlich nicht untersagt werden (vgl.
LG Bonn MMR 2000, 109; LG Köln Urt. v. 4.5.2005 – 9 S 17/05, BeckRS 2005, 10688; VG München, Urt. v. 27.10.2017 – M 26 K 16.5928 Rn. 17 – juris).
Und damit ist die abstruse Begründung von Maas und seinen Schergen, dass die Provider aufgrund ihrer AGB tun und lassen könnten, was sie wollen, erledigt.
§ 3 Abs. 1 NetzDG sieht vor, dass der Anbieter eines sozialen Netzwerks – hier die Antragsgegnerin – ein wirksames und transparentes Verfahren für den Umgang mit Beschwerden über rechtswidrige Inhalte vorhalten muss. Nach § 3 Abs. 2 NetzDG muss das Verfahren insbesondere gewährleisten, dass rechtswidrige Inhalte unverzüglich entfernt oder gesperrt werden. Rechtswidrige Inhalte in diesem Sinne sind nach § 1 Abs. 3 NetzDG Inhalte, die den Tatbestand der §§ 86, 86a, 89a, 91, 100a, 111, 126, 129 bis 129b, 130, 131, 140, 166, 184b in Verbindung mit 184d, 185 bis 187, 201a, 241 oder 269 StGB erfüllen und nicht gerechtfertigt sind.
Es braucht also einen Gesetzesverstoß.
Die streitgegenständliche Äußerung rechtfertigte ihre Löschung und die Sperrung des Antragstellers nicht. Sie stellt eine noch von der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG gedeckte Meinungsäußerung dar.
Wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als eines Rahmenrechts liegt seine Reichweite nicht absolut fest, sondern muss erst durch eine Abwägung der widerstreitenden grundrechtlich geschützten Belange bestimmt werden, bei der die besonderen Umstände des Einzelfalls sowie die betroffenen Grundrechte und Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention interpretationsleitend zu berücksichtigen sind. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiegt (BGH NJW 2016, 789 Rn. 20; BGH NJW 2016, 56 Rn. 29; BGH NJW 2014, 2029 Rn. 22; jew. m.w.N.).
Kurioserweise habe ich gerade das in den letzten Wochen selbst recherchiert, weil ich demnächst einen Fall aufzeigen werde, in dem ein Gericht dabei massiv geschlampt hat.
Die Äußerung „pseudo-links“ stellt eine zulässige Meinungsäußerung dar, die die Grenze zur Schmähkritik nicht überschreitet. Die „taz“ ist, wie der Kammer bekannt ist, eine Zeitung, die durchaus auch für politische Meinungen bekannt ist und dementsprechend auch solche – wertenden – Bezeichnungen grundsätzlich hinnehmen muss. Zwar ist aus Sicht des Durchschnittsempfängers der Äußerung möglicherweise der Vorwurf zu entnehmen, dass die „taz“ tatsächlich nicht „links“ eingestellt sei. Dies ist jedoch Bestandteil der zulässigen Meinungsäußerung des Antragstellers.
Das finde ich beachtlich, denn viele Linke nehmen sich ja das grenzenlose Recht heraus, alles und jeden als „rechts” zu bezeichnen, und irgendwo haben sie ja auch mal vor Gericht erstritten, einen Professor als rechts bezeichnen zu dürfen. Aber wehe, man bezeichnet irgendwen als links oder gar pseudolinks.
Auch die Bezeichnung als „Kriegstreiber erste Klasse“ ist nicht als Schmähkritik anzusehen (vgl. insoweit auch BGH NJW 1974, 1762). Bereits die Konnotierung mit „erster Klasse“ legt eine wertende Betrachtung nahe. […] Wie oben dargestellt, ist die „taz“ als meinungsstarkes Medium bekannt. Sie muss daher im Meinungskampf ggf. auch harte und möglicherweise ausfallende Kritik hinnehmen, sofern diese nicht willkürlich, nicht sachbezogen und von vornherein außerhalb
jedes in einer Sachauseinandersetzung wurzelnden Verwendungskontextes ist. […]Auch die Äußerung, dass die „taz“ ein „Hetzblättchen“ sei, ist nach den oben dargestellten Grundsätzen als noch zulässige Meinungsäußerung anzusehen. Denn auch insoweit können meinungsstarke Äußerungen von Autoren der „taz“ eine solche Überspitzung unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit rechtfertigen.
Der Brüller: Das Gericht hält fest, dass Journalisten der taz keine Rasse, keine Religion und keine sexuelle Orientierung sind:
Die Kammer hat im Übrigen im Rahmen der Interessen der hiesigen Antragsgegnerin auch berücksichtigt, dass die Antragsgegnerin ihre Entscheidung (lediglich) damit begründet hat, dass sie Beiträge entferne, „die Personen basierend
Religionszugehörigkeit, auf Rasse, sexueller Identität, Orientierung, nationaler Herkunft, Geschlechtsidentität oder Behinderung angreifen“, was entsprechend ihren Gemeinschaftsstandards den „Hassbotschaften“ entspricht. Auf die hier streitgegenständliche Äußerung trifft jedoch keiner dieser Punkte zu. Der Antragsteller macht der „taz“ insofern „nur“ politische Vorwürfe, jedoch nicht solche, die die von der Antragsgegnerin angeführten Gründe wie Rasse, Identität etc. enthalten.
Gut, nun muss man nur noch Facebook dazu bringen, sich an deutsche Gerichtsentscheidungen zu halten.
Aber wie ich ja neulich schon zu dieser Verfassungsgerichtsentscheidung schrieb, dürfte sich damit das Netzwerkdurchsetzungsgesetz als unhaltbar erweisen, insbesondere die Löschung innerhalb von 24 Stunden nach Laienbewertung. Denn man kann eben nicht, wie Maas und Billen sich das so vorgestellt haben, einfach mal großzügig mehr sperren, Hauptsache alles Strafbare ist weg. Denn die Gerichte sehen das genau umgekehrt: Man darf höchstens das Strafbare sperren, denn alles Zulässige muss stehen bleiben. Und das ist nicht einfach „weniger”, sondern das setzt eine Prüfung voraus, die von Laien (schon gar nicht irischen) nicht vorgenommen werden können.
Demnächst mehr zu diesem Themenkomplex.
Ich danke für die Zusendung der Entscheidung.