Vom Wiedereintritt in die Deutsch-Atmosphäre
Als ich vom Himmel des Urlaubs auf den Boden der Realität des hiesigen Daseins aufschlug…
Als ich in Dubai ins Flugzeug stieg, setzte sich neben mich, auf der anderen Seite des Ganges, gerade ein deutsches Paar, geschätzt so Ende 20. Er räumte gerade das Gepäckfach ein und legte seine Jacke auf den Sitz, sie stand noch im Gang. Da kam von ihr in gruseligem Ton die dominante Ansage „Ich will am Gang sitzen!”. Er gehorchte. Die Frage, was er will, kam nicht auf.
Ankunft Flughafen Hamburg (Berlin ist ja nicht…). Ich komme an die Gepäckbänder, hatte ja auch schweres Gepäck dabei, und suche nach einem Gepäcktrolley. In Dubai, in Auckland, und sogar im Hotel in Dubai gar kein Problem, da standen die einfach da, wo man sie brauchte, und da konnte man sich einfach einen nehmen. In Hamburg gab’s die auch, aber da waren die wie die Einkaufswagen im Supermarkt mit Pfandmünzschlössern (wie heißen die eigentlich richtig?) verriegelt. Scheiße! Wo kriege ich jetzt eine Münze her? In Neuseeland und Dubai kommen Münzen aus der Mode. Man zahlt mit Kreditkarte und es gibt Scheine von kleinem Wert, in beiden Ländern haben sie mir in den Supermärkten die ganz kleinen Beträge weggerundet, um sich den ganzen kleinen Münzkram zu ersparen. Außerdem mag ich es nicht, wenn der Geldbeutel von den Münzen drückt, weshalb ich häufig bei der Abreise nur die Geldscheine aufhebe und die Münzen entweder dem Zimmermädchen zum Trinkgeld mit hinlege oder am Flughafen oder im Flugzeug zur Spendensammlung werfe, wenn es keine größeren Beträge sind. Und nun steht man da und soll entweder eine Münze einlegen oder das schwere Gepäck selbst schleppen (ich hatte Reisetaschen und keinen Koffer mit Rollen, weil man im Wohnmobil Koffer schlicht nicht unterbringt, mit Fototasche insgesamt drei schwere Taschen). Geld wechseln geht da im Ankunftsbereich vor dem Zoll auch nicht.
Wer denkt sich so eine Schikane, so einen Mist aus, Reisenden an einem Fernreiseflughafen einen Trolley nur gegen Münzeinwurf zu geben?
Ich bin versucht zu sagen, dass so ein Schwachsinn nur Deutschen einfällt, ich kenne es ja auch fast nur aus Deutschland, dass man für’s Pinkeln zahlen muss. Ich kann mich so dumpf erinnern, an irgendeinem Flughafen schon mal Automaten gesehen zu haben, die Trolleys nur gegen Bezahlung herausgeben, und das nicht als Pfand, sondern als Gebühr. Aber die nahmen immerhin Kreditkarten. Ich weiß nicht mehr, wo das war. USA? Bin mir nicht mehr sicher. In Dubai und Neuseeland ist es jedenfalls so, dass man die Dinger überall, wo man sie braucht, frei und kostenlos bekommt.
Glück gehabt. Ich hatte mir am Vorabend in einer Shopping Mall in Dubai ein Eis gekauft und bar bezahlt, und tatsächlich noch eine 1-Dirham-Münze als Wechselgeld im Geldbeutel. Passt mit etwas handfester Überredung. Was soll dieser Krampf?
Internet.
Ich musste gucken, wann und von welchem Gleis der nächste Zug fährt. Das hatte ich zwar vor der Reise schon rausgesucht und auch im Flugzeug während des Fluges (wo das Internet funktionierte) abgefragt, aber um es wieder anzuzeigen, wollte die App Internet haben. Zumal ich erst nach dem Gepäckabholen konkret wusste, wann genau ich da war. Mein Handy war zwar schon wieder in Deutschland eingebucht, verweigerte aber noch das Internet über Mobilfunk (ich hatte die SIM-Karte aus Neuseeland wieder gegen die deutsche getauscht, und ganz tief im Labyrinth der Menüs will das Ding einen Schalter eingeschaltet habe, ob man diese „neue” SIM-Karte auch ganz bestimmt für Datenübertragung nutzen will, fand den Menüeintrag aber erst später in der S-Bahn.)
Wie in Auckland und Dubai gibt es in Hamburg kostenloses Wifi-Internet für Flugreisende.
Der Unterschiede gibt es allerdings zweie.
Der erste Unterschied ist, dass man in Auckland und Dubai nur anklickt, dass man brav ist, und irgendwo hatten sie noch nach der E-Mail-Adresse gefragt, und gut war’s.
In Deutschland muss ich erst mal längere Formulare ausfüllen. Anrede (sie hatten nur Herr und Frau, aber nicht mein gewähltes Geschlecht „Gebieter des Morgen- und Abendlandes”) Vorname, Nachname und dann natürlich noch die Einverständniserklärungen zum Datenschutz, Weitergabe der Daten an den Internetdienstleister, blablabla. Spätestens da weiß man, dass man wieder in Europa angekommen ist.
Der zweite Unterschied ist, dass es in Auckland und Dubai funktioniert, einfach so, in Hamburg nicht:
Toll. Wie gut, dass ich vorher den Datenschutzkram bestätigt habe.
Ich fahre also mit meinem Trolley zum Übergang zur S-Bahn-Bahnhofs des Hamburger Flughafens. An der Rolltreppe vorne zwei Stangen, die einen davon abhalten sollen, mit dem Trolley reinzufahren. Was soll der Scheiß? Soll man sein Gepäck über zwei Etagen zu den Gleisen schleppen?
Gut, ich wäre dazu bereit, und suche nach einer Rückgabemöglichkeit für den Trolley, um die Münze wieder auszulösen. Immerhin drücken sie damit ja ihren Wunsch aus, dass man den Trolley nicht – wie in anderen Ländern – einfach irgendwo stehen lassen kann, sondern geordnet zurückbringt. Aber wohin? Sie wollen, dass man den Trolley zurückgibt, aber verraten einem nicht, wo das sein soll. Auch Leute, die vorbeikommen und die ich frage, wissen es nicht. Selbst die vom Flughafen nicht. Ich entdecke den Fahrstuhl. Also fahre ich mit dem Trolley Fahrstuhl. Der geht aber nur bis zum Zwischendeck, man muss dann doch wieder mit einer Rolltreppe nach unten, und auf dem Zwischendeck gibt es einfach gar nichts, keine Möglichkeit den Trolley zurückzugeben. Also opfere ich den Dirham und lasse den Trolley einfach stehen. Steckt ihn Euch an den Hut.
In Auckland und Dubai ist es so, dass da Billig-Löhner damit beschäftigt sind, Reisende mit Trolleys zu versorgen und sie auch hinterher wieder wegzuräumen. War sogar in einem Hotel so, statt eines Gepäckhelfers konnte man dort mit einem Hoteltrolley bis an die Zimmertür fahren und den Trolley dort einfach stehen lassen, die wurden da vom Personal wieder eingesammelt. Würden bei uns die Brandschutzbestimmungen nicht erlauben, weil die Fluchtwege frei bleiben müssen. Warum füttern wir Millionen von Hartzern und Migranten aus Steuergeldern für’s blanke Nichtstun und Rumlungern, statt wie in anderen Ländern solche einfachen Hilfsjobs daraus zu machen? Unser sozialistisches Weltbild von der Unzumutbarkeit des Arbeitens lässt eben keine Weltoffenheit zu. Draußen in der Welt geht’s nämlich. Dort sind Leute da, die dafür sorgen, dass man den Trolley genau da hat, wo man ihn braucht, und ihn da lässt, wo man ihn nicht mehr braucht.
Am Weg vom Zwischendeck zu den Bahngleisen scheitere ich fast, weil auch diese Rolltreppe mit Stangen künstlich verengt wurde, damit man keine Trolleys durchbekommt. Es gibt Länder, in denen man Trolleys bekommt, die rolltreppengeeignet sind, um solche Mühen zu ersparen. (Werden übrigens von einem deutschen Unternehmen hergestellt und exportiert.) Hier darf man nicht nur mit den Trolleys nicht auf die Rolltreppe, die Stangen halten auch mein Gepäck zurück. Wer baut eine Rolltreppe vom Flughafen zum Bahngleis mit künstlichen Gepäcksperren? In Auckland und Dubai bauen sie es so, dass man bequem und problemlos durchkommt. In Deutschland bauen sie einen Hindernisparcours als Schikane, damit man den Trolley nicht und das Gepäck nur schwer mitnehmen kann. Wozu? Damit man den Trolley da lassen muss, wo man ihn nicht lassen soll, weil man da die Münze nicht wieder rausbekommt. Hirnlos, aber dient der deutschen Ordnungsseele, die das große, das ganze nicht erfasst, aber sicherstellt, dass Trolleys nicht da stehen, wo man sie nicht haben will.
Natürlich schleppt man auch am Hamburger Bahnhof sein Gepäck. Sich irgendwo zu setzen ist schwierig. Sein Gepäck irgendwo zu hinterlassen noch mehr. Gepäckfächer sind nicht nur sauteuer, sondern auch zu klein. Schwerer zu bekommen und pro Fläche auch teuerer als Mietwohnungen in Hamburg. Mit Gepäck pinkeln zu gehen und es so zu bewerkstelligen, dass man das Gepäck hinterher noch hat, ist dort auch nicht vorgesehen. Man landet schließlich auf einem Sitzplatz an den kalten, zugigen (im doppelten Sinne) Bahnsteigen und friert da vor sich hin, während man von Rauchern und Dampfern eingenebelt wird. Einer, der da so ein Höllengerät hat, dass komplett blickdichten weißen Nebel erzeugt und noch dazu erbärmlich stinkt, findet aus 100 Meter Entfernung zielstrebig den freien Platz neben mir und dampft da weiter. Ich frage, ob er das nicht woanders machen kann, weil ich den Geruch nicht vertrage. Sein Kommentar: „Mein Gott!” (Leider ist gerade keine Gender-Beauftragte greifbar, bei der ich mich beschweren könnte, weil mit dem falschen Geschlechterpronomen angesprochen, ich bin, wie schon ausgeführt, Gebieter, nicht Gott.) Habe dann aber Glück, weil es dort noch eine kleine geschlossene, beheizte, winzige Wartehalle gibt, in der dann doch noch ein Platz frei wurde.
Der Dreck widert mich an. Schon der Aufzug von der Ladengalerie zum Bahnsteig war unglaublich verdreckt, richtig eklig. Nirgends hätte ich in Neuseeland oder Dubai einen Aufzug gesehen, der auch nur entfernt so dreckig gewesen wäre. Da waren die alle sauber. Auch der Bahnsteig strotzt vor Dreck, alles irgendwie widerlich-klebrig-vollgesaut. Auch der Warteraum. In Auckland und Dubai ist es sauber. Dort gibt es Billiglöhner statt Hartz IV. Die halten dort alles sauber. Da sind ständig Leute unterwegs, die wischen, Dreck einsammeln und so weiter. Hier wird das nichtstun gefördert.
Der ICE kommt. Sogar pünktlich. Wird aber ziemlich voll. Denn aus unerfindlichen Gründen besteht der ICE aus zwei Teilen und – wie die Durchsagequäkestimme mehrmals erklärt – der hintere, längere Teil ist abgeschlossen. Der ICE geht von Abschnitt A bis F, aber für zweite-Klasse-Gäste (ich habe ein Ticket, dass es zum Flugticket dazugab, und da ist man auf zweite Klasse festgelegt) ist nur der Abschnitt B zugänglich. Warum man einen Teil des ICEs einfach abschließt? Personalmangel?
Ich komme in Berlin an. Der Fahrstuhl am Bahnhof ist nicht ganz so dreckig wie der in Hamburg, dafür muss ich beim Aussteigen aus dem Fahrstuhl mit dem Gepäck (die schwerere Tasche hat zwei Rollen, die aber nur mühsam zu nutzen sind, weil die Tasche instabil ist und durchängt) durch eine Pfütze aus Kotze fahren, die leider erst halb angetrocket ist.
Orientierung am Berliner Hauptbahnhof. Wo ist jetzt Norden und wo Süden? Einen Wegweiser zum Taxistand hat die Bahn nicht, das hält sie wohl für zuviel des Zumutbaren. Ich suche mir das nähere Ende, komme am Südende raus, sehe kein Taxi. Einer von der Bahn, der zufällig vorbeikommt, sagt mir, dass die Taxis am anderen Ende stehen. Ich schleppe mein Gepäck einmal durch den Bahnhof, denn Trolleys gibt’s hier nicht.
Da sehe ich: Keine Taxis.
Hä!?
Bahnhof ohne Taxis?
Ah, doch, da ist eines. Eine Frau verteidigt das Taxi aggressiv gegen mich, das Taxi sei schon belegt. Ich will doch nur was fragen. Nämlich wo der Taxistand sei. Ich gehe an die Fahrertür, der türkische Fahrer sieht aber nur gelangweilt geradeaus und macht durch Mimik und Gestik deutlich, dass er nicht gewillt ist, mich zur Kenntnis zu nehmen, schon gar nicht, die Tür oder die Seitenscheibe zu öffnen um meine Frage zu hören. Als ich jedoch ebenfalls anzeige, dass ich mich nicht abschütteln lasse, fährt er so mürrisch wie elektrisch die Seitenscheibe herunter. Ich kann mir eine Bemerkung nicht verkneifen „Störe ich Sie!?” „So nicht!” bellt er zurück und schließt die Scheibe wieder. In Auckland und Dubai sind die Taxifahrer indisch, arabisch und sowas, und überaus freundlich, höflich, hilfsbereit.
Ich merke, dass ich mitten in einem improvisierten Taxistand stehe, nur gerade keine Taxis da waren. Am Rand steht eine ganze Reihe von wartenden Leuten. Ich stelle mich hinten an und sehe, dass da doch immer wieder mal Taxis kommen, und dann enorme fahrerische Verrenkungen betreiben, um sich rückwärts wieder aus der Sackgasse zu arbeiten oder auf der Stelle zu wenden.
Die Schlange der Wartenden bewegt sich langsam voran, nur der Berliner, der vor mir steht, der bewegt sich nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob der auch ansteht, und will jetzt nicht falsch anstehen, mich aber auch nicht vordrängeln. Ich frage vorsichtig, ob er auch ansteht. Ja sicher, bellt der mich an, wieso ich etwas anderes glauben würde. Naja, sage ich, weil die Schlange sich voranbewegt und Sie nicht, deshalb war ich mir nicht sicher, ob Sie in der Schlange stehen. Er bellt mich wieder an, ob ich denn glaube würde, dass mehr Taxis kämen, wenn er sich bewege.
Ich sage nur, dass er das Prinzip nicht verstanden habe. Die Erklärung, dass tatsächlich mehr Taxis reinkämen, wenn er sich bewegte, weil er nämlich dann näher an der Ausfahrt stünde und das Taxis für ihn weniger Pirouetten drehen und Saltos aufführen müsste, um wieder aus der Sackgasse zu kommen, schenke ich mir. Das hätte ihn intellektuell überfordert und zur Bewegung veranlasst.
Ich komme endlich an ein Taxi und erwische – Oh Wunder! – einen sehr freundlichen Taxifahrer. Unterhalte mich mit ihm. Warum da so ein komischer dysfunktionaler Taxistand wäre. Die bauten da gerade irgendwas um, irgendwas mit S- oder U-Bahn, und der Berliner Senat sei einfach nicht in der Lage, einen Taxi-Betrieb zu gewährleisten. Das Chaos dauere noch mindestens eineinhalb Jahre, und ob das Chaos dann ende oder durch ein anderes Chaos ersetzt werde, sei ungewiss. Dass Fernreisende mit Gepäck an einem Hauptbahnhof irgendwie weiterkommen müssten, sei für die Berliner Regierung unvorstellbar.
Allerdings, so fügt er hinzu, hätte ich grundsätzlich etwas falsch gemacht. Denn ich sei am falschen Ende aus dem Bahnhof gegangen. Ich hätte eigentlich am anderen Ende rausgehen müssen, da sei es deutlich besser. Da war ich zuerst, sagte ich. Aber da war nicht nur kein Taxi, sondern auch einer von der Bahn, der mir sagte, die Taxis stünden am anderen Ende.
Ich habe neulich erläutert, woran man erkennt, dass man auf der Südhalbkugel ist. Dies nun war die Erklärung, woran man erkennt, dass man wieder in Europa ist.