Neuaushandlung des Zusammenlebens: Nichts Genaues erfährt man nicht…
zum Tod einer 11-Jährigen. [Kleiner Nachtrag, Korrektur]
Die Lokalpresse schreibt viel zum Tod der 11-Jährigen, aber sie sagt nichts dazu. Reden ohne zu sprechen ist auch eine Form der Kommunikation. Neuester Artikel: Trauer und Empörung bei Mahnwache für Elfjährige
Fälle, in denen Kinder einander schikanierten oder mit Psychoterror quälten, seien an der Schule keine Einzelfälle, sagt der Vater eines Mitschülers der Elfjährigen. Die Schulleitung habe systematisch versucht, das massive Mobbing sowie die Gewalt einer Lehrerin gegen Schüler unter den Teppich zu kehren, kritisiert er. Das zeige auch ihr Umgang mit dem tragischen Vorfall. „Wir wussten anfangs gar nichts.“
Am vergangenen Donnerstag seien alle Schüler kurz nach 13 Uhr heimgeschickt worden. Manche hätten zuhause vor verschlossenen Türen gestanden, weil die Eltern nicht informiert worden seien. Die Kinder hätten nur einen Zettel mitgebracht, der über den Suizid informierte. Seither habe die Schule nichts mehr kommuniziert. „Das kann so nicht weitergehen“, fordern am Abend auch andere Mütter und Väter.
Die Leiterin der Hausotter-Grundschule, Daniela Walter, nimmt ebenfalls an der Mahnwache teil. Auf Nachfrage des Tagesspiegels und anderer Journalisten widerspricht sie dem Vorwurf, Mobbingfälle würden heruntergespielt. Ja, es gebe Mobbing, sagt sie. Darum kümmerten sich aber Sozialarbeiter und Konfliktlotsen an der Schule. Es werde alles getan, um solche Vorfälle zu verhindern.
Kinder, die einander schikanierten oder mit Psychoterror quälten? Sozialarbeiter und Konfliktlotsen?
Was ist denn das für eine Schule? An einem solchen Ort würde ich als Erwachsener nicht arbeiten gehen. Wenn mir so etwas an einem Arbeitsplatz begegnen würde, würde ich das sofort abbrechen und kündigen, wahrscheinlich fristlos. Und in so ein Krisengebiet schickt man Kinder im Grundschulalter?
Was ist da los?
Auch Burkhard Dregger (CDU), Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus, ist gekommen und hält eine Kerze in der Hand. Die betroffene Schule befindet sich in seinem Wahlkreis. „Mein Eindruck ist, das ist kein Einzelfall, sondern ein generelles Phänomen“, erklärt er. „Der Umgang der Menschen miteinander verändert sich insgesamt, das müssen auch Polizeibeamte oder Feuerwehrleute spüren. Man muss mit der Prävention solchen Verhaltens bei den Jüngsten anfangen.“ Und natürlich müssten Schulen die Angebote zu einer solchen Prävention auch annehmen.
Was dahintersteckt, erfährt man nicht, aber Polizei und Feuerwehr merken es auch. Schulstress, dumme Lehrer und Überforderung durch 12-Jahresabitur kann es ja dann wohl nicht sein.
Mehr Aufmerksamkeit für das Thema hatte zuvor bereits Landesschülersprecherin Eileen Hager gefordert. Die Prävention an den Schulen sei noch nicht ausreichend: „Lehrer und Mitschüler haben den Ernst noch nicht begriffen.“ Untereinander wären Schüler durchaus bereit, darüber zu sprechen. „Aber Lehrer machen Mobbing zum Tabuthema.“ Sie spielten Vorfälle herunter. Schulen bräuchten mehr Sozialpädagogen, die mit den Schülern über Mobbing sprechen müssten. Zudem findet es die Landesschülersprecherin wichtig, dass Lehrer den Schülern auch eine gewisse Wertschätzung entgegenbringen. „Kinder und Jugendliche achten sehr darauf, dass man ihnen auf Augenhöhe begegnet.“ Dann würden auch die Schüler mehr aufeinander achten.
Ach. Die Lage ist ernst. Welche Lage erfährt man nicht. Aber es hat was mit „Wertschätzung” und „Augenhöhe” zu tun. Komisch. Wir haben sowas damals nicht erwartet. Bei uns gab es diese Redewendung „auf Augenhöhe” gar nicht. Ich finde sie außerdem dumm, weil leeres Politikergeschwätz. Für mich liest sich das eher wie „Respekt erweisen”. So nach Gefängnishof, wo es Zoff gibt, wenn man der Gang nicht seinen Respekt erweist.
Irgendwie, ich weiß gar nicht, wie ich jetzt darauf komme, muss ich daran denken, dass man gerade anfängt, Schulnoten abzuschaffen. Vielleicht ist eine 5 einfach zu respektlos. Zu wenig wertschätzend. Zu gefährlich.
Was sind eigentlich die Ursachen für diese Veränderung, für diese Zustände, die ich aus meiner Schulzeit so gar nicht kenne?
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes Heinz-Peter Meidinger will Sensibilität, Austausch der Lehrer und eine Achtsamkeitskultur, in der auch Mitschüler aufeinander aufpassen, fördern. Mit den sozialen Netzwerken habe sich die Intensität des Mobbings verändert. Die Cybermobbing-Problematik sieht auch Landeselternsprecher Norman Heise. Wenn Mobbing in sozialen Medien geschehe, sei es dem Schulhof ein Stück weit entrückt. „Soziale Netzwerke tragen dazu bei, dass Mobbing in Anonymität stattfinden kann.“
Ah, ja. Das Internet ist schuld.
Daran hätte ich Zweifel. Denn während mir einige Leser schrieben, dass sie solche katastrophalen Zustände auch den Schulen ihrer Kinder sehen, schrieben mir andere aus den eher konservativen Teilen Deutschlands, dass bei ihnen die Schulen noch normal, gesund und wie vor 40 Jahren sind. Internet, Social Media und Handys haben die aber alle, die Schulen in konservativen Landstrichen sind sogar eher besser damit ausgestattet.
Ein Leser schreibt mir, das erinnere ihn an Nordrhein-Westfalen. In NRW nämlich würde man inzwischen besondere „Talentschulen” auswählen und finanziell und personell besonders unterstützen. Hört sich so nach Genie-Schmiede an. Tatsächlich wären das die Brennpunktschulen, die ohne enormen zusätzlichen Personalaufwand gar nicht mehr zu halten wären.
Ein anderer Leser schreibt mir, dass mein Eindruck, dass es sowas früher nicht gegeben habe, so nicht richtig sei. Er kenne so etwas genau, und zwar aus der DDR vor 60 Jahren. Dort habe es in manchen Schulen auch solche Pöbel- und Schikaniertruppen gegeben, denen nie etwas passiert ist, und die die Kinder politisch unpassender Eltern vermöbelt haben. Es sei ein Instrument zur Gestaltung der sozialistischen Gesellschaft gewesen. Was man an der Schule schon verprügeln kann, wird als Erwachsener keinen Widerstand mehr leisten. Stimmt. Aber vielleicht bin ich da gerade etwas überaufmerksam, denn ich habe auf Anraten so vieler Leser gerade angefangen, Brave New World zu lesen. Da machen die das ja auch, nur noch früher, mit Kleinkindern und Föten.
Was läuft da ab?
Warum schreiben die, die es schreiben müssen (weil es gar zu auffällig wäre, wenn nicht), nämlich die Lokalpresse, über den Tod der 11-Jährigen und Mobbing, aber sagen überhaupt nicht, worum es ging?
Es gibt andere Hinweise auf Mobbing an Reinickendorfer Schulen, etwa bei der BILD, aber nur hinter Paywall. Keine Ahnung, was drinsteht.
Reinickendorf scheint auch generell zunehmend Probleme mit Dreck, Kriminalität und Lärm zu haben. Aus dem Artikel:
So fröhlich Regina Thiele sonst auch ist, wenn sie durch ihren Kiez, die Rollberge-Siedlung, spaziert, ist sie betrübt. „Es hat sich im Laufe der Jahre sehr verändert“, sagt sie. Kriminalität, Dreck, Lärm, Respektlosigkeit – so sehe es heute aus. „Ich wohne seit 21 Jahren hier. Es war so schön, als ich hergezogen bin.“ […]
„Im Sommer ist es hier auf dem Spielplatz besonders schlimm“, sagt die Rentnerin. Dann sei es bis in die Nacht auf dem Platz vor der Grundschule in den Rollbergen laut, der Müll würde liegen gelassen. „Das sieht dann wirklich schlimm aus.“ Im Winter hielten sich die Jugendlichen die meiste Zeit in den beheizten Hausfluren auf, trinken Alkohol und nutzen den Bereich als Toilette. „Viele Anwohner fürchten sich.“
Dass diese Wahrnehmung nicht nur subjektiv ist, zeigt die aktuelle Fassung des berlinweiten Monitorings Soziale Stadtentwicklung (Stand 2017). Die Rollberge-Siedlung in Reinickendorf liegt auf einer Skala von eins bis vier mit einer vier minus nicht nur auf dem letzten Platz, ihr wird auch eine negative Dynamik zugesprochen. Das bedeutet: Wenn jetzt nicht gehandelt wird, verschlimmert sich die Situation.
Andere Brennpunkte wie das Märkische Viertel sowie die Ortsteile Reinickendorf-Ost und -West haben mit einem Wert drei zwar auch einen niedrigen Status. Die Dynamik ist jedoch stabil. Den Ergebnissen liegen Kriterien wie Arbeitslosigkeit, Langzeitarbeitslosigkeit, Transferbezug und Kinderarmut zugrunde. […]
Brigitte Vogel, die seit 50 Jahren dort lebt, sieht noch ein anderes Problem. „Der Kiez verkommt. Auch durch den Leerstand“, sagt die 80-jährige. Auch den Supermarkt „Nahkauf“ von Betreiberin Thi Thu Trang Pham könnte dies bald betreffen. „Seit vier Jahren wird es immer schlimmer. Jugendliche reißen Packungen auf oder stehlen“, sagt sie. Obwohl sie die Täter rauswerfe und ihnen Hausverbote erteile, würden diese immer wieder kommen.
„Bis die Polizei kommt, sind sie schon weg“, sagt die Inhaberin. Die Polizei ruft sie daher kaum noch. Ein Fehler, finden Vertreter des Polizeiabschnittes 12. Es sei wichtig, sonst würde der Eindruck erweckt, dass alles in Ordnung sei.
„Jugendliche”. Wer würde wohl annehmen, dass die außerhalb der Schulzeit Rentner bedrohen, in Hausflure kacken und Läden beklauen, sich dann aber in der Schule lieb und brav benehmen?
Ein Grund für die Fraktionen SPD, Grüne und Linke, etwas zu unternehmen. Sie reichten im vergangenen Jahr einen Antrag in die Bezirksverordnetenversammlung ein, in dem sie dem Bezirksamt empfahlen, sich bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen für die Aufnahme der Rollberge-Siedlung in das Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“ einzusetzen.
Das Städtebauförderprogramm „Soziale Stadt“. Für ein paar Jahre war mal so eine dämliche Redewendung in Mode: „Die haben den Schuss noch nicht gehört.”
Andere Berichte sind da eine Kleinigkeit deutlicher. So berichteten Morgenpost, Berliner Zeitung, Focus über religiöses Mobbing, vor allem gegenüber jüdischen Kindern, die auch mit dem Tode bedroht werden. Betrifft aber nicht nur jüdische Kinder, der Tagesspiegel berichtet auch von generellem Mobbing gegen Deutsche:
„Ich würde gerne die Geschichte meiner Tochter erzählen, deren Tod unter anderem auch eine Folge des Mobbings und der Teilnahmslosigkeit ihrer Schule war. Sie beschwerte sich schon in der 9. Klasse über ihre Mitschüler an einem Gymnasium, die ihr das Leben mit Kommentaren und Dingen wie Schulranzen ausleeren, Stifte klauen schwer machten. Sie schwänzte die Schule, was uns diese erst nach sieben Tagen mitteilte. Zusätzlich wurde eine Essstörung diagnostiziert, was bei den Schülern auch zum Thema wurde. Leider nicht konstruktiv. Was und ob überhaupt etwas mit ihr und den Schülern von Seiten der Schule getan wurde, haben wir nicht erfahren.
und
„Ich gehe in die siebte Klasse auf ein Gymnasium in Schöneberg. Dort werde ich ausgegrenzt, weil ich Deutscher bin und Schweinefleisch esse. Es wird auf Türkisch und arabisch über mich gelästert. Auf deutsch werde ich als Hurensohn oder gefickte Hure beschimpft. Außerdem werde ich ab und zu geschlagen und getreten. Wenn ich anderen Jungen zu nahe komme, beschimpfen sie mich als schwul und treten mich. Mädchen werden in meiner Klasse als Schlampen bezeichnet, wenn sie schulterfreie Shirts tragen. Ich versuche seit vielen Monaten, die Schule zu wechseln, finde aber keinen freien Schulplatz. Das Schulamt und die Schule helfen mir nicht. Wir müssen alle Schulen einzeln abfragen, aber die siebten Klassen sind überall voll.“
Geht auch andersherum:
„Ich bin Abiturientin mit Migrationshintergrund und wurde seit Beginn meiner Schulzeit gemobbt. In der 10. Klasse im Fach Ethik begannen wir über Religion zu sprechen. Nichts ahnend begann ich über meine eigenen Ansichten zu sprechen und meine Gedanken zu teilen. Am nächsten Tag kam meine Lehrerin in den Unterricht guckte zu mir und sagt: ‘Du bist unterdrückt! Deine Religion ist frauenfeindlich und eine eigene Meinung hast du auch nicht!‘ Mit diesem Satz begann sie ihren Monolog über ‘meine‘ Religion und wieso ich unterdrückt sei. Zwei Stunden lang haben meine Lehrerin und meine Klassenkameraden mich runtergemacht, beleidigt und mir den Mund verboten. Ich war alleine und machtlos, so wie viele andere, die von Mobbing, Rassismus und Diskriminierung betroffen sind.“
und noch einige mehr.
Ein Leser wies mich noch auf einen Leserbrief unter dem Focus-Artikel zum Suizid der 11-Jährigen hin:
Mein 10-jähriger Enkel wird auch gemobbt, und zwar von seinem Klassenkameraden Mohammed. Seit Jahren geht das so. Kürzlich hat Mohammed seine älteren Geschwister zusammengetrommelt, die haben meinen Enkel auf dem Schulweg abgepasst, um ihn zu verprügeln. Er konnte sich zu Nachbarn retten. Als Mein Sohn und seine Frau bei der Polizei ankamen, um Anzeige zu erstatten, haben die Polizisten abgewunken. Die Familie sei seit Jahren polizeibekannt und nicht bereit, an der Erziehung ihrer Kinder zu arbeiten. Zwei ältere sitzen auch schon im Gefängnis. Auch die Schule und die Betreuer der Familie schaffen es nicht, dort ein Umdenken zu erreichen. Mein Enkel geht also weiterhin in diese Klasse. Da der Mobber nicht vom Unterricht ausgeschlossen wird, wird mein Sohn mit seiner Familie wegziehen müssen.
Was mich so ein bisschen an die Geschichte des Lesers aus der DDR erinnert. Politische Säuberungen durch geduldetes Mobben und Verprügeln der Kinder, die nicht ins Konzept passen.
Eine Leserin wies mich auf diese Informationsseite hin. Ich solle mir mal die Zusammensetzung der Schülerschaft an der Hausotterschule ansehen, die Schule, an der das Mädchen war, das sich gerade umgebracht hat. Muss muss etwas rumklicken, bis man das gefunden hat (und anscheinend ist die Schule nicht im URL mit codiert).
59% Europa (ohne Deutschland), 2% Afrika, 24% Asien.
Bleiben 15% mit deutscher Staatsangehörigkeit.
Was mir jetzt komisch vorkommt, denn von den arabischen Ländern steht da nichts, und von der Türkei auch nicht. Ich bin mir gerade nicht sicher, ob die Türkei zu „Europa ohne Deutschland” zählt, denn soweit ich weiß, liegen ja nur 3% der Fläche der Türkei in Europa. Der Rest im arabisch-asiatischen Raum. Wenn da aber 59% aus Europa ohne Deutschland kommen, wäre die Frage, wer, wenn nicht Türken, das sein sollte. Größere Ansammlungen von Schweden, Briten oder Ungarn wären mir bisher nicht aufgefallen. Für Mobbing sind die auch nicht so bekannt.
[Anmerkung/Nachtrag: Nach Rückmeldung verschiedener Leser ist anzunehmen, dass diese Einteilung nicht ethnologisch oder politisch, sondern rein kontinental gemeint ist, also „%59 Europa (ohne Deutschland)” im wesentlichen türkische und „24% Asien” im wesentlichen arabische Kinder meint, man soll es nur nicht so leicht erkennen.]
Und wieviele derer unter den 15% Schülern mit deutscher „Staatsangehörigkeit” sich – um das mal in politisch korrektem Genderdummsprech – als deutsch oder deutsch sozialisiert identifizieren, wäre auch die Frage.
Was machen wir eigentlich, wenn die dann alle mal groß und stark sind? Und sich im Verhältnis 1:5 vermehren?
In England ist man übrigens schon einen Schritt weiter:
A Muslim school will not allow girls to eat lunch until after boys have finished, an Ofsted chief has told MPs. […] He said that Al-Hijrah school was enforcing a “very strict gender segregation” which included “denying the girls to have their lunch until the boys had had theirs”.
Mädchen dürfen erst essen, wenn die Jungs mit Essen fertig sind.
Was mich jetzt grundsätzlich interessieren würde: Welche Staatsangehörigkeit, welche Herkunft, welche Religion hatte das Mädchen, das sich umgebracht hat?
War sie Deutsche?
War sie Jüdin?
Korrektur:Mehrere Leser haben darauf hingewiesen, dass die Tabelle mit den Schüleranteilen auf der Webseite irreführend ist, und Prozentzahlen mit absoluten Zahlen mischt, es somit also nicht 85% sondern 85 von 501 Schülern sind, also nur etwa 17%.
Das ändert aber nichts daran, dass es Schulen mit so hohem Anteil gibt.
Außerdem macht es das Problem eigentlich noch schlimmer, wenn wenn die Probleme bei 17% schon so hoch sind, wie soll das dann erst werden, wenn sie mal bei 30, 50 oder wirklich 80% Anteil sind?