Die „Kreativen von Leipzig” – so links, dass sie rechts sind
Über die eingeworfenen Scheiben eines Supermarktes.
Ein Leser schickte mir – leider ohne Quellen- und Datumsangabe – einen Scan eines Zeitungsartikels über einen Vorgang in Leipzig. Durch Googeln von Textpassagen bin ich auf diesen Artikel der Leipziger Volkszeitung gekommen, der zwar nicht exakt deckungsgleich ist, aber in weiten Teilen des Textes gleich ist und ähnliche (hintereinander gemachte oder anders ausgeschnittene) Bilder verwendet.
Es geht um den Leipziger Stadtteil Plagwitz und eine Örtlichkeit namens „Westwerk”, anscheinend eine alte Fabrik- oder Kraftwerkshalle, in der gerade ein neuer Konsum-Supermarkt eröffnet hat, und der man in der ersten Nacht rundherum die Scheiben einwarf (anscheinend nicht des Supermarktes, sondern der darum oder davor stehenden alten Halle.
Das übliche, Bekennerschreiben auf Indymedia, linksextreme Parolen, die Ermittlungsgruppe Linksextremismus der Polizei ermittelt. Dazu Interviews mit teils Vermummten.
Hintergrund des Unmutes ist wohl, dass da vorher „Kreative” billig eingemietet waren und man nun Wut darüber empfindet, dass sich etwas verändert.
Wut über eine weitere bauliche und strukturelle Veränderung in Plagwitz.
Wieder mal taucht das Stichwort Gentrifizierung auf, Synonym für Verdrängung von Altmietern durch die sanierungsbedingte Aufwertung eines Stadtteils. Bevor das Gelände an der Karl-Heine-Straße in den letzten Jahren in Stand gesetzt wurde, hatten Kreative das baufällige Westwerk als Unterkunft genutzt und damit ein Achtungszeichen in der Kulturszene gesetzt. 2017 demonstrierten sie vergeblich gegen die Kündigung ihrer Verträge – im Fokus der Verein Sublab und die Galerie Westpol. Die Protestler verwiesen auf die Symbolik eines „Ortes für einen unkommerziellen, kreativen und subversiven Charakter, den Leipzig zunehmend einbüßt“. […]
Am Donnerstag Mittag tauchte auf dem Szeneportal Indymedia ein vermutlich von Linksextremisten verfasstes Bekennerschreiben auf. „Wir haben in letzter Zeit das Westwerk betrachtet und sind unserem Impuls nachgegangen, angesichts der drohenden Konsumeröffnung einige Steine, Bitumen und Buttersäure da zulassen“, heißt es darin, und außerdem: „Verdrängung hat viele Gesichter, eines davon haben wir heute Nacht eingeschlagen.“ […]
[Interview-Fenster:]
„Dass der Konsum ins Westwerk eingezogen ist geht gar nicht! Durch solche Ansiedlungen kommt Geld nach Plagwitz, dann steigen die Mieten und die Pioniere des Westens werden damit verdrängt. Das ist das Ende der Karl-Heine-Straße“; meint Anna.
„Kreative”?
Scheiben einzuwerfen ist nicht kreativ, es ist destruktiv.
Deshalb wäre zunächst mal die Frage zu stellen, was die eigentlich unter Kreativität verstehen, was sie da eigentlich kreiert haben wollen. Mir wäre nur sehr selten etwas aus den politisch extremen Lagern untergekommen, dem ich das Attribut „kreativ” zugestehen würde. Meistens sind da Vokabeln wie Zerstörung, Vandalismus, Verschmutzung eher das, was mir zuerst einfiele. Ich bin da etwas altmodisch aufgelegt, bei mir hängt der Unterschied, ob man etwas schafft oder etwas vergammelt, damit zusammen, ob die Entropie dabei steigt oder fällt. Wobei man sich sehr intensiv darüber streiten kann, ob der physikalische Ansatz, dass die Entropie immer steigt, wenn alles in Rauschen und Durcheinander und Dreck versinkt, weil die Unordnung zunimmt, überhaupt richtig ist. Oder ob die Entropie abnimmt, wenn alles gleich aussieht und man es nicht mehr bemerkt, wenn eine zusätzliche Störung/Veränderung dazukommt. Der bessere Ansatz dürfte aus der Informationstheorie kommen, die Entropie zwischen der mit Informationsgehalt, der mit Wiederholung des Informationsgehalte (nützliche Redundanz) und der ohne Informationsgehalt (nutzlose Redundanz) unterscheidet. Deshalb neige ich dazu, Kunst und Politik gleich zu beurteilen: Wenn die Politik so läuft, dass man mutwillig dumme Satire nicht mehr als unterschiedlich erkennt, dann wird man von Idioten regiert. Wenn Kunst so ist, dass es dem Betrachter nicht mehr auffällt, wenn man noch Vandalismus dran verübt, Löcher reinmacht, Farbe draufspritzt oder sowas, dann ist es keine Kunst, dann ist es einfach irgendein Zufallssignal.
Ich habe mal für eine Künstlerin einen Ausstellungskatalog fotografiert und mir dabei ihren Unmut zugezogen, weil ich zwei quadratische Bilder um 90° gedreht fotografiert hatte, man wusste bei ihren Zufallsmustern per irgendwie aus allen Richtungen auf die am Boden liegende Leinwand geworfener Farbe einfach nicht, wo da oben und unten ist, und es war eigentlich völlig egal, wie herum man sie aufhängt. Aber sie war der festen Überzeugung, dass man das doch sehen müsse, wo oben ist, und die Bilder richtig herum aufgehängt werden müssen, um zu wirken. Ich stand dann immer fassungslos dabei, wenn bei den Vernisagen ihrer Ausstellungen ein alter Geisteswissenschaftler mindestens eine Stunde als Vortrag darüber dozierte, referierte, interpretierte, philosophierte, mit Worten jonglierte, die Tiefe und die Bedeutung der Bilder untersuchte und darin einen Sinn verortete, den sie garantiert nie hatten. Genausowenig wie seine Rede, die überhaupt keinen Sinn ergab, die er aber voll professioneller Inbrunst hielt, er hätte auch zehn Stunden reden können, denn er war mal Professor irgendwo zwischen Kunst und Geisteswissenschaften. Davor ein – kunst- und geisteswissenschaftliches – Publikum, das mit Sekt in der einen und Häppchen in der anderen Hand dastand, andächtig schaute, und so tat, als habe erstens er irgendetwas unheimlich wichtiges, erleuchtendes, sinntragendes gesagt, und zweitens sie es auch verstanden.
Weil ich es nicht ernstlich ertragen konnte, hatte ich mir mal den Spaß gemacht, mir einen Schal auf die seltsamstmögliche Weise um den Hals zu binden, mich wie in Gedanken versunken vor ein Bild zu stellen, unnatürliche Gesten zu machen, und als Leute neugierig dazukamen um daran irgendwie teilzunehmen, ungefragt und in schwerem Ton im Timbre fatalistischer Unausweichlichkeit den übelsten Blödsinn zu erzählen, der mir spontan eingefallen ist und der noch sprachlich nach Kunst klang. Die sind voll drauf reingefallen und hielten mich für einen Kunstkritiker. (Bin ich ja auch.)
Einzig eine 95-jährige, ziemlich zerknitterte und zerknautschte alte Schachtel hatte es gemerkt, stand dabei und lachte schallend. Wir verbrachten die nächste halbe Stunde damit, über Bilder und Publikum zu spotten und zu lästern. Ich habe sie auf späteren Vernisagen immer wieder mal getroffen und wir haben uns stets einen Riesenspaß daraus gemacht, vor Bildern zu stehen und so ernst wie willkürlich und blödsinnig Quatsch zu diskutieren.
Es hat meine Auffassung von Kunst und Kunstkennern nachhaltig geprägt.
Und deshalb bin ich da überaus skeptisch, wenn sich Linke zu Kreativen erklären, die in einer alten Fabrik hausen und Scheiben einwerfen. Deren Kreationen würde ich gerne mal sehen.
Linke rechtsaußen
Lest Euch das mal durch, was die da sagen.
Es ist erzkonservativ.
Sie stemmen sich gegen jegliche Veränderung des Status Quo. Nichts darf sich verändern, und sie greifen jeden mit Gewalt an, der daran etwas ändern will.
War es nicht so, dass sich das linke Lager immer als „progressiv” darstellte und nach linken Doktrien die ständige Veränderung erforderlich ist, weil sie zwar kein Ziel haben und nicht wissen, wo sie hinwollen, aber der festen Überzeugung sind, dass jedes Verharren in einem Zustand sofort Rechtsradikale erzeugt.
Das ist erstaunlich, weil sie sonst ja eigenmächtig jedem anderen Menschen zumuten, ständige Veränderungen und auch Verschlechterungen hinzunehmen.
Am derbsten finde ich dabei, wenn sie gegen Verdrängung wettern.
Eben noch galt es als Nazi und rechtsradikal, wenn irgendwer etwas gegen Verdrängung sagte und beklagte, dass er – etwa wegen Migranten – keine Wohnung mehr bekommt. Das habe jeder hinzunehmen, alle sind gleich, jeder habe Recht und unbegrenzten Zuzug und so.
Müssen aber „Kreative” einem Supermarkt weichen, dann ist das Geschrei wegen „Verdrängung” groß.
Stellt Euch mal vor, was in der Zeitung gestanden hätte, wenn dasselbe Gebäude für Flüchtlinge geräumt worden wäre und Rechtsradikale die Scheiben eingeworfen und gegen Verdrängung skandiert hätten.
Wie ich immer so gerne sage: Linke und Rechte unterscheiden sich nur in kosmetischen Details, im Prinzip sind sie gleich.