§ 104 StGB und das Verbrennen der Flaggen fremder Staaten
Eine Anmerkung zum Götzenartikel.
Ich hatte die Frage gestellt, warum das Verbrennen der Israel-Flagge nicht bestraft wird.
Viele Leser hatten mir dazu geschrieben, dass das von § 104 StGB nicht erfasst würde, denn den hatte ich ja so zitiert:
§ 104 Strafgesetzbuch
Verletzung von Flaggen und Hoheitszeichen ausländischer Staaten(1) Wer eine auf Grund von Rechtsvorschriften oder nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigte Flagge eines ausländischen Staates oder wer ein Hoheitszeichen eines solchen Staates, das von einer anerkannten Vertretung dieses Staates öffentlich angebracht worden ist, entfernt, zerstört, beschädigt oder unkenntlich macht oder wer beschimpfenden Unfug daran verübt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
Das würde doch ganz klar sagen, dass das nur die Flaggen (im Sinne von: Exemplare), die ein anderer Staat selbst zeigt, an seinen Behörden, Botschaften und so weiter, geschützt sind, man die also vorher erst klauen oder dort zerstören müsste, um sich strafbar zu machen. Kauft oder macht man sich aber selbst eine, bringt diese mit und verbrennt die dann, dann falle das ja nicht darunter.
Warum ich das anders sehe
Argument 1
Selbst wenn es genau so wäre, wäre es ein Denkfehler, denn es ging im Artikel ja darum, EU-Symbole vor Beleidigung zu schützen, und dann würde sich ja gerade auch in der Legislative und nicht nur in der Exekutive und Iudikative die Frage stellen, warum EU und nicht Israel.
Argument 2
Ich verstehe das hier anders, weil ich unter Flagge generell das Symbol unabhängig vom Exemplar, Eigentum und dessen Vorgeschichte sehe, das Abstrakte und nicht das konkrete Exemplar, während viele Leser eben meinen, dass das immer nur das konkrete Exemplar betrifft.
Die Frage ist, was „Flagge” als Rechtsbegriff meint: Den konkreten Gegenstand oder das per Gesetz oder Brauch festgelegte Symbol. Und ich kannte das bisher immer nur als Symbol. Es geht halt um den Aspekt der Beleidigung. Wenn ich auf ein Schild schreibe „Fritz X ist ein Depp” kommt’s ja auch nicht darauf an, ob ich mir das Schild selbst gemacht oder vorher bei Fritz X geklaut habe.
Schauen wir mal ins Grundgesetz:
Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Art 22(1) Die Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland ist Berlin. Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.
(2) Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.
Da geht es auch nicht um das konkrete Stück Stoff, sondern um die Festlegung des Symbols (wobei man hier freilich einwenden könnte, dass da von quergestreift nichts steht – Tupfen oder Herzchen gingen wohl auch, und die realen Exemplare in aller Häufigkeit schwarz-rot-gelb und nicht schwarz-rot-gold sind).
Es zeigt aber schon, dass der Rechtsbegriff in Bezug auf Staaten das Symbol im Allgemeinen und nicht die konkrete Flagge meint.
Nun habe ich aber mal in der Fachliteratur nachgelesen, allerdings habe ich Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch, auch nur eine uralte, nämlich die 51. Auflage, ich kaufe sowas nicht regelmäßig. Aktuell ist die 66.
Viel schlauer wird man aus der 51. Auflage nicht unbedingt, es steht nämlich fast nichts dazu drin. Es scheint dazu auch (Stand 51. Auflage) noch keine Gerichtsentscheidung in der Bundesrepublik gegeben zu haben, zitiert wird nur RG 65, 356, also Reichsgericht. Aber:
Die Vorschrift schützt zum einen Flaggen eines ausländischen Staates, die auf Grund von Rechtsvorschriften oder nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigt werden, sei es auch von einem Privatmann, etwa wenn ein Ausländer im Inlandswohnort an seinem Nationalfeiertag oder anlässlich eines im Inland genehmigten Treffens seiner Landsleute oder ein Ausschuss anlässlich einer internationalen Feier die betreffende Flagge hisst; zum anderen fremde staatliche Hoheitszeichen, die von einer anerkannten Vertretung ihres Auslandsstaates (Botschaft, Konsulat) öffentlich (befugt) angebracht sind. […]
Die Tathandlungen entsprechen im Wesentlichen denen des § 90a (vgl. dort)[…]
Tateinheit ist möglich, bei Wegnahme mit § 242, Gesetzeskonkurrenz bei Beschädigung und Zerstörung mit §§ 303, 304 gegeben.
Zu § 90a (Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, da geht es um Deutschland selbst) findet man da etwas mehr Material, nämlich dass es eben um Symbole und nicht (nur) um konkrete Flaggenexemplare geht, nämlich auch um Farben, Flagge, Wappen oder Hymne geht. Eine vorher gespielte Hymne zu klauen und zu verbrennen dürfte wohl schwierig werden. Der Kommentar sagt, dass es um ein Äußerungsdelikt geht. (Also nicht Diebstahl, Sachbeschädigung.)
Abs. 1 Nr. 2 schützt die Symbole[fett im Originaltext, nicht von mir] der BRep. Sie haben für Leben und Bestand der staatlichen Gemeinschaft einen hohen Rang. […] Tathandlung ist das Verunglimpfen, zB das verächtliche Bezeichnen der Bundesflagge als „schwarz-rot-gelb”.
Interessant wird das nun bei Absatz 2, zu dem der 104 ja ähnlich ist:
Von Abs. II erfasst sind das Entfernen (dh räumliche Trennung, wenn auch am gleichen Ort, zB Niederholen der Flagge), Zerstören, Beschädigen, Unbrauchbarmachen und Unkenntlichmachen sowie das Verüben beschimpfenden Unfugs an der Sache, dh ein Kundgeben der Mißachtung des Symbols in roher form, die sich räumlich unmittelbar gegen die Sache richtet, ohne dass eine Substanzverletzung oder Funktionstötung eintreten muss, zB das Anspeien des Wappens Umsägen eines beflaggten Fahnenmastes[…]
Heißt: Es ist widersprüchlich. Anscheinend hat man die Rechtsvorschrift aus dem Reichsstrafgesetzbuch mit sich herumgeschleppt, ohne sie jemals näher zu diskutieren, worauf auch hindeutet, dass RG 65, 356 zitiert wird, ich aber keine Entscheidung gefunden habe, die da anfängt. Gemeint ist damit RGSt, also die veröffentlichen Strafrechtsurteile des Reichsgerichts, nach Band und Seite. Damals hat man nur die Seite zitiert, auf der das gesagt wird, was man zitiert, während man seit längerer Zeit immer – wegen der Eindeutigkeit – nach der ersten Seite zitiert, auf der das Urteil anfängt, und dann die zitierten Textstellen in eckigen Klammern dahinter. Gefunden habe ich nur RG 1. Strafsenat | I 431/31 vom 22.09.1931, was zwar thematisch passt, aber unklar ist, ob das bis Seite 356 geht und dieses Urteil ist, außerdem auch nur den Tenor, ich habe keinen Zugang zu Juris für den Volltext. Es geht um den § 304 des Reichsstrafgesetzbuches
§. 304 Reichsstrafgesetzbuch
Wer vorsätzlich und rechtswidrig Gegenstände der Verehrung einer im Staate bestehenden Religionsgesellschaft, oder Sachen, die dem Gottesdienste gewidmet sind, oder Grabmäler, öffentliche Denkmäler, Gegenstände der Kunst, der Wissenschaft [186] oder des Gewerbes, welche in öffentlichen Sammlungen aufbewahrt werden oder öffentlich aufgestellt sind, oder Gegenstände, welche zum öffentlichen Nutzen oder zur Verschönerung öffentlicher Wege, Plätze oder Anlagen dienen, beschädigt oder zerstört, wird mit Gefängniß bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Thalern bestraft.
Neben der Gefängnißstrafe kann auf Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte erkannt werden.
Der Versuch ist strafbar.
Hilft also auch nicht weiter.
Ich kann also ad hoc nichts Gescheites und Verlässliches dazu finden.
Trotzdem finden sich für beide Ansichten – meine und die der Leser, die mir geschrieben haben – Hinweise. Allerdings: Die zu meinen Gunsten finden sich zu Flaggen, die zugunsten der Leser bei Hoheitssymbolen. Und das könnte den Unterschied erklären. Denn Hoheitssymbole (bei uns: Bundesadler, bei USA zb. Wappen CIA usw.) darf niemand außer dem Staat selbst verwenden, die Flagge dagegen schon. Ich darf beispielsweise problemlos eine Schwarz-Rot-Gold-Flagge verwenden, aber keine mit dem Bundesadler drauf, weil der ein Hoheitssymbol ist.
Schaut man sich aber die Formulierung des 104 nochmal genau an, dann scheint die das auch zu bestätigen:
…eine auf Grund von Rechtsvorschriften oder nach anerkanntem Brauch öffentlich gezeigte Flagge eines ausländischen Staates oder wer ein Hoheitszeichen eines solchen Staates, das von einer anerkannten Vertretung dieses Staates öffentlich angebracht worden ist, …
Das scheint genau der Unterscheidungspunkt zu sein.
Zur Flagge steht nämlich nichts dabei, wem sie gehören muss oder von wem sie gezeigt worden ist. Und (siehe oben) es hieß ja auch, dass es reicht, wenn ein Privatmann das tut. Die Flagge ist abstrakt, das kann auch eine selbstgemacht sein. Es kommt nur darauf an, dass sie öffentlich gezeigt wird, also auch durch den Täter selbst gezeigt worden sein kann. Heißt: Wer zuhause eine solche Flagge herstellt und heimlich verbrennt, fällt nicht darunter. Wer aber draußen auf der Straße damit rumläuft und sie dort verbrennt, der fällt darunter. Es genügt hier, wenn es die Flagge eines ausländischen Staates ist, und zwar aufgrund von Rechtsvorschrift oder Brauch. „Brauch” sagt ja schon, dass es nicht um bestimmte Exemplare geht.
Bei Hoheitszeichen ist es anders, weil man die eben nicht selbst verwenden darf und kann (schwarz-rot-gold kann und darf ich mir machen, Bundesadler nicht) und da steht ja auch „von einer anerkannten Vertretung dieses Staates öffentlich angebracht worden ist”, die also an einer Botschaft oder einem Konsulat (o.ä.) angebracht worden sein muss.
Deshalb halte ich an meiner Meinung der Strafbarkeit fest, wenn es um Flaggen, hier die von Israel geht.
Warum nicht verfolgt wird.
Was ich aber übersehen habe, ist der § 104a StGB:
§ 104a
Voraussetzungen der StrafverfolgungStraftaten nach diesem Abschnitt werden nur verfolgt, wenn die Bundesrepublik Deutschland zu dem anderen Staat diplomatische Beziehungen unterhält, die Gegenseitigkeit verbürgt ist und auch zur Zeit der Tat verbürgt war, ein Strafverlangen der ausländischen Regierung vorliegt und die Bundesregierung die Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt.
Die Staatsanwaltschaft kann also gar nicht von selbst loslegen.
Und ein solches Strafverlangen dürfte wohl auch nur von wenigen Staaten eingereicht werden. Von Türkei/Erdogan würde ich sowas beispielsweise erwarten. Generell von stark religiösen Staaten. Oder Staaten wie Nordkorea. Wobei ich nicht weiß, ob wir mit denen diplomatische Beziehungen haben, aber wohl schon, ich glaube, die haben eine Botschaft in Berlin. (Sind die nicht mal aufgefallen, weil die da durch Hotelbetrieb Devisen machen wollen?) Eine interessante Frage ist aber, ob das für die DDR galt. Denn wenn ich mich recht erinnere, konnten wir zur DDR keine diplomatischen Beziehungen unterhalten, weil wir sie nie als fremden Staat anerkannt hatten. Deshalb gab es wohl keine BRD-Grenze zur DDR und deshalb konnte wohl jeder DDR-Bürger einfach so einspazieren und sich hier als Bürger melden. Ich glaube mir erinnern zu können, dass wir da auch nur eine „Vertretung” und keine formale Botschaft hatten.
Ob Israel so ein Verlangen einreicht, weiß ich nicht, ich hätte davon noch nie gehört. Vermutlich aber sind die sowieso anderes gewöhnt und geben sich mit solchem Kleinkram wie Flaggenverbrennen gar nicht erst ab.
Fazit
Das scheint so ein toter Paragraph zu sein, den man irgendwann mal aus historischen Gründen in das StGB geschrieben, sich aber eigentlich nie damit befasst hat.
Wenn man jetzt aber den Umgang mit der EU-Flagge strafbar machen will, wird daraus durchaus ein Vergleich.
Wichtiger ist aber wohl der Vergleich mit § 90a, der darauf hindeutet, dass man da stückchenweise Bundesrepublik durch EU ersetzen und die EU zum Staat machen will.