Maxima und das omnipräsente Terminal
Ein Anschlussgedanke.
Ich hatte doch gestern diesen Artikel über die Wiederkehr der Anfangszeit der Computertechnik geschrieben. Und dass nicht nur normale Terminal- und ssh-Sitzungen noch immer die Uralt-Technik des Einloggens per Primitiv-Terminal und Schleich-Modem imitieren, und dass ich (schon lange) den Webbrowser für die Wiederkehr eben jeder alten Terminals, eher noch der Block-Terminals, die nicht Zeichen für Zeichen, sondern immer gleich ganze Masken anzeigten. Wer etwas älter ist, kann sich noch an viele Anwendungen dieser Art erinnern, beispielsweise lief früher die Flug- und Reisebuchung in Reisebüros darüber. Manche Terminals konnte man umschalten und letztlich kann man ein Block-Terminal auch über ein normales, zeichenorientiertes Terminal emulieren. Die berühmte und (früher) sehr häufig benutzte Programm-Library libcurses macht genau sowas.
Ein Leser schrieb mich an und rügte, dass ich doch die ganzen Bulletin Boards, Fidonet und sowas nicht beachtet hätte, die wären noch alter als Usenet.
Ja, mag sein, aber: Es war nicht die Absicht, die gesamte Weltgeschichte der Computerei vollständig und lückenlos in einem Blog-Artikel abzudecken. Und ich habe auch nicht sondern viel mit diesem Mailboxen gemacht, irgendwie habe ich daran keinen Gefallen gefunden, mir kam das immer wie ein Selbstzweckprojekt vor – wenn man’s nicht macht, dann entgeht einem auch nichts, wenn man’s eben nicht macht. Letztlich sind die bei mir in meinem geistigen Weltbildatlas auch nicht so in einer Schublade abgelegt, als ob aus ihnen noch irgendwas geworden wäre. Sie hatten fraglos Einfluss auf Modementwicklung und -Umsätze, und es gab sicherlich viele interessante und wichtige Inhalte, aber die Technik selbst fand ich nicht so den Brüller oder entwicklungsauslösend. Im Gegenteil fand ich das viel interessanter und befruchtender, diese Technik per Internet durch etwas besseres zu ersetzen. Was übrigens gar nicht so einfach war, denn ursprünglich gab es keine passende Technik dafür im Internet, außer eben Usenet, in dem aber alles in einem Schwall ertrank, jeder durcheinander redete und alles durch Expiry wieder gelöscht wurde, also nur so vorbeizog. Und Texte per FTP abzulegen war nicht so der Hit. Suchmaschinen gab es immerhin.
Überaus interessant, aber sehr begrenzt und schwerfällig fand ich dann das Prinzip des Gopher, und hatte damals auch schon sofort damit angefangen, im Institut so ein Ding aufzubauen und zu befüllen, aber es war halt doch sehr primitiv, auf einfachen Text beschränkt und wirkte wie – naja, wie ein Blockterminal eben, man bekam einen Bildschirm voll simplen Text, konnte daras aber per Hyperlink auf andere Seiten wechseln, und zwar auch auf beliebige andere Server. Zwar gingen auch Bilder und sowas, aber immer nur als Alternative zum Text. Entweder Text oder ein Bild. Die meisten Leute wissen heute gar nicht, dass die ersten Webbrowser Gopher und http/html als gleichberechtigt und gleich wichtig nebeneinander hatten, weil die Inhalte damals erst mal nur in Gopher existierten. Und dann kamen plötzlich die ersten Versionen von Webservern (ich glaub das Ding hieß httpd, es war grauslich und voller Fehler und ziemlich wüst zusammengegurkt, woraus dann andere einen Fork machten und den „a patchy httpd” nannten, also einen geflickten Webserver, und „a patchy” wurde zu Apache verballhornt, weil man es auf englisch genau gleich ausspricht. Und aus dem ersten Webbrowser Mosaic wurde auf seltsamen Umwegen irgendwann Firefox. Mir hat das damals auf Anhieb gefallen, es war eigentlich die konsequente Fortsetzung der bestehenden Technik, und ich habe das noch aus den ersten Versionen, die über usenet verteilt wurden, mühsam und mit Anpassungen zusammencompiliert und unter Aaaah und Oooh und der Anerkennung der Hexenmeisterei im Institut vorgeführt – obwohl die ersten Webbrowser noch sehr primitiv waren und außer Text, fettem und schrägem Text und zwischen dem Text eingefügten Bildern noch gar nichts konnten, sowas wie Style Sheets oder JavaScript gab es noch lange nicht. Ich hatte damals einen der ersten, wenn nicht den ersten Webserver und -Browser an der Uni und im Netz, und außer denen vom CERN und die sonst noch dran entwickelt haben, können nicht viele vor mir gewesen sein, das Ding kam ja gerade erst ganz neu raus und ich habe mich sofort dran gemacht. Ich hatte damals auch das erste Dienst-Handy an der Uni, noch lange vor Rektor und Kanzler. (Forschung am Kryptotelefon, aber das war eine andere Geschichte.)
Ich hatte mir vorhin etwas zum Abendessen gemacht, kam aus der Küche, setzte mich an den Tisch und machte den Fernseher an, damit es nicht so still ist (was paradox ist, weil draußen gerade irgendeine Demo vorbeizog und einen Höllen-Lärm mit wummernden Bässen machte, den ich vorher sogar unter der Dusche mit Wasser in den Ohren noch gehört hatte). Es kam gerade irgendeine Dokumentation über die niederländische Königin Maxima, die gerade in irgendeinem armen Land war und sich vorführen ließ, wie die Leute da mit Handy bezahlen können. Durch das Handy bekommen sie Zugang zu Bank- und Finanzdienstleistungen, also gar nicht erst mit Bankfiliale oder Geldautomat auf dem Land, sondern alles elektronisch, die zahlen im Laden damit. Neulich noch hatten erst ein Drittel der Menschen Zugang, und jetzt durch mehr Handys schon die Hälfte oder irgendsowas, jedenfalls viel mehr. Und natürlich wieder der Hinweis, dass Frauen wie immer benachteiligt werden, die Königin habe mit einer Frau gesprochen, und sie gefragt, warum sie kein Handy habe, und die habe geantwortet, dass ihr Mann „das” Handy habe. Sie setze sich deshalb dafür ein, dass auch alle Frauen ein Handy bekommen.
Da ging mir so durch den Kopf, dass das ja eigentlich und über den Webbrowser und die Apps ja auch nur eine moderne Verlängerung und Neuauflage des alten Terminals mit Modem ist – nur eben klein, tragbar, softwarefähig, toller kleiner Bildschirm, erschwinglich und mit 4G-Mobilfunk statt Modem. Aber im Prinzip immer noch das Gleiche wie vor 50 Jahren: Im Rechenzentrum läuft irgendein Dienst, und man greift von seinem Terminal darauf zu.
Die wirkliche Revolution war deshalb nicht der Personal-Computer, denn der lässt ja in seiner Bedeutung auch längst wieder nach. Ich habe aus der Industrie erfahren, dass es mittlerweile Abiturienten gebe, die mit einem PC überhaupt nicht umgehen können, kaum mit Tastatur und Maus, weil deren gesamte Lebenserfahrung im Umgang mit Computern auf Handys und Tablets beschränkt war, die also wischen konnten und sowas. Inzwischen wird berichtet, dass es Kinder gebe, die „Alexa” für ihre beste Freundin halten, und in den USA wird Alexa schon darauf programmiert, Kinder zu höflicher Sprache zu erziehen.
Die wirkliche Revolution fängt jetzt erst an, nämlich durch die Universalverfügbarkeit kleiner, billiger Handys und solcher Geräte wie Alexa, für die man nicht mal mehr eine Tastatur oder Maus benutzen können muss. Ob die neuen Werte nach der Revolution freilich besser sind als vorher, das steht auf einem anderen Blatt.
Auch bei den Flüchtlingen, die hier ankommen, sieht man kaum welche mit Notebook unter dem Arm, aber viele mit Handy. Oft haben sie alles, was sie sind und haben, auf dem Handy gespeichert, vielleicht ihre Geburtsurkunde, ihr Abitur, ihr Diplom noch abfotografiert.
Das Handy hat mit Sensoren wie Lage, GPS, Kamera und vor allem dem Umstand, dass man es mit sich herumträgt, ein Potential, das Personal Computer nie hatten, und es hat eine Verreitung, die Personal Computer nie hatten, und ich weiß zwar nicht, wieviele Menschen weltweit ein Handy besitzen oder Zugang dazu haben, aber so von der Größenordnung würde ich schon auf ungefähr die Hälfte schätzen.
Natürlich drängt sich der Gedanken auf, was danach kommt. Kleiner machen kann man sie nicht, sonst sind Bildschirm und Touchscreen nicht mehr zu gebrauchen. Es gab ja schon den überraschenden Effekt, dass die Mobiltelefone längst viel kleiner waren, dann aber wieder größer wurden, wegen der Bildschirme.
Die nächste Verkleinerung wäre dann das Hirnimplantat, von dem ich mir sicher bin, dass es kommt, nur nicht, wann. Nur wird das dann so teuer und aufwendig sein, dass es in der Größenordnung nicht zu verbreiten sein wird, weshalb ich vermute, dass das Handy in der Größe und Art, wie wir es heute kennen, für lange Zeit ein Standard und letztlich ein tragbares Terminal zu Rechenzentren bleiben wird. Klar, mehr RAM, besserer Bildschirm (selbst das ist fraglich, weil besser als die Augen sehen können, dann auch nichts bringt), vor allem aber noch billiger, aber am Prinzip wird sich erst mal nichts ändern.
Das Prinzip Rechenzentrum plus Zugangsterminal wird noch sehr lange so halten.