In einem Township von Kapstadt
Einige Eindrücke
(Vorbemerkung: Beim Schreiben dieses Blog-Artikels, aber erst nach dem Besuch im Township, habe ich diesen Artikel in der ZEIT über Touristenbesuche in Armutsvierteln gefunden. Was zum Nachdenken.)
Ich bin gerade für kurze Zeit in Kapstadt in Südafrika. Da hat es ein paar sehr schöne Ecken, und ich könnte nun darüber berichten, wie ich hier Urlaub mache. Ich könnte beispielsweise von dem 13-Gänge-Menü erzählen, das ich mir vorhin habe schmecken lassen (ich wußte allerdings vorher nicht, daß das von einem normalen Restaurant abweicht und wollte nur gewöhnlich zu Abend essen).
Stattdessen möchte ich von etwas erzählen, was ich vorher nicht geplant hatte und was auch nur eine knappe Stunde dauerte. Der Besuch im Township Imizamo Yethu, einem Armutsviertel von Kapstadt. Man könnte auch Slum dazu sagen. Weder wäre ich vorher auf die Idee gekommen, solch einen Ort zu besuchen, noch hätte ich geglaubt, daß man da so ohne weiteres rein- und insbesondere unversehrt und vollständig auch wieder rausspazieren kann.
Ich war vor meiner Abreise in mehreren Reiseführern vor der Kriminalität und davor gewarnt worden, die belebten Touristenwege zu verlassen. Bisher stellt sich Kapstadt für mich aber eigentlich recht wenig bedrohlich und eher freundlich und aufgeschlossen dar.
Allerdings war ich schon auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel an einer größeren Gegend aus üblen Wellblechverschlägen vorbeigekommen, und dachte mir schon, daß das die heftigsten No-Go-Areas wären. Für viele Gegenden in Südafrika ist das wohl auch zutreffend.
Umso erstaunter war ich, als ich bei den geführten Stadtrundfahrten hörte, daß man auch einen geführten Besuch durch eines dieser Townships buchen kann. Skeptisch hatte ich gefragt, ob das nicht gefährlich sei, ob ich da nicht als unerwünschter Eindringling angesehen würde. Nein, gar nicht, hieß es, man würde sich über Besuch von Fremden freuen und das sogar ausdrücklich begrüßen und fördern. Die Township-Bewohner hätten den ausdrücklichen Wunsch, sich darzustellen und auf sich und ihre Lage aufmerksam zu machen, sie suchten die Publizität. Schließlich seien die Guides, die einem herumführen, ja selbst Bewohner des Townships, und die würden das ja nicht machen, wenn sie das nicht wollten. Zudem würde es von der Stadt Kapstadt offiziell gefördert. Ich solle keinerlei Bedenken haben und bräuchte auch keinerlei Bedrohung oder Gefahr fürchten.
Ob fotografieren erlaubt und akzeptiert sei, fragte ich skeptisch, ob die Leute das nicht als Affront ansehen würden, wenn man sie fotografiert. (Ich hatte in anderen Gegenden der Welt durchaus die Erfahrung gemacht, daß die Leute das nicht mögen, wenn man sie in ärmlichen Verhältnissen fotografiert. Und wenn sie es nicht mögen, läßt man es bleiben.) Auch da wurde ich beruhigt. Die Leute in den Townships würden sich sehr gerne fotografieren lassen, so gerne, daß sie sogar herbeigelaufen kämen um zu posieren, weil sie sich über die Abwechslung freuten.
Also dachte ich mir, na gut, auf ins Township. Mal sehen, was passiert.
Allerdings scheinen sich doch nur sehr wenige von dem Angebot überzeugen zu lassen, weshalb ich auf der Tour der einzige „Teilnehmer” war und dann sogar zwei Guides hatte. Und dort natürlich wegen Aussehen, Kleidung, Sprache, Kamera usw. auffiel wie ein wandelnder Weihnachtsbaum.
Und tatsächlich war es so, daß Leute ankamen oder die Guides von Zeit zu Zeit stehen blieben und mich aufforderten, sie, irgendwelche Hütten oder vor allem die Kinder zu fotografieren. Eigentlich wollte ich mich da sehr zurückhalten, um niemanden zu provozieren, zu verärgern oder das Gefühl zu geben, von Touristen begafft zu werden. Die sahen das dort aber ganz anders. Die verstehen das eher als Affront und Geringschätzung, wenn man sie nicht fotografiert. Da gibt’s einige Leute, die ausdrücklich wollen, daß man sie und ihre Lebensumstände fotografiert und darüber berichtet. Also mach ich’s.
Vor allem möchten sie, daß man Kinder fotografiert, die sie erklärtermaßen für ihr höchstes und wichtigstes Gut ansehen, und für die sich sich eine Verbesserung der Situation erhoffen. Als ich einwand, daß es immer etwas problematisch ist, Kinder zu fotografieren, weil man dazu das Einverständnis der Eltern brauche, lachten sie mich aber aus: „Not here…” Da gelten offenbar andere Gesetze. (Man hat mir später dann aber als angemessen nahegelegt, jedem dieser Kinder, die ich fotografiert habe, zum Dank in einem der winzigen und minimalst bestückten Läden ein Tütchen Kartoffelchips zu kaufen – und damit eine riesige Freude zu bereiten, die sich sich normalerweise nicht leisten können. Eine Runde Kartoffelchips zu schmeißen hat mich dann umgerechnet einen Euro gekostet.)
Die Bandbreite der Behausungen reicht von einfachsten, schiefen, undichten, verrosteten Wellblechverschlägen bis zu einfachen oder primitiven Backsteinhäuschen, die man inzwischen über ein Förderprojekt aufbaut. Generell sind die Zustände aber weit überwiegend erbärmlich, es liegt viel Müll herum, von ordentlichen Lebensverhältnissen kann kaum die Rede sein. Viele haben anscheinend kein fließendes Wasser in ihrer Behausung. Zynischerweise liegt direkt am gegenüberliegenden Hang in direkter Sichtweise das Millionärsviertel, wo die Reichen wohnen.
Weil ich Deutscher bin, zeigte man mir mit großem Stolz eine sehr ordentlich asphaltierte Gasse, über die man sich so sehr freue, weil sie im Gegensatz zu all den unbefestigten Wegen (das Township liegt auch noch an einem relativ steilen Hang) auch bei den gelegentlichen starken Regenfällen stabil bleibt, während andere Wege zu unpassierbaren Schlammrutschen würden. Finanziert habe diesen asphaltierten Weg die Lufthansa mit den Spenden aus dem Münzgeld, was sie auf den Flügen einsammeln (was mich daran erinnerte, daß sich unlängst ja auch nicht jeder Münztransport der Lufthansa als ehrenwert erwiesen hat). Hallo Lufthansa, falls das jemand von Euch hier liest: Die Leute in diesem Township freuen sich riesig über diesen asphaltierten Weg und halten sehr große Stücke auf Euch, loben Euch in höchsten Tönen. Und sie hoffen sehr, daß man ihnen noch ein oder zwei weitere Wege asphaltieren kann.
Tatsächlich hat man mich auch in eine der Wohnungen eingeladen, eine der besseren in den Häuschen aus Stein. Sehr einfache Verhältnisse, aber freundliche Leute.
Auch in verschiedenen „Läden“ war ich, obwohl sie diesen Namen kaum verdienen. Improvisierte Hütten und Verschläge, mit einem lächerlichen Minimum an Waren, die kaum weggehen, weil niemand sie sich leisten kann. Selbst einen Metzger – mit einem sehr, sehr kleinen, bescheidenen und unseren hygienischen Maßstäben nicht wirklich genügenden Angebot gab es, und einen sehr improvisierten Friseur. Wobei mir ein ernster Faux-Pas unterlaufen ist. Man legte mir in jedem der Läden nahe, doch etwas zu kaufen, natürlich weil man hofft, daß der reiche Tourist endlich mal ein paar Kröten Umsatz bringt. Und so empfahl man mir auch ebenso nachdrücklich wie scherzhaft, mir die Haare schneiden zu lassen. Zur Antwort lupfte ich mein Sonnenhütchen um zu zeigen, daß da nicht mehr viel zu schneiden wäre, weil ich schon bei ungefähr 1cm Länge wäre. Da lachten die und meinten, da ginge noch was, weil es hier bei Männern üblich wäre, die Haare bei 1mm zu tragen. Das ist eben die hier gängige Frisur kurz vor der Glatze, die aber nur bei dunkler Haut nach was aussieht, bei mir nicht. Dankend lehnte ich also ab. Doch, meinten sie, das wäre prima, das sollte ich doch mal probieren. Nee, kann ich mir nicht leisten, sage ich, ich hab doch so weiße Haut, ich krieg sofort einen Sonnenbrand auf dem Kopf, und brauche ein paar Haare zum Sonnenschutz. Deshalb müßte ich mich auch mit Sonnencreme einschmieren und mit Hütchen rumlaufen.
Uh, oh. Da habe ich mich aber ganz tief in ein Fettnäpfchen begeben, da waren meine beiden Guides aber ganz plötzlich ziemlich angefressen. Es würde sie zutiefst beleidigen, wenn ich sage, daß meine Haut weiß wäre. Weiß wäre das da (er zeigt auf sein Hemd), aber nicht meine Haut. Wir wären nicht weiß oder schwarz (was laut zweien meiner Reiseführer-Bücher hier eine normale und keineswegs als abwertend gemeinte oder verstandene Sprechweise wäre), der Unterschied läge lediglich in der Melanin, die man in der Haut habe. Leute, das weiß ich doch, das war doch auch nicht bös gemeint, ich wollte Euch doch nur sagen, daß ich mir die Haare hier nicht so kurz schneiden lassen kann wie andere, weil ich einfach einen heftigen Sonnenbrand bekomme, wenn ich ohne Haare rumlaufe. Gut, das sehen sie ein, nach kurzer Erörterung des Sachverhaltes bestätigen sie mir dann auch, daß sie keinen Sonnenbrand kriegen und meine Vorbehalte gegenüber der Frisur auch nicht gleich nachvollziehen konnten. Glücklicherweise hatte ich mir am Vortag einen leichten Sonnenbrand am Hemdkragen geholt, wodurch ich zeigen und belegen konnte (von wegen weiß, rot war sie da), daß ich da tatsächlich ein Problem mit zuviel Sonne kriege. Ich hatte den Eindruck, daß Sonnenbrand als Gefährdung und Verbrennung nicht geläufig war, und daß man mich so verstanden hat, daß ich meine blasse Hautfarbe nicht aufgeben wolle. Wir wechseln das Thema und die gute Laune ist wieder hergestellt. (Heute war ich dann im District-Six-Museum, in dem auch viel über Apartheid berichtet wird, und in dem auch alte Personalausweise gezeigt werden, in denen die Leute nach Hautfarbe in ihre Klassen eingeteilt wurden, und bei denen die „Weißen” als oberste und mit den meisten Rechten ausgestattete Kaste hingestellt wird. Ich verstehe nun durchaus, warum die sich schon allein durch den Begriff und meine Beschreibung von mir selbst so auf den Schlips getreten fühlten. Trotzdem weiß ich noch immer nicht, mit welchen Begriffen ich jemandem neutral und ohne irgendwen zu beleidigen oder zu verletzen, erklären kann, daß ich hier nicht mit Glatze rumlaufen kann, weil mir die schützenden Hautpigmente fehlen und ich mir einen fiesen und gefährlichen Sonnenbrand hole, von dem anscheinend viele gar nicht wissen, daß es das gibt, was es ist und wie es sich anfühlt, und daß ich mich jeden Morgen mit Lichtschutzfaktor 50 einschmiere.) Nun ja, wer reist, verstößt zwangsläufig gegen Sitten und Befindlichkeiten. Aber Reisen bildet eben auch.
Was mich beeindruckt hat war, daß die Leute hier trotz der Umstände alle noch so (gast-)freundlich, aufgeschlossen, gutgelaunt sind, und manches mit (schwarzem) Humor nehmen. Im Rundtourbus wurde dazu erklärt, daß die Bewohner ihre Townships intern nach Gegenden der Welt benannt haben, in denen Krieg stattfindet, weshalb die Townships hier interne Spitznamen wie Belfast oder Kossovo haben.
Es dauerte auch nicht lang, bis neugierige Kinder ankamen, die fotografiert werden wollten und sich dann um mich scharten, um sich selbst auf dem Display der Kamera zu sehen.
Besonders aufgefallen ist mir ein kleines Mädchen in einem roten Pulli. Die Kleine war echt süß, sehr schüchtern, aber hat sich enorm gefreut und ist vor Stolz fast geplatzt, daß der komische exotische Fremde mit der Kamera sie beachtet und wegen ihr stehen bleibt. Und hat vor Freude gequietscht, als sie sich auf dem Display gesehen und dafür noch Kartoffelchips bekommen hat. Der größte Wunsch ihrer Eltern ist es, daß sie mal ein Lawyer wird und es in bessere Verhältnisse schafft. Wollen wir ihr wünschen, daß sie es schafft.
Den Vogel abgeschossen haben aber diese zwei Knirpse hier:
Ich hätte die vielleicht auf 5 oder 6 Jahre geschätzt. Die beiden wollten unbedingt fotografiert werden, zogen mich am Hosenbein, daß sie auch gerne mal wollen. Gut, ist ja kein Problem. Die waren fest davon überzeugt, daß fotografiert zu werden richtig weh tut. Daß der linke hier noch entspannt guckt, liegt daran, daß ich schneller war, als die damit rechneten, wobei sich der rechte schon in Schmerzposition bringt. Nach dem ersten Klicken der Kamera standen beide mit schmerzverzerrtem Gesicht da, hielten das aber tapfer aus und liefen nicht davon:
Danach sind sie aber gehüpft vor Freude, sich auf dem Display der Kamera sehen zu können. Und dann erst über die Kartoffelchips. (Ich habe versprochen, den beiden Leuten, die mich herumgeführt haben, Abzüge zu schicken, wenn ich wieder in Deutschland bin, damit die Kinder dort auch die Bilder bekommen, über die sie sich so gefreut haben.)
5 Kommentare (RSS-Feed)
@J.: Nein, leider nicht. Bis die mir das fertig erzählt hatten, waren wir da schon wieder weg. Gibt auch eigentlich nichts zu sehen, das war ja auch keine Straße, sondern nur so ein Weg. Würde bei uns als einfacher Fuß- oder Radweg eingestuft.
Wow. Danke für die Bilder!
Sehr interessanter Bericht. Vielen Dank!
🙂
Hinweis vom Blog: “Your comment was a bit too short. Please go back and try again.”
Also nochmal:
🙂
Hast Du ein Foto von der asphaltierten Straße?