Über die Selbstvergiftung des Privatfernsehens
Mit Urheberrechtsforderungen und Digital Rights Management haben sich ja schon manche vergaloppiert.
Hat nicht gerade die Musikindustrie eingesehen, daß sie sich mit ihrem Rechte-Management-Theater mehr schaden als nützen, und es besser bleiben lassen? Daß sie mehr Geld verdienen, wenn sie ihren Kunden den Content so verkaufen, daß er keine Probleme damit hat und Raubkopien in Kauf nehmen, als wenn sie ihre zahlenden Kunden vergraulen und Raubkopien fördern, weil das geschützte Zeug – wenn überhaupt – nur als Raubkopie überhaupt verwendbar ist?
ARD und ZDF leben von fixen Fernsehgebühren und nur zu einem kleinen Teil von Werbeeinnahmen. Eigentlich müßten die sich nicht darum kümmern, jedem Zuschauer ihr Programm hinterherzuwerfen. Trotzdem sind sie probemlos zu empfangen, ich bekomme sie hier ohne weiteres auf den verschiedensten Übertragungswegen. Nach anfänglicher Skepsis bin ich inzwischen auch von der ZDF Mediathek begeistert, nachdem ich kürzlich verschwitzt hatte, die ausgesprochen interessanten Sendungen über neue Erkenntnise zur Nibelungensage aufzunehmen und dann überrascht festgestellt habe, daß man sie in der ZDF Mediathek in bester Qualität auch nachträglich noch anschauen kann. Insofern erscheint mir – das muß ich leider zugeben – die GEZ-Fernsehgebühren auf Internet-PCs nicht mehr so völlig abwegig, wie sie mir einmal erschien. (Wobei mir die GEZ-Fernsehebühr als solche nach wie vor als absurd vorkommt, das Gehabe der GEZ ebenso.)
Ende 2006 schwirrten ja jede Menge Gerüchte herum, daß die Privatsender die Grundverschlüsselung einführen wollen, und man sie ohne Gebühren auf DVB-XYZ nicht mehr empfangen kann. So vergrault man sich seine eigenen Kunden. Inzwischen kommt DVB-T in immer mehr Gegenden, sogar hier in Karlsruhe bekomme ich mittlerweile einige öffentliche Sender per DVB-T rein. Nur die Privaten fehlen und sind laut Empfangsprognose auch nur in wenigen Gegenden zu sehen. Damit könnten sie sich aber ins eigene Fleisch schneiden, denn ich kenne Leute, die ihren teuren Kabelanschluß gekündigt haben, seit seit sie mit DVB-T ihre öffentlichen Sender in bester Qualität empfangen. Das Angebot der privaten Sender sei für ihren Geschmack nämlich so lausig, daß es jedenfalls die Kabelkosten nicht mehr wert sei. Über eine Satellitenschüssel würden sie mal nachdenken – wobei ich jetzt nicht mal genau weiß, ob und wie lange noch die Privaten über Schüssel unverschlüsselt zu empfangen sind. Ich hab nämlich keine.
Richtig ist aber, daß das Angebot der Privaten auch in meinen Augen immer schlechter wird. Angucken kann man sich höchstens mal Kinofilme, aber auch das wird zunehmend obsolet, denn die zeitlichen Abstände, die zwischen Kino und DVD-Erscheinung liegen, werden immer kürzer, und die DVD selbst wird gerade durch den Video-on-Demand-Download ersetzt. Weil die Produktionskosten, der Transport und der Einzelhandel nicht mehr mitverdienen wird das deutlich billiger, und Filme sind derzeit schon zwischen 1 und 7 Euro zum Download zu haben – in guter Qualität und ohne Werbeeinblendungen und -unterbrechungen. Die nämlich nerven mich so, daß ich keinesfalls Geld für werbedurchseuchte Filme ausgeben würde. Der Fernsehwert der Privaten wird dadurch immer geringer, und sie sind – durch die Veränderung der Übertragungswege, denen sie nicht folgen – auch immer schwerer zu empfangen. Es wird noch so kommen, daß die Privaten sich gewaltig Mühe geben müssen, um ihr Angebot überhaupt noch unters Volk zu bringen.
Playstation, X-Box und wie sie alle heißen sind schon in vielen Wohn- und Kinderzimmern (!) präsent. Angesichts der Debatte umd HDDVD oder BlueRay ist mir aufgefallen, daß man die Sony Playstation inzwischen billiger bekommt als einen separaten BlueRay Player, obwohl sie nicht nur sehr viel mehr Computertechnik, sondern eben auch einen BlueRay Player enthält. Seltsam, oder? Da wird subventioniert und in den Markt gedrückt. Die Dinger können alle längst (oder bald) Video-Streamen und bieten zudem Spiele-Möglichkeiten. In den USA wurden schon von manchen Kinofilmen mehr interaktive Spiele als DVDs verkauft. Und wenn das ganze dann noch on Demand, zu jeder Tag und Nachtzeit und ohne Werbung zum Download bereitsteht – wer braucht dann noch die privaten Sender?
Umso mehr erstaunte mich, was ich gerade eben gelesen habe. Ich war eigentlich auf der Suche nach einer Quelle für Fernsehprogrammdaten. Eigentlich wollte ich mir ein Skript schreiben, das täglich die Fernsehprogramme durchsucht und mich alarmiert, wenn etwas kommt, was ich suche. Aber woher die Programmdaten nehmen?
Als Informatiker käme man ja zuerst auf die Idee, daß es toll wäre, wenn jeder Sender im Web in einem festen Format (XML,…) sein Programm der nächsten Tage zum Download anbietet. In den digitalen Kabelprogrammen bekommt man ja bei manchen Sendern auch den Electronic Program Guide für eine Woche im Voraus kostenlos mit dazu. Warum also sollte das hier nicht gehen?
Wie schwierig das Einsammeln von Fernsehprogrammdaten ist, habe ich dann gelesen, als ich auf TVBrowser.org gestoßen bin: Ein Java-Programm mit allerlei Backend-Treibern und Plugins, die die verschiedenen Programminformationen im Web parsen, und daraus so etwas wie eine Fernsehzeitung erstellt. Schön. Aber traurig, daß so etwas nötig ist. Und dann hab ich da diese Meldung gelesen:
Einige der Privatsender sind in der VG Media vertreten, die für sie die Gebühreneintreiberei betreibt. Und die wollen Nutzungsgebühren sogar für die Nutzung ihrer Programmdaten.
Was wollen die eigentlich? Wollen die Zuschauer haben oder vergraulen?
Stellt Euch mal vor, jeder, der mir Werbung für sein Produkt zuschicken will, würde nun sagen, daß ich die Werbung nur noch gegen Gebühr bekomme, und wenn ich nicht zahle, dann eben nicht. Dann wäre ich von Werbung erlöst und würde nur noch das kaufen, was ich wirklich brauche. Ein Zustand, den ich schon lange zu erreichen suche. Und genau diesen Effekt scheinen die Privaten gerade anzusteuern.
Der technische Fortschritt wird die Fernsehgewohnheiten erheblich ändern. Nein, er wird nicht, wir sind schon mittendrin. Streaming, Downloads, Demand gibt es ja schon, und ich merke schon, wie sich meine Sehgewohnheiten verändern. Manche Anbieter, wie T-Home, bieten schon Komplettpakete aus Breitband-Internet und Zugriff auf Fernsehen und Video-Bibliotheken über DVB-IPI an (DVB über Internet, als Gegenstück zu DVB-C, DVB-S, DVB-T).
Fernsehen wird sich nicht mehr nach der “Gegessen-wird-was-auf-den-Tisch-kommt”-Methode richten, sondern nach der Broker-Methode, wie wir sie heute auch schon bei den ganzen Billiger-, Tiefpreis- und Schotten-Servern und in gewisserweise auch bei den E-Bay- und Amazon-Marketplaces haben: Man sucht etwas, und die digitalen Marktplätze sagen einem, wo man es am billigsten/besten/schnellsten bekommt.
Auf dem DVD-Markt ist derzeit eine seltsame Entwicklung zu beobachten: Die ganzen TV-Serien werden Staffelweise als DVD-Boxen verkauft, zu lächerlich hohen Preisen – was teils durch die Produktionskosten bei niedrigen Auflagen bedingt ist. Zukünftig wird man eben Star Trek, Sex in the City, Fussball, Big Brothers und Dschungelcamps nicht mehr schauen, wenn (oder auch nur weil) sie bei RTL, SAT1 & Co. gerade kommen, sondern wenn und wann man sie schauen will und dort, wo man sie am billigsten schauen kann.
Der andere Bereich des Fernsehens, die aktuelle Berichterstattung, wird auch schon aufgeweicht. Immer mehr Redaktionen, die eigentlich die klassischen Printmedien bedienten, merken, daß ihnen die Papier-Käufer davonlaufen, und steigen auf die digitale Information um, indem sie Meldungen zum Download anbieten, immer öfter als kurze Video-Schnipsel. Und wie ich meine, sogar ziemlich gut und bekömmlich. Eigentlich decken die öffentlich-rechtlichen Sender und diese Nachrichten-Verlage den Informationsbedarf ziemlich gut ab.
Hinzu kommt ein gesteigertes Fernsehangebot. Ich habe hier in Karlsruhe mal eine DVB-C-Box ausprobiert. Das verdammte Ding hat hier so um die 400 Sender gefunden, eine große Zahl davon unverschlüsselt (siehe Senderliste von Kabel-BW). Gut, das meiste davon ist für mich unbrauchbar, entweder irgendwelche bekloppten Einkaufskanäle, oder engstirnige Lokalsender mit Dorfberichten. Sehr interessante Sender allerdings für Ausländer, in Sprachen die ich aber nicht verstehe. Arabische Sendungen für Kinder im Vorschulalter sind nicht so mein Ding. Dafür ist das englischsprachige Angebot in meinen Augen zu dünn. Gut, ich kann jetzt endlich live die Sitzungen des englischen Unterhauses nachverfolgen, was ich mir schon immer gewünscht habe. Und es gibt englischsprachige Nachrichten von CNN, BBC, einem russischen Sender und Al Jazeera. Aber es kommt und wird immer mehr. (Hatte ich schon erwähnt, daß ich bei meinem Londonaufenthalt kürzlich im Hotelzimmer auch einen deutschen Sender anschauen konnte? Ausgerechnet RTL.) Und wenn die Übertragungswege nicht mehr auf die verfügbaren Senderfrequenzen beschränkt und mit der kostenintensiven Installation von Sendeanlagen verbunden sind, sondern man per Internet {\em jeden} Sender bekommen kann, dann wird das ein Angebot werden.
Viele europäische Länder synchronisieren die englischsprachigen Kinofilme erst gar nicht, sondern lassen ihr Publikum englisch lernen. Warum also überhaupt noch warten, bis der Film in Deutschland kommt? Vielleicht lohnt es sich für amerikanische Sender, die deutsche Synchronisation selbst in Auftrag zu geben und den gesamten deutschen Vertriebsweg zu umgehen und direkt an deutsche Konsumenten zu verhökern? Welche Rolle spielt das bei der Austauschbarkeit der Charaktere noch, ob da Deutsche, Engländer, Australier oder Japaner im Dschungelcamp sitzen? Und in der amerikanischen Originalvorlage von “Deutschland sucht den Superstar” haben sie auch viel besser gesungen. (Allerdings hat Hasselhoff nicht den Unterhaltungswert von Bohlen beim Niedermachen der Leute, das ist wahr…).
Die privaten Sender werden sich noch ganz schön umschauen und strecken müssen, um noch an ihr Publikum und die nötigen Umsatzzahlen zu gelangen.
Denn diese ganze Situation wird auch Auswirkungen auf das Konzept der Fernsehwerbung haben. Nun wird nicht mehr gezappt, sondern vorgespult oder rausgeschnitten. Oder für ein paar Cent mehr da eingekauft, wo man keine Werbung hat. Das Privatfernsehen verliert den Vorsprung vor dem Download des digitalen Films als DVD-Ersatz, und damit den Grund dafür, warum man sich Werbung anschauen sollte.