Ansichten eines Informatikers

Vom Logarithmus überfordert

Hadmut
1.4.2020 22:33

Ich mach’ mir ernsthaft Sorgen darüber, wie lausig die Allgemeinkenntnisse in elementarer Mathematik sind.

Ein – naja, ich weiß nicht, ob er einer ist, irgendwas passt ihm an meinem Blog nicht – „Leser” kommt gerade mit so einer aufgesetzt höflich-provokanten Mail und anonymem Absender daher, und schreibt mich in einer Weise, die ich als leicht pöbelhaft auffasse an:

Lieber Herr Danisch,

dann seien Sie doch bitte so freundlich und rechnen uns Ihre Rechnung doch bitte einmal vor.

Aktuell stehen wir irgendwo zwischen 70. und 80.000 Infizierten
und einer Verdopplungsgeschwindigkeit, die innerhalb der letzten 2 Wochen
von 2,5 auf 8,2 Tage ‘gefallen’ ist.

In Italien liegt sie aktuell bei 12,7 Tagen, nahezu der Dauer eines kompletten Krankheitsverlaufs,
so daß man die Statistiker mal fragen sollte, wie lange sie noch von Verdoppelungen sprechen wollen,
wenn zugleich immer mehr Menschen innerhalb der Verdopplungsfrist genesen. […]

Zu doof, aus den Zahlen selbst etwas zu rechnen? (Und überhaupt: Was soll „Ihre Rechnung” eigentlich sein, ich hatte dazu doch gar keine Rechnung.)

Mal unabhängig von der Frage, ob die Daten, die er schreibt, überhaupt stimmen, das ist mir im Moment jetzt gerade völlig egal, will ich mal zeigen, das solche Leute, die von anderen verlangen, das mal „vorzurechnen”, eigentlich schon mit Mittelstufenmathematik (kam Logarithmus nicht irgendwann um die 9. oder 10. Klasse dran? Also Pflichtstoff für „Mittlere Reife”?) überfordert sind und ihren Kram nicht mal selbst ausrechnen können. Mit den Zahlen, die der da vorlegt, ist doch schon alles gegeben.

Ich zeig’s mal.

Wir haben etwa 80 Millionen Menschen in Deutschland. Ein paar mehr, aber es geht um die Größenordnung, und weil wir eh’ logarithmisch rechnen, kommt’s auf die Stellen hinter der führenden Stelle nicht so an. Gehen wir mal von einer Gesamtheit von 80e6 aus. Kann man auch prima im Kopf rechnen.

Ich hatte ja erwähnt (und dabei auf die Sendung von Lesch verwiesen, in der das hübsch anschaulich erklärt wurde), dass die Grenze, ab der die Neuerkrankungen wieder abnehmen (unterstellt die Annahme, dass wer mal krank war, nicht wieder neu erkrankt, was nicht so ganz sicher ist), bei 60-70% liegt.

70% von 80 Millionen sind: 56 Millionen. (Kann man im Kopf rechnen, kleines 1×1, 7*8=56) Bei 56 Millionen Infizierten sind wir auf dem Pfad der Krisenentspannung angekommen.

Wenn wir jetzt – ich nehme mal ungeprüft die Zahlen des Schreibers her, scheint aber hinzukommen – rund 80.000 Infizierte haben, dann muss sich die Zahl der Infizierten verwievielen, um dahinzukommen? 56e6/80e3 = 700. Sie muss sich versiebenhundertfachen.

(Die Division ist schon etwas schwerer, aber wenn man die beiden Schritte zusammen als 80e6*0.7/80e3 rechnet, kann man direkt 0.7 * 80e6/80e3 = 0.7 * 1000 = 700 rechnen und muss nicht mal 7*8=56 im Kopf rechnen, sondern eigentlich gar nichts. Kürzt sich weg.)

Wenn wir siebenhundert Mal so viele Infizierte haben wie jetzt, dann ist der Krisenmodus überstanden (unterstellt, die bisherigen Zahlangaben sind richtig und das Virus verhält sich so).

Wie lange dauert das, wenn man von exponentiellem Wachstum ausgeht? (Ist ja auch nur eine Überschlagsrechnung, weil sich die Ansteckungsrate ständig mit der Zahl der Infizierten ändert, es also eine Differentialgleichung wäre, was es aber auch nicht wirklich ist, weil wir mit ganzzahligen Menschen und nicht in R oder Q rechnen. Es geht aber sowieso nur um eine grobe Abschätzung, weil wir die Parameter gar nicht genau genug kennen und wir keine gleichförmig beschreibbare Masse sind, eh alles nur Pi mal Daumen. Oder besser gesagt: e mal Daumen.)

Wieviele Verdopplungen braucht man also dafür? Antwort: log2(700)= 9.4512 , der Zweierlogarithmus, auch als ld (logarithmus dualis) bekannt. Da manche Taschenrechner nur den Zehnerlogarithmus haben, rechnet man log(700)/log(2) = ld(700). So kann man die Basis umrechnen. [Mal ne ganz heftige Übungsaufgabe: Wie macht man es, wenn man nur den logarithmus naturalis ln zur Basis e hat? Na? Und für die ganz harten: Wie, wenn man eine Logarithmus-Funktion hat, deren Basis man nicht kennt?] Man kann’s aber auch im Kopf rechnen, denn wer mit Computern zu tun hat und das kleine 1 hoch 1 kann, weiß, dass 29=512 und 210=1024 (braucht man ständig und immer) und 700 so im geometrischen Mittel zwischen 512 und 1024 liegt, also man schon mit Kopfrechnen-Abschätzen irgendwo auf Neuneinhalb kommt. Hat man früher auch mit dem Rechenschieber gerechnet.

Also heißt das: Wir brauchen ab jetzt ungefähr neuneinhalb Verdopplungen. Und wenn die zwischen 2,5 und 8,5 Tage dauern, dann eben zwischen 24 und 80 Tagen. (Also irgendwo zwischen Osterferien und dem Kinobumsfilm 9½ Wochen mit Kim Basinger oder In 80 Tagen um die Welt.)

Heißt also: Ende Zweites Quartal. Ende Juni.

Und da hilft es auch nichts, wenn Infizierte noch innerhalb der Verdopplungsfrist wieder gesunden. Denn es geht ja nicht darum, wieviele Leute gleichzeitig krank sind, sondern schon mal infiziert waren und damit die (erhoffte) Immunität aufweisen. Die müssen dafür ja nicht krank bleiben. (Hofft man.)

Warum braucht man mich dafür?

Mathekenntnisse mittlere Reife. Hauptschüler sind entschuldigt.