Ansichten eines Informatikers

Panik?

Hadmut
10.4.2020 2:04

Oder Rhetorik?

Erstaunlich viele Leute schreiben mir, dass ihnen mein Blog gerade so gar nicht gefällt, weil ich – was eigentlich Zweck des Blogs ist – schreibe, was meine Meinung ist und nicht was ihre Meinung ist.

Ich bin kein Arzt, kein Biologe, kein Mediziner und haben von (biologischen) Viren keine Ahnung. Von Computer-Viren schon, aber außer der sprachlichen und manchen anderen Analogien ist die Ähnlichkeit nicht so groß, dass einen das irgendwie in medizinischen Fragen befähigen würde.

Aus meiner Laiensicht heraus halte ich die Corona-Maßnahmen für richtig.

A priori. Das kann sich im Nachhinein dann vielleicht anders darstellen, aber ich bin durchaus in der Lage, zwische a priori und a posteriori zu unterscheiden. (Was übrigens in der Informatik auch vorkommt, etwa in der Numerik, wenn man irgendetwas iterativ annähernd – aproximativ – ausrechnet, und nach der Rechnung mehr über den Fehler, die Abweichung weiß, als man es abschätzen konnte, bevor man angefangen hat zu rechnen. Kurz: Ich bin damit vertraut, dass man hinterher oft schlauer (oder manchmal eben auch tot) ist als vorher, und gestehe das in diesem Fall auch Ärzten, Forschern, Politikern zu.

Ich gestehe ihnen zu, dass das, was sie gerade tun, sich hinterher auch als falsch herausstellen könnte, weil eben erst hinterher. Der jetztige Wissensstand gibt es meines Erachtens nicht her, von Fehlern zu reden. Das mag nicht jedem einleuchten, das setzt etwas Denkfähigkeit und mathematisches Abstraktionsvermögen voraus, einzusehen und zuzugestehen, dass man es hinterher besser weiß als vorher. Eine Menge Leute behaupten gerade rein spekulativ, dass das alles harmlos sei, um dann hinterher, wenn sie es überlebt haben, mit „Habe ich doch gleich gesagt” daherkommen. Die Kategorie von Menschen, die dann hinterher alles vorher besser gewusst haben will.

Bei einem der Autos, die ich im Laufe meines Lebens hatte, musste ich die Airbags noch gegen Aufpreis dazukaufen. Die Autos vorher hatten das noch nicht, die danach hatten sie serienmäßig. Ich habe einen Haufen Geld dafür ausgegeben und sie doch nie gebraucht, das Auto Jahre und ca. 85.000 km später weiterverkauft, ohne sie jemals benutzt zu haben. A posteriori hatte ich das Wissen, dass ich das Geld hätten sparen können. A priori aber eben nicht. Deshalb war es richtig, die Dinger zu kaufen, auch wenn ich sie nicht gebraucht habe. Auch meine Unfallversicherung habe ich noch nie gebraucht.

Es geht mir auf den Wecker, wenn Leute rein spekulativ damit daherkommen, dass es ungefährlich sein könnte.

Was mir aber auch auf den Wecker geht, ist, wenn Leute mir vorwerfen, dass ich meine und nicht ihre Meinung schreibe. Erinnert mich an die Linken (und selten auch Rechte) zu der Zeit, als ich hier noch Kommentare eingeschaltet hatte, die der Meinung waren, dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit mich verpflichte, neben meiner Meinung immer auch sie ihre Meinung dazuschreiben zu lassen. Als ob sie das Recht hätten, alles umzuschreiben, ergänzen, kommentieren, was ich schreibe. Nun sind die Kommentare weg, und die Leute erwarten nun, dass ich es selbst tue, dass ich der Darstellung ihrer Meinung Vorrang vor der meiner eigenen gebe.

Das mag sein, dass meine Meinung hin und wieder falsch ist.

Das ist immer mal drin, wenn man seine Meinung selbst macht.

Es ist aber nicht Zweck und Inhalt dieses Blogs, die Wahrheit zu verkünden. Es ist Zweck und Inhalt dieses Blogs, meine Meinung zu verkünden. Und der primäre Wahrheitsanspruch dieses Blogs liegt darin, das zutreffend zu tun, also meine Meinung wahrheitsgemäß wiederzugeben.

Es mag verblüffen, aber daraus folgt zwingend, auch im Falle der Divergenz meiner Meinung Vorrang vor der Wahrheit zu geben, eben wegen der Zweckwidmung des Blogs. Ich kann gar keine andere Wahrheit als meine Meinung wiedergeben, weil ich dann unwahr bezüglich der Wiedergabe meiner Meinung wäre.

Früher hatte ich das mal mit „Mein Blog, meine Meinung – Dein Blog, Deine Meinung” beschrieben. Wer meint, es besser zu wissen, soll nicht die Änderung meiner Blog-Artikel beantragen, sondern die besseren Blogartikel gleich selbst schreiben und ein eigenes Blog aufmachen. (Das ist hier übrigens auch keine Demokratie, sondern mein persönliches Blog.)

Was mir immer wieder auf den Zeiger geht, wenn Leute versuchen, andere Meinungen durch Pathologisierung zu entwerten. Wird heute sehr gerne und sehr oft gemacht, weil man dazu nichts wissen und nichts können und nichts denken muss – aber um es zu erkennen. Geht also leicht.

Deshalb finde ich es schräg, wenn mir ein Haufen Leute unterstellt, ich hätte „Panik” vor Corona und würde hier nur aus Panik schreiben.

Leute, ich sitze hier sowas von tiefenentspannt, weil ich einen sehr gut home-office-fähigen Job habe, ich kann wunderbar für mich alleine sein (und mache das auch in Urlauben immer wieder), habe genug Platz, genug zu essen, alles was ich brauche.

Wovor sollte ich Panik haben?

Erwecke ich den Eindruck einer Panik?

Manche stellen es so hin, als würde ich mich isolieren, weil ich Panik habe.

Es ist umgekehrt. Ich habe keine Panik, weil ich mich isolieren kann. Im Prinzip reicht es, wenn ich einmal die Woche einkaufen gehe, und wenn ich das nach 21 Uhr mache, habe ich den Supermarkt fast für mich alleine. Und den hier direkt vor der Nase. Ansonsten muss ich hier nicht raus, ich habe Internet, und bekomme alles per Paketbote, worauf ich Lust habe.

Ich kann schlafen, wann und soviel ich will, muss mich mit niemandem streiten, und das einzige, was mir noch fehlt, ist etwas wärmeres Wetter für meinen neuen Relax-Balkon-Sessel.

Und so nebenbei bemerkt, ich habe mich neulich mit einem alten Kumpel meines Jahrgangs drüber unterhalten: Selbst wenn es mich erwischen täte, was kann mir schon passieren? Jung sterben kann ich nicht mehr. Und niemand ist von mir abhängig. Früher oder später ist der Löffel eh irgendwann weg. Es gibt schlimmere Arten, ihn abzugeben.

Und abgesehen davon, dass mir schon etwas Bewegung fehlt, fühle ich mich mit der Situtation sehr wohl. Ich finde es sogar sehr entspannend und erholsam (jedenfalls für mich). Ich habe auch endlich mal einige Dinge abgearbeitet, die ich schon seit Jahren vor mir hergeschoben und runterpriorisiert hatte.

Wie also kommen die Leute auf die Idee, ich hätte Panik?

Und warum sollte ich meine eigene Meinung zugunsten der Meinung von Leuten aufgeben, die sich solche Fehleinschätzungen leisten?

Ich sehe das etwas anders. Ich halte den Panikvorwurf für eine rhetorisch-rabulistischen Workraround, das Stilmittel der Pathologisierung, weil man inhaltlich keine Argumente hat. Ist halt immer so ganz billig zu haben.

Und das Schema „Alles Panik außer meiner Meinung” (analog zu „Alles Schlampen außer Mutti”) ist doch ziemlich popelig und – geisteswissenschaftlich.

Vor allem dann, wenn es aus derselben Ecke kommt, die hier noch bis vor 4 Monaten Klima-Weltuntergangs-Panik für zwingend hielten.

(Wenn’s dann wenigstens so ein Chuck-Norris-Witz wäre: Sogar die Panik hat Angst vor ihm.)

Warum fällt es Leuten so schwer hinzunehmen, dass verschiedene Leute verschiedene Meinungen haben können?