Ansichten eines Informatikers

Kryptografie im Krieg

Hadmut
8.5.2020 14:46

Mal wieder was Historisches.

Oder: Über den Umgang mit Kryptologen.

Ein Leser hat mir einen Link auf eine schöne Seite zur Rolle der Kryptografie im Krieg (ich kann mich einfach nicht daran gewöhnen, …grafie statt …graphie zu schreiben) geschickt: Der Schlüssel zum Sieg: Warum die Nazis an den russischen Geheimcodes scheiterten

Da muss man jetzt etwas vorsichtig sein, weil die Webseite so etwas nach Hohelied auf Russen und Sowjets aussieht, vielleicht Propaganda ist, da vielleicht noch ein Pfund Lob abziehen, aber interssant ist es allemal.

Vor allem deshalb, weil russische Kryptographie in meiner Ausbildung und Forschertätigkeit fast nicht vorkam. Damals wurde der russische GOST-Algorithmus offen gelegt, aber so wahnsinnig erhellend war das nicht, weil die Struktur recht simpel war, die dafür dann mehr Runden (wenn ich mich jetzt richtig erinnere: 32) trieben, um eventuelle Schwächen einfach mit der Rundenzahl zu erschlagen, mir aber auch schnell klar war, dass die Musik da in den Substitutionsboxen liegt, und die wurden eben nicht veröffentlicht, die blieben geheim. Ich habe damals mal etwas Zeit darin versenkt zu überlegen und Suchalgorithmen zu bauen, welche Boxen nach meiner Auffassung funktionieren würden und sicher seien. Und ein Dozent hat mal eine riesige elektromechanische Kryptomaschine aus dem Ostblock (ich glaube, eine tschechische, bin aber nicht mehr sicher) angeschleppt, die wir uns mal eine Stunden angesehen hatten. Ich war damals der, der mittels eines langen Stahldrahtes den „Hack” geschafft hatte, die verriegelte Bedienklappe über ein anderes Loch quer durch die Maschine zu öffnen, weil die Schlüssel fehlten. Also nicht die Kryptoschlüssel, sondern die zum Aufschließen des Gerätes. Aber mehr hatte ich mit russischer oder sowjetischer Kryptographie bisher nicht zu tun. Und weiß auch nicht mehr darüber, die hatten das nicht so an die wissenschaftliche Glocke gehängt.

Während des Zweiten Weltkrieges war der Chiffrierdienst der Sowjets eine wichtige Unterstützung für die Front. Die Nazis setzten alles daran, ihn gefangen zu nehmen.

„… [W]er einen sowjetischen Chiffrierexperten gefangen nimmt oder kryptografische Ausrüstung der Sowjets beschlagnahmt, erhält ein Eisernes Kreuz und Heimaturlaub, eine Arbeit in Berlin und nach dem Krieg ein Anwesen auf der Krim”, heißt es in einer Ankündigung Adolf Hitlers vom August 1942. Doch niemand kam jemals in den Genuss dieser Belohnungen.

Nun, das war damals in jeder Richtung so.

Auch wenn das Brechen etwa der Enigma eine Super Leistung von Marian Rejewski und Alan Turing war, eine wesentliche Komponente des Angriffs war, in den Besitz von Enigma-Maschinen und Codebüchern zu kommen. Was bei den frühesten Exemplaren nicht so schwer war, die konnte man auch einfach kaufen.

Den feindlichen Chiffrierdiensten gelang es während des Zweiten Weltkrieges nicht, auch nur eine einzige abgefangene verschlüsselte Nachricht der Sowjets aufzulösen. Nur wer der Chiffriertechnik habhaft werden und den Code knacken konnte, hätte Aussicht auf Erfolg haben können.

Doch die sowjetischen Geheimagenten verteidigten den Schlüssel zu den Chiffren heldenhaft und mit selbstlosem Mut.

Es ist eine rusische Propagandaseite.

In seinem Beitrag „Sowjetischer Partisaneninformationsschutz während des Großen Vaterländischen Krieges” schreibt der Spezialist für Kryptografie, Dmitri Larin: „Sowjetische Geheimdienstoffiziere im Chiffrierdienst verfügten über zuverlässige Warnsysteme. Zudem hatten sie stets einen Kanister mit Benzin und eine Granate bereit. So konnten sie, wenn der Feind ihnen zu Nahe käme, die Ausrüstung, Dokumente und notfalls sich selbst vernichten.”

Ja, Krieg eben.

Von den Nazis wurde zur Jagd auf sowjetische Geheimdienstoffiziere aufgerufen, um Ausrüstung und Codes zu beschaffen. Viele fanden dabei den Tod.

Der russische Historiker W.A. Anfilow schreibt: „In Deutschland wurden zuerst die Kryptografen in der Botschaft der UdSSR angegriffen. Am 22. Juni 1941 verbrannten sie die Entschlüsselungscodes.” An diesem Tag stürmte die SS das Gebäude. Dem Chiffrieroffizier der sowjetischen Handelsmission, Nikolai Logatschew, gelang es, sich in einem Raum des Gebäudes zu verbarrikadieren, wo er die Codes verbrannte. Im dichten Qualm bekam er kaum noch Luft. Die Nazis brachen die Tür auf, doch zu spät. Die Codes waren bereits ein Opfer der Flammen geworden.

Vom Propagandasprech mal abgesehen durchaus sehr realistisch.

Chiffrieroffiziere begangen wahre Heldentaten, um die Codes zu schützen. Die tragische Geschichte vom Tod der Funkerin Jelena Stempkowskaja wurde in der Zeitung „Die Rote Armee” veröffentlicht: „Die Deutschen sind mit Maschinenpistolen auf dem Weg zum Kommandoposten des Bataillons gewesen. Dabei entdeckten sie die Funkerin Jelena Stempkowskaja. Es gelang ihr noch, mit einem Karabiner zwei Deutsche zu töten, bevor sie überwältigt wurde. Eine ganze Nacht lang wurde sie gefoltert, doch sie verriet nichts. Sie wurde durch die Straßen getrieben und verhöhnt und schließlich wurden ihr die Hände abgehackt.”

Man war da nie sehr zimperlich im Umgang mit Leuten, die sich auf Verschlüsselung verstehen.

Für jede Frontnachricht wurde ein separater Code entwickelt, der niemals wiederholt wurde. Da der Feind keinen Zugang zu diesem Kryptografiesystem hatte, war er praktisch nie in der Lage, die sowjetische Frontkommunikation zu entschlüsseln.

Die russische Methode: Nicht sehr elaboriert, nicht sehr ausgefuchst, sondern Sicherheit über die brachiale Methode. Rustikal, aber sehr wirksam.

An der Front kamen Verschlüsselungsmaschinen und Geheimtelefone zum Einsatz. Das Verschlüsselungsgerät mit dem Codenamen M-101 Isumrud (zu Deutsch: Smaragd) aus dem Jahr 1942 galt als das zuverlässigste kryptografische Gerät, mit dem Nachrichten von besonderer Bedeutung verschlüsselt wurden.

Neben der Isumrud setzten die sowjetischen Chiffrierdienste an der Front auch die Sobol-P-Maschine ein. Laut Larin war dies das fortschrittlichste Gerät für die sichere Informationsübertragung, das keine ausländische Entsprechung hatte. Die ersten Geräte wurden nach Stalingrad geschickt. Sobol-P ermöglichte die Kommunikation über einen Funkkanal anstelle von Telefonleitungen, die vom Feind leicht zerstört oder abgehört werden konnten. Ein Code für die verschlüsselte Übertragung des Funkverkehrs war dagegen nur sehr schwer zu knacken.

Ich muss zugeben, davon noch nie gehört zu haben.

Ob das nun wirklich an mir liegt oder daran, dass es mit den Dingern vielleicht nicht weit her war oder es die nicht im realen Einsatz gab, weiß ich nicht. Eine Verschlüsselungsmaschine, die über Funk kommuniziert, während die Deutschen noch Enigma-Chiffren mündlich [bzw. per Morse] durchbuchstabierten und für Automatisiertes Fernschreiberleitungen brauchten, halte ich für etwas fragwürdig, wenn man bedenkt, dass die Russen damals technisch eher simpel gestrickt waren.

Technisch erfährt man hier gar nichts.

Ob es stimmt, ist eine andere Frage.

Russische Jubelpropapaganda fraglos.

Aber es gibt ein Gefühl dafür, wie wichtig Kryptographie im zweiten Weltkrieg war, mit welchen Mitteln man agierte.

Das war dann im kalten Krieg nicht anders.

Und wurde in den Neunziger Jahren zweifellos weitergeführt. Siehe Crypto AG. Siehe Danisch.