Digitalisierung auf Deutsch
Neulich hieß es noch, sie seien der neue Star am Aktienhimmel. [Nachtrag]
Wirecard. Neulich hieß es noch, das sei der Shooting Star. Leute hatten mir schon vorgehalten, dass ich sowas nicht entwickelt habe. (Hätte ich vielleicht, wenn mir nicht was anderes dazwischengekommen wäre.)
Ich fand das sowieso schon komisch, dass da eine deutsche Firma daherkam, mit einem dubiosen Geschäftsmodell elektronische Zahlungen als Dienstleister durchführen und die mit fragwürdiger Sicherheit, aber einer Art Ausfallversicherung abwickeln wollte. Dafür fallen dann höhere Gebühren an. Im Prinzip nichts anderes als ein Zahlungsdienstleister, der das alles so schnell macht, dass es letztlich gar nicht sicher sein kann, dafür aber in die Gebühren eine Ausfallversicherung mit reinpackt.
Sowas funktioniert erfahrungsgemäß auch immer nur, solange man sich in einem kulturell rechtschaffenen Raum bewegt. Sobald es zuviele Gauner gibt, die sich bereichern, fällt das zusammen.
Scheint, als sei man da nach dem Grundsatz „Was ist das Ausrauben einer Bank gegen das Gründen einer Bank” verfahren. Der Laden fällt ja gerade zusammen. FOCUS beschreibt das recht übersichtlich:
Was sich gerade mit Wirecard an der Börse abspielt, ist einzigartig in Deutschland und das leider im negativen Sinne. Nie zuvor hat ein Dax-Konzern in nur anderthalb Handelstagen 75 Prozent seines Börsenwertes verloren. Der Dax-Konzern ist heute 10,1 Milliarden Euro weniger wert als noch am Mittwochabend.
Ebenfalls außergewöhnlich ist der Auslöser dafür: Die Wirtschaftsprüfer von EY haben Wirecard das Testat für seine Jahresbilanz verweigert. […]
Auslöser sind 1,9 Milliarden Euro, die der Konzern eigentlich auf zwei Treuhandkonten auf den Philippinen besitzen sollte. Das Geld ist als Sicherheit für Online-Zahlungen gedacht. Wirecard rechnet solche bargeldlosen Zahlungen weltweit ab. Zahlt bei einem Geschäft ein Käufer nicht, erstattet Wirecard dem Verkäufer den Verlust. Dazu sind hohe Reserven erforderlich. Im Gegenzug lässt sich der Münchner Konzern den Service mit hohen Gebühren entlohnen.
Die 1,9 Milliarden Euro sollten eigentlich verteilt auf zwei Konten bei der BDO Unibank und der Bank of the Philippine Islands (BPI) liegen. Erstere ist das größte Finanzinstitut des asiatischen Staates, letztere landet auf Platz 3. Anfang März bestätigen beide Banken EY auf Anfrage die Existenz der 1,9 Milliarden Euro auf ihren Konten. 1,123 Milliarden liegen bei der BDO, 813 Millionen bei der BPI.
Bis dahin hört es sich noch plausibel an. Ich finde es aber bemerkenswert, dass EY da anscheinend gut aufgepasst hat:
Normalerweise geben sich Wirtschaftsprüfer mit einer solchen Bestätigung zufrieden. Doch EY kommt sie spanisch vor, wie die “Süddeutsche Zeitung” berichtet. Die Prüfer stoßen sich daran, dass die Bestätigung innerhalb weniger Tage vorliegt, obwohl so etwas normalerweise Wochen dauert. Komisch sei auch, dass die Summen in Euro angegeben werden statt in US-Dollar oder der Landeswährung, in diesem Fall dem Philippinischen Peso (PHP).
Also schickt EY einen philippinischen Kollegen los, um vor Ort mit den Banken zu reden. Als der denen die angeblichen Bestätigungen für die Treuhandkonten vorliegt, schütteln die asiatischen Banker den Kopf. Die BDO erklärt, die Mitarbeiterin, die sie ausgestellt habe, sei dazu gar nicht befugt gewesen. Die Unterschriften von zwei Managern seien zudem gefälscht. Auch die BPI erklärt, die Bestätigung sei falsch. EY informiert Wirecard und die Finanzaufsicht Bafin. Von dort geht der Fall zur Staatsanwaltschaft in München.
„Wir haben keinerlei Beziehung zu Wirecard“, sagt BDO-CEO Nestor Tan gegenüber der Finanznachrichtenagentur Bloomberg. „Ein krimineller Mitarbeiter hat die Dokumente und Unterschriften gefälscht.“ Sein Institut habe auch die philippinische Zentralbank über den Fall informiert.
Interessante Sache das, dass sich Wirtschaftsprüfer auch bei Milliardenbeträgen mit einem Wisch zufrieden geben. Offenbar hatten sich die Betrüger darauf ja auch verlassen. Beachtlich, dass die da einfach mal einen hinschicken, er solle mal nachfragen. Solange der Laden nämlich läuft, wäre das auch gar nicht aufgefallen, dass die Reserve für Notfälle einfach nicht da ist.
Wirecard selbst sieht sich als Opfer. Möglicherweise habe ein Mitarbeiter die 1,9 Milliarden Euro sogar unterschlagen. Erster Kandidat dafür wäre der vom Konzern eingesetzte Treuhänder auf den Philippinen. Laut “Süddeutscher Zeitung” handelt es sich dabei um einen jungen Anwalt für Familienrecht, den der Münchner Konzern erst im Oktober einsetzte.
Damals hatte der bisherige Treuhänder, die Firma Citadelle, seinen Vertrag mit Wirecard gekündigt und jegliche weitere Zusammenarbeit abgelehnt. Auffällig daran war, dass die Kündigung zeitlich mit einer von Wirecard initiierten Untersuchung seiner asiatischen Geschäfte durch die Wirtschaftsprüfer von KPMG zusammenfiel. Auch mit denen arbeitete Citadelle nicht zusammen, was am Ende auch dazu führte, dass KPMG Wirecard nicht von dem Vorwurf entlasten konnte, mit Scheingeschäften sein asiatisches Geschäft künstlich aufgebauscht zu haben.
Ein junger Anwalt für Familienrecht als Treuhänder für 1,9 Milliarden Euro auf den Philippinen. Geil.
Es war von vorherein ein Fehler, sich auf ehrliche Arbeit zu verlegen.
Nachtrag: Denen fehlen 1,9 Millarden Euro.
Es gibt aber zwei Arten von „Fehlen”:
- Sie waren mal da und irgendwer hat sie geklaut, sind sind jetzt also einfach woanders.
- Es gab sie nie und sie waren nur vorgetäuscht, um Sicherheiten vorzugaukeln, die es nicht gibt.
Interessante Frage.