Ansichten eines Informatikers

Wissenslizenzen statt Studiengebühren

Hadmut
25.6.2011 10:49

Bei Heise habe ich gerade über die Forschung an Gedächtnisprothesen gelesen.

Finde ich technisch und wissenschaftlich extrem interessant, zumal es ja sehr eng mit der Simulation von Gehirnen zusammenhängt, was mich ebenfalls sehr interessiert.

Nur: Worauf läuft das hinaus? Eben nicht nur auf Prothesen für Demenzkranke.

Mal so ein Gedanke, wo wir in 50 Jahren stehen könnten.

Bedenkt man, wieviel Geld und Zeit wir inzwischen für eine Schul- und Berufsausbildung investieren (verplempern?), die zudem überwiegend aus Auswendiglernen besteht, und die aufgrund der Probleme an den Universitäten immer schlechter, aufgrund des technischen Fortschritts und der damit immer größeren Lernmenge aber immer komplexer wird, dann könnte man auf folgende Idee kommen:

Wesentliche Teile der Schul- und Universitätsausbildung werden zu einem standardisierten Kompendium zusammengefasst und Gedächtsnisdatenstrukturen „compiliert” und in Speicherchips geladen. Die kann man sich dann implementieren lassen und hat auf einen Schlag das Wissen des Faches, oder meinetwegen auch die aktuellen Music-Charts oder Wikipedia, im Gedächtnis drin. Und einmal im Jahr bekommt man ein Update eingespielt, damit man auf dem aktuellen Stand ist. Könnte beispielsweise darauf hinauslaufen, daß Spitzenuniversitäten wie Harvard und Stanford künftig nicht mehr Vorlesungen halten, sondern ihr Wissen als Download verkaufen. Wer es sich dann nicht leisten kann, muß mit dem Stoff etwa der TU Clausthal vorlieb nehmen.

Schaut man sich allerdings die rüden Methoden bezüglich Urheberrechte, Softwarelizenzen, Digital Rights Management (oder auch nur die üble Abzocke mit den überteuerten Straßenkarten für mein ab Werk im Auto eingebautes Navi) an, dann könnte das darauf hinauslaufen, daß man die Implantierung zwar billig bekommt (und den Doktor nicht mehr durch abgeschriebene Dissertationen, sondern durch die teurere Extended-Version des Wissens), dann aber am Lizenz-Haken des Wissensgebers hängt.

Das könnte darauf hinauslaufen, daß man für die Berufsausübung Lizenz zahlt, etwa so, wie man in den USA das Darlehen für die hohen Studiumsgebühren über fast die gesamte Berufszeit abstottert. Oder daß die am Umsatz beteiligt werden, den man erzielt. Oder daß man im Chip Zähler hat, die mitzählen, wie oft man über etwas nachdenkt und dann volumenabhängig abrechnen. Oder die – man denke an das DRM in der HDMI-Schnittstelle – das Wissen nur dann freigeben, wenn man mit Kunden arbeitet, die selbst eine Lizenz dafür erworben haben. Womöglich käme man sogar auf die Idee, daß man das Wissen nur nutzen kann, wenn man verschlüsselt mit anderen Leuten redet, und deren Chip das dann im Hirn entschlüsselt. So eine Art Trusted Brain Module.

Übel wird’s freilich, wenn man die Gebühren nicht mehr zahlt, und die das dann remote löschen oder sperren. Oder wie bei Windows die Online-Lizenzprüfung mal nicht funktioniert. Da könnte es durchaus sein, daß mal ein Pilot im Flug oder ein Chirurg während der Operation keinen Zugriff auf seinen Beruf mehr hat. Hä!? Was mache ich hier eigentlich? Und was sind das für komische Hebel? Natürliche Demenz wäre geheilt, an ihre Stelle wäre die Cyber-Demenz getreten. Man sollte dann übrigens auch starke elektromagnetische Felder und Gewitter meiden.

Freilich könnte man dem durch gesponsortes Wissen entgegenwirken. Eine Arztausbildung wäre dann viel billiger zu haben, wenn die Ärzte dann „wissen”, daß nur das Präparat des Herstellers X wirkt.

Lustig wäre natürlich auch, wenn Hacker es schaffen, da falsches Wissen einzuschmuggeln. Oder Cyber-Krieger. Oder Ideologen.

Überhaupt, es könnte die Religion revolutionieren. Man müßte nicht mehr angestrengt glauben. Man könnte jetzt entspannt „wissen”. Der Beitritt zur Glaubensgemeinschaft erfolgt durch die Implantiertung, und statt Pfarrer und Gottesdienst kommt der Admin und sorgt für Integrität und Aktualität der entsprechenden Wissensbereiche.

Und man bräuchte auch keine Blogs mehr zu lesen. Man könnte den RSS-Feed direkt ins Gedächtnis pumpen, so daß man immer so informiert ist, als hätte man das Blog schon gelesen und würde sich daran erinnern.

Und denkt doch mal daran, was für wunderbare neue Möglichkeiten der Sicherheitskontrollen und Forensik es dann gäbe. Nacktscanner? Alle Notebooks und Kameraspeicherkarten beschlagnahmen und durchsuchen? Schnee von gestern. Einfach ein Gedächtnisscan am Flughafen.

Ist das nicht wunderbar?

31 Kommentare (RSS-Feed)

Maik Rodenbeck
25.6.2011 11:05
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Ganz wunderbar, der Artikel gefällt mir.
Mir fällt dazu nur noch eine kleine Ergänzung ein:
Was ist mit der Zwangsimplantation bei der Geburt, gleich bei Kleinkindern einen Chip Implantieren, der die gewünschte Politische gesinnung, Obrigkeitshörigkeit, Kritik und Denkunfähigkeit etc. beinhaltet und sich im falle eines nicht Funktionierens einfach zusammen mit dem Rest des Menschen abschalten lässt?
Die Vorstellungen aus 1984 sind nichts dagegen, eine Kontrolle im eigendlichen sinne ist nicht mehr möglich, da Freies Denken an sich Blockiert wird.
Aus dieser Sicht, ein wirklich Wunderbarer umstand.
MFG Maik


Gnapf
25.6.2011 11:58
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Als Du Religionen erwähntest, dachte ich sofort daran, dass wir dann flächendeckend Religionskriege bekommen werden. Das brachte mich dazu, dass man dann zum Religionsmodul noch die Soldaten-App auf den Chip bekommt. Da bekommt das Gelaber vom Synergieeffekt doch ne ganz neue Bedeutung.

Aber man muss das natürlich konsequent weiterdenken:
Die Hersteller dieser Soft- und Hardware würden natürlich auch mit “Wissen” versorgt, das ihnen die Produktion weiterer Versionen ermöglicht.

Das wird also ein selbsterhaltendes und sich selbst ohne Kontrolle weiterentwickelndes System. Ohne das System kapiert keiner mehr das System und regulierend eingreifen geht irgendwann auch nicht mehr, weil man ja nur “weiß” aber nicht versteht.

Das ist guter Stoff für Geschichten:
Man stelle sich eine arme Bevölkerungsschicht ohne Zugang zu dieser Technologie vor. Die revoltieren irgendwann, weil sie sich benachteiligt fühlen. Die “Wissenden” können gar nicht angemessen reagieren, weil sie nie gelernt haben, für neue Situation selber Lösungen zu finden.
Die Armen sind also plötzlich auch die Schlauen, weil flexibler.

Schreibst Du jetzt den Roman oder soll ich?


André Heber
25.6.2011 12:42
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Da kann man noch ganz andere Aspekte betrachten.
Was ist zum Beispiel mit Freundschaften? Wird man noch zusammen im Garten grillen, um Erlebnisse auzutauschen oder teilt man lediglich seine Erinnerungen über das Neurointerface? Facebook bekommt dann noch viel mehr Macht.
Und die Pornobranche wird auf ein ganz neues Niveau gehoben. Stichwort Cybersex. Man wird Sex lediglich im Gehirn haben.

Was die Verteilung von Wissen angeht, sehe ich das optimistischer. Ich hoffe doch, dass es eine Art Wikipedia for Brains geben wird. Dann wird jeder sein Wissen und seine Erfahrungen in eine globale Datenbank speisen und jeder kann sie zu jeder Zeit abrufen.
Der rechtliche Aspekt: Sind Erinnerungen grundsätzlich privat und nur die gewünschten Erinnerungen werden in die Datenbank hochgeladen oder sind alle Erinnerungen öffentlich und man muss nachträglich bestimmte Erinnerungen als privat markieren. Je nach Weltanschauung kommt man da zu verschiedenen Ansichten. Wird man das Neurointerface überhaupt abschalten können?
Und dann wird es ja auch eine Übergangszeit geben, wo viele das Neurointerface haben und andere nicht. Dürfen dann diejenigen ohne Neurointerface überhaupt Pilot werden oder an kostenintensiven Forschungen arbeiten? Es wird vielleicht zu Diskriminierungen kommen, die Personen ohne Neurointerface werden dann wie geistig Behinderte behandelt.

Diese Technologie wirft viele Probleme auf. Ist diese allerdings erstmal da, wird es sich aufgrund der großen Vorteile durchsetzen, davon bin ich überzeugt.


Hadmut
25.6.2011 13:41
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Hihi, das erinnert mich an die Sex-Szene in “Demolition Man”, wo die sich nur noch gegenüber sitzen, Helme aufsetzen und sich über den Simulator verbinden.


Ralf Muschall
25.6.2011 14:30
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Warum das Wissen im Chip speichern – ich denke, wir machen alles mit Cloud und so. Dann wäre außerdem die Aktualisierung einfacher – man stelle sich vor, das Wissen “wir waren schon immer im Krieg mit Ozeanien” verbreitete sich über Monate verteilt, weil nicht alle Chips geichzeitig aktualisiert werden. Und dann muss man aufpassen, dass niemand aus den Werken Enkis zitiert, sonst gehen die Chips kaputt.


Hadmut
25.6.2011 15:20
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Also sowas wie ein Borg-Kollektiv…


Kai
25.6.2011 16:18
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Der von dir erwähnte Aspekt über die verplemperte “Bildungszeit” stößt mir auch oft auf.
Ich befinde mich gerade im letzten Semester meines Informatikstudiums und ich bin oft über das geringe Sachverständnis meiner Kommilitonen erstaunt. Damit meine ich jetzt nicht, dass man beispielsweise die Schichten des OSI-Modells aufzählt oder so ein Käse, sondern dass es an der grundsätzlichen Fähigkeit selbst zu denken mangelt.
Ich bin mir gar nicht sicher, ob man das mit strengeren Zulassungsvoraussetzungen in den Griff bekommen würde, sondern befürchte eher, dass das ein generelles Phänomen ist, weil mit dem generellen Fortschritt die Fähigkeit sich selbst zu quälen und über ein Problem mal eine Woche nachzudenken sinkt.


HF
25.6.2011 16:44
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Menschen haben den anderen Tieren voraus, dass sie ihre Gedanken und Gefühle über eine serielle Schnittstelle koppeln können. Tanz und Theater versuchen, durch Nutzung zusätzlicher Kanäle die Bandbreite zu erhöhen. Ich sehe da durchaus eine Entwicklungstendenz.

Aber: Bell erfand das Telephon, Edison den Phonographen.
Auf Phonographenwalzen sollten Sprachmitteilungen ausgeliefert werden,
das Telephon sollte die Teilnahme an Opernaufführungen erlauben.
Will sagen, man kann die wirkliche Nutzung einer neuen Technik schlecht vorhersagen. Wenn so etwas wie eine Neuroprothese erst einmal funktioniert, sind alle Wetten aufgehoben. Mit Glück werden die Einsätze ausgezahlt 🙂


vera
25.6.2011 17:07
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Genau das, was ich schon immer haben wollte. Gruselig.


Anna Freud
25.6.2011 20:39
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Ist das nicht eine etwas kurze Vorstellung von “Wissen”? Da gibts doch noch den Unterschied zum “Können”. Also wenn ich weiß, wie ein Salto geht, dann kann ich ihn deswegen noch lange nicht und vor allem kann ich ihn nur weil ich weiß “wie” noch nicht gut.

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sowas mal gibt. Aber ich finde die Vorstellung auch nicht attraktiv. Lernen sollte ruhig anstrengend und zeitraubend sein, denn Anstrengung und Zeitraub denkend bewältigen zu können ist wichtig fürs Denken generell.

Für mich klingt das mehr nach Dystopie.

Komisches Gedankenexperiment. Finden die Menschen denn ihre eigenen Gehirne so langweilig oder unnütz, dass sie künstliche brauchen?

@Kai: das gibt es wirklich überall, nicht nur an der Uni.


Hadmut
25.6.2011 20:45
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Mal abgesehen davon, daß zum Salto noch die körperliche Konstitution, Training, Muskulatur, Beweglichkeit gehört, ist das ein „Wissen”, was in anderen Hirnregionen und im Rückenmark abgelegt ist. Schnelle Bewegungen müssen außerhalb des Bewußten ablaufen. Im Kampfsport wird das beispielsweise so eintrainiert, weil man sonst zu langsam wäre.

In dem Bericht haben sie gesagt, daß sie vor allem Gedächtnisinhalte simulieren konnten. Aber vom Prinzip her kann ich mir vorstellen, daß man jemandem auch einen Salto implantiert. Wobei der trotzdem auf die Schnauze fällt, weil eben auch Muskeln, Bänder, Skelett das mitmachen müssen.


Michael Puff
25.6.2011 23:12
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Erinnert mich an die Kurzgeschichte von Asimov: “The Smile of the Chipper”. Es geht dabei, darum dass Menschen einen Chip implantiert bekommen, mit dessen Hilfe sie dann die Emotionen anderer Menschen wahrnehmen und sie auch beeinflussen können. Diese werden dann von Firmen eingesetzt, um bei Vetragsverhandlungen besser abzuschneiden. Und in dieser Kurzgeschichte versucht jetzt ein Experte herauszufinden, welches der bessere von zwei Chippern ist. Und wie er das herausfindet ist mal wieder typisch Asimov, denn wie fast alle Kurzgeschichten von Asimov hat auch diese eine Pointe. 😉


rjb
25.6.2011 23:23
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Ich sehe 2 Möglichkeiten:
– das menschliche Hirn ist die lächerlichste Fehlkonstruktion, die es auf dieser Welt gibt
-das vermeintliche Wissen von Hirnforschern darüber, was sich im Gegenstand ihres Interesses abspielt, ist im wesentlichen Wahn und Hochstapelei.
Die zweite Möglichkeit erscheint mir wahrscheinlicher. Veranlaßt zu dieser Alternative sehe ich mich durch Fragen wie: Weshalb stellt es für Menschen ein Problem dar, im Kopf sechsstellige Zahlen miteinander zu multiplizieren? Der dazu erforderliche Aufwand an Speicher- und Rechenkapazität ist lächerlich, verglichen mit dem, was theoretisch in so einem Hirn steckt. Ein Verständnis der Funktionsweise des Hirns müßte eine solide Erklärung mitumfassen, weshalb solche Rechenaufgaben nicht bewältigt werden. Und da sehe ich nix. Die Simulation eines Hirns ist im ersten Fall der obigen Alternative uninteressant, im zweiten Fall auf Basis gegenwärtiger Kenntnis vollkommen illusorisch.

Man kann natürlich trotzdem spekulieren. Zum Salto ist keine körperliche Konstitution erforderlich, da nicht einmal ein Körper erforderlich ist. Es genügt ein Hirn, dessen Versorgungs- und Datenleitungen fachgerecht angeschlossen werden. Dann kann man ihm vorspiegeln, es hätte einen Körper, der im Salto springt. Weniger dystopisch sind natürlich Hirne, an denen noch ein Körper dran ist, und die nur mit Gedächtnisimplantaten aufgemotzt sind. Die können dann als geklonte Doktor Googlebergs in die Uni laufen. Ich möchte, wenn es soweit ist, tot sein.


Stefan W.
26.6.2011 2:31
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Unabhängig davon, wie realistisch mir das erscheint – zumal in 50 Jahren:

Was gemacht werden kann, wird auch gemacht werden. Ich grusel mich bei einer Vorstellung, die beim Lesen philosophischer Texte aufkommt: Man liest Adorno, und die Kenner erklären, man müsse Freud und Marx lesen, um Adorno zu verstehen.

Wenn man Marx liest, heißt es, ohne Hegel schon gar nicht zu verstehen, plus Feuerbach, Bauer, Smith und eine Handvoll anderer Ökonomen.

Für Hegel muß man wieder soundsoviele Philosophen lesen, und natürlich geht es bis Plato und Aristoteles zurück, aber unterwegs verzweigt es hundertfach, tausendfach, und wenn die Kosten, noch 100 Philosophen und Priester mehr zu lesen auf 1€ und 2 Minuten Download fallen, dann haut man sich das alles rein, und hat tausende mediokre Denker im Hirn sitzen, und kann sich mit anderen Eunuchen, die sich dieses Wissen auch nicht erarbeitet haben, sondern billig gekauft, in einer detaillierten Tiefe und mit einer unwahrscheinlichen Übersicht über das Thema streiten wie nie zuvor ein Philosoph.

Aber Hegel verstehen bedeutete bislang auch, dass man weiterliest, wenn es schwierig wird, dass man nicht sagt “hey, das lohnt sich für mich nicht” oder “diese Denkart stößt mich eher ab – da möchte ich nicht tiefer eintauchen”.

Gut – wir essen Honig, ohne das Risiko einzugehen, von Bienen gestochen zu werden. Aber dass das Wissen das gleiche ist, kann ich mir nicht recht vorstellen, ebenso wie selbstgepflückte, womöglich wilde Früchte, anders schmecken, als gekaufte, weil man sich vorher schon sinnlich mit den Gerüchen, der Textur, den Attributen des Objekts beschäftigt.

Einen Gedanken im Kopf haben, ohne ihn gedacht zu haben, fällt mir schwer zu denken.

Es erinnert mich an die Behauptung, man könne diesen oder jenen Autor nicht ins Deutsche oder aus dem Deutschen in eine andere Sprache übersetzen, ohne dass etwas verloren gehe, aber es gibt auch nicht 2 Deutsche, die die exact gleiche Sprache sprechen, und was andere Denken können wir auch nie wissen – allerdings können wir prognostizieren, was Danisch zu Thema X sagen wird, ob er sich überhaupt äußern wird, und wenn er sich wie erwartet äußert annehmen, dass wir ihn kennen, und daher auch seine Worte so verstehen, wie sie gemeint sind.

Interessant wäre es auch, Gedanken systematisch durchzuprobieren, leicht zu modifizieren, schwer zu modifizieren, in alle möglichen Richtungen und v.a. unmögliche Richtungen, um quasi zufällig Entdeckungen zu machen, aber systematisch, wie wenn man mit einem Zufallsgenerator geologische Bohrungen vornähme.


slowtiger
26.6.2011 10:39
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Wunderbar und konsequent rumgesponnen. Den Lizenzzirkus gabs früher ja noch nicht, ansonsten geistert die Idee der leicht einzufüllenden Gedächtnisinhalte ewig durch die Science Fiction, bzw schon der Nürnberger Trichter wollte sowas.

Natürlich wären in einer solchen Gesellschaft Lehrer illegal. Wo kämen wir denn da hin, wenn wertvolles Wissen einfach unkontrolliert weitergegeben würde, gar durch gute Lehrer Erkenntnisvorteile in einzelnen Schülern entstehen würden? In einem Roman oder Film gäbe es jetzt rebellische Heckenschulen, oder Moscheeschulen, und Wikipedia wäre natürlich verboten … äh, moment mal, …


yasar
26.6.2011 12:30
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@rjb

Die Frage müßte lauten: Weshalb stellt es für die meisten Menschen ein Problem dar, zwei schsstellige Zahlen im Kopf zu multiplizieren.

Und die Antwort ist ganz einfach: Weils sie es nicht geübt haben!

Tatsache ist, daß denken anstrengend ist und es viel Übungs erfordert udn die meisten Menschen sind zu faul das selbst zu tun, insbesodnere seit es Taschenrechenr und Computer gibt.


Hadmut
26.6.2011 14:15
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Nee, Yasar, sehe ich anders. Evolutionär.

Noch nie in der Geschichte der Evolution war es für ein Lebewesen von Bedeutung oder Vorteil, sechsstellige Zahlen zu multiplizieren. Bis vor etwa 100 Jahren sind normalen Menschen sechsstellige Zahlen noch nicht mal begegnet. Welchen evolutionären Vorteil sollte die Fähigkeit des Rechnens bringen? Es gibt ja sogar Tierarten, die zählen und rechnen können, aber auch nur soweit es nützt, die Jungen beisammen zu halten.

Welchen Vorteil soll es überhaupt haben, sechsstellige Zahlen im Kopf multiplizieren zu können? Hätte ich noch nie gebraucht. Jedenfalls nicht im exakten Rechnen. Denn wozu soll das exakte Rechnen – außer in Mathematik und Kryptographie – gut sein? Ich wüßte nicht, wofür ich das aktuell außerhalb des Computers gebrauchen könnte, so daß ich es im Kopf müßte.

Noch vor 50 Jahren war es Standard, sowas mit dem Rechenschieber auf 2 bis 3 Stellen genau und nicht exakt zu rechnen, was für Ingenieurtätigkeiten genügt hat.

Welchen Sinn ergäbe es also, das Hirn so zu bauen, daß es sowas kann?


yasar
26.6.2011 17:42
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@Dadmut

Die Evolution fragt selten nach dem Sinn. Und was sich nicht nachteilig auf das Überleben auswirkt, wird weitervererbt.

Tatsache ist jedenfalls, daß einige Menschen ohne große Mühe mit sechstelligen Zahlen rechnen können, andere brauchen dazu etwas Training und bei wieder anderen ist da selbst beim kleinen Einmaleins Hopfen und Malz verloren. (Der Trick ist übrigens im Übertragenen Sinne eine große “Rainbowtable” im Kopf, z.B. mit zwei- bis vierstelligen Zahlenprodukten 🙂 ).

Und mit dem Rechenschieber habe ich eher logarithmiert und exponentiert, bei einfachen Multiplikationen war ich meistens mit Kopfrechnen schneller als mit dem Rechenschieber (wir waren die letzte Klassenstufe an unserer Schule, die noch den Umgang mit dem Rechenschieber gelernt hat).


Hadmut
26.6.2011 19:03
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Um es weiterzuvererben müßte es aber erst mal dagewesen sein.

Dagegen bildet sich eine Fähigkeit erst aus, wenn deren Ansätze schon Vorteile bringt.


rjb
27.6.2011 6:00
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Zur Multiplikation sechsstelliger Zahlen:
Die Sache mit der Gedächtnisprothese gehört zu jener Sparte von Hirnforschung oder Kognitionswissenschaft, der die Vorstellung vom Gehirn als einer Art Computer, oder eines informationsverarbeitenden Systems zugrundeliegt. Insofern muß diese Art von Wissenschaft auch erklären können, weshalb sich so ein Hirn in mancher Ansicht anders als ein Computer verhält. Die Multiplikation sechsstelliger Zahlen ist da nur ein Beispiel, und zwar ein absichtlich banales. Ich wollte nicht über so etwas wie die Rätselhaftigkeit des Bewußtseins, und wie eine “Information” zu einem Bewußtseinsinhalt wird, schwadronieren. Ein Computer wird entsprechend programmiert, und dann “kann” er diese Multiplikationen. Der muß da auch nichts trainieren. Selbst dann, wenn auch einzelne oder meinetwegen sogar viele Menschen das mit ziemlicher Mühe hinkriegen können, ist da ein erklärungsbedürftiger Unterschied. Und daß Rechenkunststücke im Laufe der Evolution keine Rolle spielten, bestreite ich nicht. Nur ist dieser Hinweis eben nicht die Erklärung, die ich erwarte – die müßte mit der Funktionsweise des Hirns argumentieren, und nicht damit, wie es entstanden ist. Wenn man vor dem Problem steht, ob man einen Computer für eine bestimmte Aufgabe programmieren kann, dann muß man ja auch wissen, wie der Computer funktioniert, und nicht, in welcher Fabrik er zusammengelötet wurde oder ob er aus einer fliegenden Untertasse gefallen ist.

Außerdem erscheinen mir “die Evolution” und “die Gene” zunehmend als pseudowissenschaftliche Mantras, die reflexmäßig immer dann ins Spiel gebracht werden, wenn man irgendwas über Lebewesen erklären möchte. Tatsächlich ist der Großteil des Evolutions- und Gengeredes vollkommen nichtssagend. In einer Postille, die ich jeden Sonntag in den Briefkasten kriege, stand gestern ein Artikelchen drin, daß “die Evolution” dafür gesorgt hätte, daß Frauen als Sexual- und Fortpflanzungspartner großwüchsige Männer präferierten, weil das ein Indiz für Gesundheit sei; oder irgendwelcher Käse in der Art. Würden kleinwüchsige Männer bevorzugt, dann würde man sich irgendwas anderes ausdenken, weshalb “die Evolution” das so hingedreht hat. Wenn ich mir dank Gedächtnisprothese die gesammelten Werke der 1000 bekanntesten Philosphen ins Hirn geladen hätte, wie das hier jemand beschrieben hat, dann wüßte ich auch, wer das gleich wieder war, der sich vorzugsweise damit beschäftigt hat, wie sinnreich und vortrefflich Gott die Welt eingerichtet habe. Der Sinn der Fliegen besteht darin, daß sie dafür sorgen, daß Kühe und Pferde ihre Schwänze lüften. Der Sinn der Schwänze besteht darin, Fliegen vertreiben zu können. Diese Art von Geschwätz aus dem ca. 18. Jahrhundert ist nicht mehr en vogue und gilt heute, wo sich jeder für wunder wie aufgeklärt hält und ganz genau weiß, wie das mit Galilei und der Scheibe war, als bornierter Unsinn, hat aber im Evolutions- und Gengerede einen würdigen Nachfolger gefunden.


Hadmut
27.6.2011 9:59
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@rjb: Du bist kein Freund der Evolution, was?

Das Hirn ist durchaus eine Art Computer, aber daß er sich anders als ein Computer verhält, liegt auf der Hand (was Du ja implizit schon zugibst, denn erst redest Du von der „Art Computer” und dann vom konkreten Computer).

Das ist ein anderes Maschinenmodell. Als Informatiker lernt man, sich in verschiedene Maschinenmodelle hineinzuversetzen, und weiß, daß die für unterschiedliche Anforderungen unterschiedlich gut funktionieren.

Der Computer basiert auf digitalen Bits und Bytes, hat explizite Zahlendarstellung, ein Rechenwerk, und ist von vornherein daraufhin gebaut zu rechnen und algorithmisch beschriebene Programmabläufe iterativ abzuarbeiten.

Das Hirn ist eine Verflechtung aus Neuronen, die völlig anders aufgebaut sind und anders funktionieren. Da ist kein Addier- oder Multiplizierwerk eingebaut. Zwar kann man – wie das so oft der Fall ist – mit einem Maschinenmodell ein anderes nachbilden und so auch hier durch Training die Neuronen so verschalten, daß sie quasi ein Rechenwerk bilden (indem wir in der Grundschule das Rechnen lernen), aber es liegt eben in der Natur der Sache, daß das nicht algorithmisch fest sondern neuronal unscharf ist. Und daß die Weibchen sich aus naheliegenden Gründen die Männchen aussuchen, die an ihrem Äußeren und Gehabe als möglichst gesund zu erkennen sind, ist nicht nur naheliegend, sondern auch an vielen Tierarten ohne weiteres zu beobachten.

Aber ich bin gespannt, welche alternativen Erklärungen es zur Evolution noch geben soll. Das große Unerklärliche akzeptiere ich jedenfalls nicht.


yasar
27.6.2011 9:40
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Sinn der Fliegen?

Natürlich zu erkennen wo die Scheiße ist. 🙂


Hadmut
27.6.2011 9:52
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@Yasar: Na,na…


yasar
27.6.2011 15:42
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@Hadmut
Sorry wegen der Fliegen, konnte aber nicht wiederstehen

Aber Computer sind nicht unbedingt digital. Ich durfte noch sowohl in der Schule, als auch im Studium mit analogen Computern spielen. Da ist das “Programmieren” dann ganz anders geartet. Und in der Frühzeit der Computerei waren auch ternäre Systeme im Einsatz, die sich offensichtlich nicht durchgesetzt haben (Computer-Evolution?). Wie Hadmut schon sagte. Das sind ganz einfach andere Maschinenmodelle.


Hadmut
27.6.2011 15:45
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Und Quantencomputer funktionieren wieder anders.

Und auch Fluidikrechner arbeiten nach anderen Regeln.

Und es gibt so richtig abgefahrene theoretische Maschinenmodelle, die alle unterschiedlich funktionieren.

Der Computer auf dem Tisch ist also nur ein Spezialfall.


yasar
28.6.2011 8:36
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Apropos Pronoindustrie:

Wenn die auf den Trichter kommt, was man damit alles machen könnte, wird das Ding wahrscheinlich durchstarten.

Wenn man die Dinger so gestaltet, daß die “always-online” sind, könnte man auch diverse Spielchen beim Sex damt machen, wie z.B. wenn sie “schon schon immer wissen wollten, woran Ihr(e) Partner(in) beim Koitus denkt. 🙂


Mephane
28.6.2011 13:39
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“Weshalb stellt es für Menschen ein Problem dar, im Kopf sechsstellige Zahlen miteinander zu multiplizieren? Der dazu erforderliche Aufwand an Speicher- und Rechenkapazität ist lächerlich, verglichen mit dem, was theoretisch in so einem Hirn steckt.”

Die Antwort ist, weil das menschliche Gehirn gar nicht rechnen kann. Das kleine und große “Einmaleins” lernen wir in der Schule auswendig, es ist nur noch das Abrufen der Assoziation “7 x 6 -> 42” oder “(a-b)^2 -> a^2 – b^2”. Rechnen wie ein Computer kann das Gehirn dagegen von vornherein gar nicht, man stelle sich einen Prozessor vor, der in einer Tabelle das kleine Einmaleins, die Ergebnisse dafür schnell abrufen kann (Stichwort: Lookup-Table), für alles darüber hinaus aber auf 1000x langsamere Funktionen zurückgreifen muss.


_Josh @ _[°|°]_
29.6.2011 3:54
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@yasar: ‘Die Evolution fragt selten nach dem Sinn. Und was sich nicht nachteilig auf das Überleben auswirkt, wird weitervererbt.’

Mit Verlaub, das ist Unsinn, vielmehr ist eine Art Gegenteil der Fall: ‘Die Evolution fragt _immer_ nach dem Sinn, weitervererbt wird nur, was sich positiv auf das Überleben auswirkt.’

So wird ein Schuh draus, und so funzt das mit der Evolution. Multiplikation (or whatever) großer Zahlen, durch Funk & Fernsehen bekannter Inselbegabter, Hirngeschädigter, Unfallopfer, gehört nicht dazu.


rjb
29.6.2011 8:06
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Mephane, zumindest die zweite dieser Assoziationen ist falsch (wenn man nicht gerade “in Charakteristik 2” rechnet).

Gegen die Evolution habe ich nichts, wohl aber gegen die “Evolution”, sprich: einer Evolution, der Ziele und Absichten unterstellt werden. Und zumindest dementsprechende Formulierungen erscheinen in den Publikumsmedien zur Genüge. Eine solche Vorstellung von Evolution unterscheidet sich vom Kreationismus eigentlich nur noch durch den Namen, der der Gottheit gegeben wird.

Rechnen kann das Gehirn m.W. durchaus. Bei der Verarbeitung der Gehörsignale soll, wenn ich mich recht erinnere, eine Art Fourier-Transformation stattfinden. Und idiots savants können mitunter sogar meisterlich rechnen, und andere Dinge vollbringen, an denen Normalmenschen zu scheitern pflegen. Es gibt da z.B. einige Fallschilderungen in den Büchern des Neurologen Oliver Sacks. Eine wissenschaftliche Theorie von Hirn und Bewußtsein müßte das erklären können. Die hier zur Diskussion stehende Gedächtnisprothese scheint i.W. ein Bauteil zu sein, das die Funktionalität von einem oder ein paar Neuronen nachbildet. Das ist so ähnlich, als wenn man auf einem Mainboard einen aufgequollenen Kondensator ersetzt, und es damit wieder zum Laufen kriegt. Das erfordert entsprechendes handwerkliches Können, aber keine Kenntnis über die Funktionsweise des Boards oder des Computers. Diese Gedächtnisprothese ist sicherlich eine sehr viel anspruchsvollere Angelegenheit. Aber davon, Gedächtnisinhalte in einer Form für das Hirn verfügbar zu machen, die es erlaubt, mit Bewußtsein auf diese zugreifen zu können, ist das ebensoweit entfernt, wie so ein Kondensatoraustausch von der Herstellung eines Mainboards.


yasar
29.6.2011 8:53
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@Josh:

Dann dürfte nach deiner Auffasung es diese Inselbegabten ja gar nicht geben. oder diese müßten “sterile” sein.

Gerade dann, wenn die “Begabten” durch Unfall oder Hirnschaden “enstehen”, ist das doch ein Zeichen, daß die Fähigkeiten im Erbgut da sein müssen.


User
2.7.2011 20:57
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irgendwie wäre die “Matrix” dann auch nicht mehr weit oder?