Ansichten eines Informatikers

Übersetzungs-Trost

Hadmut
16.7.2020 18:00

Ein Muttersprachler hat sich gemeldet, um mir die Seele mit Balsam zu pinseln.

Ich habe doch in letzter Zeit öfters mal Problemchen, bei Übersetzungen aus dem Englischen irgendeinen Begriff richtig einzuordnen.

Irgendwie fiel mir das vor 10 oder 20 Jahren noch leichter, englische Texte zu übersetzen. Das muss erst mal kein schlechtes Zeichen sein, denn ich habe über Jahre bemerkt, dass es für mich umso schwieriger wird, etwas „richtig” zu übersetzen, je besser mein Englisch wurde, weil ich immer mehr subtile Bedeutungsunterschiede und „False Friends” gelernt habe. Zur Schulzeit habe ich noch deutsche und engliche Begriffe in 1:1-Zuordnung gelernt, aber je länger ich mich etwa in Ländern aufgehalten habe, in denen Englisch gesprochen wird, desto mehr Begriffe fielen aus dem Schema raus, weil ich immer mehr das Gefühl habe, dass mir zu einem englischen Begriff zwar durchaus die deutschen Übersetzungen einfallen, aber keine davon wirklich passt, weil es zu vielen Worten eben keinen exakt bedeutungsgleichen Begriff gibt. Und dann kommen noch die Redewendungen dazu.

Ein besonders schräges Beispiel ist mir in Erinnerung. Ich war mal zu Studentenzeiten mit einer Freundin im Kino in der englischen Version (haben wir damals oft gemacht), ich glaube, es war „Face Off”, bin aber nicht mehr hundertprozentig sicher, in dem Nicolas Cage als Castor Troy eine schlüpfrige Bemerkung zu irgendeiner Frau machte und er „peach” sagte und im deutschen Untertitel „Pflaume” stand und die Freundin aufmuckte, weil doch peach Pfirsich heiße. Ich hab ihr dann erklärt, dass je nach Kontext peach im Deutschen durchaus mal Pfirsich und mal Pflaume bedeuten kann. Je nachdem. Ihr Gesicht war grandios.

Oder selbst ein relativ simples Wort wie „History”. Geschichte? Vergangenheit? „for the first time in history?” Heißt zum allerersten Mal. Gibt kein wirklich den Gehalt exakt treffendes Wort. „Zu ersten Mal in der Vergangenheit” ist dämliches Deutsch. „Zum ersten Mal in der Geschichte” sagt man auch nur mit Genitiv-Objekt. Zum ersten Mal in der Geschichte der bemannten Raumfahrt. History kann aber auch Entstehung oder Hintergrund oder Leistung(snachweis) heißen. Wenn mir einer auf englisch sagt, ich hätte eine history of irgendwas, was ich gemacht habe, erkennt er meine Leistung an. Sagt mir einer auf deutsch, ich hätte eine Vergangenheit als Informatiker, dann meint er, das war’s damit.

Oder was mir auch immer öfter auffällt: Grammatik wird auch nur noch als abgelegte Mode angesehen.

Oder eine enorme Kreativität, weil ich immer wieder auf Redewendungen stoße, die ich noch nie gehört habe, von denen ich den Eindruck habe, die würden dynamisch erzeugt, wie es gerade passt. Als wäre der Gebrauch irgendeiner coolen Formulierung wichtiger als Genauigkeit und Verständlichkeit.

Eigentlich ist Englisch keine Sprache, sondern ein Oberbegriff für eine Sprachfamilie wie bei den „romanischen Sprachen”, zu denen Italienisch, Französisch, Spanisch gehören, die alle irgendwie aus Latein entstanden sind und deutliche Ähnlichkeiten aufweisen. Die englischen Harry-Potter-Bücher wurden extra ins Amerikanische übersetzt.

Deshalb neige ich dazu, Texte gar nicht erst zu übersetzen, sondern in Englisch im Blog zu zitieren. Was wieder nicht allen gefällt, manche Leser beschweren sich, dass sie das dann nicht verstehen.

Und in letzter Zeit hatte ich ja ein paar Stellen, bei denen ich sagte, dass mir die uneindeutig erscheinen. So wie jetzt narrow oder neulich nicety.

Nun rief mich einer an. Muttersprachler. Der auch manchmal übersetzt.

Und meinte, ich solle mir nichts daraus machen.

Als Leser meines Blogs habe er einiges gelesen, worauf ich verlinkt oder woraus ich zitiert hatte, und er meinte, diese Texte aus dem linken Umfeld (besonders das Entweißungstraining in Seattle) seien voller Fehler und nur noch so hingerotzt. Die Leute sprächen und schrieben ein immer schlechteres, immer fehlerhafteres Englisch, weshalb das nicht an mir läge und ich mir das auch nicht einbildete, dass die Übersetzung immer schwerer werde. Es werde auch schwerer, sie auf Englisch zu verstehen. Er höre manchmal Leute in irgendwelchen Vortrags- oder Interview-Videos und verstehe manchmal schlicht nicht, was die da sagten. Schon akustisch nicht, aber auch von der Bedeutung. Da bräuchte ich mir als Fremdsprachler dann auch nichts draus zu machen.

Das wäre so. Es sei einfach so, dass der Sprachgebrauch dort gerade abstürzt. Sprache würde vor allem von jüngeren Leuten nur noch hingerotzt. Eindeutige Kommunikation sei nicht mehr gegeben.

Ja, das ist ja das, was ich hier bei der Jungen Generation häufig beobachte: Die sind nicht nur sekundäre Analphabeten, sondern auch das analoge Gegenstück beim Sprechen. Nicht mehr klar formulierungs- und artikulationsfähig.

Es erinnert mich aber etwas an meine erste Fachkonferenz in den USA, 1994 IETF-Tagung in San Jose.

Ich hatte bei der Anmeldung dort einen amerikanischen Informatik-Professor kennengelernt. Ich war bei der Konferenzregistrierung schon daran gescheitert, der Frau dort meinen Namen zu sagen, sie guckte mich nur verständnislos an und drückte mir dann einen Schreibblock und Stift in die Hand, damit ich meinen Namen aufschreibe. Er sagte mir danach, das läge nicht an mir, sie sei gehörlos und habe meinen deutschen Namen nicht durch Lippenlesen erkennen können.

Als ich ihn dann später wieder traf, fragte er, ob „my ears got tuned to american english”. Ja, schon, meistens kein Problem, aber ich war vorhin in Vortrag X, und hätte in 30 Minuten nicht ein einziges Wort verstanden, nicht einmal grob, worum es überhaupt ging. Er sagte mir wieder, ich solle mir nichts draus machen, das läge nicht an mir. Der Vortragende sei Texaner gewesen. Die seien so. Er selbst sei gebürtiger Amerikaner und Muttersprachler, und er habe auch kein einziges Wort davon verstanden.

Ich habe mich im Lauf der Jahre einige Male mit Amerikanern und Australiern darüber unterhalten.

Und die fanden es fast immer so entsetzlich deutsch, auch nur die Erwartung zu haben, alles zu verstehen. Die meinten, es sei völlig normal, oft nur so einen Teil zu verstehen, mal 90, mal 70 Prozent oder auch mal weniger.