Ansichten eines Informatikers

Von Leichen, Gaffern und Politikern

Hadmut
18.9.2020 13:54

Noch’n Moral-Gesetz…

Aus der Meldung:

Sogenannte “Gaffer-Fotos” von Unfalltoten stehen künftig unter Strafe. Bislang galt dieser Persönlichkeitsschutz bei Bildaufnahmen im Strafrecht nur für lebende Personen. Verboten sind jetzt das unbefugte Herstellen und Verbreiten von Fotos. Dafür kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe verhängt werden. Durch die Verschärfungen soll die Verbreitung entsprechender Aufnahmen vor allem über soziale Netzwerke eingedämmt werden. Die Regelungen treten voraussichtlich noch in diesem Jahr in Kraft.

Das halte ich für zumindest sehr fragwürdig.

Zum einen, weil eine Leiche rechtlich im wesentlichen eine Sache ist. Es gibt die Störung der Totenruhe (§ 168 StGB), aber genau deshalb geht es darin um das Gewahrsam des Berechtigten und Aufbahrungsstätten, nicht um die Leiche an sich.

Das Problem an der Sache ist, dass eine Leiche mit dem Zeitpunkt des Versterbens keine Rechte mehr hat und insbesondere auch keine Rechtsgeschäfte mehr vornehmen kann, Erben oder nächste Verwandte aber auch noch nicht bestimmt sind (dazu braucht es den Totenschein und so weiter), es daher ein „befugtes” Herstellen (außer Tatortfotos der Polizei und sowas) eigentlich gar nicht gibt, sich die Frage nach befugt und unbefugt nicht stellt, weil es gerade keinen gibt, der darüber verfügen könnte.

Makaber oder nicht, eine Leiche ist rechtlich keine Person mehr, sondern eine Sache. Womöglich sogar eine herrenlose Sache. Und Sachen können gegenüber Menschen keine Rechte haben, nicht fotografiert zu werden.

Eine Rechtsfrage, die ich mich ad hoc nicht zu beantworten in der Lage, sie gleichwohl aber blöde zu fragen imstande sehe, wäre etwa die nach

§ 958 BGB

Eigentumserwerb an beweglichen herrenlosen Sachen

(1) Wer eine herrenlose bewegliche Sache in Eigenbesitz nimmt, erwirbt das Eigentum an der Sache.

(2) Das Eigentum wird nicht erworben, wenn die Aneignung gesetzlich verboten ist oder wenn durch die Besitzergreifung das Aneignungsrecht eines anderen verletzt wird.

Im Prinzip könnte eine Leiche womöglich eine solche bewegliche herrenlose Sache sein, und der Gaffer schlicht behaupten, das sei jetzt seine, er habe sie in Besitz und Eigentum genommen.

Googelt man etwas, meinen die einen, das eine Leiche zwar eine Sache, aber dem Rechtsverkehr entzogen und nicht eigentumstauglich ist, weshalb man sich nicht einmal des Diebstahls strafbar machen könne, wenn man sie klaut. Andererseits gibt es sehr wohl Rechtsstreitigkeiten um das Eigentum etwa an Ötzi oder so mancher Museumsmumie, und die Russen wären – zumindest in Teilen – wohl auch sauer, wenn man ihnen ihren Lenin klaut. Oder dass einen die Polizei drankriegt, wenn man die plastinierten Leichen aus der Ausstellung klaut.

Kurz gesagt, scheint die Rechtsfrage rund um die Leiche nicht geklärt zu sein, mithin also so ein Fotoverbot ein höchst fragwürdiges Rechtskonstrukt. Der Staat darf nämlich auch nicht einfach so irgendwas unter Strafe stellen, sondern muss immer ein Rechtsgut schützen. Das Problem stellt sich übrigens auch im vorhin kommentierten Fall des Anti-Hass-Gesetzes zum Toten Regierungspräsidenten Lübcke. Da ist auch die Frage, wessen Rechtsgut, wessen Rechtsposition man schützen will.

Ich glaube nicht, dass das so geht.

Ich halte die ganze Herangehensweise für dilettantisch.

Wenn, dann hätte man generell ein Gesetz über Verstorbene machen müssen und darin dann klären, wer da was zu entscheiden und befugen hat, und beispielsweise reinschreiben, dass vor Ort erst mal Polizei, Feuerwehr und Notarzt die Verfügungsgewalt haben, dann der Bestattungsunternehmer, sobald der die Leiche hat. Und dann die Friedhofsbehörde oder die Erben. Und für Fälle wie Ötzi das Amtsgericht des Fundortes oder sowas. Und dann für wissenschaftliche Zwecke und so weiter.

Irgendwie habe ich aber zunehmen den Eindruck, dass die im Bundestag zu Gesetzen nicht mehr in der Lage sind und die nur noch ihre Moralspinnereien mit Paragraphen durchnummerieren und das dann für Gesetze halten.