Ansichten eines Informatikers

Die schleichende Ausforschung der Reputation

Hadmut
12.5.2008 15:20

Es ist schon erstaunlich, wie das Datenschutzgefühl zunehmend zerbröselt und sich in Nichts auflöst. Wir sind nicht auf dem Weg in den Überwachungsstaat, wie viele meinen, sondern – schlimmer – in eine Überwachungsgesellschaft. Die Ausforschung im Kleinen nimmt Formen und Akzeptanz an, bei der man sich zunehmend Sorgen machen muß. Was ich da gerade wieder erlebe, ist ein Weg in eine katastrophale Richtung:

In meinem Beruf kommt man rum. Also man muß nicht, aber man kann und es ist interessanter so. Deshalb bin ich hin und wieder an unterschiedlichen Orten zugange. Manchmal ist das kürzer, dann geht man in ein Hotel. Manchmal ist es länger, und dann wird ein Hotel auf die Dauer zu teuer und zu unbequem. Wer will schon jedesmal seinen ganzen Krempel hin- und herschleppen und ständig das Hotel wechseln? Außerdem will man sich bei längerem Aufenthalt ja auch para-wohnlich einrichten und zumindest mal eine Arbeitsecke haben, an der man Sachen auch länger liegen lassen kann. Da bietet sich die berufliche (kleine) Zweitwohnung an.

Bisher hatte ich damit nie ein Problem. Angucken, Miete aushandeln, Vertrag, Schlüssel bekommen, fertig.

Nun ist es mal wieder soweit, und ich reibe mir verdutzt die Augen. Entweder gibt es da lokale Besonderheiten oder die Zeiten haben sich massiv gewandelt. Da suche ich in einer deutschen Großstadt nach einer kleinen aber ordentlichen Bude, und das Angebot ist überwältigend. Maklerdatenbanken spucken einem da auch mal zweitausend Angebote an den Kopf. Ruft man wo an, ob die Wohnung noch zu haben ist, bekommt man manchmal die Antwort, daß die Leerstand und noch mehr von diesen Wohnungen haben. Viele Wohnungen werden ohne Provision angeboten. Also sollte man eigentlich glauben, daß der Kunde König sei. Weit gefehlt.

Von der ersten Verwaltungsfirma bekam ich gleich per Mail ne lange Liste und Formulare zum ausfüllen. Ich hätte ein Bewerbungsformular einzureichen und allerlei Zeugs beizufügen. Ich dachte, die spinnen, die haben ne Schraube locker. Aber dann ist mir aufgefallen, daß nicht nur die, sondern fast alle Verwalter und sogar die meisten privaten Vermieter in dieser Stadt solche Anforderungen stellen, und das manchmal sogar in den Annoncen drinsteht. Das wird in dieser Stadt jetzt allgemein so verlangt. Dabei ist mir, wie gesagt, noch nicht ganz klar, ob das mit “jetzt” oder “dieser Stadt” korreliert. Oder ob das vielleicht gar nicht neu ist, und ich bisher immer nur “Glück” hatte.

Die wollen da in der Regel (mit kleinen Variationen, mal mehr mal weniger)

  • Personalausweiskopie vorne und hinten
  • Aktuelle Schufa-Auskunft oder Einwilligung zur Anfrage
  • Mietschuldenfreiheitsbestätigung des letzten Vermieters
  • Die letzten drei Gehaltsabrechnungen, einer wollte den Steuerbescheid
  • Aktueller Einkommensnachweis, Arbeitsvertrag
  • Zusätzlich zur Kaution eine Bürgschaft (was m. E. sowieso rechtswidrig ist, weil die Kaution und damit die Sicherheit gesetzlich auf 3 Monatsmieten beschränkt ist, da wird also das Gesetz umgangen).
  • Abmeldebestätigung der letzten Wohnung
  • Eine schriftliche Begründung im Sinne eines kurzen Aufsatzes, warum man eigentlich von A nach B umzieht.

Und das finde ich erstaunlich, denn einiges davon geht einen Vermieter überhaupt nichts an. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um Paläste, bei denen sofort ein riesiger Schuldenberg anläuft, sondern um 1-2 Zimmerwohnungen mit 30-50 qm und Kaltmieten von 180-300 Euro, in einer Stadt mit großem Wohnungsangebot und Leerstand.

Wie können die sowas allgemein durchdrücken? Entweder gibt es da zwischen den Vermietern Absprachen im Sinne eines Kartells, oder die Mehrzahl der Wohnungssuchenden läßt das einfach mit sich machen. Wie dürfte das dann erst in einer Stadt aussehen, in der die Wohnungen knapp sind? Oder ist die Zahl der sogenannten “Mietnomaden”, die nicht zahlen und dann nicht mehr rausgehen und die Wohnung verwüsten, inzwischen so sprunghaft angestiegen, daß so etwas nötig ist? Ist das vielleicht ein Indiz für den beginnenden Zerfall der Gesellschaft?

Auf jeden Fall ist es bedenklich und gefährlich.

Man wird hier in ein festes Verhaltens- und Erwartungsschema gepresst und wer da nicht reinpasst, bekommt erst gar keine Wohnung mehr. Was macht man, wenn man gar keinen letzten Vermieter hat? Oder wenn man nicht von A nach B umzieht, sondern eine Zweitwohnung sucht, der andere Vermieter einem also gar nicht bestätigen kann, daß man keine Schulden hinterlassen hätte? Oder wenn man Freiberufler ist und deshalb keine Gehaltsabrechnungen und keinen Anstellungsvertrag vorlegen kann? Was ist, wenn ich der Meinung bin, daß mein Einkommen und mein Steuerbescheid niemanden etwas angehen? Das sind ja alles harmlose Ursachen.

Aber was ist, wenn jemand mit seinem letzten Vermieter Krach hatte? Dafür gibt’s ja viele Ursachen, und oft liegt es auch am Vermieter, etwa wenn der die Kaution verprasst hat oder mehr Renovierung will, als er verlangen kann, oder irgendsowas, und der einfach so eine Bestätigung nicht ausstellen will? Oder der mit einer Mietminderung nicht einverstanden war? Ist diese Bestätigung vielleicht nur der Vorwand, um generell kritische Mieter auszusieben?

Was machen eigentlich Leute, die arbeitslos sind? Bekommen die dann keine Wohnung mehr?

Nun gut, die Sache hat auch Vorteile. Und um gleich die Vermutungen auszuschalten, ich könnte da keine Wohnung bekommen:

Nachdem ich nun gelesen habe, daß die Schufa einen nicht mehr herabstuft, wenn man eine Eigenauskunft anfordert, und es neuerdings sogar von der Schufa für solche Fälle eine vereinfachte Darstellung ohne Details, nur mit einer zusammenfassenden Bewertung für genau solche Fälle zur Bewerbung gibt, hab ich mal eine angefordert. Blütenweiß, sie betonen, daß sie über mich ausschließlich positives zu berichten wüßten, ich hätte immer brav alles gezahlt. Damit bekomme ich bei Vermietern ohne weiteres einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Suchenden, vielleicht läßt sich damit sogar die Miete herunterhandeln. Mir ist aber nicht wohl bei dem Gedanken, daß ich für solche Dinge neuerdings so einen Reputationswisch irgendeiner privaten Firma brauche. Da macht eine Firma ihr Geschäft damit anderen zu sagen, ob ich ein guter Mensch bin oder nicht. Muß ich nun in Zukunft die Klappe halten und zahlen, wenn es wieder einmal Fehler in der Telefonabrechnung gibt, auf daß ich auch in Zukunft noch ein Dach über dem Kopf haben werde?

Und überhaupt, die Schufa bewertet Leute auch danach, wo, in welcher Nachbarschaft sie wohnen. Man kann schlecht eingestuft werden, weil die Nachbarn Schulden haben. Was tue ich mir denn da eigentlich an, wenn ich als berufliche Zweit- oder Drittwohnung für ein paar Tage im Monat und nur zum Übernachten eine kleine, günstige Wohnung nehme und damit automatisch in die Nachbarschaft von Leuten rutsche, die vielleicht ganz nett und angenehm sind, aber halt finanziell so dünn ausgestattet sind, daß sie sich mit einer Mini-Bude als Hauptwohnung begnügen müssen (oder wollen)? Das müssen nicht einmal arbeitslose Randgruppen sein, dazu reicht es, wenn man im Studentenviertel landet. Muß ich mir jetzt in jeder Stadt ne teure Luxuswohnung im vornehmen Akademiker-Viertel nehmen?

Auch die Mietschuldenfreiheitsbestätigung meines letzten Zweitwohnungsvermieters hab ich innerhalb von Minuten per Fax bekommen. Die haben da fertige Formulare, Name rein, hier und da angekreuzt, fertig. Auch damit habe ich gute Karten bei der nächsten Suche. Aber was mache ich in Zukunft? Falls mal die Heizung ausfällt, die Fenster undicht sind, die Wohnung schimmelt, Wasser reinläuft, oder irgendsowas? Ist es dann vielleicht ein Fehler, die Miete zu mindern?

Mir gefällt dieser ganze Reputations-Zauber nicht. Wir schliddern da in was rein, was nicht mehr zu kontrollieren und auch nicht mehr rückgängig zu machen ist.

Mir ist schon 2003 der Deckel hochgegangen, als ich wegen RMX auf den IETF-Konferenzen war und mit Amerikanern über SPAM-Schutz geredet habe, die da völlig unbekümmert meinten, daß da eine Firma aufzubauen sei (natürlich eine amerikanische), die über alle Internet-Nutzer weltweit Buch führt und über jeden Auskunft gibt (Zitat wörtlich, nur übersetzt), “ob er es wert sei, daß man E-Mail von ihm liest.” Und am besten nicht erst beim Empfänger, sondern gleich beim Provider ausgefiltert werden, damit es sich lohnt. Auf meinen Einwand, daß sie das in den USA vielleicht so machen könnten, dies in Deutschland aber datenschutz- und strafrechtswidrig sei, glotzten sie mich verständnislos an, als wäre ich ein kleines grünes Marsmännchen. Als dann damals die Entscheidung des OLG Karlsruhe kam, daß E-Mail-Unterdrückung strafbar ist, stand in amerikanischen Zeitungen, in Deutschland wäre Spam-Schutz jetzt verboten worden.

Die Argumentation verläuft dabei fast immer gleich: Irgendein “passender” Einzelfall wird herangezogen und dann aufgebauscht. Vermutlich wird man irgendwann sagen, daß wer immer mit der Entwicklung nicht einverstanden ist, Mietschuldner begünstigt und die Vermietung so riskant macht, daß es keine Mietwohnungen mehr gibt. Genauso wie man in den USA gerade die Verdachtsunabhängigen Notebook-Durchsuchungen an der Grenze mit einem einzelnen Kinderporno-Fall rechtfertigt.

Irgendwann bekommen wir dann alle – so wie am Auto die Umweltplakette – rote, gelbe und grüne Reputationsplaketten auf den Personalausweis (oder wie beim Auto vielleicht auch gar keine) und daran wird dann entschieden, wo man reinkommt und wo nicht. Bei den Kreditkarten gibt es ja sowas schon, die sind ja schon in Klassen eingeteilt. Sowas wird auch auf großer Breite und für alle kommen.

Warum ich das schreibe? Weil ich gerade am Schreibtisch sitze und den ganzen Reputations-Stapel zusammenstelle, um mich in dieser besagten Stadt überhaupt um eine 1-2 Zimmerwohnung “bewerben” zu können, obwohl Angebot und Nachfrage eher darauf hinauslaufen müßten, daß sich Vermieter bei mir als potentiellem (und potentem) Mieter bewerben.

Wo wir wohl in 10 Jahren sind?

Vielleicht ist es bei uns dann auch so wie in den USA, daß man nicht nur nach Name, sondern auch nach Telefonnummer und E-Mail-Adresse identifiziert wird und man mit dem Telefonanruf beim Makler erst gar nicht mehr durchkommt sondern nur ein Besetztzeichen oder eine dumme Ansage bekommt, wenn man nicht alle Reputationszertifikate besitzt. In den USA bereits gang und gäbe.

Irgendwie habe ich das Gefühl, daß die Generation der Leute, die – sagen wir mal, heute höchstens 15-18 Jahre alt sind – da von vornherein reinwachsen und es dann, wenn sie selbst in das Alter der Wohnungssuche kommen, schon gar nicht mehr anders kennen. Datenschutz? Was ist das denn?

4 Kommentare (RSS-Feed)

Stefan
14.5.2008 17:36
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Telefonrechnungen muß man nicht widerstandslos zahlen, denn strittige Forderungen dürfen von der Schufa nicht gespeichert werden.

Es ist also gar nicht so schlimm; man muß nur 2-3 Sendungen zu Rechtsfällen regelmäßig schauen, und 2-3 Rechtsblogs lesen.
Alternativ vielleicht eine rundum-sorglos Rechtschutzversicherung abschließen und 8 Semester Jura studieren.

Ob es verboten ist, sich die Persilscheine selbst auszustellen? Die Vermieter werden wohl selten nochmal nachforschen. 🙂


Hadmut
14.5.2008 22:57
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Es stimmt zwar, daß die Schufa strittige Forderungen nicht speichern darf. Da steckt aber der Denkfehler im System. Die Schufa prüft das nämlich gar nicht nach.

Viele Firmen melden auch die strittige oder offenkundig unberechtigte Forderungen. Es ist nämlich mittlerweile so, daß viele Firmen nicht mehr selbst eintreiben, sondern Forderungen im Block an Verwerter zu einer Quote verkaufen, und der Verwerter dann das Inkasso versucht. Um möglichst viel zu bekommen, werden natürlich auch möglichst viele Forderungen aufgeschrieben. Ob die dann bestritten wurden, weiß der Inkasso-Verwerter nicht mehr. Und der meldet die dann an die Schufa weiter.

Außerdem gibt es ja nicht nur die Schufa, es gibt noch mehr solche Auskunfteien. Ich weiß von einer, daß sie gleichzeitig so ein Inkasso-Laden und eine Auskunftei ist, und daß sie zum Inkasso gleich damit droht, daß man in der Datenbank als säumiger Schuldner landet und nie wieder einen Vertrag bekommt, wenn man nicht sofort zahlt.

“Dürfen” und Realität weichen hier massiv voneinander ab.


Stefan
15.5.2008 1:11
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Ich würde dann meinen Anwalt fragen, ob das Melden einer strittigen Forderung nicht ein Fall von Kreditgefährdung ist.
§824 BGB
http://dejure.org/gesetze/BGB/824.html

Mit Kreditreformern habe ich noch keine Erfahrungen gesammelt – bei der Schufa dürfen ohnehin nur wenige Meldung machen (wenn man selbst zuvor schriftlich eingewilligt hat, soweit ich weiß).
Bei einem unberechtigten Drohen kommt womöglich auch Nötigung in Betracht.

Bedenklich ist – Möglichkeiten sich zu wehren hin oder her – wenn es Usus wird all diese Informationen preiszugeben.
Dann hat man am Ende vielleicht Recht, aber keine Wohnung.


[…] fensterall 1: Ich betätige damit den Button – absolut unergonomisch > > Fall 2: Der Request wird an den Hintergrund weitergeleitet – OK > > Fall 3: XP unterstützt nicht-rechteckige Fenster – perfekt > > Dies wird schon seit Win95 unterstützt; Versuch’s mal damit: > > HRGN hrgn = CreateRoundRectRgn(left, top, right, bottom, > ellipseWidth, > ellipseRight); > SetWindowRgn(hwnd, hrgn, TRUE); Das dürfte auf Fall 1 hinauslaufen. Das Mouse-Event, was im Fenster, aber außerhalb der “region” liegt, kommt natürlich im Fenster an. Dabei spielt die region gar keine Rolle. Man kann natürlich Fall 2 daraus machen – mit viel Aufwand. > Das Verhalten entspricht Fall 2, wobei ich den Unterschied zwischen > Fall 2 und Fall 3 nicht richtig verstehe… Genau! Window rect und window region sind unterschiedlich. Bei events ist “rect” entscheidend, bei painting “region”. […]