Von gezündeten Turbinen, mangelndem Sprachverständnis und der Rudeldynamik von Gorillas
*Seufz*
Ich hatte doch geschrieben, dass die CDU Deutschlands „den Impfturbo gezündet“ haben will, man Turbos aber nicht zündet, sondern die durch Drehzahl angehen, und Turbo von Turbine kommt.
Daraufhin hatte mir eine Reihe von Leser geschrieben, dass das nicht stimme, das können man doch googeln, wieviele Webseiten es gibt, die schreiben, dass Flugzeugturbinen gezündet wurden, um sie anzulassen.
Leute!
Es ist zwar in Zeiten von Gender schwer, noch auf das Genus eines Wortes zu achten und es zu beachten, aber: Die CDU sagte nicht, dass sie die Impfturbine angelassen habe, sondern der Impfturbo gezündet sei.
Der Turbo.
Das Wort „Der Turbo“ gibt es eigentlich gar nicht, sondern es ist eine saloppe Abkürzung des Kompositums „Der Turbolader“. (Nicht zu verwechseln mit „Der Turbo-Lada“.) Denn wie das im Deutschen bei Komposita so ist, steht das sinnebestimmende und genusgebende Wort hinten. Der Lader. Und das ganze Ding heißt Turbolader und nicht Turbinenlader, weil man bei Komposita in sperrigen Fällen ab abkürzen darf, und um klarzustellen, welche Art von Kompositum es ist. Denn während ein Turbinenlader als Objekt-Kompositium aufgefasst werden könnte oder würde und damit – wie in Vatermörder oder Blogleser – anzeigen würde, dass der Lader die Turbine laden würde, was der aber nicht tut, ist der Turbolader ein Attribut-Kompositum, das modal anzeigt, auf welche Weise er lädt. Wie in Klugscheißer.
Um ein Gegenbeispiel zu bringen, müsste man also mit gezündeten Ladern und nicht gezündeten Turbinen aufwarten. Schon so sprachlich gesehen.
Technisch auch. Denn hier ging es ja um eine zusätzliche Beschleunigung eines bereites laufenden Vorgangs. Wie oft habt Ihr es schon erlebt, dass ein Flugzeug erst abhebt und dann oben in der Luft der Kopilot zum Piloten sagt „Wollen wir nicht endlich die Turbinen zünden, damit wir noch schneller werden?“
Und bevor die Leser jetzt mit „Turboprop“ ankommen: Auch das ist kein Wort, sondern eine Verkürzung einer solchen modalen Kompositakomponente. Denn es heißt eignetlich Turbopropmaschine oder eben Turbopropeller, wieder jeweils als vorangestellte Modalkomponente.
Ein Leser wies darauf hin, dass auch Turbolader in bedauerlichen Fällen durch entzündliche Vorgänge in Brand geraten könnten, was zwar zutreffend ist, man im Eintreten eines solchen Falles aber nicht wie die CDU „Hurra!“ ruft, sondern die Feuerwehr. Und ergänzend die Vollkaskoversicherung, den Bankberater, den KFZ-Abdecker oder sowas in der Art.
Versuche, mir damit zu kommen, dass es doch in Berlin gute Tradition sei, sämtliche Teile von Kraftfahrzeugen zu zünden, und auch die Turbos nicht auszulassen, sondern zu bevorzugen, würden bei mir nicht wirken. Mag sein, dass Porsche Turbo in Berlin signifikant häufiger brennen als andere Fahrzeuge, aber eine Korrelation ist keine Kausalität.
Sinnhaltiger war dagegen der Hinweis eines Lesers auf einen mir bisher unbekannten Umstand:
Im Motorsport, bei Subaru, wurde in der Rally WM beim Fahrzeug vor dem Lader noch einmal Kraftstoff ein gespritzt um das Turboloch auszuschalten.
Schön.
Beeindruckend.
Aber dann funktionierte er als Nachbrenner, eben weil Kraftstoff in den Abgasstrahl eingespritzt wird. Und dass Nachbrenner gezündet werden können, hatte ich ja im Artikel schon explizit geschrieben.
Was, genau genommen, eigentlich falsch ist, denn Nachbrenner, selbst wenn es sich um einen kraftstoffeingespritzten Turbo von Subaru handelt, werden, soweit mein Wissensstand reicht, eigentlich auch nicht gezündet, weil Kraftstoff, den man in heiße, verdichtete Luft einspritzt, von selbst brennt. Was, nebenbei bemerkt, Grund und Ursache dafür ist, warum man in einen Dieselmotor keine Zündkerzen einbaut und ihn stattdessen Selbstzünder nennt.
Ich sorge mich aber um die sprachliche Befähigung und intellektuelle Befindlichkeit mancher Zeitgenossen.
Denn immer öfter stößt man auf solche Argumentationsweisen, die nicht mehr Kontext und Sinn einer Aussage erfassen, auch nicht die Allgemeingültigkeit einer Aussage verstehen, sondern sich einen Begriff heraussuchen, den dann googeln, sich irgendeinen von der Aussage eigentlich nicht erfassten Sonderfall herausuchen, mit „Herr Lehrer, Herr Lehrer, ich weiß was!“-Schnipsen daherkommen und dann damit argumentieren, dass man es googeln kann (oder bei Wikipedia steht oder auf Youtube zu sehen ist).
Gerade eben schon mal passiert. Mit Thermometern. Ich hatte im Kontext der Klima-/Wetter-/Außentemperaturmessung ein DDR-Fachbuch zitiert, das die Genauigkeit handelsüblicher Thermometer bestenfalls bei +/- 0,5K sah, und dazu ergänzt, dass sich das auf die technologisch in solchen Dingen sehr gute DDR bezog, ich damit bei Vorkriegsthermometern (und weil es um die Historie von vor 100 Jahren ging, damit den ersten Weltkrieg meinte, und das auch nicht ohne Hintergedanken, denn einen Fortschritt machten die Temperaturaufzeichnungen nicht so sehr aus meterologischem Interesse, sondern aus dem militärischen Bedarf eben jenes ersten Weltkriegs, wo die Wettermeldungen und Telekommunikation sehr wichtig wurden) wohl bestenfalls bei +/- 1K lag. Auch, weil das Militär die gar nicht so auf Zehntelgrad genau brauchte. Denn wozu die sich damals überhaupt die Mühe gemacht haben sollten, Wettertemperaturen auf Zehntel- oder Hundertstel-Grad genau zu bestimmen, und sich wegen der Schlieren in Luft die Frage stellt, ob das bei Luft überhaupt geht, habe ich da erhebliche Zweifel, die mir nicht nur sehr viele Leser einschlägiger Fachrichtungen bestätigten, sondern ja auch gerade als Argument vorgeschoben werden, um alte Messungen wegen deren angeblicher Messfehler nach unten zu korrigieren, damit die heutigen Messwerte mehr Klimaerwärmung und damit mehr Alarm anzeigen.
Nun werde ich von einer Twitter-Stalkerin in Endlosschleife beschimpft, ich würde die Welt belügen, weil ich – wohlgemerkt, im selben Blogartikel wie das Zitat aus dem DDR-Buch – nicht jedesmal immer wieder „handelsübliches Thermometer“, sondern nur „Thermometer“ geschrieben hatte. Und es ja damals die ersten Messungen im Tausendstel-Grad-Bereich gegeben haben. Mit Konstruktion, Erkundung, Korrektur dieses Thermometers und den Messvorgängen waren sie über zehn Jahre beschäftigt, und mussten zur Ablesung über eine Stellschraube mit Korrekturtabelle ein Mikroskop im Mikrometerbereich verschieben, um den Flüssigkeitsstand auf Tausendstel Millimeter abzulesen, was nicht nur völlig untauglich zur Messung einer Lufttemperatur im Freien wäre, sondern auch nur diesen einen Laboraufbau samt hochbezahlter Labormannschaft und eben über 10 Jahre brauchte, und zudem nur die relative Genauigkeit betraf, weil sie damit ja erst mal die Naturkonstanten ausmessen wollten.
Aber, so meint sie, damit wäre ich als Lügner überführt, weil ich nicht jedesmal „handelsübliches Thermometer“, sondern im Text dann nur „Thermometer“ geschrieben hatte.
Ähnliche Effekte sieht man öfters.
Leute verstehen eine Aussage nicht mehr in ihrem Zusammenhang und für den vorherrschenden Zustand – die CDU meint erkennbar den Turbo am Auto, denn nur der steht ja für „Boah, jetzt geht’s aber ab“, ist millionenfach im Einsatz, und damit zweifellos Objekt ihrer Floskel, und der wird eben nicht gezündet, sondern fängt bei einer gewissen Drehzahl und damit einem gewissen Abgasdruck an, sich zu drehen – und denken drüber nach, was der sagt, sondern stanzen einzelne Begriffe aus dem Kontext aus, suchen sich dann per Google irgendeinen Spezial- oder Sonderfall, oder etwas, was weit außerhalb des Kontexts der Aussage steht, und schreien dann laut „Gegenbeispiel“, um einen als Lügner oder Dummschwätzer oder sowas zu kategorisieren.
Das ist nicht nur von geradezu geisteswissenschaftlicher Geistesinsuffizienz, weil es nicht mehr um die Aussage und den Inhalt, sondern um den Beweis durch Zitat geht, so wie „irgendwo steht sowas, also habe ich Recht!“, so wie schon zwei Generationen durchverblödeter Feministinnen den Beweis, dass es Frauen nicht gebe, allein damit antrat, dass Simone de Beauvoir das gesagt habe, sogar ganze Religionen darauf gründen, dass einer mal irgendwas gesagt habe, es ist auch die Unfähigkeit einen Text in seinem Sinngehalt noch zu verstehen. Die Aussage des Textes wird eigentlich nicht mehr verstanden, aber einzelne Buzzwords gegoogelt. Das ist eigentlich jämmerlich, wenn man einen Text nur noch als Auflistung von Google/Wikipedia/Youtube-Referenzen auffasst, die auf Zitiergerechtigkeit überprüft werden, anstatt zu verstehen, was der da sagt.
Dazu kommt, dass da wieder Rudelverhalten und Amygdala-Sausen hinzukommt. Im schlimmsten Fall diese unwiderrufliche Kategorisierung als „Lügner“ (=Du gehörst nicht zu unserem Rudel, Du bist vom fiesen Lügner-Rudel) und im milderen Fall nur eine Rangordnungsbestimmung („Ich muss Dich korrigieren“, stehe also über Dir.).
Ich hatte im Berliner Zoo mal einer Fütterung der Gorillas zugesehen, bei der die Pflegerin denen – aber mit Mauer und Bach als Sicherheitsbarriere – ziemlich viel rübergeworfen hat, und die da ganz friedlich saßen und das Zeug fingen, während die Pflegerin per Mikro alles mögliche erklärt hat, und es aussah, als ob sie da mit Kumpels das Essen teilt. Ich hatte sie gefragt, ob sie in das Gehege zu den Gorillas gehen könnte oder angegriffen würde, weil ja bekannt sei, dass sogar wilde Gorillas im Urwald mitunter die nahe Anwesenheit von Menschen dulden und friedlich sind.
Sie sagte, früher habe man das getan, aber bei denen wüssten sie es nicht, weil sie es schon aus versicherungstechnischen Gründen nicht mehr dürften. Es gehe gar nicht mal um irgendeine Aggressivität oder Feindschaft, die sie auch nicht erwarteten. Aber selbst im freundlichsten Fall und völliger Rudelakzeptanz wäre von den Gorillas ein Begrüßungsknuff zu erwarten, weil das bei denen eben so sei, dass die selbst in bester Freundschaft und Liebe handfeste Knuffe austeilen, um ihre Stärke und ihr Gewicht zu zeigen und damit die Rangordnung zu regeln. (Ich hatte ja gerade einen Artikel darüber, dass man inzwischen glaubt, dass das Brusttrommeln der Silberrücken genau sowas als Telekommunkation über bis zu 1km ist, weil der Klang es Brustkorbs als Resonanzkörper auf die Größe schließen lässt, und damit Rangordnungsfragen quasi per Funk geklärt werden, ohne dass man noch zusammenkommen müsste.) Selbst bei größter Liebe und Akzeptanz von Seiten der Gorillas sei mit solchen Begrüßungsknuffen zu rechnen, und auch der liebste Begrüßungsknuff eines 200kg-Gorillas bedeute für den Menschen mindestens gebrochene Rippen, weil Gorillas nicht wissen, dass wir so zerbrechlich sind. Die meinen das nicht böse oder feindlich, die seien halt einfach herzlich-rustikaler, als wir Menschen das körperlich vertragen. Deshalb dürften die Pfleger nicht mehr zu den Gorillas ins Gehege.
Und ich habe manchmal den Eindruck, dass das bei Menschen nicht anders ist.
Das also diese „wer korrigiert wen“ so eine Art urzeitlicher Drang aus dem Großraum Amygdala ist, sich und den anderen in der Hierarchie zu positionieren, quasi so eine Art übertragenes Kräftemessen.
Übrigens beruht nahezu die gesamte „Faktencheckerei“ der Presse und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf diesen zwei Phänomenen, nämlich einmal der intellektuellen Verkrüppelung, einen Text nicht im im Ganzen, in seinem Sinn und Kontext wahrzunehmen und auf die herrschende Realität anzuwenden, sondern mit Google-Wikipedia-Spezialfall-Gegenbeispielen zu kommen, und zweitens auf dem Drang, Rangordnungen im Rudel zu klären (wer korrigiert wen) oder sogar die Zuordnung vorzunehmen, wer zum eigenen Rudel – das mit den guten Eigeschaften – und wer zum feindlichen Rudel – das mit all den schlechten Eigenschaften – gehört. Nazi = rudelfremd, der gehört zum anderen Rudel.
Naja.
Einer schrieb übrigens, dass es auch nicht richtig sei, dass Elektroautos nicht gezündet würden. Es gäbe doch bekanntlich Videos auf Youtube, auf denen man sähe, wie Teslas zündeten.
Es könnte sich hierbei um Spott gehandelt haben.