Ansichten eines Informatikers

Ich bin nur ein Mensch zweiter Klasse, nämlich Kassenpatient

Hadmut
28.5.2008 10:05

War mir nicht so, als hätte unsere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt kürzlich im Fernsehen noch irgendwo gesagt, daß Ihr kein Fall bekannt sei, daß ein Kassenpatient gegenüber einen Privatpatient benachteiligt würde?

Von wegen.

Ich wollte gerade beim Radiologen einen Termin zur MRT am Knie vereinbaren.

Da werde ich zuerst mal nach meine persönlichen Daten (Name, Geburtsdatum, Krankenkasse) gefragt.
Und bekomme dann die Aussage, daß vor dem 1.7. nur noch dann etwas möglich wäre, wenn ein anderer Patient absagt. Der Grund: Sie sind “budgetiert” und können pro Quartal nur eine bestimmte Anzahl von Kassenpatienten behandeln. Und die Anzahl ist erschöpft. Als muß ich als Kassenpatient bis ins nächste Quartal warten. Privatpatienten kommen gleich dran.

Kassenpatienten werden nicht mehr hinreichend behandelt.

Sie sagten noch, daß sie früher drei MRT-Geräte hatten. Weil sich durch die Budgetierung das dritte aber nicht mehr rentierte, haben sie eines weggegeben.

Wenn diese Gesundheitsministerin (oder irgendein anderer Politiker) nochmal irgendwo behauptet, daß Kassenpatienten nicht gesundheitlich benachteiligt würden, dann berufe man sich auf mich.

Warum ich überhaupt Kassen- und nicht Privatpatient bin? Weil ich vor fast 20 Jahren mal an Krebs erkrankt war. Danach sagten mir alle, die sich mit sowas auskennen, daß mich keine private Versicherung mehr nehmen würde. Ein paar Anfragen wurden auch wirklich abgelehnt. Inzwischen müßte ich altersbedingt wohl extrem hohe Beiträge zur Privatversicherung zahlen, weil die sich ja nach Alter und Rückstellungen berechnen. Nur so als Anmerkung: Ich zahle seit rund 10 Jahren Krankenkassenbeiträge meist am obersten Limit in die “Solidargemeinschaft” ein.

Wer hat eigentlich dieses Gesundheitssystem vermurkst?

Deutschland ist ein Land, das die Gesundheitsversorgung nicht mehr gewährleisten kann – genauer gesagt, nur noch für eine kleine Elite gewährleisten will. Ich halte diese Einteilung in Menschen erster und zweiter Klasse schlichtweg für verfassungswidrig. Die Frage ist allerdings, welcher Rechtsweg dagegen bestünde. Verfassungswidrigkeit impliziert zunächst mal den Verwaltungsrechtsweg. Die Frage ist aber, gegen wen man konkret klagen müßte. Vermutlich gegen die Bundesrepublik wegen des Sozialgesetzbuches. Mal genauer nachlesen.

Nachtrag:
Durch Herumtelefonieren habe ich nun einen Termin für nächste Woche bei einem anderen Radiologen in einer anderen Stadt bekommen, weil zufällig dort ein Patiententermin ausgefallen ist. Ist wohl gestorben oder so. Ein Arzttermin abends um 20:40 Uhr, zu dem ich mit dem Auto über Land fahren muß.

Es wird gar nicht mehr lange dauern, da wird es Arztterminmakler und -internetbörsen geben, Termine für Kassenpatienten bei eBay versteigert werden.

Bin mal gespannt, wann ich als Kassenpatient dann auch in der Kantine nur noch kleine grüne Plätzchen zum Mittagessen bekomme. Soylent Green oder so ähnlich hieß doch das Zeug, oder? Würde doch passen.

Nachtrag 2: Realsatire

Bei dem Versuch, die Kontaktadresse des Gesundheitsministeriums für einen Kommentar nach Art des Hauses zu finden, stieß mein Browser auf folgende Fehlermeldung:

gesundheitsministerium.de

“The service is not available. Please try again later.” dürfte für unser Gesundheitssystem wohl symptomatisch sein.

2 Kommentare (RSS-Feed)

OecherJupp
29.5.2008 13:50
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Die Viertelstunde hab ich mal investiert:
Transkript von “Neue Wege gehen” aus der CD “Damit müssen Sie rechnen (Update 2000)” des Kabarettisten Volker Pispers (leider kommt sein spezieller Vortragsstil nicht rüber, muss man gehört haben!).

“Jeder Kassenarzt darf in jedem Quartal nur noch eine bestimmte Anzahl Behandlungen der selben Art machen, nämlich die Anzahl Behandlungen, die die Kollegen in seinem Bezirk auch machen. Was der fürne Patientenstruktur hat, interessiert überhaupt nicht mehr. […]
Er darf nur die Menge an Behandlungen der selben Art machen, wie die anderen auch. Wenn er mehr macht, macht er die Behandlung nicht nur vergeblich, er macht sie auch umsonst. […]
Als moderner Arzt ist das heute so: Sie kommen morgens in die Praxis, sie schmeißen den Computer an. Jetzt haben die schon Computerprogramme, die zeigen ihnen jeden Tag genau an, welche Behandlungen sie in diesem Quartal noch machen dürfen, was sie auf jeden Fall noch machen müssen – sie verschenken Geld, wenn sie unter dem Schnitt der anderen bleiben – und was sie auf gar keinen Fall mehr machen dürfen. Zeigt der Computer alles an.
Also, wenn sie das nächste Mal fragen “Und Herr Doktor, was hab ich?” und der schielt so auf den Monitor…
Kein Wunder, dass die Leute von Arzt zu Arzt rennen, vielleicht hat einer was schöneres auf dem Schirm. […]
Wir machen mal ein kleines Beispiel: 16 Magenspiegelungen sind noch drin dieses Quartal. Kriegen Sie fast immer, wird ungern genommen. 7 Nebenhöhen, auf jeden Fall noch 7 Nebenhöhlen finden, egal wer kommt. Aber z.B. keine Bandscheibenvorfälle mehr, sehr beliebt im Augenblick, dieses Quartal keine Bandscheibenvorfälle mehr. […] Der erste kommt und sagt “Herr Doktor, ich habs im Kreuz.” Da ist der Tag für sie als Arzt doch schon gelaufen. Sie können auch nur noch sagen: “Tut mir leid, Bandscheibe ist aus, kriegen wir dieses Quartal auch nicht mehr rein. Aber ich sehe gerade, Rückenschmerzen sollen sehr oft von den Nebenhöhlen kommen.”
Und man müsste da als Patient ein bisschen flexibler reagieren. Überhaupt, wenn Sie heute zum Arzt gehen, nehmen Sie sicherheitshalber mal ne Ersatzkrankheit mit. Oder fragen Sie, was im Angebot ist. Vielleicht sind mal Lungen-Wochen, Leber-Tage, was weiß ich. Wenn beim Metzger Fleischwurst aus ist, nehm ich auch mal Salami. Wenn Sie was schlimmes haben, gehen Sie am Anfang vom Quartal, da ist ja alles da. […] Wenn Sie kurz vor Ultimo im Quartal mit ihrem Gallenstein kommen, und der hat nur noch Blinddarm… Da muss man sich ein bisschen arrangieren. Auch das könnte man alles kreativ umsetzen.
[…]
Werden Sie doch einfach Krankheitenmarkler. Organisieren Sie Krankheitentauschbörsen. Suche Bandscheibe – biete Nebenhöhle.”


yasar
7.6.2008 12:41
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Die Kassen behaupten doch, daß man als Kassenpasstient nicht anders behandelt werden darf als Privatpatienten (zumindest bei der Terminvergabe). Dann frag mal Deine Kasse, ob die nicht dafür sorgen kann, daß es tatsächlich so funktioniert.

PS: Manchmal hilft es jemanden in der Familie zu haben, der Privatversichert ist (z.B. eine Beamtin). Manche Ärzte behandeln dann auch den Lebenspartner zuvorkommender, wenn beide denselben Arzt haben, auch wenn einer davon “nur” Kassenpatient ist.