Feindbild Social Media
Oder: Das Gespenst von Helmut Kohl.
Ist Euch mal was aufgefallen?
Immer wenn es um die Frage geht, warum wir bei der Digitalisierung so hinterherhängen, schiebt man Helmut Kohl und Christian Schwarz-Schilling die Schuld in die Schuhe. Weil die auch nach 23 Jahren noch daran schuld sein sollen, dass wir Kupfer- und keine Glasfaserkabel im Boden haben – obwohl die Kupferkabel per DOCSIS noch immer die schnellsten Internetanschlüsse im Vergleich zu DSL bieten, und Glasfaseranschlüsse ja erst seit einiger Zeit technisch und preislich Wohnungstauglich sind. Man hatte ja sogar ein Glasfaserprojekt nach der Wende, das aber schief gegangen ist.
Wichtiger als Kabel einer bestimmten Technik zu haben wäre es, Schächte zu haben, in die man schnell und einfach neu Kabel jedweder Technik legen kann. Zum Beispiel auch Strom für E-Autos und sowas.
Warum wurden damals Koaxialkupferkabel statt Glasfaser gelegt?
Ein Grund war sicherlich, dass Kohl von Technik keine Ahnung hatte und unter Datenautobahn die normale Kraftfahrautobahn verstand.
Ein zweiter Grund sei gewesen, dass irgendein Politiker da irgendwie an den Kabeln mitverdient hätte.
Als Hauptgrund aber gilt, dass Kohl das Fernsehen zu links war und er unbedingt alternatives Privatfernsehen als Gegenpol haben wollte und normale Antennenfrequenzen die Kapazität nicht boten. Ein linkes Monopol wollte er brechen, aber ein Jeder-zu-Jeder war auch nicht unbedingt gewollt. (Es gab da neulich in einer Mediathek eine Doku darüber, die ich noch separat kritisieren werde.)
Ich habe das aber damals brühwarm mitbekommen, man hatte nämlich als Alibi-Projekt so einen „Offenen Kanal“ eingerichtet, auf dem – theoretisch – jeder senden konnte, was er wollte. Also so eine Art Youtube lange vor dem Internet. Die Sendeanstalt dafür war damals in Ludwigshafen (Kohlstadt oder Helmutgrad), und zwar schräg gegenüber meiner Schule, an der ich Abi gemacht habe, so 150 Meter weg. Da konnte sich jeder eine professionelle Fernsehausrüstung ausleihen, weil Privatleute sich damals sowas gar nicht leisten konnten, und Amateurvideokameras auch teuer und einfach zu schlecht waren. Allerdings musste man dazu eine Schulung mitmachen, um die ausleihen zu dürfen. Ich habe diese Schulung mit einem Klassenkumpel mal gemacht, das war schon richtig scharf, da mal eine Einweisung in professionelle Bild- und Ton-Technik (damaliger Stand der Technik so um 1982, 1983 oder 1984 rum) zu bekommen und mit einer Ausrüstung im Wert eines Luxuswagens oder einer einfachen Wohnung zu hantieren. Damals noch PAL analog. Man kam sich richtig professionell vor, wenn man diese große, schwere, riesige Kamera wie eine Bazooka auf der Schulter hatte, oder auf dem schweren Stativ mit Studio-Anmutung, und der zweite Mann als Tontechniker daneben mit Mikrofon. Lächerlich im Vergleich zu dem, was heute jedes Handy oder ActionCam kann.
Viel gesendet wurde aber nicht, wir haben das auch nie benutzt. Uns fehlten schlicht die Ideen, der Youtube-Zeitgeist war noch nicht da. Manchmal sendeten Leute schlechte Bilder von ihrer Familienfeier oder einer Hochzeit, was eigentlich niemanden interessierte, und die Kamera auch nur in der Ecke stand. Man hat nichts präsentiert, man hat mitlaufen lassen. Meistens lief da aber gar nichts, weil einfach kaum jemand was senden wollte. Das war einfach viel zu aufwendig und nur in Ludwigshafen zu machen, eigentlich nur ein Alibi.
Der wesentliche Punkt ist, dass Kohl damals die Hoheit über die Medienwelt erlangen wollte. Und deshalb an einem Broadcast-Medium festhielt, bei dem alle Empfangen, aber nur bestimmte Anstalten senden konnten.
Ist Euch mal aufgefallen, dass dieselben, die immer auf Kohl schimpfen, dass er die Digitaliserung versemmelt habe, heute genau dasselbe tun, indem sie per NetzDG, per Jagd auf Telegram, per Datenschutz und Medienrecht, genau dasselbe Ziel verfolgen und dieselbe Praxis anwenden?
Was kann der Staat gegen Telegram machen? https://t.co/b2tYV5tAaN #Coronavirus #Coronaleugner #Telegram #Verfassungsschutz
— tagesschau (@tagesschau) December 13, 2021
Faeser will gegen Hass bei Telegram vorgehen https://t.co/L3gfOU6Sf6 #Coronavirus #CoronaPolitik #Proteste #Querdenker
— tagesschau (@tagesschau) December 13, 2021
(Die Doku, die ich erwähnt habe, stammt wie die Tagesschau auch vom NDR)
Was aber auffällt: Die sind nur dann gegen Telegram, wenn und weil es sie selbst betrifft. Früher sah das anders aus:
Demo in Moskau gegen Verbot des Chatdienstes Telegram https://t.co/Fc9FbxMDFA #Moskau #Telegram
— tagesschau (@tagesschau) May 13, 2018
— Argo Nerd (@argonerd) December 14, 2021
Sie schimpfen auf Kohl, aber sie machen es im Prinzip genauso, aus denselben Gründen – der Regierung Medieneinfluss zu verschaffen.