Ansichten eines Informatikers

Funktionieren Ausstellungen denn überhaupt noch?

Hadmut
27.12.2021 1:07

Von der illusionären Technikgläubigkeit 1851 bis 2021.

Es gab wieder mal so ein bisschen Feedback zu den Expo2020-Bildern. Das Prinzip der Lichtinstallation oder Beamer-Präsentation kommt nicht bei jedem so gut an. Einer meinte, das hätte ihn schon bei der Expo in Hannover 2000 gestört.

Zu früheren Weltausstellungen kann ich nichts sagen, das war jetzt meine erste. Aber ursprünglich wurden die ja so ab 1851 (!) abgehalten, um die Leute über neue Erfindungen, Technik, Wissenschaft, Erkenntnisse zu informieren. Fahrstuhl, Reißverschluss, Kühlschrank, Lippenstift wurden da vorgestellt. Damals war das unheimlich wichtig, weil es ja noch keine tauglichen Medien gab. Fernsehen und Radio waren noch nicht erfunden, selbst die Fotografie steckte noch in den allerfrühesten Kinderschuhen und gerade selbst erst erfunden. 1826/27 wurde das erste Foto erstellt, noch nur schemenhaft zu erkennen und mit 8 Stunden Belichtungszeit. Als erste Abbildung eines lebenden Menschen gilt ein Foto von Daguerre von 1838. Sucht man nach Abbildungen der Weltausstellung von 1851, findet man fast nur Zeichnungen. An Zeitungsdruck mit Fotos noch nicht zu denken. Und sie hieß noch Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations. Eigentlich eine Industriemesse, also die Darstellung, was man industriell so zu bieten hat.

Vor allem: Ein viktorianisches Spektakel. Aus einer Zeit, als Dampfmaschinen, als die Stahlkonstruktionstechnik, als die Mechanik ihre große revolutionäre Zeit hatte, als das aufkam, was man heute noch als Steampunk-Stil kennt. Kennt Ihr den Film Wild Wild West mit Will Smith? Genau das war der Zeitgeist. Der Glaube, dass alles mechanisiert und mit Dampf angetrieben werde, dass Maschinen alles übernähmen.

Das Zeitalter regte allerlei Phantasie an. 1869 Jules Verne mit 20.000 Meilen unter dem Meer. Eine geradezu euphorisch-durchgeknallte Technikgläubigkeit, die allerdings nicht einzigartig war. Auch in Deutschland gab es in den 1910er bis 1940er Jahren eine solche Technikphase, die einerseits zu vielen Nobelpreisen führte, andererseits in Technikkriege wie den ersten und zweiten Weltkrieg. Und die futuristische Zukunftsgläubigkeit der USA der 1950er Jahre, die uns die Mikrowelle und so wunderbare Serien wie die Jetsons brachten.

Ein Ableger dieser Technikgläubigkeit, die da um 1850 vor allem in England herrschte, ist natürlich auch Marx mit seinem Kommunismus, der ja letztlich nichts anderes zeichnet als eine utopische Gesellschaft, in der alles von Dampfmaschinen erledigt wird und wir eigentlich nicht mehr arbeiten müssen. Was eben so rauskommt, wenn ein in Berlin zum akademischen Deppen abgerichteter Geisteswissenschaftler in diese Zukunftseuphorie gerät und dann phantasiert, dass einem alles von Maschinen geliefert werde. Marx war zuerst 1849–1864 in London im Exil. Eine interessante Frage, ob er auf der Weltausstellung 1851 war und dort dann übergeschnappt ist. Ob der da auf seine Schnapsideen gekommen ist – oder zumindest in dieser zeitlichen Entwicklung geglaubt hat, dass wir eine durchmechanisierte Gesellschaft bekommen, in der alles von selbst passiert.

Eigentlich müsste man Marx zu den Phantasy- und Technik-Zeitgeist-Romanen von Jules Verne in die Regale stellen, wie eben 20.000 Meilen unter dem Meer oder in 80 Tagen um die Welt. In 80 Tagen um die Welt von 1873 war ja auch eine Reaktion auf die Möglichkeiten durch die Technik, nachdem man den Sueskanal, Eisenbahnstrecken, Dampfschiffe gebaut hatet, Heißluftballons erfunden (erste Möglichkeit zu fliegen/schweben). Der Roman strotzt ja geradezu vor lauter Nutzungen neuer Technik, beruht ja darauf. Das Dampfschiff, das sich selbst verheizen muss, um anzukommen. Bahnreisen. Flugreisen.

Nur schaffen die Geisteswissenschaftler des 20. und 21. Jahrhundert es dann nicht, das zeitlich, in den Zeitgeist einzuordnen, dass da einfach einer im 19. Jahrhundert von der Technikentwicklung überwältigt war und das utopisch zum Phantasyroman gesponnen hat. Es hat sich eine weltweite Sekte von Bekloppten gebildet, die das für eine universelle und zeitunabhängige Gesellschafts- und Wirtschaftsanalyse halten und nicht begreifen, wie überwältigend der Eintritt in die Moderne und der rapide Aufkommen von Dampfmaschinen, Dampfloks, Dampfschiffen, Maschinen, Industrie auf einen geisteswissenschaftsgeprägten arbeitsscheuen Schwätzer wie Marx gewirkt haben muss. Schaut Euch mal die im Netz zu findenden Bilder von der ersten Expo 1851 an. Macht Euch mal klar, wie das auf jemanden gewirkt haben muss, der bis dahin nur die Feudal-, Agrar- und Muskelkraftgesellschaft kannte. Wohlgemerkt, eine Industriemesse. Aber die Kette der Deppen, die Marx für bare Münze nehmen, reißt nicht ab.

Das ist heute auf Anbieterseite längst überflüssig, weil Prospekte, Internet und so weiter das überholt haben, und das Publikum das auch nicht mehr interessiert, was das Land X jetzt gerade neu anbietet.

Klar merkt man das noch, dass das das ursprüngliche Ziel war, wenn sich etwas Baden-Württemberg dort als Industrieland darstellt oder Deutschland zeigen will, dass sie auf Umweltschutz machen. Oder wer sich als touristisches Land vorstellt. Oder wer es jetzt gar nicht so industriell haben will und eher mit seiner Kultur punkten will.

Warum aber funktioniert das heute so stark mit Licht, mit Beamern, mit bewegten Shows?

Das kann einerseits ein Transportproblem sein, weil man damit eben nicht seinen gesamten Ausstellungskram um die Welt schippern muss, sondern vielleicht einfach nur eine Medienagentur in der Nähe beauftragt und Bilder und Videos einfach hochlädt. Oder auch das Verändern vereinfacht, denn in Dubai sagten sie ja breit, dass die Expo nicht konstant sei, sondern sich laufend verändere.

Grundsätzlich ist aber die Frage, ob das Publikum überhaupt noch in der Lage und willens ist, sich so eine normale Ausstellung mit Vitrinen überhaupt anzuschauen. Man setzt sich heute hin, und lässt sich berieseln, und es muss dann bitte spektukular sein. Affengeile Naturaufnahmen, tolle Lichteffekte, satte Farben.

Ist die Wahrnehmenungsfähigkeit verkümmert? Ausgeleiert?

Oder geht es einfach darum, extern getaktet zu werden?

Denn im Prinzip ist es ein ähnlicher Effekt wie der Unterschied zwischen Presse und Rundfunk: Bei der Presse bleibt es einem selbst überlassen, in welcher Geschwindigkeit man etwas wahrnimmt, vor und zurückspringt, nachdenkt. Bei Rundfunk, Fernsehen und Radio, Video und Ton, ist die Wahrnehmungsgeschwindigkeit vorgegeben, kein Raum mehr zum Nachdenken. Man konsumiert es nur noch. Dafür hat man mehr Darstellungsmöglichkeiten. Etwas in Funktion zu sehen, in 3D, oder um etwas herumzugehen, es mit Ton zu hören, ist viel intensiver, plastischer, als es nur auf Fotos oder im Text zu sehen.

Ich hatte allerdings auch schon oft geschrieben, dass wir das Lesen verlernen. Text wird zur höheren Komplexität hin von Video verdrängt, ob nun Fernsehen oder Youtube-Videos, nach unten hin von Piktogrammen und Emojis.

Ein Problem ist die Vergänglichkeit. Zeitungen, Prospekte, Broschüren, Bücher findet man dann immer noch irgendwo. Die Präsentationen der Expo sind danach weg. Vielleicht findet man noch ein paar Fetzen auf den vielen Videos, die Leute auf Handys aufgenommen und auf Youtube hochgeladen haben. Aber grundsätzlich ist die Expo2020 eigentlich nicht fotografierbar oder auf Video aufzunehmen, weil nicht nur voller Leute, und mit enorm viel Hintergrundlärm, sondern rundum, 360°. Man kann gar nicht davor genug stehen, weil man ja nur irgendwo, aber nicht überall stehen kann.

Ich habe mir ständig überlegt, wie man das alles halbwegs brauchbar fotografieren könnte. Vor allem hat man das Problem, dass man vorher nie weiß, was einen erwartet, wo die Show ist. Im Prinzip müsste man jeden Pavillon zwei-, dreimal begehen. Einmal, um zu sehen, was darin eigentlich geboten wird, und dann noch ein, zwei, drei Versuche, das auch zu fotografieren und/oder auf Video aufzunehmen. Oder auch noch zu kommentieren. Tatsächlich gibt es zwei Pavillons, durch die ich dreimal durch bin. Einmal, um sie schlecht zu finden, und dann, um das auch aufzunehmen.

Stellt sich die Frage, wie man sowas eigentlich konserviert.

Früher konnte man einfach ein Buch machen. Text, in dem man beschreibt und kommentiert, was man sehen kann, und reichlich Fotos dazu. Fertig. War früher so üblich, dass man sich von Ausstellungen und Museen den Bildband kauft.

Inzwischen ist das zum reinen Unterhaltungsakt verkommen. Ich fand die Expo 2020 in Dubai zwar sehr gut, aber an neuen Informationen habe ich dort nichts bekommen. Es war ein reines Unterhaltungsprogramm, auch wenn das natürlich schön und nett war, dass alle Länder dort vertreten waren.

Der Punkt ist aber schon, dass von früheren Weltausstellungen manches übrig ist, Texte, Beschreibungen, oder seien es Eiffelturm und Atomium, oder die Observation Towers des New York Pavilion von 1964, bekannt als die Raumschiffe für die große Weltraumkakerlake in Men in Black. Oder der Crystal Palace von 1851, der an anderer Stelle neu aufgebaut wurde und hielt, bis er abgebrannt ist.

Was bleibt von dieser World Expo 2020?

Wo würde sie überhaupt erwähnt?

Vor ein paar Tagen wurde rumgefragt, wer ein Design für eine Berliner Bären für den Expo-Stand in Dubai einreichen will, und in Baden-Württemberg gab es Krach um die Finanzierung. Sonst hätte ich hier davon bisher nichts gehört.