Ansichten eines Informatikers

Ich wollt’, ich wäre wieder unverfroren

Hadmut
22.1.2022 16:43

Von den Nebenwirkungen des Bloggens und des Lockdowns.

Ich fürchte, ich habe es mir zu bequem gemacht.

Lockdown. Home Office. Aus dem warmen Arbeitszimmer heraus bloggen. Mal Fernsehen gucken. Mal aus dem Fenster gucken. Lang ausschlafen. Ein- bis zweimal die Woche 150 Meter zum Supermarkt pilgern. Allen sonstigen Bedarf im Internet bestellen und an die Haustür liefern lassen.

Neulich kam der Postbote so gegen Mittag und entschuldigte sich dafür, mich geweckt zu haben. Zur Erklärung sagte ich, ich arbeitete halt oft bis um vier Uhr morgens, und irgendwo müssen die 8 Stunden Schlaf ja herkommen. Lakonische Antwort von ihm: „Da steh ick uff…“

Acht Stunden schlafe er aber auch. Halt andere acht Stunden.

Ich habe allerdings zu meinem eigenen Erschrecken festgestellt, dass ich gerade gar nicht mehr raus will. Ist mir etwas zu kalt.

Ich weiß, dass ich mich jedes Jahr im Frühjahr wieder neu an die Helligkeit gewöhnen muss, ich merke tatsächlich, dass die Augen jedes Jahr etwas brauchen, bis sie sich wieder an die Sonne gewöhnt haben. Und ich mich jedes Jahr im Herbst mit den langsam sinkgenden Temperaturen auch daran wieder gewöhne. Das Fehlte diesmal mit merklichem Resultat.

Bis neulich war das ja auch alles kein Problem, bei minus 10 oder minus 15 Grad rauszugehen, zur Arbeit zu gehen. Oder mit Y-Reisen zelten zu gehen. Gerade hatte ich wieder den enormen Winter 1978 erwähnt. Damals war ich ständig draußen, und habe im Winter abwechselnd Schneemänner gebaut (aber so richtig große, bei denen man die unterste Kugel kaum noch rollen konnte) oder den Gehweg (Eckgrundstück) freigeschaufelt.

Mein Aktionsradius ist viel kleiner geworden.

Früher, in Karlsruhe, bin ich überall hin mit dem Fahrrad gefahren.

In Dresden und München oft und viel auf Skates durch die Natur. In Dresden rauf und runter an der Elbe entlang.

In Berlin war ich, naja, viel mit U- und S-Bahn unterwegs. Wenn man eine Jahreskarte hat, nutzt man sie auch. Ich habe sie aber vor einem Jahr gekündigt, weil sie sich für mich nicht mehr lohnt (und es mir außerdem auf den Sack geht, dass ich zum dummen Zahlvolk gehöre und dafür mehr zahlen muss als viele andere.

Mein Aktionsradius ist geschrumpft. Autofahren macht in Berlin auch keinen Spaß. Radfahren hat hier suizidäre Aspekte, und wenn man es überlebt, wird einem das Fahrrad geklaut. Ganz oder in Teilen. Oder zerstört. Felgen zu zerstreten ist hier sehr beliebt. War ich früher Weitreisender, habe ich die letzten 2 Jahren fast ganz in einem Radius von einem Kilometer verbracht. Was allerdings auch daran liegt, dass das Freibad, das ich Sommers aufsuche, um mich Wassers zu bewegen, auch nur 1,3 km von hier weg ist und deshalb in meinem Aktionsradius liegt.

Im Frühjahr 2021 bin ich beim ersten Frühlingstag wunderbaren Wohlfühl- und Seeleentfaltwetters 10 km zum Hauptbahnhof und zurück spaziert, um etwas abzuholen. Danach taten mir die Fußsohlen weh, weil das Bindegewebe die Belastung des Gehens nicht mehr gewohnt war. Ein Effekt, der in der Literatur von Astronauten beschrieben wird, die längere Zeit in der Schwerelosigkeit verbrachten. Auch eine Art Home Office.

Da ich nun annehme, dass – wenn uns nicht die nächste Mutation oder die nächste Pandemie oder ein Krieg in die Quere kommen – sich die Pandemie und die Beschränkungen ab dem Frühling so langsam auflösen werden, nicht nur, weil die Leute die Schnauze voll oder die Kasse leer haben und das alles nicht mehr akzeptieren, und sich warmes Sommerwetter coronavirushemmend auswirkt, was die letzten beiden Sommer ja auch belegt haben, und ich also von einer Entspannung ausgehe, habe ich mir für dieses Jahr fest vorgenommen, einiges zu reisen, viel draußen zu verbringen, da, wo es sonnig ist.

Ich muss mich dringend wieder enthomeofficifizieren.

Sobald es warm ist.