Ansichten eines Informatikers

Mein amygdala-soziales Tarnkleid funktioniert

Hadmut
16.4.2022 17:11

Anmerkungen zu Gehirn und fortgeschrittener Unsichtbarkeit.

Kleider machen Leute. Haben wir schon in der Schule mit der Novelle von Gottfried Keller gelernt.

Und es hat sich auch immer wieder bestätigt. Ich habe das früher auch im Beruf sehr oft und sehr deutlich gemerkt, dass es sehr stark von der Kleidung – und den Schuhen – abhängt, wie man von anderen Leuten eingestuft wird. Vor etwa 20 Jahren, als ich gerade so von der Uni in die Industrie gewechselt war und Kryptographie für die meisten Leuten noch eine unbekannte Welt mit sieben Siegeln war, habe ich eine ganze Reihe von Einführungsvorträgen gehalten, mal hier, mal dort, meist auf irgendwelchen Industriekonferenzen und -veranstaltungen, bei denen Kunden oder Mitglieder, etwa der IHK und sowas, an ein- oder zweitägigen Veranstaltungen mit vielen Grundlagen- und Einführungsvorträgen zu verschiedenen Themen teilnahmen, eben auch Kryptographie, Firewalls und sowas.

Dabei ist mir immer wieder derselbe Effekt aufgefallen. Man übernachtet im Hotel, geht morgens dort zum Frühstück, und dann in irgendeinen im Hotel angemieteten Raum in Konferenzkonfiguration, vorne mit Overhead-Projektor oder Beamer und Leinwand, meist noch Mikrofon und Lautsprecher, und für das Publikum Tische, Stühle, die üblichen Getränkebehälter, Schreibpapier mit Hotel- oder Veranstalterlogo, Kugelschreiber mit Werbeaufdruck. Vielleicht noch ein Bonbon oder irgendein Werbegeschenkchen. Und ein Zettel mit der Agenda. So, wie das halt immer läuft.

Nun gehe ich nicht gerne mit Anzug und Krawatte zum Frühstück, schon gar nicht, wenn ich danach vorne stehen und vortragen muss. Erdbeermarmelade auf dem weißen Hemd, Fettfleck auf der Krawatte, Tee auf der Hose, kann ich nicht brauchen. Eigentlich kann ich gesittet und unfallfrei essen, aber Ihr wisst ja, wie das so läuft, gerade wenn man irgendwelche Hotel-Päckchen mit Marmelade aufreißen muss und sowas alles. Deshalb hatte ich die Angewohnheit, in Jeans und T-Shirt zum Frühstück zu gehen und dann nochmal ins Zimmer um erst danach den Business-Kampfanzug anzulegen. So vornehm mit Weste und so.

Es ist unglaublich, wie unterschiedlich die Leuten einen behandeln. Dieselben Leute, denen man eben noch am Frühstücksbuffet begegnet ist und die entweder völlig durch einen durchgeguckt haben oder irgendwie dachten, sie seien wichtiger und hätten so ein natürliches Vordrängelrecht, weil es am Buffet nach Stand geht, sind auf einmal klein und untertänig, gehorchen aufs Wort, wenn man ihnen eine Stunde später im anderen Saal in anderer Kleidung begegnet.

Deshalb habe ich früher immer im Geschäftskontakt natürlich Anzug, Krawatte und sowas alles getragen.

Irgendwann war mir das dann aber auch zu blöd. Aber es hat sich immer sehr deutlich gezeigt, dass die Kleidung, die äußere Erscheinung, enorm viel damit zu tun hat, wo die Leute einen einordnen, auf welcher Sozialstufe sie einen sehen, und wie sie einen dann behandeln. Ich mache da schon lange nicht mehr den Maxen, sondern geben mich im Gegenteil gezielt unauffällig. Es hat sich bei vielen Gelegenheiten gezeigt und schon oft bewährt, die Kunst zu beherrschen, unsichtbar zu werden, so ein Nobody zu sein, dass die Leute einen nicht wahrnehmen. Und das ist nicht vereinbar damit, den Platzhirsch und Alpharüden zu geben.

Ich hatte mal einen Kollegen, der in seinem früheren Berufsleben bei der Telekom im Außendienst war. Der sagte, verschlossene Türen gab es für ihn nicht. Wenn man mit einem Telekom-Auto ankommt und eine Telekom-Jacke anhat und noch einen Werkzeugkoffer dabei, sagt zwar niemand Guten Tag zu einem, aber keine Tür kann einem widerstehen. Jeder macht einem auf, man kommt überall rein.

Es ist ein bekanntes Problem, dass sich viele Gauner Zugang verschaffen, indem sie sich als Mitarbeiter von Telekom oder sowas ausgeben.

Es ist übrigens ein famoser Trick, wie man zur Sicherheitsuntersuchung in ein gut gesichertes Gebäude reinkommt: Man braucht eine Leiter. Nicht etwa, um etwa irgendwo hoch zu steigen, das würde ja auch auffallen. Einfach nur, um sie auf der Schulter mit sich zu tragen. Weil dann jedem klar ist, dass man damit nicht durch die Vereinzelungsanlage passt und sie einem die Tür aufmachen. Datenträger und Notebooks trägt man niemals in einer Aktentasche, sondern entweder ganz offen in der Hand oder im Hilti-Koffer mit Gebrauchsspuren, je nachdem, was zur eigenen Erscheinung besser passt.

Ich bin schon an Sicherheitspersonal vorbeigelaufen, indem ganz gewöhnlich und normal „Guten Tag“ gesagt habe. Sie haben mir auch einen guten Tag gewünscht.

Ich habe mal einen Sicherheitsvorfall untersucht, bei dem sich zwei Personen unbefugt Zutritt zu einer Firma verschafft hatten. Sie kamen als Klempner, um ein kaputtes Waschbecken zu reparieren. Und die Putzfrauurlaubsvertretung machten ihnen sofort auf, weil man sich unter Handwerkspersonal ja gegenseitig hilft – obwohl kein Waschbecken kaputt war und die Putzfrau das sogar wissen musste, weil sie sie ja putzt. Die Sache stellte sich als harmlos heraus, die beiden waren echt und ehrlich, nur im falschen Haus. Zahlendreher bei der Hausnummer. Aber so leicht kamen sie an jeder Zutrittskontrolle vorbei.

Ich weiß von einem anderen Fall, in dem es zu einer Reihe von Diebstählen in einem gut gesicherten Büro- und Rechenzentrumsgebäude kam. Man installierte versteckte Überwachungskameras und spitzte ein paar Leute an, unaufällig aufmerksam zu sein, und man fing den Dieb und konnte ihn auf frischer Tat und mit mehreren Kameraaufnahmen überführen. Sah aus wie ein Geschäftsmann, Anzug und Krawatte, war aber tatsächlich nur ein Junkie auf Beschaffungskriminalität, der sich tagsüber zusammenklaute, was der abends zum Drogenkauf brauchte (-> Endlosschleife). Deshalb hatte der auch keine wertvollen Geräte, sondern immer überschaubare Bargeldbeträge aus dem Geldbeuteln geklaut. Wie aber war der da reingekommen? Als man die Mitarbeiter informierte und ihnen die Bilder zeigte, waren manche baff. Das sei doch ein Kollege, der arbeite doch hier. Wie sie darauf kämen, fragte man.

Die Leute hatten die Angewohnheit, gemeinsam Mittag essen zu gehen und anschließend nach dem Rückweg und auch sonst zu halbwegs festen Zeiten ihre Raucherpause vor dem Gebäudehintereingang – Mitarbeitereingang, Lieferantenzugang und Notausgang – abhielten. Da stand der immer mit dabei und hat sich mit den Leuten unterhalten und ist dann einfach mit reingegangen. Der hatte sich nicht versteckt reingeschlichen, der war ganz offen reingegangen. Die Amygdala war darauf trainiert worden, ihn als Rudelmitglied anzusehen und nicht als Fremden.

Eine Frau, die mal in der Event-Branche arbeitete, erzählte mir, dass genau das ein enormes Sicherheitsproblem sei. Es gäbe eine Masche, wie man an nahezu jedem Wachpersonal vorbei käme. Würde man geradewegs Richtung Eingang marschieren, würde man sofort angehalten und die Berechtigung überprüft, und in Ermangelung derselben der Zugang verweigert. Man habe aber durch Analysen, Überwachungskameras und so weiter herausgefunden, dass manche Leute ein bestimmte Masche anwenden, die verblüffend gut funktioniert. Sie gehen nicht genau in Richtung Eingang, sondern stellen sich wie unbeteiligt gut sichtbar direkt neben den Eingang und warten da. Halbe Stunde. Ganze Stunde. Oder so. Und dann gibt man das Warten auf, als ob es nichts gebracht habe, und geht am Personal vorbei einfach rein, als ob man rein gehöre. Amygdala hat sich an ihn gewöhnt und ihn nicht mehr als fremd angesehen.

Der parasoziale Effekt. Der, weshalb Nachrichtensprecher, Schauspieler und so weiter eine höhere Glaubwürdigkeit haben. Weil die per Fernseher ständig bei uns in der Wohnung sind und beim Abendessen mit dabei sitzen, dem Hirn also als eine Art Familienmitglied bekannt sind, und das Gehirn darauf ausgelegt ist, Rudelangehörigen mehr Glauben zu schenken und weniger Zweifel entgegenzubringen als Fremden.

Im Grundwehrdienst hatte ich so häufig Wache schieben müssen, dass ich dann – obwohl nur Wehrpflichtiger und nur Obergefreiter – „stellvertretender Wachhabender“ war. Mittagspause, beide Vorgesetzten (Wachhabender und OvWa) beim Mittagessen, ich gerade höchster Dienstgrad und damit für eine halbe Stunde Chef von det janze. Weil gerade noch hohes Verkehrsaufkommen war und der am Tor nicht nachkam, hatte ich dem geholfen und eine der beiden Richtungen kontrolliert. VW-Bus will rein. Der Fahrbefehl passte aber nicht zum Fahrzeug und am Ausweis war auch irgendwas nicht in Ordnung, abgelaufen oder sowas. Also hielt ich den an und sagte, dass das nicht stimmt. (Man hatte uns mal vorgewarnt, dass es Sicherheitskontrollen geben würde, ob wir auch aufpassen, weil es einige echte Vorfälle gegeben hatte.) Glückwunsch, sagte der, ich hätte die Sicherheitsprüfung bestanden. Und wollte losbrausen, reinfahren. Den habe ich (schon in der Vermutung, dass es eine Sicherheitsüberprüfung war, aber gerade deshalb) mit gezogener Waffe angehalten, aus dem Auto geholt, in die Gefängniszelle in der Wache eingebuchtet, und – als Obergefreiter – dem Kasernenkommandanten zackig den abgewehrten erfolglosen Angriff und die erfolgreiche Festnahme gemeldet. Zwei Minuten später der ganze Offizierszirkus mit Sicherheitsbeauftragtem, Kasernenkommandanten, Kommandeur und so weiter alle an der Wache, den deutlich verstörten Typen aus der Zelle geholt. Der sei echt, es war eine Sicherheitsüberprüfung, wieso ich den denn festgenommen habe, er habe doch gesagt, dass es eine Sicherheitsüberprüfung sei. Ja, sagte ich, das kann jeder sagen, wenn er erwischt wird. Der Ausweis war faul, der Fahrbefehl war faul, er hat es vorsätzlich versucht, richtige Papiere hatte er nicht, und dann noch versucht, mich zu überrumpeln. Ergo: Eingebuchtet. Nicht mit Danisch. Sie meinten nach Beratschlagung, da hätte ich völlig recht. Das Verfahren müsse man ändern. Ich wäre der erste, dem das nach Jahren aufgefallen sei, dass wenn man mit falschen Papieren angehalten wird, einfach nur „Glückwunsch! Bestanden!“ rufen muss, damit sich alle freuen und einen durchlassen, ohne dass man auch richtige Papiere haben muss. Weil dann die Amygdala Erleichterung meldet, der sei ja vom eigenen Rudel und man habe sich gerade rudelkonform wohlverhalten und sein Lob bekommen.

Mein Tarnkleid

Wie schon oft im Blog beklagt: Ich finde die Winterkleidung, die in diesem Lande für Männer angeboten wird, katastrophal. Schwarz. Dunkelschwarz. Mittelschwarz. Mildschwarz. Dunkelgrau. Dunkelanthrazit. Dunkeldunkelblau. Dunkelbraun, das noch nachdunkelt.

Im Straßenverkehr praktisch unsichtbar. Gerade dann, wenn man im Stadtverkehr noch durch jede Menge anderes Licht, Gegenverkehr und so weiter, ja, nicht mal geblendet wird, sondern einfach davon abgehalten wird, sich auf Dunkelheit zu adaptieren und die Leute in den Kontrastumfängen völlig absaufen, sieht man die Leute dann einfach gar nicht mehr, obwohl sie dann einfach quer über die Straße laufen. Kategorie Selbstmörder. Da laufen Leute einfach über die Straße, an denen einfach alles schwarz ist, die man je nach Situation kaum oder gar nicht sehen kann. Vor allem die Öko-Generation, die selbst nicht Auto fährt. kriegt das überhaupt nicht mit, wie unsichtbar oder schwer erkennbar sie sind. Die denken immer, wenn sie das Auto sehen, müsste das Auto sie ja auch sehen, zumal das ja Scheinwerfer hat. (Das inverse Vogel-Strauß-Syndrom „wen ich den nicht sehe, sieht der mich auch nicht“)

Helle Winterkleidung, weiß, creme, rot und so weiter gibt es fast nur für Damen. Ich habe mal in Kaufhäusern gefragt, warum das so ist. Sie wissen es nicht. Das mache halt der Einkauf. Und ja, da säßen nur Frauen. Frauen stecken Männer in dunkelste Wintermäntel und Frauen in die auffälligen, hellen Sachen.

Wie mir das gerade mal wieder zu blöd war und ich auch mal bei Metro geguckt habe, ob die irgendwas für Männer oberhalb von Hellschwarz haben (hatten sie nicht, dafür knallig gelbe Mäntel für Damen) und schon aufgegeben hatte, kam ich auf dem Weg zur Kasse zufällig an der Ecke mit der Arbeitsbekleidung vorbei. Und dachte mir: Das ist es! So soll es sein!

Und habe mir eine Winterjacke in Warnschutz-Gelb fluoreszierend mit Reflektorstreifen-Applikationen gekauft, noch dazu deutlich günstiger als die zivile Wintermode. Man sieht damit zwar aus wie ein Bauarbeiter oder Brückenbauingenieur, aber man wird gesehen. Und weil sie nebendran noch eine sehr günstige, aber sehr gut verarbeitete Softshell-Jacke hatten, die dann noch signalgelb-/signalrot gemischt und mit Reflektormustern übersät war, dachte ich, nehme ich die auch gleich mit. Trägt sich übrigens sehr, sehr angenehm.

Auch an finsteren Dezemberabenden wird man damit auf der Straße gesehen. Signalfarben plus Reflektorstreifen, mehr geht nicht ohne Stromvesorgung für Lampen und Hupen.

Aber, ach.

Das funktionierte zwar mit der Sichtbarkeit im Straßenverkehr, wie ich mir das vorgestellt habe, eigentlich noch besser, weil die Jacken regelrecht leuchten, wenn die Dämmerung so ist, dass der UV-Anteil relativ hoch ist und deshalb das UV-reaktive Material gut wirkt, aber ansonsten nimmt einen kein Mensch mehr wahr.

In dem Moment, in dem man nach Arbeiter aussieht, verschwindet man aus der Wahrnehmung. Die Leute gucken einfach durch einen durch, als wäre man nicht da.

Sie sehen einen zwar besser als Hindernis, aber nehmen einen nicht mehr als Menschen wahr. Man kommt irgendwie auf die Ebene des Versorgungssystems. Wie einen Hydranten. Man passt auf, dass man sich keine Beule ins Auto fährt, aber Guten Tag sagt man dazu nicht.

Dafür wollte man mir in einem Einkaufszentrum im Fresstempel an der Kasse automatisch den Mitarbeiterrabatt geben. Nur weil ich irritiert rückfragte und auch nicht betrügen wollte, fiel das auf. Die dachte, wer im Einkaufszentrum mit so einer Jacke rumläuft, muss zum Instandhaltungstrupp gehören.

Als ich mir die Jacken, noch deutlich vor der Pandemie, gekauft hatte, begab es sich, dass ein Kollege aus einer anderen Stadt, den ich nur gelegentlich sah, sich aus denselben Überlegungen heraus, völlig unabhängig von mir, auch so eine Jacke gekauft hatte. Anderer Hersteller. Wir sind uns auf dem Gang begegnet und haben erst mal gelacht und uns gegenseitig zum erlesenen Geschmack gratuliert. Der bestätigte aber denselben Effekt, sei ihm auch schon aufgefallen:

Über die Straße zu gehen ist deutlich weniger gefährlich, aber gesellschaftlich ist man einfach weg. Wie abgeschaltet. Die Leute nehmen einen nicht mehr wahr. Es ist eine Tarnjacke, nicht nur obwohl, sondern gerade weil sie so hochgradig auffällig ist. Man verortet sich damit in der Gesellschaftsschicht Bauarbeiter, und *schwups* Verschwindibus, ist man einfach weg. Im Hirn unsichtbar geworden. Vermutlich von der Amygdala als gesellschaftlich irrelevant ausgefiltert. Nur die Versorgungsebene der Gesellschaft.

Der fand das natürlich gut, weil er a) auch so ein Security-Heini ist und b) die Jacke ja nach Belieben an und ausziehen kann. Ihm sei auch schon aufgefallen, dass man damit einfach reinlatschen kann, wo man sonst nicht rein darf.

Wie ich jetzt darauf komme?

Ich war gerade in einem Supermarkt.

Also, eigentlich nicht im Supermarkt drinnen, sondern nur an der Bäckereitheke im Eingangsbereich. Längere Schlange. Ich hatte mich angestellt. Und hatte besagte Softshelljacke an. die ganze Jacke Textmarker-Leutgelb mit Feuerwehr-Notfall-roten Aufsätzen (Schultern, Ellenbogen und so) und jede Menge Reflektorstreifen. Auffälliger kann man nicht sein ohne Strom zu verbrauchen.

Direkt hinter mir in der Schlange stand die ganze Zeit eine Frau, ich also in deren unmittelbarem Blickfeld. Mehrere Minuten.

Irgendwann war ich dann der erste in der Schlage und dann dran und wollte gerade bestellen, als mir auffällt, dass der Verkäufer nicht mich, sondern die Frau ansah, mit ihr Sprach, mich dabei überging und die Frau zu bestellen anfing, als ob sie an der Reihe wäre.

Ich so mit etwas erhobener Stimme im verärgerten Beschwerdeton: „Entschuldigung, aber ich bin erst mal dran! Vordrängeln geht nicht!“

Der Verkäufer guckte mich an, als wäre ich ein Geist, der gerade eben direkt vor ihm aus dem Nichts aufgetaucht ist (und genau das war ich wohl aus Sicht seiner Amygdala auch, ein Gegenstand, der auf einmal spricht), und die Frau sagte entgeistert zu mir:

„Entschuldigung … ich habe Sie nicht gesehen.“

Sie hat mich nicht gesehen.

Ich stehe minutenlang in höchster Auffälligkeit direkt vor der Nase der Frau, und sie hat mich nicht gesehen.

Und das Verrückte daran ist: Ich glaubte ihr das sofort, habe keinerlei Zweifel daran, sondern mir auf dem Heimweg darüber sogar eins gegrinst. Obwohl ich die ganze Zeit direkt vor dieser Frau stand und das auffälligste Ding weit und breit war, konnte sie mich nicht sehen, weil ich eine Tarnjacke anhatte.

Keine optische Tarnjacke.

Eine soziale Tarnjacke.

Eine Amygdala-Tarnjacke.

Bei beiden, Verkäufer und Frau, war ich völlig aus deren Umgebungswahrnehmung des Sozialgefüges, der Position von Freund und Feind im Rudeldenken, herausgefallen.

Ich hatte schon beschrieben, warum Diversität nicht funktionieren kann. Dass es in einer Gruppe von Männern einen Riesen-Unterschied macht, ob noch ein Mann oder die erste Frau ins Zimmer kommt, weil damit das Gehirn sofort anfängt, das andere Rudelverhaltensprogramm zuzuschalten und ständig das Verhalten anzupassen. Und Frauen bestätigten mir schon, dass das umgekehrt genauso sei. Weil das Hirn ständig überwacht, permanent registriert, wer und was in der Umgebung um einen herum ist. Ich vermute, dass die bloße Anwesenheit einer Frau in einer Männergruppe durch die Hirnaktivitäten mehr Arbeitsleistung verbraucht, als sie dann selbst an Arbeitsleistung beitragen kann.

Die grellgelbe Arbeitertarnjacke scheint das Gegenteil zu bewirken.

Anscheinend markiert man sich damit mit Symbolen und Signalen (und ich hatte ja schon den Zusammenhang mit Symbolen und der Beeinflussung der Freund-Feind-Kennung in der Amygdala über die Mustererkennung beschrieben, wie sie bei Tribe-Zeichen, den Hakenkreuzen, den Antifa-Flaggen und den LGBTI-Regenbogenflaggen passiert) als Angehöriger einer niedrigen Kaste, der versorgenden harmlosen Arbeiterklasse, die Kanalrohre legt. Und das anscheinend mit hoher Priorität. Wie der laut tickende mechanische Wecker, den man irgendwann nicht mehr ticken hören kann.

Und anscheinend wir man damit direkt in der Amygdala aus der Wahrnehmung des Sozialgefüges und der Freund-Feind-Bedrohungslage um einen herum ausgefiltert wie ein Feuerlöscher an der Wand.