Ansichten eines Informatikers

Vom Sterben der Mathematik

Hadmut
31.5.2022 21:13

Der einzige Rohstoff, den Deutschland einst hatte, waren Wissen, Können, die Qualität der Ausbildung.

Hat man so abgeschaltet wie Kernkraftwerke. [Update]

Mir schreibt einer von einer deutschen Uni:

Sehr geehrter Herr Danisch,

ich betreue seit einigen Jahren Studenten der Mathematik, insbesondere auch regelmäßig Studenten im ersten Semester. Ich kann ohne Übertreibung berichten, dass die Studenten immer dümmer werden. Mein [anonymisiert] promoviert nach einem Mathematik Studium nun in Wirtschaft. Der Lehrstuhl ist ziemlich gross und dementsprechend gibt es viele Doktoranden. Die können aber alle nichts, mathematisch schon gar nicht, deswegen hat der Professor zuletzt wohl nur noch Mathematiker eingestellt. Die Wirtschafts-Studenten sind den Aussagen meinex[anonymisiert] nach noch dümmer als die Mathematik-Studenten. An anderen Lehrstühlen sieht es auch nicht besser aus, bei den Ingenieuren etwa bekommen die Studenten mittlerweile vor der Klausur! die Mathe-Klausuren mit abgeänderten Werten zum lernen und fallen trotzdem reihenweise durch, der Lehrstuhl dort soll wohl in Panik sein, anscheinend wurde das finanzielle Modell dahingehend geändert, dass die Fakultät nun nicht mehr pro eingeschriebenem Studenten Geld bekommt, sondern pro Student der die Klausur besteht.

Mit freundlichen Grüßen

Ja.

Nun waren die Wirtschaftswissenschaftler schon immer ein bisschen unterbelichtet. Als ich, weiß nicht mehr ganz genau, im dritten oder fünften Semester war, bekamen wir an der Uni für viel Geld einen neuen Rechenkeller mit den Rechnern für die Übungen: Riesiger Saal voller Arbeitstische mit Apple Macintosh II, die damals die alten Apple II-Rechner ersetzten. Irgendwo zirkuliert sogar noch die alte Einführung in den Gebrauch, den ich als Tutor damals für die Uni geschrieben habe und die alle Studies da bekamen (Was ist eine Diskette? Wie benutzt man sie? Wie schaltet man einen Computer ein?). Dieselbe Fakultät, die mich später als für alles zu blöd hinstellen wollte, hatte jahrelang meine Einführung für den Rechenkeller verwendet.

Und da standen diese Mac II nun in den Tischreihen, immer Rücken-an-Rücken aufgestellt. Und damals ganz, ganz neu und futuristisch: Die Maus. Allerdings mit langem Kabel immer auf der Rückseite des Rechners eingestöpselt. Und das viele, viele Geld dafür gab es nur, wenn der Rechenkeller beiden, Informatikern und Wirtschaftswissenschaftlern, zur Verfügung steht. Wir mussten uns die also mit denen teilen, nach Zeitplan. Mal die, mal wir. Selten beide zusammen. War auch besser so, weil die sich allen Ernstes einbildeten, sie hätten von Rechnern mehr Ahnung als Informatiker. Und das dann schon im ersten oder dritten Semester, weil sie teurer gekleidet waren.

Nun kamen die immer sehr hochnäsig, mit Krawatte und feinem Köfferchen, ein Witz, und guckten immer herablassend auf Informatiker in Sandalen und kurzen Hosen herab, hielten sich für was Besseres, waren aber effektiv doof wie Besen. Als die neuen Rechner nun da standen, haben wir uns mal den Spaß erlaubt, die zu verarschen, in der Pause zum Lüften, als die Informatiker schon draußen waren und die Wirtschaftsheinis noch nicht drin, die Mäuse alle zu überkreuzen. also immer von zwei Rechnern, die auf den Tischreihen Rücken an Rücken standen, so auszutauschen, dass man immer die Maus des jeweils anderen Rechners hatte. Und blieben unter Vorwand noch drin, irgendwas am Schrank, an den Druckern machen.

Jetzt kamen die wieder an, taten wieder so, als könnten nur sie mit dem Rechner umgehen, als wären sie die Besten, uns zeigen, wie das geht, wussten aber noch nicht, wie eine Maus funktioniert. Die probierten das aus, aber die Bewegungen des Mauszeigers hatten überhaupt nichts damit zu tun, wie sie die Maus bewegten, weil ja immer die des anderen angezeigt wurde. Jeder mit Verstand würde es merken, aber die saßen lange, Viertelstunde oder so, eigentlich verzweifelt vor den Rechnern, weil die völlig irrsinnig reagierten und nicht kontrollierbar machten, probierten verzweifelt mit den Mäusen rum, taten dabei aber so, als gehörte das so und als hätten sie alles unter Kontrolle. Keiner traute sich, zu fragen oder zuzugeben, dass sie damit nicht klarkommen. Und wir standen daneben und haben uns schier was abgebissen vor Lachen. Sie haben es aber nicht mal verstanden, als wir den Hoax aufgelöst haben, weil sie nicht mal dann verstanden hatten, dass die Maus was mit dem Rechner zu tun hat, in den sie eingestöpselt ist, dass also vorher was falsch war.

Aber im Ernst. Sowas kenne ich auch aus der Industrie. Ich habe viele Jahre lang eine immer gleiche DevOps-Schulung gehalten, immer dieselben Folien. Deshalb ein guter Vergleich.

  • Zuerst hatte ich welche, die das mit der ssh alle schon wussten.
  • Dann hatte ich welche, die ssh kannten, denen ich aber das Ding mit dem Authentication Daemon und dem Forwarding kurz erklären musste.
  • Dann die, denen ich es lang und ausführlich erklären musste.
  • Dann die, die denen ich erklären musste, was eine ssh überhaupt ist und macht.
  • Dann einige, denen ich das in definierter Zeit nicht mehr vernünftig erklären konnte und die Teams anwies, dass sie das den Leuten erst mal beibringen sollen, bevor sie zu mir kommen.
  • Dann die, die nicht mehr verstehen konnten, was eine Verschlüsselung ist.

Ich hatte in der Schulung immer eine Kontrollfolie drin, auf der etwas stand, was nicht möglich war, um zu sehen, ob die Leute aufpassen und widersprechen, oder schlafen. Ssh-Verbindung von Rechner A zu Rechner B, und mittendrin hängt Rechner C an der Leitung und protokolliert die Befehle mit. Nur sehr selten kam die Frage, wie das gehen soll, wenn’s doch verschlüsselt ist. Die meisten haben es dann gemerkt, wenn ich es angesprochen habe. Schaut mal, ist das so möglich? Denkt mal drüber nach.

Schließlich hatte ich dann auch Leute, die nicht mal dann, wenn ich ihnen den Sachverhalt erklärte, noch verstanden, was ich damit sagen will und warum das nicht gehen soll, weil sie nicht verstehen konnten, dass „verschlüsselt zwischen A und B“ bedeutet, dass C mittendrin nicht mithören kann. Leute, denen man nicht mehr innerhalb einer regulären Schulung erklären kann, dass „verschlüsselt“ bedeutet, dass einer nicht mitlesen kann. Und dass sie deshalb verschlüsseln müssen. „IT-Fachkräfte“.

Leute, die gut darin waren, irgendwelche Cloudprodukte zu konsumieren, indem sie auf einer Webseite irgendwas klickten. Die wissen, wie man es bestellt, aber nicht, wie es funktioniert.

Viele sagen, das mache doch nichts, so sei die IT heute eben. Man müsse das nicht mehr alles durchverstehen, sondern wissen, wie man es wo als Dienstleistung bestellt. IT-Einkäufer statt IT-Fachkräfte.

Cloud-Computing heißt, innerhalb kurzer Zeit die Maschine bestellen zu können.

Aber das politische Konzept geht davon aus, dass wir in Zukunft das Bruttosozialprodukt damit erwirtschaften, dass wir uns gegenseitig bedienstleisten.

Mir ist beim besten Willen nicht klar, wie dieses Land dann in 10, 20 Jahren mal funktionieren soll, wenn die Boomer alle weg sind.

Update: