Ansichten eines Informatikers

Zuschrift eines jungen Lesers

Hadmut
18.7.2022 13:50

Auch mal die Sicht der anderen Seite.

Ein jüngerer Leser schreibt mir:

Moin Herr Danisch,

ich habe gerade den Beitrag eines Boomers gelesen, auch wenn ich vielen Teilen zustimme, so fehlt mir die Seite der jüngeren Generation in seinem Verständnis.

Nach meinen eigenen Erfahrungen und die meiner Freunden wird man immer wieder vom Chef wie Scheisse behandelt, während dieser gleichzeitig für geringen Lohn viel Leistung verlangt. Ich will nicht sagen, die Erfahrungen des “Boomers” sei falsch, aber interessant wäre es zu erfahren wie die Vergütung aussieht.

Desweiteren ist es üblich, dass Fleiß durch Zusammenhalt entsteht. Meine Generation hat nie diese Erfahrung machen können. Der einzige tribalistische Aspekt in dem sich meine Generation auslebt, ist durch Aufhetzung globaler Konzerne gegen Andersdenkende. Wie soll so also eine gesunde “work ethic” etablieren.

Da stellt sich nun die Frage, wenn die 80er Generation einen Markt erzeugt hat, die Arbeitskraft als Dienstleistung sieht (anders als die Boomer Generation, die ihren Arbeitsplatz als Teil der Familie sieht, wie auch im Beitrag leicht angedeutet), warum sollten dann die jüngere Generation Mehrarbeit leisten, wenn immer ein Gefühl von Austauschbarkeit erzeugt wird?
Kein Mensch ist bereit für 25€ zu arbeiten, wenn er 15€ erhält.

Um ein Beispiel zu nennen, es geht nicht auf meiner Generation ins Gesicht zu sagen; ihr werdet keine Rente erhalten, dürft aber weiterhin ins kaputte System einzahlen. Während Steuerlasten so hoch sind wie noch nie und eine private Vorsorge unmöglich wird.

Von Outsourcing und Privatisierung jeglicher Gegenleistung ganz zu schweigen.

Während wir in der Schule waren, war schon klar, dass in uns nicht sonderlich reinvestiert wurde. Ein marodes kaputtes Schulsystem ist nicht erst seit Corona eine bekannte Problematik.

Muss man sich mal vorstellen, ein Dienstleistungsland spart an der Schulbildung und beschwert sich über eben jene Symptome.

Eine gewissen Missbilligung der Politik unserer Generation gegenüber war schon immer zu spüren. Wer nun verwundert ist, dass meine Generation einen dämmlichen Rattenfänger wählt und sich diesem System verwehrt hat eventuell sich nie auf die Millenials und Zoomer eingelassen.

Aus unserer Sicht ist es so, dass “der” Boomer sich breit gemacht hat und nun nichts abgeben will, aber weiterhin erwartet an einem kaputten System, geschaffen von der Generation X, teilhaben zu müssen.

Ist auch meine persönliche Erklärung warum mit den Millenials Begriffe wie Boomer, Zoomer erfunden wurden. Ein Bedürfnis der Abgrenzung(Tribalismus).

Es ist wie verwundert zu sein die Schlacht zu verlieren, wenn die Moral einer Armee im Keller ist.

Das Kind ist schon vorher in den Brunnen gefallen und nur die Symptome sind nun für alle sichtbar geworden (Danke Merkel).

Uns wurde von klein auf erzählt wir werden nicht am Reichtum teilhaben dürfen, sondern dieser ist den Boomern und late Gen x vorbehalten.

Warum also sich abrackern?

Unterlegt mit einem Hinweis auf die Studie Generational Differences in Work Ethic: An Examination of Measurement Equivalence Across Three Cohorts, die die Unterschiede in der Arbeitsethik vergleicht.

So ganz würde ich dem aber nicht zustimmen. Denn ich glaube nicht, dass die Boomer-Generation „sich breit gemacht hat, nichts abgeben will, erwartet teilhaben zu müssen“. Ich halte das für objektiv falsch. Denn die Boomer waren zwar sehr fleißig und arbeitsam, aber ich höre von denen gerade ausnahmslos, dass sie eigentlich raus und nicht mehr teilhaben wollen. Eher „Sollen sie ihren Scheiß alleine machen“.

Ich kenne keinen einzigen Boomer persönlich und habe auch keinen unter den Lesern, der sagt, oh, ich arbeite bis 67 und noch viel mehr, weil mir das so gut gefällt. Die wollen gerade alle raus und weg.

Und meine Generation war auch noch regelrecht „schulungsgeil“ in der Hinsicht, dass wir unser Wissen organisiert, dargestellt und systematisch weitergegeben haben. Und es gibt unzählige Inhaber von kleinen, mittelständischen Betrieben oder Arztpraxen, die händeringend Nachwuchs, Nachfolger, junge Geschäftsführer suchen, um eben das, was sie geschaffen haben, die Werte, zu übergeben. Und niemanden finden. Und nur deshalb sagen, dann machen wir eben dicht.

Ich glaube, dieser Vorwurf, dass die Boomer sich breit gemacht hätten und nichts abgeben wollten, der ist verfehlt und nicht haltbar. Denn wir waren hochgradig kooperativ, teamfähig, teamorientiert. Und faktisch versuchen die Boomer ja gerade praktisch überall, rauszukommen, abzugeben, zu übergeben.

Vielleicht ist das aber ein Selbstmitleid der jungen Generation, everybody’s victim zu sein. Immer irgendeine Ausrede, irgendwen haben, der schuld an allem ist. Immer diese Erwartungshaltung, „gleichgestellt“ zu werden ohne selbst etwas geleistet zu haben. Man kann nicht 20, 30 Jahre später kommen und dann erwarten, gleich als gleichwertig dazustehen, nur weil man von kleinauf eingetrichtert bekam, dass alle gleich, gleichwertig, gleichzubezahlen sind. Es gab früher mal diesen Spruch „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“. Da ist was dran.

Selbst wenn man aber mal annimmt, dass die Boomer wirklich so wären – folgte daraus eben nicht das Verhalten, das die jüngere Generation an den Tag legt, sondern im Gegenteil. Denn auch der jüngeren Generation müsste klar sein, dass die Boomer, egal wie fies und drakonisch sie seien, in spätestens 5 bis 10 Jahren weg sind.

Und dann?

Stell Dir vor, Du suchst die Schuld immer bei anderen. Und bist alleine.

Wenn wollt Ihr denn mit Euren Ausreden und Schuldzuweisungen noch beeinflussen, wenn außer Euch keiner mehr da ist?

Das wäre uns Boomern nicht passiert.