Das Paris-Syndrom
Das dann auch noch – aber eigentlich wundert mich das nicht.
Das Berlin-Syndrom wird aber wüster.
Leser haben mich zum diversitätsfreien cleanen Frankreich-Werbe-Manga auf etwas hingewiesen.
Manche meinen, dass Frankreich inzwischen so runtergekommen, kriminell, durchwandert und verdreckt sei, dass man schon Zeichentrickfilme braucht, um es noch positiv darstellen zu können, mit Kameras ginge das nicht mehr. Man riet mir durchaus, Frankreich zu bereisen, aber nur ein einziges Mal und ohne Wertsachen, damit man es mal gesehen hat.
Andere wiesen auf das sogenannte „Paris-Syndrom“ hin, das wohl zuoberst Japaner zu ereilen scheint.
Ein Paris-Syndrom, das Japaner ereilt. Was ist das?
Die allwissende Müllhalde klärt uns auf:
Als Paris-Syndrom (französisch syndrome de Paris, japanisch パリ症候群 Pari shōkōgun) wird eine vorübergehende psychische Störung bezeichnet, die meist Japaner beim Aufenthalt in Paris trifft. Es handelt sich um ein kulturgebundenes Syndrom, das ähnlicher Natur ist wie das Stendhal- und das Jerusalem-Syndrom, nicht jedoch um eine anerkannte Diagnose (nach ICD-10 oder DSM-IV). Als Auslöser des Paris-Syndroms gilt die starke Differenz zwischen der Erwartungshaltung der Touristen und der Realität der Stadt. […]
Die Grundlage des Begriffs Paris-Syndrom (Pari shōkōgun) lieferte der in Paris arbeitende japanische Psychiater Hiroaki Ota, der 1991 das Buch Pari shôkôgun veröffentlichte und schon 1986 die ersten Personen mit dem Syndrom diagnostizierte.[1][2][3] Youcef Mahmoudia, Arzt am Hôtel-Dieu de Paris, kam zu dem Schluss, das Paris-Syndrom sei eine psychopathologische Manifestation, die eher mit der Reise als mit dem Reisenden verbunden sei.[4] Seiner Theorie nach bringt die Aufregung, die der Besuch in Paris auslöst, eine Erhöhung der Herzfrequenz mit sich, was zu Kurzatmigkeit und Schwindelgefühlen führt, wodurch Halluzinationen ähnlich dem Stendhal-Syndrom entstehen.
Das Paris-Syndrom ist durch einige psychische Symptome gekennzeichnet: akute Wahnzustände, Halluzinationen, Verfolgungswahn (Wahrnehmung, ein Opfer von Vorurteilen, Aggression oder Anfeindung durch andere zu sein), Derealisation, Depersonalisation, Angst sowie psychosomatische Manifestationen wie etwa Schwindel, Tachykardie oder Schwitzen.[5]
Die Ausprägungen unterscheiden sich. So berichtete Yoshikatsu Aoyagi, Konsulatschef der japanischen Botschaft in Paris, im Oktober 2006 von zwei Frauen, die glaubten, ihr Hotelzimmer sei verwanzt und gegen sie sei eine Verschwörung gerichtet; einem Mann, der der Überzeugung war, er sei Ludwig XIV., und einer Frau, die glaubte, sie werde mit Mikrowellen attackiert.[6] […]
Laut Ota sind vor allem japanische Frauen in ihren Dreißigern betroffen.[8][2] Das Syndrom ist nicht auf Touristen beschränkt: In einem Artikel aus dem Jahr 2005 erwähnte Ota, dass 73 % der Patienten junge Frauen seien, die eine geringe Motivation besitzen, die Sprache Französisch zu lernen, jedoch durch die finanzielle Unterstützung ihrer Familie in Paris leben können.[10][11] Auch junge Frauen aus diesen familiären Verhältnissen, die mit „romantischen Vorstellungen“ etwa Kunstgeschichte in Paris studieren wollen, fallen in dieses Muster.[1] Zudem gibt es Berichte über ein zunehmendes Auftauchen des Paris-Syndroms unter chinesischen Touristen.[12] […]
Kulturelle Unterschiede: Es gibt nicht nur einen großen Unterschied zwischen den Sprachen, sondern auch in der Gestik und Mimik. Im Gegensatz zu den strengen, betont höflichen Umgangsformen der Japaner verhalten sich Franzosen oft ungezwungener, was von Japanern als unfreundlich aufgefasst wird. Die schnelle und häufige Änderung in Sprache und Verhaltensweise, besonders in Hinsicht des Humors, stellt dabei das größte Problem dar. Mario Renoux, der Präsident der französisch-japanischen Ärztegesellschaft, beschrieb in einem AP-Artikel die „aggressive Ungeduld und de[n] direkten Humor der Franzosen“ als einschüchternd.[18]
Das idealisierte Bild von Paris: Es besteht die Gefahr, dass Besucher unfähig sind, das populäre japanische Bild von Paris mit der Wirklichkeit in Einklang zu bringen.
[…]
„Sie sehen den Montparnasse der goldenen Zwanziger, Manet, Renoir und die wie auf Modezeichnungen angezogenen Pariserinnen.“[20]
Andere idealisierende Einflüsse könnten Filme wie Die fabelhafte Welt der Amélie sein, die Paris romantisch verklärt darstellen.[…]
Bei leichteren Fällen wird das Paris-Syndrom durch Bettruhe und Hydration behandelt, bei schwereren Fällen auch durch den Aufenthalt in einer Klinik (25 % der Fälle[20]) und durch die Heimreise.[22] In einem Viertel der Fälle, die die japanische Botschaft bearbeitet, wird eine sofortige Heimreise nötig.[8] Im Jahr 2011 gab es mindestens sechs Fälle, in denen die Botschaft eine Heimreise unter medizinischer Beaufsichtigung veranlassen musste.[22]
Nach Aussagen von Mahmoudia geht es nach der Behandlung „einem Drittel sofort besser, ein Drittel erleidet Rückfälle und der Rest bekommt Psychosen“.[6]
Nun gibt es zwar auch Stimmen, die sagen, das Paris-Syndrom gäbe es gar nicht, und warum sollte es auch nur in Paris auftreten, denn woanders gäbe es da ja auch nicht.
Ich bin mir aber sicher, dass wir gerade in eine Art Deutschland- oder Berlin-Syndrom schlittern, und das sogar ohne zu verreisen.
Denn auch hier gibt es eine starke Divergenz zwischen der Erwartungshaltung gegenüber der erwarteten sozialistischen idealen Schlaraffenlandgesellschaft, die durch romantische Darstellungen versüßt und verklärt wird, und der tatsächlich eingetretenen Realität.
Und auch hier sind es vor allem nichtsnutzige junge Frauen, die von den Eltern finanziert werden und irgendwas mit Kunst oder Geisteswissenschaften studieren wollen, die davon besonders erfasst werden.
Der wesentliche Unterschied: Die Heil- und Behandlungsmethode der Heimreise gibt es hier dann nicht.