Die Provokation
Ich nehme zur Kenntnis,
dass gerade – wie neulich schon mal in einer großen Welle – (scheinbar) viele Leute versuchen, mir einzuhämmern, dass es falsch sei zu sagen, dass die Russen in die Ukraine einmarschiert wären, weil sie doch dazu provoziert worden seien. Ihnen sei praktisch gar nichts anderes übrig geblieben.
Es wäre mir neu, dass der Grund, warum man etwas getan habe, etwas daran ändere, dass man es getan hat. Oder will man dann behaupten, dass die Russen nie in der Ukraine waren und das alles nur Propaganda des Westens?
Irgendwie hört das das dann auch nach dem an, was die Feministen „victim blaming“ nennen. Herr Richter, ich konnte gar nicht anders, als die Frau zu vergewaltigen, ihr Rock war so kurz. Sie hat mich provoziert.
Ich vernehme auch dieselbe Argumentationslinie, mit der man bisher von links jeden als „Nazi“ titulierte, der nicht der eigenen Meinung entsprach. Das Gegenstück heißt halt „Du bist Mainstream-Media“, wenn man nicht schreibt, was sie wollen. Die Steigerungsform „Du bist auf der Seite Ursula von der Leyens“. Das ist dann schon massive Psychogewalt.
Bisher aber konnte mir niemand erklären, was denn eigentlich passiert wäre, wenn man diesen Krieg nicht angefangen hätte. Welches Übel den Russen gedroht hätte. Das erschließt sich mir nicht nur nicht, auch haben die Gründe, warum Putin gar nichts anderes übrig geblieben sei, im Laufe der Zeit mehrmals gewechselt.
Am schrägsten aber finde ich, dass da wieder mal Rudelmechanik und Rudelwesen betrieben wird. Man hat sich gefälligst zu einer der Seiten zu bekennen. Wenn man nicht pro Russen schreibt, heißt es, man sei pro Amerikaner. Die Möglichkeit, einfach beide nicht zu mögen und für unseriös zu halten, bleibt einem nicht. Wer sich nicht mit den Amerikanern solidarisieren will, dem bleibe gar nichts anderes übrig, als Putin zu preisen. Tertium non datur.
Warum bleibt einem die Möglichkeit nicht, Biden und Putin nicht zu mögen und beide nicht für vertrauenswürdig zu halten? Warum führt der Weg zum guten Mensch wieder mal nur darüber, irgendeinen Mesias anzuerkennen?
Die Tatsache ist aber doch, dass die Russen in die Ukraine eingedrungen ist, dort rumbomben und dort Menschen sterben. Das ist erst einmal so. Und bisher hat mir niemand einen vernünftigen oder der Nachprüfung standhaltenden und seriösen, vertretbaren Grund genannt, warum er das hätte tun müssen. Stattdessen gibt es aber genug Stimmen und Aussagen, wonach die Russen ihr altes Reich wieder haben wollen, kommt ja sogar in russischen Fernsehsendungen.
Mir scheint, als betreibe man da gerade mit Nachdruck eine Art Rechtfertigungspropaganda.
Und mich erinnert die Rhetorik doch etwas an den Reichtagsbrand und „Seit 5:45 Uhr wird zurückgeschossen“. So dieses „Die anderen haben angefangen und uns blieb ja gar nichts anderes übrig, als zu reagieren“.
Auf mich wirkt dieses Gehampel vor allem lächerlich.
Und es ist auch nicht plausibel. Denn es wird nie gesagt, was eigentlich der Zielzustand ist. Welches Ziel die Russen verfolgen. Es wird immer erst geguckt, was sie machen und was passiert, und dann nachlaufend behauptet, dass da so erforderlich war, dass sie gar nicht anders konnten.
Soll das hinterher menschenleer sein? Russisch? Oder was?
Soll da dann Infrastruktur stehen oder alles kaputt sein?
Wer nicht sagen kann, welches Ziel die verfolgen, der braucht sich bei mir nicht mit dem Versuch zu erklären blicken zu lassen, warum sie dieses Ziel verfolgen. Denn dann kann er es auch nicht wissen.
Und nein, ich halte Putin nicht für glaubwürdig. Der Mann ist von Beruf ausgebildeter Lügner. Das hat der gelernt. Und was ich von Geheimdiensten, auch den amerikanischen und deutschen, halte, das ist bekannt.