Somalia
Damals, als man noch schreiben durfte.
Heute muss man um den Job fürchten, wenn man in den Social Media schreibt, dass Somalia ein Shithole sei. Jedenfalls dann, wenn man für den ÖRR arbeitet.
Ein Leser meinte aber, dass das mal anders war, dass man etwa 2011 Somalia noch kritisieren durften, denn die Süddeutsche habe damals geschrieben: Krieg, Drogen und Wahn in Somalia: Kettenmenschen
Traumatisiert vom Bürgerkrieg, verwirrt von der Droge Khat – in Somalia vegetieren Hunderttausende psychotische Menschen unter furchtbarsten Bedingungen in Gefangenschaft vor sich hin.
Wenn Achmet frei ist, zieht er durch das Lager und fängt Katzen, die er mit einer Plastiktüte erstickt. Die toten Tiere versteckt er in seinem Kopfkissen, das er immer mit sich trägt. Er ernährt sich von den verwesenden Katzen, vom Abfall, manchmal von seinen Exkrementen. Fliegen schwirren um ihn herum. […]
Achmet sitzt auf einer schmutzigen Decke mit seinem Kopfkissen. Sein Fuß ist an eine Eisenkette angeschlossen. Fliegen sitzen in seinen Augen, an seinem Mund. Es riecht nach Verwesung, Urin und Exkrementen. Achmet wiegt sich nervös hin und her, lacht unkontrolliert, manchmal schlägt er um sich und schreit: “Hilf mir, Mama, sie bringen mich um! Bleib bei mir!” Dann wird er ruhiger, spricht undeutlich mit imaginären Personen. Seine Mutter meint, er dürfe nicht erzählen, mit wem er spricht, die hätten es ihm verboten. “Die”, das sind die Halluzinationen. […]
In jedem fünften somalischen Haushalt leben einer epidemiologischen Untersuchung zufolge Menschen in Ketten, vermutlich mehr als acht Prozent der erwachsenen Männer sind psychisch schwer gestört. Sie sind die Opfer eines grausamen Experiments der Geschichte: Was passiert mit den Bürgern eines zerfallenen Staates, die über Jahre im schlimmsten Bürgerkrieg leben, die von Kindesbeinen an Gewalt und Drogen unterworfen sind? […]
Überleben konnte er diese Hölle nur durch die stimulierende und Hunger tötende Kaudroge Khat, die aus den Blättern der gleichnamigen Pflanze besteht. Als er heimkam, war er gedemütigt, zerstört und ohne Zukunft. Aber er hatte noch Familie, Frau und Kinder, für die er sorgte – bis die ersten Symptome des Wahnsinns auftraten: Er wurde lethargisch, vernachlässigte die Körperpflege, verhielt sich aggressiv. Frau und Kinder verließen ihn. Jetzt kümmert sich nur noch seine Mutter um ihn. […]
Khat berauscht und stimuliert wie ein Amphetamin. Die Konsumenten verhalten sich aggressiv, euphorisch, unvorhersehbar. Sie leiden unter Depressionen, Schlafstörungen und Apathie. Wenn die Droge schon im Jugend- oder gar Kindesalter genommen wird, exzessiv und dauerhaft, dann richtet sie katastrophalen Schaden im Gehirn an. Sprachstörungen und der zeitweise völlige Verlust kontrollierten Verhaltens ziehen die Betroffenen immer tiefer in den Wahnsinn, viele werden schizophren. Sie werden zur Gefahr für sich selbst und für andere; deshalb werden sie an Ketten gelegt.
Und heute wird man beim ÖRR schon verfolgt und mit Arbeitsplatzverlust bedroht, wenn man nur „Somalia ist ein shithole“ schreibt.
Würde man heute schreiben, was die Süddeutsche sich noch vor 11 Jahren zu schreiben drohte, würde man vermutlich in einer Live-Schalte in der Tagesschau hingerichtet und niedergebrannt.