Über Autoren, Verlage und Print-on-Demand
Weil sich in den Diskussionen zu zwei Blog-Artikeln über die Wikipedia gerade herausgestellt hat, dass die Lösch-Truppen bei Wikipedia die Kriterien, nach denen sie angeblich löschen, selbst nicht verstanden haben, und mir bei mir im Blog rumstänkern, hier mal ein paar (er)klärende Worte:
Der erste Fehler der Wikipedianer (oder derer, die sich hier als solche ausgeben) ist, dass sie nicht mal ihre eigenen Regeln auseinanderhalten können und die Regeln für die Belege für die Text-Inhalte mit denen für Literaturlisten verwechseln. Schon mal schlecht, wenn man den Unterschied nicht verstanden hat.
Ein Autor ist der Ersteller und Urheber eines Schriftwerkes. Der Begriff ist zwar juristisch, aber nicht ganz deckungsgleich mit dem Urheber. Autor ist man nur bei einem Text-Werk. Man kann Urheber eines Fotos, Bildes oder Kunstwerks sein, aber nicht dessen Autor. Andererseits ist man Urheber erst dann, wenn das Werk die Tiefe hat, dass es Urheberrechtsschutz genießt. Autor kann man auch darunter sein. Urheber ist ein Begriff des spezifisch deutschen Urheberrechts, während Autor (bzw. Author) auch ein international verwendeter Begriff ist. Urheber ist ein Begriff, der gesetzlich festgelegt ist und nicht dem Rechtsgeschäft unterliegt, Urheber ist man kraft Gesetz, man wird es nicht durch Vertrag und kann die Eigenschaft auch nicht durch Rechtsgeschäft ablegen oder übetragen. Autor hingegen ist ein Begriff, der in der Regel in Rechtsgeschäften (Tantiemenabrechnungen, Verträgen usw.) verwendet wird. Gelegentlich werden auch Herausgeber vertraglich als Autoren bezeichnet, obwohl sie nicht Urheber sind. Deshalb meinen „Urheberrechte” und „Urheberpersönlichkeitsrechte” meist die Rechte, die man als Urheber durch Gesetz hat, ohne dass es dazu noch irgendeiner rechtsgeschäftlichen Handlung bedürfte, während man (bei uns!) unter „Autorenrechte” meist eher die Rechte meint, die einem erst durch irgendeinen Vertrag (z. B. mit einem Verlag) oder eine Dienstanweisung (z. B. des Dienstherrn) eingeräumt (oder nicht genommen) werden.
Ein Verlag ist ein Gewerbe. Ein Unternehmen, das die physische Herstellung von Büchern (bzw. den Auftrag an eine Druckerei), Werbung, Marketing, Verkauf, Vertrieb, Abrechnung von Büchern und das finanzielle Risiko der Vorfinanzierung der Kosten übernimmt. Weil man bisher Drucktechniken verwendete, bei denen der Aufwand zur Einrichtung der Druckmaschinen hoch (Druckplatten, Matrizen, und, und, und), die Stückkosten dann aber gering waren, hat man Bücher in Auflagen gedruckt, also erst viele Bücher produziert, um durch Umlage der Einrichtungskosten niedrige Kosten pro Buch zu erreichen, und sie erst dann in den Verkauf gegeben. Das entsprach auch dem Vertriebsschema, bei dem man die Bücher erst in die Buchhandlungen stellen musste, um sie dann zu verkaufen, also in finanzielle Vorlage gehen musste. Der Verlag trägt also das Kostenrisiko.
Ganz wesentliche Unterschiede zwischen Autor und Verlag sind:
- Der Autor stellt den geistigen Inhalt des Buches her, hat die Urheber- und Urheberpersönlichkeitsrechte daran und ist rechtlich Freiberufler.
- Der Verlag stellt die Bücher physisch her (bzw. tritt gegenüber der Druckerei als Auftraggeber auf), vertreibt und verkauft sie und ist ein Gewerbe.
- Ein Selbstverleger ist ein Autor, der die Verlagsaufgaben selbst übernimmt. Ein Selbstverlag ist auch ein Gewerbe und muss als solches angemeldet werden, Gewerbesteuer zahlen usw.
Und damit hat der Verlag mit dem Inhalt des Buches eigentlich erst einmal nichts zu tun. Und mit der Qualität nur, was die physische Qualität betrifft.
Faktisch läuft’s natürlich anders.
Verlage sind gewinnorientiert und wollen natürlich möglichst viele Bücher verkaufen, sie nehmen daher inhaltlichen Einfluss auf die Bücher. Sie machen Vorgaben, was darin zu stehen hat und was nicht, haben Lektoren, Leute die bestimmen, was der Verlag druckt und was nicht usw. usw. usw.
Das kann sich positiv auf die Qualität auswirken. Viele Wissenschaftler etwa bekämen ohne massive Hilfe der Verlage kein tageslichttaugliches Paper oder gar Buch zusammen. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt schrieb mir mal, dass es von den Verlagen akzeptiert und für normal gehalten würde, dass etwa Professoren sich ihre Bücher von Ghostwritern schreiben liessen. Wäre wohl nicht erträglich und nicht verkäuflich, wenn sie es selbst schrieben. Oft haben die Verlage mehr Anteil am Inhalt als die „Autoren” selbst (was man durchaus so interpretieren kann, dass eigentlich der Verlag der Autor und der Wissenschaftler der Namensgeber ist).
Es kann sich aber auch negativ auswirken. Gerade im Wissenschaftsbereich versuchen manche Verlage, möglichst viel zu kassieren, indem sie Bücher oder Journale nur als Bundle anbieten, und deshalb die Bibliotheken zwingen, mit einem wichtigen Werk immer auch noch jede Menge teuren Schrott zu kaufen. Und es sind auch schon komplette Fake-Journale aufgeflogen, an denen überhaupt nichts echt war. Verlage sind also – gerade im Wissenschaftsbereich – keine Garanten für Qualität, sondern eine der Hauptursachen für den ganzen Schrott, der in den Bibliotheken steht. Viele Werke werden von Verlagen nicht zum Lesen, sondern nur zum Verkaufen an die Bibliotheken erstellt. Reine Dummy-Journale.
Das hat große Ähnlichkeit mit den Plattenlabels, die früher auf Schallplatten und CDs ein gutes Lied eines Künstlers gepackt und den Rest mit Schrott aufgefüllt haben, den man mit dazu kaufen muss.
Man sollte sich immer vor Augen halten, dass Verlage keine wissenschaftlichen Einrichtungen sind und deshalb Qualität und Wahrheit nicht deren primäre Ziele sind, sondern dass sie kommerzielle Unternehmen sind und damit allein Umsatz und Gewinn deren Ziele sind. Manche versuchen, das mit Qualität und Seriosität zu erreichen, aber nicht alle. Tatsächlich ist es im Wissenschaftsbereich sogar so, dass man mit einer Mischung aus Qualität und Schrott sehr viel mehr Umsatz und Gewinn erzielen kann als nur mit Qualität. Und genau das machen viele. Und es gibt Bereiche, etwa die Dissertationsverlage, in denen die Qualität überhaupt keine Rolle spielt, weil da der Doktorand und nicht der Käufer zahlt und den Gewinn bringt. Da besteht sogar ein erhebliches Interesse, jeden Mist zu drucken. Und es ist bekannt, dass an vielen Fakultäten die Prüfer die Dissertationen gar nicht erst lesen und sie auch nicht bewerten können. Dissertationen sind im Mittel qualitativ nahe bei Null. Es ist also verfehlt, wie Wikipedia anzunehmen, dass die Annahme einer Dissertation ein Hinweis auf die Qualität des Textes ist. Ich kenne in Informatik gar keine, nicht eine einzige Dissertation, die von irgendeiner Relevanz gewesen wäre, und auch in den anderen Fächern fällt mir spontan keine ein.
Ein anderes Problem der Verlage ist, dass sie heutzutage nur noch als große Verlage finanziell überleben können. Die kleinen Nischenverlage, von denen es früher so viele gab, sind fast alle pleite gegangen und/oder aufgekauft worden und existieren nur noch als Handelsmarke. Das, was viele Leute und Wikipedianer für einen Verlag halten, existiert so oft gar nicht mehr. Und mit der Größe werden die Verlage anfällig für Erpressung und politischen Einfluss. Ich habe vor einigen Jahren mal einen Verlag für „Adele und die Fledermaus” gesucht. Einige Verlage bzw. Verlagsleiter haben mir erklärt, dass der Stoff toll wäre und sie das gerne herausgeben würden, aber nicht können, weil der Kollateralschaden weit größer als der zu erzielende Umsatz ist. Ein Verlagsleiter hat mir das mal sehr ausführlich am Beispiel der Pharma-Industrie erläutert. Sie müssen als Verlag inzwischen sehr viele Bücher aus verschiedenen Bereichen und Zeitschriften herausbringen, um überleben zu können. Und das Zeitschriftengeschäft, auf das sie angewiesen sind, trägt sich heute nicht mehr durch Verkauf, sondern durch die Werbeanzeigen. Und ganz besonders wichtig sind die Anzeigen der Pharma-Industrie. Ohne die können sie nicht leben. Sie hätten kurz zuvor ein kritisches Buch über Korruption in der Pharmaindustrie ablehnen müssen, weil die Pharmaindustrie auf sowas sofort mit Stornierung aller Werbeaufträge reagiert und sie damit die Zeitschriften dicht machen und die Leute entlassen müssten. Dazu käme, dass sie keine kleinen Auflagen mehr machen können, rechnet sich nicht. Sie machen nur noch große Auflagen und damit doofes Zeug, das sich an die Masse verkaufen lässt, und damit nur noch solches, was der Bevölkerungsdurchschnitt versteht und was viele interessiert.
Gerade die kommerzielle Struktur der Verlage ist es, die sie inhaltlich beeinflussbar macht und deren Qualität drückt.
In Politik und Industrie hat sich längst herumgesprochen, wie man Verlage manipuliert und unter Druck setzt, um auf deren Inhalte Einfluss zu nehmen (man denke nur daran, wie man damals bei der Kinderpornosperre politischen Einfluss gegen mich genommen hat). In den 80er und 90er Jahren gab es einige wissenschaftskritische Bücher. Damit war aber irgendwann schlagartig Schluss. Einen der Autoren hab ich mal ausfindig gemacht und mit ihm gesprochen. Er sagte, er kann sich das nicht mehr leisten, er hat Frau und Kinder zu ernähren. Politik und Industrie haben herausgefunden, wie man Druck ausübt, und haben regelrechte Hetzjagden auf ihn veranstaltet, um ihn aus dem Geschäft zu drängen. Seitdem schreibt er nicht mehr in dem Bereich. Von einem anderen habe ich erfahren, dass er nur noch unter ständig wechselnden Pseudonymen bei ständig wechselnden Verlagen schreiben kann.
Es ist also keineswegs so, dass ein Verlag für die Qualität eines Werkes steht. Das war mal so, ist es aber nicht mehr. Verlage sind heute große, kommerzielle Gebilde, und in so viele Abhängigkeiten und Interessen verstrickt, dass es unmöglich ist, dass sie noch unabhängige, neutrale Qualität liefern.
Dazu kommt eine Verlotterung der Sitten, die man auch bei den Bildjournalisten erlebt. Die Verlage missbrauchen ihre Stellung als der finanziell Stärkere gegenüber den Urhebern und zocken alle Rechte ab. Bei vielen Verlagen muss man als Urheber heute alle Rechte abtreten und sich mit einem einmaligen Kleckerlesbetrag von seinem Werk verabschieden und es exklusiv und unbegrenzt an einen Verlag abgeben. Gerade in der Fotografie ein Riesen-Problem. Wer die Rechte an seinem Werk behalten will, hat große Probleme, noch einen Verlag zu finden. Auch hier wieder der Vergleich mit den Plattenlabels. Immer mehr Musiker kotzen wegen der Art und Weise, wie sie von den Labels behandelt werden. Immer mehr junge Musiker veröffentlichen lieber kostenlos über Youtube und verdienen nur noch über Konzerte, als sich mit den Plattenlabels einzulassen. Die Älteren unter den Lesern werden sich noch an Prince erinnern, der sich irgendwann mal nur noch ein Symbol als Namen gab und gar keinen konkreten Namen mehr haben wollte. „The Artist formerly known as Prince.” Alle dachten damals, er hat nicht mehr alle Tassen im Schrank. Er hat es dann aber mal irgendwo erklärt. Das Plattenlabel hatte ihn mit einem Knebelvertrag gebunden und sich die Rechte an Prince abtreten lassen. Sein eigener Künstlername gehörte ihm nicht mehr. Um aus dem Knebelvertrag herauskommen zu können, musste er den Namen aufgeben, und wenn ich mich richtig erinnere, hätte er auch mit anderen Namen Probleme gehabt, ist also deshalb namenlos aufgetreten.
Und gerade im Wissenschaftsbereich werden die Verlage und der Peer Review inzwischen mehr als Korruptionsnetzwerk als als Qualitätsfilter wahrgenommen. Sie stellen inzwischen nur noch die Konformatität mit dem Mainstream und die Beteiligung an Zitierkartellen sicher. Unabhängige, neutrale Publikationen gibt’s da nicht mehr. Deshalb fordern immer mehr Wissenschafler Open Access und geben ihre Papers direkt heraus.
Wer die Rechte an seinem Werk behalten will, der meidet Verlage. Ebenso wie in der Musik ist das nämlich durch den Fortschritt der Technik jetzt möglich.
Und was ist Books on Demand (BoD), auf das sich Wikipedia bezieht? Es ist ein ganz bestimmter Print-on-Demand-Anbieter, denn Print-on-Demand ist der eigentlich richtige Fachbegriff (wie der Unterschied zwischen Klebstoff und Uhu, Papiertaschentuch und Tempo oder Haartrockner und Fön). Die Wikipedianer haben nicht mal selbst verstanden, wovon sie da reden.
Print on Demand sagt auch nichts über den Inhalt, sondern ist eine Drucktechnik. Weil durch die Digitalisierung und Computertechnik moderne Druckmaschinen nicht mehr mit geprägten oder geätzten Druckplatten/folien, sondern im Prinzip wie ein großer Laserdrucker arbeiten, verschieben sich dabei die Kosten fast völlig von den Einrichtungs- zu den Stückkosten. Wie bei einem Laserdrucker ist es von den Kosten her ziemlich egal, ob man hundertmal das gleiche Dokument oder hundert verschiedene Dokumente druckt. Es besteht also kein Grund mehr, Bücher auf Vorrat in großen Stückzahlen als Auflage zu drucken, zu lagern und irgendwann wegzuwerfen, sondern man stellt Bücher einfach dann her, wenn man sie braucht. Das hat auch nichts damit zu tun, ob man einen Verlag hat oder nicht, sondern ist eben nur eine Drucktechnik. Auch viele Verlage setzen das heute ein. Dazu kommt, dass der Buchhandel heute sehr viel stärker zentralisiert und versandorientiert ist als früher. Man muss nicht mehr in jeden Buchladen einen Stapel Bücher stellen. Hat auch was mit Umweltschutz zu tun.
Print on Demand-Anbieter wie CreateSpace, LuLu oder BoD machen eben unter Ausnutzung der modernen Drucktechnik wieder das, was ein Verlag im ursprünglichen und eigentlichen Sinne macht: Den gewerblichen Teil des Buchverkaufs. Wer also – wie die Wikipedianer – meint, dass solche Bücher der Gegensatz zu Verlagsbüchern bzw. Eigenverlagsbücher seien, der hat nicht verstanden, was ein Verlag ist. Der glaubt nämlich, dass die inhaltliche, politische und kommerzielle Einmischung der Verlage und die geforderte Aufgabe der Urheberrechte des Autors ein Qualitätsfaktor wären. Der glaubt, dass Qualität nur dann vorläge, wenn ein Werk vorher die diversen Lobby-Filter von Politik, Industrie und Wissenschaftszirkus durchlaufen habe.
Ein grundsätzliches Problem von Verlagen ist auch, dass der Autor sich einem erheblichen Risiko aussetzt: Bei den meisten Verlagen muss der Autor sein Manuskript exklusiv einreichen, um dann nach 6-9 Monaten zu erfahren, ob der Verlag überhaupt ein Interesse daran hat. Bei Werken, die auf Aktualität bauen, kann schon die Annahmefrist vernichtend, eine Ablehnung dann aber tödlich sein. Gerade ein Buch wie meines, das eine direkte Reaktion auf Vorgänge Ende März war, und das in knapp mehr als zwei Monaten vom ersten Gedanken bis zum Verkauf durchgeprügelt wurde (auch um politisch aktuell und wirksam zu sein), wäre mit einem Verlag nicht möglich gewesen. Eine Beschränkung auf Verlage schließt damit solche aktuellen Bücher völlig aus.
Soviel mal dazu, wie wenig Ahnung die Wikipedianer von ihren eigenen „Qualitätsanforderungen” haben. Dazu kann man auch mal lesen, was in Wikipedia über „Autor” steht.
Und man kann sich durchaus die Frage stellen, wessen Interessen da vertreten werden und wer diese BoD-Ablehnung da reingeschrieben hat. Denn genauso, wie die Artikel bei Wikipedia von den verschiedenen Lobby-Gruppen beeinflusst und kontrolliert werden, könnte es ja gut sein, dass auch hinter diesen Literaturanforderungen die Verlags-Lobby steht. Quasi der Wikipedia-Meta-Schwindel. Denn Print-on-Demand bereitet den Verlagen inzwischen ziemliche Sorgenfalten, weil sie aus der Wertschöpfungskette völlig herausfallen. Und da drängt sich der Gedanke förmlich auf, dass auch diese „Qualitätsanforderungen” bei Wikipedia in Wirklichkeit manipuliert und durch Lobbyisten frisiert sind. Und dass ausgerechnet die, die jetzt bei mir im Blog hier nöhlen, weil ich Wikipedia Lobbyismus und Manipulation vorwerfe, dabei auf eine weitere Manipulation hereingefallen sind.
Wäre mal interessant herauszufinden, wer und wessen Interessen hinter diesen angeblichen „Qualitätskriterien” der Wikipedia stehen und welche Verbindungen da zu Verlagen bestehen. Könnten genau dieselben Leute sein, die auch gegen Open Access in der Wissenschaft wettern, um das Geschäftsmodell der Verlage zu erhalten.
11 Kommentare (RSS-Feed)
@Uwe: Naja, meine Dissertation ist ja eigentlich keine Dissertation, und damit kein gültiges Beispiel. Sie wurde ja auch nie im regulären Weg veröffentlicht (sondern nur über meine Webseite). Für mich persönlich und meine Arbeit seit 1998 hat der Inhalt schon eine sehr große Rolle gespielt, und sich auch bewährt, aber nicht, weil ich sie gelesen habe, sondern umgekehrt, weil ich reingeschrieben habe, was sich als richtig und nützlich herausgestellt hat.
Meine Nicht-Dissertation wurde seither tausende Male heruntergeladen, und vermutlich dürfte sie die mit Abstand meistgelesene Informatik-Dissertation zumindest Deutschlands sein. Und bisher habe ich auch nur positives Feedback, bisher hat noch niemand einen Fehler darin aufgezeigt (außer den falschen Behauptungen der Prüfer.)
Aber eine faktische fachliche Auswirkung habe ich da kaum erkennen können. Ein paar Leute haben mir durchaus geschrieben, dass sie die Darstellung zum Kommunikationsmodell oder den Kryptoverboten gut und lehrreich fänden, aber seien wir ehrlich: Sie hätten sie nie gelesen, wenn es ein reguläres Promotionsverfahren gewesen wäre und die Arbeit dann in den Bibliotheken vergammelt wäre. Die Relevanz meiner Dissertation ergibt sich nicht aus dem Inhalt (obwohl ich den nach wie vor für gut halte, aber kein Mensch liest Dissertationen), sondern aus der Tatsache der Ablehnung und dem Skandal außenherum.
Aus meinem gesamten Freundeskreis mit Informatik-Promotionen hat keiner einziger jemals irgendeine Rückmeldung erhalten. Die meisten sind felsenfest überzeugt, dass nicht einmal die Prüfer sie gelesen haben und nicht wussten, was drin steht, und das habe ich zweien meiner drei Prüfer und zwei Gerichtsgutachtern ja auch nachgewiesen. Dissertationen in Informatik sind völlig bedeutungslos und werden überhaupt nicht gelesen. Ich habe für meine Studien hier diverse Dissertationen ausgeliehen und häufig festgestellt, dass sie auch nach 10 oder 15 Jahren selbst in hochfrequentierten Bibliotheken aussehen wie nagelneu und man sie beim Aufschlagen noch knirschen hört, weil die Seiten vom Beschnitt noch zusammenhaften und sie noch nie irgendwer aufgeschlagen hat. Und in den meisten Dissertationen steht entweder gar nichts oder hanebüchener Mist drin.
Aus der Tatsache kann man übrigens nicht den Schluss ziehen, dass in Deutschland keine relevante Forschung mehr stattfindet, sondern nur, dass sie nicht in Dissertationen stattfindet. Eine Menge Leute in der Informatik haben die Erfahrung gemacht, dass man nichts Wertvolles in Dissertationen schreiben darf, weil man es dann nicht noch einmal veröffentlichen kann und es faktisch tot ist. Es gibt keine bessere Möglichkeit, seine Forschungsergebnisse völlig zu entwerten und totzuschlagen, als sie in seine Diss zu schreiben, zumal viele Professoren die Promotion endlos verzögern und oft auch die Veröffentlichung nach der Prüfung noch 1-2 Jahre hinauszögern, womit Dissertationen bei ihrem Erscheinen auch stets ziemlich veraltet sind.
Ein anderes Problem ist, dass die meisten Dissertationen sowieso Schwindel sind und man deshalb gar nicht erst versucht, sie allzu publik zu machen. Da gibt’s Dissertationen, die auf Microfiche publiziert oder als normales Buch in einem anderen Fach getarnt werden, damit nur ja niemand mitbekommt, dass der Schwachsinn da eine Dissertation sein soll oder irgendwer auf die Idee käme, sie zu lesen.
Darüber hinaus kann man aber aus anderen Umständen den Schluss ziehen, dass in Deutschland keine relevante Forschung mehr stattfindet. Außer Zuse, Entscheidungsproblem und MP3 fällt mir momentan einfach gar nichts ein, was in der Informatik aus Deutschland käme und irgendeine Bedeutung erlangt hätte. Im Linux-Kernel schreiben viele Deutsche mit, aber das hat nichts mit der Hochschulforschung zu tun. Die deutsche Informatik ist ein Witz.
Aber um zum Thema zurückzukommen: Alle Leute aus meinem Bekanntenkreis haben für die Veröffentlichung ihrer Diss mindestens ca. 800 DM oder ca. 700 Euro in Vorleistung zahlen müssen, um dann ein A5-Bändchen in lächerlicher Qualität zu bekommen und Winz-Tantiemen, die kaum die Druckkosten reingeholt haben. Und das ganze in lächerlichen Auflagen, die man schon nach ein paar Monaten und der Grundversorgung der Bibliotheken nicht mehr bekam, was offenbar gewollt ist. Ganz übles Geschäft diese Dissertations-Druckereien.
Wer ein bisschen was in der Birne und ne ordentliche Diss hat, publiziert sie über Print-on-Demand. Kostet gar keine Vorleistung, man verdient mehr daran und kann sie beliebig oft und lange verkaufen.
Du schriebst in Forschungsmafia:
,,Wieder einmal habe ich den Eindruck, daß die Wikipedia vor allem aus den Universitäten systematisch kontrolliert, zensiert und als Desinformationswerkzeug benutzt wird.”
Dem kann ich nicht ganz zustimmen – man kann sich ein belibiges Thema raussuchen, selbst wenn es scheinbar wenig mit Politik zu tun hat.
Dort merkt man dann wie sehr zensiert gelöscht usw. wird.
Ich denke nicht, dass auf Wikipedia nur eine Zensorentruppe (z.B. die der Feministen) unterwegs ist, sondern dass es die vielen (verschiedensten) Lobbygruppen sind, die man auch schon aus den Massen-/Mainstreammedien kennt.
Währen es ,,nur” die Feministen und alle anderen ausschließlich an der Wahrheit interressiert ließe sich das Problem bestimmt geschmeidig lösen, aber so 🙁
@Heinz: Das hängt damit zusammen, dass ich mich da vor allem auf Wikipedia-Artikel zu Professoren und Universitäten konzentriert hatte. Schreib was kritisches rein, und das ist innerhalb von Minuten weggehobelt. Und manchmal sieht man direkt die IP-Adressen von den Universitäten oder Instituten (sollte man frühmorgens machen, damit die im Büro sitzen, wenn sie es weghobeln), und machmal sogar die IP-Adressen der PR-Abteilungen.
Es scheint aber tatsächlich auch kommerzielle Dienstleister zu geben, die die Überwachung und permanente Filterung von Artikeln anbieten.
Zu Verlagen: Da muß ich grade an den Bericht über 2001 heute in SWR3 denken. das ist zwar ein “linker” Verlag, aber da hatte mn in den 80ern alles das bekommen, was man nirgendwo sonst bekam. Un da hatte man auch den Eindruck, daß die auf die inhaltlichen Qualitäten legen, und Gewinnmaximierung nicht deren Ziel war. Das ist denen vermutlich auch zum Verhängnis geworden.
zu Prince: Er hat damals sich das lovesymbol (http://www.craigoldham.co.uk/musings/the-love-symbol) als “Namen” ausgesucht. Das war natürlich nicht aussprechbar und er wurde deswegen immer als “the Artist formerly known as Prince” vorgestellt.
Also, ich habe damals 100 DM für die Veröffentlichung meiner Diss bezahlt, und ich bin sicher, dass beide Gutachter meine Diss gelesen haben (da ich von beiden sinnvolles Feedback bekam). Dass meine Diss kein Highlight der Forschung ist/war, ist indes auch klar. Aber wie sagte mein Postdoc Supervisor: wer liest denn schon eine Diss? Insofern hast du recht.
Hadmut scheint mit seiner Einschätzung der “Mitautorschaft” von Verlagen an Wikipedia-Einträgen recht zu haben. Bei schneller Durchsicht fiel mir auf:
Bei WP im Abschnitt “Eigenverlag” gefunden:
“wobei der Autor […] jedoch keine Gewähr für einen sicheren Absatz seiner Werke hat.”
Mit anderen Worten, wer bei einem “richtigen” Verlag veröffentlicht, dessen Verkaufszahlen sind sicher. Gut zu wissen. (Eigenverlag und PoD wird gleichgesetzt und madig gemacht.)
Unter “Verwertungsgesellschaft”:
“Sie [die VG Wort]schüttet die entstandenen Beträge einmal jährlich an die Autoren aus.” Und die Verlage gehen leer aus? (Die wahre Verteilung der Einnahmen wird verschwiegen.)
Klar, bei großen Verlagen sind die Verkaufszahlen viel höher, weil die halt die ganze Infrastruktur aus Werbung, Vertrieb usw. und das Kapital für Auflagen usw. haben. Der springende Punkt ist aber Verkaufszahlen. Sie reden nur von der Zahl der verkauften Bücher. Nicht von Tantiemen. Die sind nämlich gerade bei unbekannten Autoren lächerlich gering. Der Autor wird mit ein paar Cent abgespeist und muss dazu die Rechte am Buch dem Verlag überlassen.
Verlage können zwar viel billiger drucken als Print-on-Demand, da kostet ein Buch in der Herstellung deutlich unter 1 Euro. Aber dafür ist die Infrastruktur, die mitverdienen will, gigantisch. Das geht alles vom Gewinn für den Autor ab.
Davon abgesehen schummeln Verlage ganz massiv bei den Auflagen. Da werden große Auflagen gedruckt und dann auf Jahre gelagert, um sie dann als Mängelexemplare oder herabgesetzte Restposten zu verkloppen. Gibt ja einige Versandhäuser, die dann irgendwelche leicht veralteten Computerbücher für 1-2 Euro verhökern, weil die Verlage die angebliche Auflage bei denen auf der Palette anliefern.
Das ist eben auch eine Folge der Drucktechnik mit niedrigen Stückkosten, dass man zuviel druckt und das dann wegwirft. Geht aber auch alles vom Gewinn ab.
[quote]Meine Nicht-Dissertation wurde seither tausende Male heruntergeladen, und vermutlich dürfte sie die mit Abstand meistgelesene Informatik-Dissertation zumindest Deutschlands sein. Und bisher habe ich auch nur positives Feedback, bisher hat noch niemand einen Fehler darin aufgezeigt (außer den falschen Behauptungen der Prüfer.)[/quote]
Sorry, aber das klingt ein bisschen überheblich. „tausende Male heruntergeladen“ heißt gar nichts, das kann auch 95% Traffic durch Crawler sein. Ich hab mal ein Programm auf sourceforge.net hochgeladen, das wahrscheinlich niemandem irgendwas bringt und es wird immer noch herunter geladen, obwohl es nicht mal mehr lauffähig ist. Verlinkt ist es nirgends, nur über irgendwelche Indizes/Empfehlungen von sourceforge.net selbst auffindbar. Und trotzdem schon über 300 mal herunter geladen. Ich würde die Bedeutung tatsächlich nur am Feedback messen.
Ich habe leider kein Gegenbeispiel parat, aber warum soll es nicht ein Informatik-Buch (das als Dissertation geschrieben wurde) geben, das so gut ist, dass es sich auch regulär verkauft?
Ich bin durchaus in der Lage, einen Crawler von einem Benutzer zu unterscheiden. Beispielsweise geben die andere Browser-Typen an. Und sie fragen mit modified-since, und bekommen dann eine 300er statt einer 200er HTTP-Antwort. Crawler laden ein PDF nämlich nur einmal runter, solange es nicht verändert wird. Und generell gibt’s gar nicht so viele Crawler, dass sie so eine Last verursachen. Außerdem laden Crawler alle verlinkten PDFs gleich oft und suchen sich nicht eines aus, das sie besonders oft laden. Und Crawler senden auch keine zustimmenden Kommentare per E-Mail. Ich habe auch nie behauptet, dass sie jeder gelesen hat, der sie runterlädt.
Freilich könnte es auch ein Informatik-Buch geben, das sich gut verkauft und als Diss geschrieben wurde. Aber erstens kenne ich keines. Zweitens gibt es kaum Fakultäten, die etwas, das lesbar geschrieben ist, als Dissertation annehmen würden. Und drittens gibt es generell kaum Informatik-Bücher, die sich wirklich gut verkaufen. Und ich kenne keinen der Informatik-Klassiker, die wirklich viele im Regal haben, die auf einer Dissertation beruhen. Ich kenne überhaupt kein Buch in Informatik, das auf einer Dissertation beruht. Ich kenne keine Fakultät, die überhaupt von ihrer Promotionspraxis her etwas nehmen würde, was gleichzeitig Buchkäufer anspricht.
Gegenbeispiele sind herzlich willkommen.
Sich hinstellen und rumnölen ist aber keine Argumentationsweise.
Wirklich selten, dass ich so etwas sage, aber dieser Artikel hat mir wirklich neues und für mich wichtiges Wissen vermittelt. Vielen Dank dafür. Ich hab eltzte Woche einen Auszug meines Manuskriptes an http://www.frieling.de
geschickt und hoffe jetzt auf das Beste, aber ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich nach diesem Artikel überhaupt nicht mehr sicher bin, wie ich diese Sache am besten angehen soll.
Ohne mich näher mit dem Thema befasst zu haben, klingt deine Meinung zu print on demand und Verlagen für mich plausibel.
Ich habe allerdings eine Frage bezüglich dieses Satzes:
“Ich kenne in Informatik gar keine, nicht eine einzige Dissertation, die von irgendeiner Relevanz gewesen wäre, und auch in den anderen Fächern fällt mir spontan keine ein.”
Beziehst du in diese Aussage deine Dissertation mit ein?
Außerdem frage ich mich, ob du daraus den Schluss ziehst, dass in Deutschland keine relevante Forschung mehr stattfindet? Die zweite Frage ergibt sich für mich unter der Annahme dass du dich in deinem Satz nur auf Dissertationen an deutschen Hochschulen beziehst.